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Titel
Daum's boys. Schools and the Republic of Letters in early modern Germany


Autor(en)
Ross, Alan S.
Reihe
Studies in early modern European history
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 105,04
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Winkler, Institut für Klassische und Romanische Philologie, Universität Bonn

Mit dem keck kurzen Titel des hier anzuzeigenden Buchs – „Daum’s boys“ – übt sich dessen Verfasser, Alan S. Ross, zunächst in britischem understatement. Der ambitionierte Skopus des Werks erschließt sich dem Leser erst durch den Untertitel: „Schools and the Republic of Letters in early modern Germany“. Anhand einer Fallstudie zur Zwickauer Ratsschule legt Ross die erste umfassende Untersuchung zum Schulwesen in Zwickau vor, nicht ohne sich immer auch um potenziell generalisierbare Ergebnisse zu bemühen. Zentrum und ‚Held‘ seiner Studie ist der Polyhistor Christian Daum (1612–1687), dessen beachtliche Aktivität durch umfangreiches, in der Ratsschulbibliothek Zwickau erhaltenes Quellenmaterial dokumentiert ist. Dieses ist bislang ebenso wenig ernstlich gewürdigt worden wie Daums Werk und Wirken. Umso größer ist das Verdienst von Alan Ross, mit seiner Monographie eine Bresche geschlagen zu haben, in die sich, so darf man hoffen, bald neben Bildungshistorikern auch Philologen und Geistesgeschichtler wagen werden.

Durch die Wahl des Gegenstands sowie den daraus resultierenden methodischen Zuschnitt versucht Ross, einer von ihm (S. 5f.) in der historischen Bildungsforschung beklagten Tendenz entgegenzuwirken, die eine „top-down perspective“ einzunehmen pflegt und dabei den großen, Struktur definierenden Instanzen mehr Beachtung schenkt als den tatsächlichen Akteuren an der Basis, zum Beispiel den Pädagogen und Schülern. Indem Ross explizit einlädt, die Zwickauer Schule „from the bottom up“ zu betrachten (S. 18), kann er nicht nur maximalen Gewinn aus dem von ihm ausgewerteten Quellenmaterial schlagen, sondern zugleich auch Aspekte des frühneuzeitlichen Schulwesens in den Fokus rücken, die bislang nur marginal Beachtung fanden.

Zur Recht hebt Ross in seiner Einleitung die Bedeutung der Lateinschulen für das Bildungs- und Geistesleben in Deutschland hervor, die in viel höherem Maße als Universitäten oder andere Bildungsinstitutionen den Zugang zur Gelehrtenwelt erschlossen. Sie waren mehr als eine Schule, sie müssen vielmehr als „scholarly and cultural habitat“ (S. 3) betrachtet werden, als kulturelle Zentren der Städte.

Das Buch gliedert sich – neben Einführung und Zusammenfassung – in sechs Kapitel, die unterschiedliche Aspekte des Zwickauer Schulwesens beleuchten. Im ersten Kapitel werden allgemeine Informationen zur Geschichte der Lateinschule in Zwickau geboten. Ein besonderes Gewicht legt der Autor dabei auf die Einbindung in die Sozialstruktur der Stadt. Was die protestantischen Lateinschulen etwa gegenüber Jesuitenschulen auszeichnete, war die vollständige Integration in das Stadtleben. Schüler kamen zum Unterricht an die Schule, verbrachten jedoch ihre Freizeit in der Stadt. Die Lateinschule in Zwickau war kein Internat, Schüler gingen nach dem Schultag nach Hause. Sie teilten also den öffentlichen Raum ihrer Freizeit mit den Lehrern, wohnten mitunter gar also so genannte „Kostgänger“ (S. 44) bei diesen.

Das zweite Kapitel ist der zentralen Figur der Zwickauer Ratsschule in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gewidmet, Christian Daum. Ross beschreibt kundig dessen Werdegang und Etablierung als Intellektueller. Betont wird, dass ein Gelehrter in Daums Kontext kein Solitär war, der in seiner einsamen Studierstube den Musen lebte, sondern vielmehr in einem komplexen sozialen Kontext agierte. Daum hatte als ‚öffentlicher‘ Gelehrter nicht nur wissenschaftliche, sondern zugleich auch repräsentative Aufgaben. Instrumente dieser Repräsentation waren in seiner unmittelbaren Umgebung sein Hausstand, seine Kleidung sowie seine soziale und politische Rolle in der Stadt, die Repräsentation in der breiteren res publica litterarum geschah über eine rege Korrespondenz sowie – nicht unähnlich den heutigen Dynamiken – über Publikationen. Der Ratsschullehrer Daum forschte und publizierte umfassend und den Erwartungen an einen Polyhistor entsprechend in einer beeindruckenden thematischen Breite. Die bottom-up-Perspektive der Studie bringt es mit sich, dass auch verhältnismäßig pedestrische, gleichwohl aber für das Leben der Gelehrten hoch pertinente Belange in den Blick rücken. So wirft Ross beispielsweise ein interessantes Schlaglicht auf Daums unermüdliche Bemühungen, mit begrenzten Mitteln seine Bibliothek zu erweitern (vgl. S. 77–79).

Im dritten Kapitel wird der Lehrplan der Zwickauer Schule genauer in den Blick genommen. Lehrpläne an protestantischen Lateinschulen waren heiß debattiert; keineswegs galt überall das Curriculum des mährischen Pädagogen Jan Amos Komenský. Vielmehr bildete es – nicht immer zum Gedeih der Schule – die Forschungsinteressen des jeweiligen Lehrers ab, oftmals war die idiosynkratische und als besonders effizient und innovativ beworbene Methodik auch das Aushänge- und Werbeschild der Schulen. In Zwickau wurde beispielsweise aufgrund sprachgeschichtlicher Überlegungen der Versuch gestartet, mit der Ursprache Hebräisch beginnend in rascher Folge zunächst das Arabische und erst dann die klassischen Sprachen Latein und Griechisch zu lernen.

Das vierte Kapitel schlägt Gewinn aus dem einzigartigen Archivmaterial, das sich in Zwickau erhalten hat. Ross vermag aus Daums Schülerlisten und aus den Pfarrbüchern die biographischen Eckdaten und Schulkarrieren von 770 (!) Schülern zu rekonstruieren. Da er hierbei nicht nur einzelne Schüler durch die Jahrgangsstufen verfolgen, sondern auch deren sozialen Hintergrund ermitteln kann (vgl. S. 134–136), erlaubt seine Erhebung auch Aussagen über den Einfluss der Herkunft auf den Erfolg der Schüler sowie den positiven Effekt der Schule im Hinblick auf die soziale Mobilität. Diese sah freilich keine radikalen sozialen Aufstiege vor (wie dies etwa im Kirchen- oder Militärkontext zu beobachten war), sondern ist eher als eine „mobilty of small steps“ (S. 138) zu verstehen. Schulbildung verhalf der jüngeren Generation oft auf eine etwas höhere soziale Stufe.

Im fünften Kapitel nimmt sich Ross eines Themas an, das im Hinblick auf frühneuzeitliche Universitäten bereits ein gewisses Forschungsinteresse geweckt hat: des Verhaltens, insbesondere der Transgression von Verhaltensregeln aufseiten der Schüler. So vermag Ross aus dem Zwickauer Archivmaterial Zeugnisse für so manche Flegelei zu heben. Briefe, mit denen sich Schüler gegenseitig zu „sawfferrey u. Jungfrawn gelack“ (S. 149) einluden, landeten sehr zu der Schüler Leidwesen mitunter bei Lehrern, so etwa bei Christian Daum. Ross’ Präsentation einzelner Vorfälle illustriert auch die Dynamiken der Konfliktaushandlung im städtischen Umfeld der Lateinschule. Besonders interessant sind dabei die Beobachtungen zum Schwertbesitz der Schüler. Die Schülerkultur sei „fundamentally aspirational“ (S. 155) gewesen und habe den Universitätsstudenten nachgeeifert: „Boys wished to carry rapiers because they wanted to behave like students.“ (S. 154)

Das sechste Kapitel untersucht Daums Instrumentalisierung seines weitverzweigten Briefnetzwerks, um Förderer für sich und seine Schüler zu gewinnen. Ross kann sich dabei auf die in ihrer Art wohl einzigartige Korrespondenz Christian Daums stützen, die sich in der Ratsschulbibliothek Zwickau erhalten hat. Das Besondere dabei ist nicht nur der Umfang sowie die zeitliche und geographische Streuung der Briefe, sondern auch die lückenlose Überlieferung: Es haben sich nicht nur die an Daum geschickten Antwortbriefe erhalten, sondern auch – in Entwurfsform in Konzeptbüchern – Daums eigene Schreiben.1 Diese einzigartige Situation ermöglicht Ross einige allgemeine präliminare Aussagen zu Logistik, Umfang und Zweck des (Gelehrten-)Briefwesens der Frühen Neuzeit (S. 161–163). Briefkontakte mussten sich beispielsweise nicht zu einer Brieffreundschaft entwickeln, sie konnten auch ‚auf Eis gelegt‘ und in einem opportunen Moment reaktiviert werden (S. 166). Die Pflege der Korrespondenz war aufgrund von Zwickaus damals peripherer Lage in Bezug auf die bedeutende Universitätsstadt Leipzig von besonderer Bedeutung.

Das Buch ist sauber produziert, nahezu frei von Druckfehlern und dank des gefälligen Stils sehr angenehm zu lesen. Insgesamt 30 Schwarz-Weiß-Abbildungen (v.a. Karten, Porträts, Frontispize, handschriftliches Material) illustrieren und verdeutlichen Ross’ Ausführungen. In mehreren Appendizes werden die wichtigsten Daten zur Geschichte des Zwickauer Schulwesens aufgelistet, und eine Liste der von Christian Daum verfassten oder herausgegebenen Werke ermöglicht eine rasche Orientierung im reichen Gelehrtenleben dieses so produktiven Zwickauer Schulmanns. Die Quellen werden – einem möglichst breiten Publikum zuliebe – in Übersetzung zitiert. Wünschenswert wäre es jedoch an manchen Stellen gewesen, das oft aus unveröffentlichten Handschriften beigebrachte Zitat wenigstens in den Kapitelendnoten im Wortlaut anzuführen.

Ross hat mit „Daum’s boys“ eine rundum gelungene, profund recherchierte Studie vorgelegt, deren Ergebnisse nicht nur für die Geschichte der Zwickauer Ratsschule bedeutsam sind. Er hat einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Bildungswesens in der Frühen Neuzeit geleistet. Für weitere Forschungen zur Ratsschule, ihrer Bibliothek und ihrem großen Lehrer Christian Daum sind nun Fundament und Anreiz geschaffen.

Anmerkung:
1 Pionierarbeit bei der Erschließung der Korrespondenz hat der Leiter der Ratsschulbibliothek Zwickau, Dr. Lutz Mahnke, geleistet. Vgl. Lutz Mahnke, Epistolae ad Daumium: Katalog der Briefe an den Zwickauer Rektor Christian Daum (1612–1687), Wiesbaden 2003.

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