S. Brentjes u.a. (Hrsg.): Globalization of Knowledge

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Titel
Globalization of Knowledge in the Post-Antique Mediterranean 700–1500.


Herausgeber
Brentjes, Sonja; Renn, Jürgen
Erschienen
Abingdon 2016: Routledge
Anzahl Seiten
XIII, 234 S.
Preis
€ 96,69
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Ertl, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

Die mediterrane Welt erlebt im Zeitalter der Globalisierung eine mediävistische Hochkonjunktur. Kein anderer Raum eignet sich so vorzüglich, aktuelle Methoden der mittelalterlichen Transfergeschichte, Verflechtungsgeschichte, Globalgeschichte und interkulturellen Vergleichsgeschichte praktisch anzuwenden. Was Atlantik und Indischer Ozean den Neuzeithistorikern an Möglichkeiten bieten, ist den Mittelalterhistorikern das gute alte Mittelmeer und sein Hinterland.

Zahlreiche Monographien sowie Sammelbände sind in den letzten zehn Jahren erschienen und neue Reihen wurden gegründet. Chris Wickham hat den Übergang von der Antike zum Mittelalter bereits 2005 ein gutes Stück aus Mittelmeerperspektive beschrieben.1 Obwohl Wickham die Autonomie aller Regionen im frühen Mittelalter betonte, widmete er dem Austausch materieller Güter über das Mittelmeer große Aufmerksamkeit. Mediterrane Verflechtungsgeschichte hat sich nicht mit dem Tausch materieller Güter begnügt. Personen als kulturelle Vermittler standen im Mittelpunkt des Sammelbandes „Cultural Brokers at Mediterranean Courts in the Middle Ages” von Marc von der Höh und anderen.2 Andreas Fischer und Ian Wood erweiterten das Interesse in ihrem Sammelband „Western Perspectives on the Mediterranean. Cultural Transfer in Late Antiquity and the Early Middle Ages, 400–800 AD” auf Kommunikations- und Wahrnehmungsprozesse zwischen dem östlichen Mittelmeer einerseits und den nordalpinen Königreichen andererseits.3 Wer sich über Herausforderungen und Möglichkeiten einer mittelalterlichen mediterranen Transfergeschichte informieren will, lese die Einleitung von Andreas Fischer.

In dieser Tradition steht der vorliegende Sammelband. Die Herausgeber gehen davon aus, dass die mediterrane Welt nach der Desintegration des Römischen Reiches weiterhin ein stark verflochtener Raum geblieben ist. Trotz einer wachsenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Diversität seien Menschen, Artefakte, Ideen und Wissen weiterhin zwischen Mittelmeer, der Arabischen Halbinsel, dem Indischen Subkontinent und Zentralasien hin- und hergewandert.

Der Schwerpunkt der Beiträge liegt in der Zirkulation von gelehrtem Wissen und den Formen seiner Tradierung. Johannes Niehoff-Panagiotidis beschreibt die Geschichtsschreibung in unterschiedlichen Gemeinschaften von hellenistischer Zeit bis zum frühen Kalifat der Abbasiden und macht deutlich, wie inhaltliche und formale Vorbilder durch Räume und Zeiten wanderten. Die Weitergabe von Wissen und Motiven untersuchen auch Sonja Brentjes und Jürgen Renn in ihrem Beitrag über den Rezeptionsprozess antiken Wissens im Bereich der artes mechanicae durch arabische Gelehrte. Exemplarisch erörtern sie diesen Prozess anhand Thabit ibn Qurras (gestorben 901) Beschäftigung mit der Waage. Charles Burnett widmet sich mehrsprachigen medizinischen Glossaren des 12. und 13. Jahrhunderts. Die Werke der drei Autoren Ibn Baklarish (Saragossa), Stephan von Antiocha und Simon von Genua werden als Zeugnisse dafür gedeutet, wie medizinisches Wissen durch die Mittelmeerwelt wanderte. Hassan Ansari und Sabine Schmidtke dokumentieren den wechselseitigen Austausch von Schriften zwischen den schiitischen Zaiditen im Iran und Yemen vor allem im 12. Jahrhundert. Anna Akasoy geht den Alexander-Rezeptionen in der islamischen Literatur nach und fragt nach der Bedeutung von Religion für die Globalisierung von Wissen. Der Verschriftlichung und Vermarktung von Wissen im Abbasidenkalifat wendet sich Beatrice Gruendler in ihrer Studie zu Buchwesen und Buchhandel zu. Nicht der Transfer von Wissen, sondern von Menschen, nämlich von Militärsklaven, ist Thema des Beitrages von Hussein Fancy.

Die Beiträge liefern einen weiteren Baustein für die interkulturelle Transfergeschichte der Mittelmeerwelt im Mittelalter. Sie tun dies vorrangig aus der Perspektive einer Wissenschaftsgeschichte, die die Wanderung gelehrten Wissens in sehr spezifischen und kleinräumigen Kontexten verfolgt. Beiträge dieser Art werden auch in Zukunft unsere Kenntnisse interkulturellen Transfers erweitern und die Mittelmeerwelt als Zone der Verflechtung noch deutlicher sichtbar machen. Vielleicht wäre es darüber hinaus erstrebenswert, einerseits die unzähligen Einzelaspekte in Schwerpunktthemen zu bündeln und andererseits die Verknüpfung von Mittelmeer und Indischem Ozean nicht nur zu reklamieren, sondern ernsthaft zu untersuchen.

Anmerkungen:
1 Chris Wickham, Framing the Early Middle Ages. Europe and the Mediterranean, 400–800, Oxford 2005.
2 Marc von der Höh / Nikolaus Jaspert / Jenny Rahel Oesterle (Hrsg.), Cultural Brokers at Mediterranean Courts in the Middle Ages, Paderborn 2013.
3 Andreas Fischer / Ian Wood (Hrsg.), Western Perspectives on the Mediterranean. Cultural Transfer in Late Antiquity and the Early Middle Ages, 400-800 AD, London 2014.