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Titel
Papacy, Monarchy and Marriage 860–1600.


Autor(en)
d'Avray, David
Erschienen
Anzahl Seiten
370 p.
Preis
£ 65.00; € 86,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Maul, Philipps-Universität Marburg

„Kings were not emperors in their own domains“ (S. 1) – das galt zumindest für die Dispensierung oder Annullierung königlicher Ehen, für welche die Mitwirkung der Kirche erforderlich war, wie David L. d’Avray bereits zu Beginn seiner 2015 vorgelegten Studie „Papacy, Monarchy and Marriage, 860–1600“ feststellt.1 Als ausgewiesener Experte auf dem Gebiet mittelalterlicher Eheschließungen arbeitet er in 19 Kapiteln die Beziehungen zwischen den Institutionen Papsttum, Monarchie und Ehe heraus.2

Die ersten vier Kapitel dienen ihm hierbei als Einführung, bei der er die für seine Argumentation grundlegenden Methoden und Modelle zusammenträgt. Er formuliert hierbei die Frage, „how far were formal legal rules susceptible to instrumentalisation?“ (S. 24) Ausgehend vom berühmten Fall des englischen Königs Heinrichs VIII. führt d’Avray den Leser zugleich mit knappen Bemerkungen in verschiedene Themenkomplexe ein, darunter Polygamie, Scheidung und Legitimation. Er zeigt z.B. auf, dass bis in das Spätmittelalter hinein Fälle von Polygamie bzw. Bigamie nachweisbar sind und kommt zu dem Ergebnis, dass „Polygyny was never suppressed by ‘Christianisation’” (S. 46). Einen Grund hierfür stellen sicherlich die im Mittelalter fehlenden Formvorschriften zum Abschluss einer Ehe dar.

In den anschließenden Kapiteln stellt d’Avray einzelne Ehehindernisse royalen Eherechtsfällen gegenüber. So folgen zunächst Kapitel über die biologische und die geistliche Verwandtschaft. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit durch Magie hervorgerufener Impotenz, zu niedrigem Heiratsalter und physischer Unfähigkeit zum Ehevollzug. Es folgen Bemerkungen zum Nichtvollzug der Ehe, zum Hindernis des bestehenden Ehebandes, zu klandestinen Eheschließungen sowie zur Gültigkeit gegebener Ehedispense. Zum letzten Punkt zeigt d’Avray auf, dass seit dem Konzil von Trient (1545–1563) die Gültigkeit einer Dispens der Gegenzeichnung durch den zuständigen Ortsbischof bedurfte. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass bereits im 15. Jahrhundert eine solche Überprüfung der durch die Apostolische Pönitentiarie erteilten Dispense üblich war.3

Die Studie setzt sich ferner mit Eheannullierungen und Ehedispensen als divergierenden Modellen auseinander und geht im weiteren Verlauf auf die theologischen Grundlagen ein. Ein weiteres Kapitel widmet sich unter grundwissenschaftlichen Aspekten den von den päpstlichen Behörden ausgestellten Dispensen. Im Dokumentationsteil folgen 37 für königliche Paare ausgestellte Ehedispense, die der Autor meist in englischer Übersetzung wiedergibt. Eine Bibliographie, ein Verzeichnis der ungedruckten Quellen und ein Index schließen die Monographie ab.

Bei seinen Fallbeispielen geht d’Avray meist chronologisch vor und zeigt anhand dieser königlichen Ehen die Entwicklung des kanonischen Rechts auf. Ausgehend vom viel diskutierten Ehestreit König Lothars II. in der Mitte des 9. Jahrhunderts spannt er den Bogen bis hin zur Annullierung der Ehe zwischen dem Protestanten Heinrich von Navarra und der Katholikin Margarete von Valois am Ende des 16. Jahrhunderts. Die teilweise berühmten, teilweise aber auch weniger bekannten Fälle umfassen räumlich nahezu das gesamte christliche Abendland. So finden sich nicht nur Fälle aus Frankreich, England, Spanien oder dem Reich, sondern auch aus Ungarn und sogar Zypern.

D’Avray stellt fest, dass im 13. Jahrhundert ein Wandel der päpstlichen Politik in Bezug auf das Eherecht stattfand. Einerseits waren Ehedispense einfacher zu erlangen, gleichzeitig wurde es für königliche Paare nahezu unmöglich, eine Eheannullierung zu erreichen. Während die bisherige Forschung darin meist einen Ausdruck päpstlicher Autorität und Einflussnahme auf königliche Verbindungen und Allianzen konstatierte, betrachtet d’Avray die von ihm untersuchten Fälle weniger unter diesem machtpolitischen Aspekt der agierenden Akteure, sondern in Anlehnung an die sozialen Theorien der Ideengeschichte von Quentin Skinner 4, nach denen ein Herrscher nach rationalen und plausiblen Prinzipien handeln musste, um als legitim gelten zu können. Die Entscheidung über rechtes oder unrechtes Handeln trafen dabei die Untergebenen, die durch ihre Zustimmung die Autorität des Herrschers stärkten. Diese Theorie wendet d’Avray auf das Papsttum an und kommt zu der Erkenntnis, dass auch die Päpste auf die politische Legitimation ihrer Entscheidungen in Rechtsfragen zu achten hatten und damit in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber einem speziellen Personenkreis standen. Diese Schlüsselfunktion weist er einer durch die Professionalisierung des kanonischen Rechts herausgebildeten neuen theologisch und juristisch geschulten Elite zu, die das geltende Recht seit dem 12. Jahrhundert kommentierte und an Universitäten lehrte (S. 28f.).

Die Päpste hatten daher für ihre Entscheidungen einen rechtlichen Rahmen zu schaffen und einzuhalten, um gegenüber dieser kanonistischen Führungsschicht nicht als willkürlich zu gelten und um ihre eigene Machtstellung dauerhaft nicht zu gefährden. So hatte laut d’Avray kein Papst prinzipiell die Macht zur Annullierung einer Ehe, es sei denn, das kanonische Recht war verletzt worden. Das Vierte Laterankonzil 1215 erließ klare Regelungen bezüglich der verbotenen Verwandtschaftsgrade der Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft 5, wodurch Rechtssicherheit für spätere Entscheidungen geschaffen wurde. Daher beruhte die Zeit danach auf „rational law“ (S. 6) und einem „legal framework“ (S. 161). Anders als die vorhergehende Periode, in der Eheannullierungen durch nachträglich vorgebrachte Ehehindernisse einfacher zu erlangen waren, zeichnete sich die folgende Zeit durch Transparenz und klare Rechtseinschätzungen aus (S. 189f.).

Diese Rechtssicherheit konstatiert d’Avray auch in den durch Juristen abgefassten Formulierungen in den ausgestellten Dispensen selbst. Diese seien nicht nur gegen eventuelle Anfechtungen ausformuliert gewesen, sondern zugleich auch Zeugnisse darüber, dass von Seiten der Päpste trotz aller Entscheidungsgewalt das Hauptaugenmerk auf der Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen gegenüber den gekrönten Häuptern gelegen habe. Die Argumentation zielt darauf ab, dass im Grunde von Seiten des Papsttums keine andere Möglichkeit bestand, als die im Falle Heinrichs VIII. von England geforderte Eheannullierung abzulehnen, da andernfalls das kanonische Recht massiv verletzt worden wäre. Eine andere Entscheidung wäre nicht zu legitimieren gewesen. D’Avray kommentiert: “... if a given dispensation had been granted, no pope was going to say that it could not have been granted” (S. 177). Doch auch für diese Regel gibt es mindestens eine Ausnahme, durch die d’Avrays Ausführungen ergänzt werden können. So widerrief der durch das Konstanzer Konzil gewählte Martin V. seine für Jakobäa von Holland und Johann von Brabant am 22. Dezember 1417 erteilte Ehedispens auf Druck König Sigismunds am 5. Januar 1418.6

D’Avray bezeichnet seine Studie im Vorwort selbst als den „analytical counterpart of its sister volume Dissolving Royal Marriages, 860-1600“ (S. IX) aus dem Jahr 2014. Dies wird besonders durch die vielen wechselseitigen Querverweise ersichtlich. Beide Bände sollten daher als Einheit betrachtet und parallel genutzt werden. Besonders hervorzuheben sind die bisher ungedruckten Quellen, welche d’Avray zu einigen Fällen zugänglich macht. Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn findet sich vor allem darin, dass die von d’Avray gewählten Beispiele in den Themenfeldern der Rechts- und Sozialgeschichte erstmals in einen gemeinsamen Kontext gestellt werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und daraus allgemeine Tendenzen abzuleiten. Die Publikation richtet sich daher nicht nur an ein in mittelalterlicher Kanonistik geschultes Fachpublikum, sondern liefert auch Anregungen für sozialhistorische Studien. Denn letztendlich handelte es sich bei den genannten Beispielen auch um Paare mit realen und konkreten Problemen, die es damals zu lösen galt. „Papacy, Monarchy and Marriage“ bietet somit gemeinsam mit „Dissolving Royal Marriages“ ein gelungenes Abbild der rechtlichen Auseinandersetzungen mit royalen Ehen zwischen dem 8. und 16. Jahrhundert.

Anmerkungen:
1 Der Rezensent verwendet für den Begriff „Dispens“ die innerhalb der Kanonistik übliche feminine Form.
2 Unter den zahlreichen Publikationen zu diesem Thema seien lediglich die beiden folgenden Monografien genannt: David L. d’Avray, Medieval Marriage Sermons: Mass Communication in a Culture without Print, Oxford 2001; ders., Medieval Marriage: Symbolism and Society, Oxford 2005.
3 Vgl. Ludwig Schmugge, Ehen vor Gericht: Paare der Renaissance vor dem Papst, Berlin 2008, S. 25.
4 Vgl. Quentin Skinner, Some Problems in the Analysis of Political Thought and Action, in: Political Theory 2 (1974), S. 277–303; ders., The Principles and Practice of Opposition: The Case of Bolingbroke versus Walpole, in: N. McKendrick (Hrsg.), Historical Perspectives: Studies in English Thought and Society in Honour of J. H. Plumb, London 1974, S. 98–128.
5 C. 50 des Vierten Laterankonzils von 1215. Vgl. Josef Wohlmuth (Hrsg.), Konzilien des Mittelalters: vom Ersten Laterankonzil (1123) bis zum Fünften Laterankonzil (1512–1517), Paderborn 2000, S. 257f. (=Conciliorum Oecomenicorum Decreta Bd. II).
6 Repertorium Germanicum IV, Nr. 6577; gedruckt in: Cartulaire des Comtes de Hainault de l’avènement de Guillaume II à la mort de Jacqueline de Bavière (1337-1436), hrsg. von Leopold Devillers, 6 Bände, Brüssel 1881–1896, Nr. 1173f. (=Collection Chroniques Belges 23).