T. Späth; B. Wagner-Hasel (Hgg.): Frauenwelten in der Antike

Titel
Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis


Herausgeber
Späth, Thomas; Wagner-Hasel, Beate
Erschienen
Stuttgart/Weimar 2000: J.B. Metzler Verlag
Anzahl Seiten
494 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Dr. Charlotte Schubert, Alte Geschichte Historisches Seminar, Universität Leipzig

Der Sammelband hat eine klare Struktur, die in ihrem didaktischen Konzept auf einen größeren Leserkreis zielt: Die Aufsätze sind nach 6 großen Themenkomplexen zusammengefaßt, denen eine ausführliche Einführung vorangestellt ist (S. IX-XXVI). Jedem Aufsatz sind Quellenmaterialien beigefügt (Texte und Abbildungen), die in die Darstellung eingebunden sind. Das Verzeichnis der Quellennachweise am Ende des Sammelbandes enthält die Angaben zu den benutzten Editionen und Übersetzungen bzw. den Abbildungsnachweis. Besonders hervorzuheben ist, daß die Quellentexte zweisprachig präsentiert werden. Neben den Quellenmaterialien sind den einzelnen Beiträgen Literaturangaben beigefügt, die in Angaben zu den Grundlagen und weiterführende Angaben unterteilt sowie mit knappen Bemerkungen versehen sind.

Der Inhalt des Sammelbandes gliedert sich in 6 Kapitel: I. Heirat und Zugehörigkeit, II. Weibliche Kultpraxis, III. Wissen und Tradition, IV. Macht und Politik, V. Arbeitswelt und weibliche Geselligkeit, VI. Erotik und Sexualität.

Im ersten Kapitel wird das Thema am Beispiel von Mesopotamien (Brigitte Groneberg), Athen (Elke Hartmann) und der römischen Republik mit Ausblicken in die Kaiserzeit (Christiane Kunst) behandelt. Hier geht es hauptsächlich um die Vielfalt der historischen Realitäten, die heute unter dem Konzept "Ehe" zusammengefaßt werden.

Das zweite Kapitel widmet sich den Zusammenhängen zwischen gesellschaftlichen Strukturen und rituellen Praktiken bzw. Kulten. Artemis Brauronia (Katharina Waldner), Traueraufwand und Tradierung des Nachruhms in Griechenland (Beate Wagner-Hasel), weibliche Trauerhaltung in Rom (Francesca Prescendi), Vestalische Jungfrauen (Hildegard Cancik-Lindemaier) sowie die Feste der Matralia und Matronalia (Francesca Prescendi) werden dargestellt.

Im dritten Kapitel wird "die Rolle der Frauen bei der Tradierung von Wissen über das Funktionieren von Gesellschaft" (S. XXIII) untersucht: am Beispiel der Pythia der Zusammenhang von Weissagung und Macht (Christine Schnurr-Redford), die römische Dichterin Sulpicia (Christine Rohweder), spätantike Philosophinnen, dabei u.a. Hypatia, die Christin Perpetua, deren Tagebuch und Visionen dargestellt werden, schließlich Anna Komnene (12. Jh. n. Chr).

Das vierte Kapitel wendet sich der Frage nach dem Platz von Frauen innerhalb der Strukturen gesellschaftlicher Macht zu. Am Beispiel der Behauptung des Aristoteles, der spartanische Gesetzgeber Lykurg habe durch eine Ausblendung der Frauen aus seiner Gesetzgebung eine sich langfristig anbahnende Umkehrung der Verhältnisse in Form einer Frauenherrschaft bewirkt, weist Beate Wagner-Hasel auf die Unvereinbarkeit antiker Vorstellungen vom Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern und dem modernen Patriarchatsbegriff hin. In weiteren Beiträgen wird auf die Funktion von Frauen als Teil des sozialen Gedächtnisses z.B. in der republikanischen Gesellschaft Roms am Beispiel der Geschichte von Lucretia hingewiesen (Francesca Prescendi), schließlich ihre Rolle in den politischen Strategien am Ende der Republik (Rosmarie Günther) und der frühen Prinzipatszeit (für Livia: Angelika Dierichs, für Agrippina minor: Thomas Späth) beschrieben. Auch die Figur der palmyrenischen Zenobia (272 n.Chr. von Aurelian unterworfen) wird in diesem Zusammenhang behandelt (Anja Wieber).

Das 5. Kapitel beschäftigt sich mit der ökonomischen "Organisation des Haushalts und ... [der] Arbeitswelt von Frauen" (S. XXIV). Die Thematik der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (Beate Wagner-Hasel), die Geschäftstätigkeit von Frauen am Beispiel von Texten des hellenistischen Dichters Herondas (Wolfgang Christian Schneider), die Arbeitswelt römischer Frauen (Rosmarie Günther) stehen dabei im Mittelpunkt.

Im sechsten Kapitel geht es um Erotik und Sexualität. Am Beispiel der Hetären (Elke Hartmann), der erotischen Darstellungen in der römischen Kultur (Angelika Dierichs) und des von den Kirchenvätern propagierten Askeseideals (Wolfgang Christian Schneider) bzw. dessen Problematik (Diemut Zittel) wird dies erläutert.

Die Auswahl und Zusammenstellung der Beiträge wird in der Einführung ausführlich erläutert: Ausgehend von einem Überblick zur Entwicklung der gender studies in den letzten 30 Jahren, der sich konsequent an der Leitlinie von der "Entdeckung der Geschichtlichkeit der Frauen" als der wichtigsten Einsicht der jüngsten Frauengeschichte orientiert (S. XIV), wird das methodische Postulat von "Geschlecht ... als einer Kategorie der allgemeinen historischen Forschung" unterstrichen. Das große Verdienst dieser Einführung liegt darin, die grundlegenden Auseinandersetzungen über den diskurstheoretischen Ansatz innerhalb der gender studies deutlich anzusprechen. Dieser diskurstheoretische Ansatz favorisiert eine Textlektüre, die die vordergründige, poetisch-erzählende Bedeutungsebene ‚destruiert' zugunsten einer ‚Konstruktion' der darin liegenden "normativen Konzepte", "Begriffe und Bilder", der "institutionellen Formen und Geschlechteridentitäten" (S. XIX). Die Kritik an diesem Ansatz hebt hervor, daß so kein Weg zur ‚gelebten Wirklichkeit' antiker Frauen möglich sei, hingegen "in die Irre führende Interpretationen bekannter Texte hervorgebracht" würden (Mary Lefkowitz, S. XX-XXI).

Der methodischen Sackgasse, in die dieser Streit um den richtigen Zugang im Hinblick gerade auf antike Quellen geführt hat, versucht der Sammelband durch Verweis auf einen explizit ‚quellenkritischen Zugriff' (S. XXII) der Beiträge zu entgehen, wenngleich sich einige Beiträge sehr deutlich an Foucault orientieren. Aber genau in diesem Bereich liegt auch die Schwäche fast aller Beiträge, denn der Anspruch des quellenkritischen Zugriffs wird nicht eingelöst. Mit Ausnahme der in Kapitel III zusammengestellten Aufsätze (s.o.) werden in den Quellenmaterialien weder die unterschiedlichen Gattungen der literarischen und auch der archäologischen Quellen auseinandergehalten (so stehen Zitate aus Gerichtsreden ohne weitere Erläuterung neben Komödientexten, kaiserzeitliche Texte neben im Hinblick auf das jeweils behandelte Thema zeitgenössischen, Inschriften neben Briefen etc.) noch die historische Kontextgebundenheit gewürdigt. Insbesondere die Verwendung des Bildmaterials ist in fast allen Beiträgen illustrativ und entspricht nicht den heutigen kunsthistorisch-archäologischen Möglichkeiten (eine Ausnahme stellt der Beitrag über Livia dar).

Auf S. XXV wird zwar ausdrücklich betont, daß es nicht Anliegen des Bandes sei, Frauen- und Geschlechtergeschichte umfassend behandeln zu wollen. Daher blieben wichtige Aspekte des Themas ausgespart, so etwa die Konzeptualisierung des Körpers. Da es sich aber bei dem Gebiet der Körpergeschichte um eines der innovativsten nicht nur innerhalb der gender studies handelt, das für die Antike viel zu wichtig ist, um es nur vom Ende der Entwicklung her zu betrachten (so in dem Beitrag von Schneider in Kapitel VI), ist m.E. hier eine Chance verpaßt worden. Denn gerade die Körpergeschichte ist heute der Prüfstein, an dem sich der dekonstruktivistische Standpunkt, den z.B. der Herausgeber Thomas Späth in seinem Beitrag über Aggripina vertritt, messen lassen muß: Für den dekonstruktivistischen Ansatz gibt es den Körper vor oder außerhalb der Kultur nicht, die Erfahrung einer geschlechtsspezifischen Körperlichkeit ist eine Fiktion, Geschlechtsidentität wird entnaturalisiert. Diese Position, die in der beschriebenen Schärfe auch erst mit den Publikationen Judith Butlers (z.B. Gender Trouble, London 1990, deutsch: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991) seit Anfang der 90er Jahre in die Diskussion gekommen ist, charakterisiert heute in den methodischen Auseinandersetzungen der gender studies den dekonstruktivistischen Standpunkt. Butler wird wohl aus gutem Grund in der Einführung nicht diskutiert, wenngleich auf Joan Scott, die bereits in den 80er Jahren einen ganz ähnlichen Standpunkt eingenommen hat, verwiesen wird. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet dieser wichtige Punkt der Leiblichkeit in der Annahme als naturgegebene Voraussetzung menschlichen Handelns (vgl. dazu Barbara Duden, Die Frau ohne Unterleib: Zu Judith Butlers Entkörperung. Ein Zeitdokument, in: Feministische Studien 11 (1993), H.2, S.24-33), also die Gegenposition des dekonstruktivistischen Ansatzes, nicht in den Beiträgen dargestellt wird.

Trotz dieser nicht unerheblichen Einwände ist der Band für den im Klappentext genannten Leserkreis ("Grundlage für den altsprachlichen und Geschichtsunterricht am Gymnasium") durchaus geeignet; für universitäre Lehrveranstaltungen, z.B. althistorische Proseminare, sollte er aufgrund der genannten Mängel im Hinblick auf den quellenkritischen Zugang nur mit entsprechenden Ergänzungen verwendet werden.

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