Cover
Titel
The Cambridge ancient history. vol. 14 Late antiquity. Empire and successors, A.D. 425-600


Herausgeber
Cameron, Averil; Bryan Ward-Perkins; Michael Whitby
Erschienen
Cambridge [u.a.] 2000: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
XX, 1166 S.
Preis
£ 110,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Krüger, Berlin

Die Publikation reiht sich in eine lange Tradition der englischsprachigen Geschichtsschreibung zur Spätantike ein (Gibbon, Bury, Jones) und verfolgt eine Zielsetzung, die besonders von den Arbeiten von Jones (1964) ausgeht. Dementsprechend wird die chronologische Darstellung der Ereignisgeschichte anhand der erzählenden Quellen zugunsten der Präsentation neuer Quellenbefunde (Archäologie) und Forschungsergebnisse zurückgedrängt. Zielsetzung ist es, eine Einführung in den Reichtum der Quellen und der gegenwärtigen Forschungsansätze zu geben. Der gewählte Zeitraum (425-600) ist ungewöhnlich abgegrenzt. Nachvollziehbar sind die Ausführungen zur Trennung gegen das Frühmittelalter um 600 (Umgestaltung des Mittelmeerraums durch die pers. und arab. Eroberungen im Osten, kultureller und gesellschaftlicher Wandel seit dem 7. Jh. im Westen). Die Begründung für den Beginn in den 420er Jahren (im Westen Eroberung Afrikas durch die Wandalen 429, für den Osten das Wachsen der hunnischen Bedrohung seit den 430er Jahren, das Ende des Geschichtswerks des Olympiodor 425) erscheint für sich genommen plausibel, wirkt jedoch wie etwas durch die Konzeption der CAH Vorgegebenes. Einen sinnvollen Einschnitt zur Periodisierung der spätantiken Geschichte stellen die 420er Jahre nicht dar. Das Buch präsentiert eine enorme Menge an Wissen und neuen Aspekten. Deshalb soll im folgenden der Versuch gemacht werden, den Inhalt so knapp wie möglich in seiner Breite vorzustellen.

Das Werk ist in fünf Hauptteile gegliedert: I. Chronologischer Überblick (Kap. 1-5, S. 1-134), II. Regierung und Institutionen (Kap. 6-11, S. 135-314), III. Wirtschaft und Gesellschaft im Osten und Westen (Kap. 12-17, S. 315-497), IV. Die römischen Provinzen und angrenzende Regionen (Kap. 18-23, S. 497-730), V. Religion und Kultur (Kap. 24-31, S. 731-971).

Der erste Hauptteil gibt einen historischen Überblick. Die Vielzahl der Ereignisse wird dabei in größere Erklärungszusammenhänge gestellt. Kap. 1 (P. Heather) Ausgehend von der verworrenen Lage nach dem Tode des Honorius wird zunächst die Gestalt des Aëtius herausgearbeitet, sein Kampf um die Macht, der kluge Einsatz der latenten hunnischen Bedrohung zur Aufrechterhaltung einer prekären Stabilität, bis der Verlust Afrikas durch die Wandalen (nach dem Nordgalliens und Spaniens) dem Westreich die materielle Grundlage zur Verteidigung weitgehend entzog. Der Niederwerfung der gefährlichen hunnischen Kriegsmacht (451) folgte der Untergang des Siegers Aëtius (454), womit die letzten 20 Jahre des Weströmischen Reiches eingeläutet wurden.

Kap. 2 (A. D. Lee) Das Ostreich unter Theodosius II. nahm ohne Erfolg aktiv Anteil an den Geschicken des Westens. Der Kaiser trat hinter den Hofbeamten zurück. Überhaupt ist das oström. Kaisertum durch eine starke Entrücktheit aus der öffentlichen Sphäre gekennzeichnet. Dem Ende der hunnischen Gefahr folgte die Bedrohung durch verschiedene gotische Stammesteile sowie die Wandalen. Gegen letztere erlebte die vereinte röm. Militärmacht 468 eine vernichtende Niederlage. Im Rahmen einer geradezu "machiavellistischen" Politik der oström. Kaiser gegen die Goten stieg Theoderich auf. Die christologischen Streitigkeiten dauerten mit Abschwächung und Verschärfung trotz des Konzils von Chalkedon (451) an. Der Verwaltungsfachmann Anastasios (491-518) schuf als Kaiser trotz innen- und außenpolitischer Herausforderungen (christologische Streitigkeiten, Isaurier, Bulgaren, Perser) die Grundlagen (Währungsordnung), auf denen seine Nachfolger Iustin (518-527) und Iustinian (527-565) aufbauten.

Kap. 3 (A. Cameron) Die Regierung Iustinians (und Theodoras) gehört zu den bedeutendsten der Antike überhaupt. Ihre Resultate bleiben jedoch weiter umstritten. Von grundlegender Wichtigkeit bis in das 19. Jh. blieben die unter seiner Regierung durchgeführten Gesetzessammlungen. Hart ging man gegen die letzten heidnischen Intellektuellen und gegen Häretiker vor. Religionspolitisch scheiterte abermals die Einigung zwischen Monophysiten und Orthodoxen. Die politische Langzeitwirkung der andauernden und kostspieligen Kriege bleiben weiter umstritten. Dasselbe gilt für die durch die Kriege und gewaltigen Baumaßnahmen verursachten finanziellen Belastungen (S. 88). Der Gotenkrieg hat die römisch-italische Bevölkerung aller Schichten erheblich geschädigt. Besonders die letzten Regierungsjahre Iustinians (557-565) waren (neben den Folgen der Pest von 541/42) durch Erdbeben, Aufstände und neuerliche Bedrohung durch Slawen und Perser gekennzeichnet.

Kap. 4 (M. Whitby) Sein Nachfolger Iustin II. (565-574) erbte die ungelösten Probleme und schuf sich neue hinzu. Iustins Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen trotz hoher Belastungen sind bis heute im einzelnen nicht bekannt (S. 88). In der Religionspolitik war er auf Ausgleich bedacht, ohne aber das Glaubensschisma des Ostens zu überwinden. Ähnliches gilt auch für die folgende Zeit bis 600. Zur Verschärfung der religiösen Spannungen ist es nur lokal gekommen. 568 gingen die Eroberungen in Italien bis auf Gebiete um Ravenna und im Süden an die Langobarden verloren, bald danach auch Südspanien an die Westgoten. Die folgenden Jahrzehnte unter Tiberios (574-582) und Maurikios (582-602) waren durch wechselvolle und gefährliche Kämpfe gegen die Awaren, Slawen und Perser (572-574, 576-592) bestimmt. Konzentrierte Maßnahmen waren jeweils nur auf dem Balkan oder an der Ostgrenze möglich. Die Staatsfinanzen wurden von Tiberios großzügig gehandhabt, während Maurikios die daraus folgenden Probleme erbte. Die prekäre Finanzlage erschwerte die Abwehr der auf dem Balkan und im Osten drohenden Gefahren. Nach Abschluß eines länger andauernden Friedens mit Persien (592) konnten die Truppen auf dem Balkan verstärkt und binnen weniger Jahre die Donaugrenze gegen Awaren und Slawen gesichert werden, bis im Verlauf des 7. Jhs. Perser, Slawen und nun auch die Araber dem Reich einen Existenzkampf aufnötigten. Maurikios fiel 602 einer Heeresmeuterei und Hungerrevolte zum Opfer.

Kap. 5 (R. Collins) gibt einen gerafften Überblick über die historische Entwicklung der germanischen Königreiche des Westens bis etwa 600, der alle wesentlichen Stationen der Auseinandersetzung zwischen der germanischen und der röm.-einheimischen Bevölkerung skizziert.

Kap. 6 (M. McCormick) über Kaiser und Hof wird durch eine Vielzahl von Beispielen aus der antiken Literatur illustriert. Ravenna war nur unter den ostgot. Herrschern mit Konstantinopel vergleichbar (S. 137). Die außerordentliche Machtstellung der magistri militum dauerte bis ca. 470/80 (S. 146). Eine längere Passage wird der Stellung der vielfach unterschätzten oström. Kaiserin gewidmet (Sicherung von Kontinuität des Kaisertums, Eheschließungen zur Legitimierung neu erhobener Kaiser, Ehestifterinnen im Kaiserhaus, Rolle Theodoras im Nika-Aufstand). Hauptkennzeichen der Hofgesellschaft war die hohe soziale Mobilität (Iustin I. war bäuerlicher Herkunft) und ihre "Internationalität". "Sippenherrschaften" (Zeno, Anastasios, Maurikios) wechselten mit stärker bürokratisch gestalteten Administrationen ab. Alle diese heterogenen Mitglieder und Gruppen wurden durch Hofzeremoniell und öffentliche Auftritte verschiedener Art strukturiert und zusammengehalten. Die Bedeutung des Militärs bei Akklamationen scheint im 5. und 6. Jh. abgenommen zu haben (S. 158). Durch den Hof wurden viele Gebiete der Kunst gefördert. Die Erzeugnisse setzten Maßstäbe auch für die germanischen Königreiche des Westens.

Kap. 7 (S. Barnish) handelt von der Regierung und Verwaltung, wofür ein sehr heterogenes Quellenmaterial vorliegt. Barnish warnt vor Verallgemeinerungen. Zum Beispiel wird die Interpretation der Wiederholung gleicher oder ähnlicher Vorschriften unter verschiedenen Kaisern als Beleg für ihre Wirkungslosigkeit in Frage gestellt (S. 166). Nachfolgend werden verschiedene Ämter und Würden ausgehend von der Zentrale beschrieben (S. 172-180). Dabei wird hier, wie im weiteren Verlauf, die "Grauzone" zwischen "privat" und "öffentlich" herausgearbeitet. Dies geschieht konkret durch die Darstellung der Verwaltungskommunikation, besonders auf dem Gebiet der Besteuerung. Ausführungen über die Korruption und Einblicke in Funktion und Denken Verwaltungshandelnder illustrieren das historische Alltagsgeschehen (S. 187-191). Abschließend werden Wandlungen der Verwaltungspraxis bis ins 7. Jh. skizziert (S. 193-207).

Kap. 8 (J. H. G. W. Liebeschuetz) gibt einen Überblick zur Entwicklung der Stadtgemeinden. Die Curien wurden seit dem 4. Jh. von den mächtigsten Bürgern beherrscht. Da die Gesetzgebung gegen die Curialenflucht auf die Länge scheiterte, mußte die Regierung andere Wege der Steuerbeschaffung suchen (in Ägypten etwa durch die Pagarchie, S. 223). Unter Iustinian wurde schließlich die seit Diocletian bestehende Trennung in militärische und zivile Provinzverwaltung wieder aufgehoben und die Mitbestimmung der lokalen gesellschaftlichen Spitzen bei der Auswahl der Statthalter eingeführt. Reichsweit zeigt sich der Aufstieg der Stadtbischöfe und der sakralen Architektur. Die Klöster waren im Westen an den Stadtbischof gebunden und gelangten erst im 7./8. Jh. unter die Herrschaft des Landadels. Hierdurch ging das antike Stadtleben zu Ende. Im Osten dagegen waren die Klöster unabhängiger. Sie bildeten dort unter der Führung charismatischer Äbte (S. 217) eine neue wirkungsmächtige Oberschicht und traten in Konkurrenz zu den Städten, zum Teil im Zusammenwirken mit den Landbewohnern. Überall blieben jedoch die Städte bis Ende des 6. Jhs. Zentren der Bildung. Im Osten ging die Bedeutung des Stadtrats seit dem 5. Jh. zurück. Mächtige und reiche Familien stellten das Personal (defensor, sitona, pater) für die Stadtverwaltung, das aber in kaiserlichem Dienst stand. Die Stellung des Stadtbischofs wurde stärker, doch übernahm er keine weltlichen Aufgaben (S. 217-219). Das große Kirchenvermögen und seine moralische Autorität verliehen ihm erhebliches Gewicht. Seit Iustin II. war er gleichsam Aufseher über die kaiserliche Provinzialverwaltung.

Von enormer Bedeutung (auch politisch) waren schließlich auch die Circusparteien der spätantiken Städte (S. 224-229). Das Städtewesen der germanischen Königreiche des Westens zeigt ein sehr buntes Bild. Bischof und defensor wurden hier teils früher teils später die Verwaltungsspitzen. Der Stadtrat hatte nur noch geringe administrative Bedeutung. Das politisch Leben verlagerte sich vom 5.-7. Jh. von den Städten auf das Land (Klostergründungen, Gutsbesitzeradel). Ein auf Dauer erheblicher Bevölkerungsrückgang, das Abnehmen der röm. Verwaltungspraxis (z.B. Steuersystem) im Zuge der Herausbildung des frühmittelalterlichen Gefolgschaftswesens und andere Faktoren haben zum vollständigen Verschwinden des antiken Städtewesens geführt (zunächst in Britannien, dann in Afrika, Nordgallien und Italien).

Kap. 9 (D. Liebs) beschäftigt sich mit dem Römischen Recht der Spätantike. Im Überblick werden die Entstehung der großen Gesetzessammlungen (Codex Theodosianus, Iustinianus, Digesten, Novellen u.a.), die spätantike rechtsgelehrte Literatur und die Rechtsschulen von Rom, Berytos und Konstantinopel dargestellt. Quelle des Rechts waren der Kaiser beziehungsweise seine Beauftragten, nicht mehr der Senat. Neben anderem wird der Einfluß des Christentums und das Aufkommen des Colonats auf die Gesetzgebung angesprochen. Zumeist gab es einen Instanzenzug mit einer Berufungsmöglichkeit. Hauptkennzeichen auch des spätantiken Staatswesens ist die mangelnde Trennung zwischen der gesetzgebenden, rechtsprechenden und ausführenden Gewalt, sowie, was noch angemerkt werden sollte, ein die Befugnisse der Behörden begrenzendes Verwaltungsrecht. Die Korruption wurde teilweise "legalisiert" (S. 240).

Das anspruchsvolle Kap. 10 (T. M. Charles-Edwards) stellt die Rechtsentwicklung in den germanischen Königreichen des römischen Westens dar. Hier kommt es vom 5.-8. Jh. zu einer regional unterschiedlich ausgeprägten Durchdringung röm. und germanischer Rechtsvorstellungen. Die Abhandlung setzt eine umfassende Kenntnis von Quellen, Literatur und auch sprachwissenschaftlichen Problemen voraus. Sie konzentriert sich auf theoretische, wenig am alltäglichen Rechtsleben orientierte Erörterungen der Abhängigkeiten verschiedener Rechtssetzungen. Zudem erschwert die spröde Darstellungsweise das Nachvollziehen des Durchdringungsprozesses erheblich. Dem besseren Verständnis im Rahmen einer Einführung wäre es jedoch dienlich gewesen (trotz S. 262f. geäußerter Bedenken), wenn das mündlich "geschöpfte Volksrecht" der germanischen Tradition dem der bürokratisch legislativen Tradition gegenübergestellt und dies aus der jeweils erheblich unterschiedlichen Anschauung von Staat und Gesellschaft hergeleitet worden wäre – gleichsam als eine Verdeutlichung der grundlegenden Rechtsgedanken (Wesen des Rechts).

Kap. 11 (M. Whitby) ist dem Militär der Spätantike gewidmet. Whitby nennt alle wesentlichen Fakten hierzu und erläutert sie kurz, so die Trennung in Grenztruppen und bewegliche Verbände, die wichtige, aber wenig bekannte spätantike Flotte (S. 293-295), die Zahlenstärke, die Rekrutierung, die Besoldung und die Versorgung, welche überhaupt der aufwendigste und kostspieligste Komplex der kaiserlichen Verwaltung war (S. 292; s. dazu auch Garnsey/Saller, The Roman Empire, 1987). Im Westen setzte sich die Durchdringung des röm. Heeres mit germanischen Kampfverbänden fort. Dies vor allem führte zu ihrer Dominanz und schließlich zur Beseitigung des weström. Kaisertums. Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung bestand das oström. Heer Iustinians nicht überwiegend aus Freiwilligen (S. 302f.). Die Verbände kampfkräftiger Völker des Reiches waren viel stärker integriert als im Westen. Anders als dort stand das oström. Militär unter dauernder Kontrolle durch die Regierungszentrale. Es begegnete Herausforderungen sehr flexibel und war insgesamt erfolgreich. Ermöglicht wurde dies durch eine effektive Militärverwaltung und Logistik, der allerdings auch die reichen Finanzquellen des Ostens zur Verfügung standen.

Kap. 12 (B. Ward-Perkins) ist eine problemorientierte Studie zur Bevölkerungsverteilung/-entwicklung in der Spätantike. Es wird der verbreiteten Auffassung widersprochen, es sei zu einer deutlichen Bevölkerungsabnahme gekommen. Vielmehr gibt es Anzeichen dafür, daß z.B. die Landbevölkerung im westfränkischen Reich noch im 9. Jh. recht zahlreich war (S. 325-327). Nachfolgend werden anhand schriftlicher und archäologischer Zeugnisse verschiedene Fragen zu den ländlichen Siedlungsformern erörtert. Ward-Perkins deutet die Möglichkeit an, daß die Siedlungsformen im Osten weniger durch die im Westen verbreiteten Gutshöfe, sondern durch Städte und große Dorfgemeinschaften geprägt waren. Demzufolge war im Westen vermutlich eine Schicht mächtiger Landbesitzer eher in der Lage, sich zwischen die Steuersubjekte und die staatlichen Institutionen zu schieben, während im Osten große Siedlungsgemeinschaften und der bürokratisch verfaßte Staat dominant blieben. Auch der Colonat wird kurz angesprochen.

In Kap. 13 (B. Ward-Perkins), das sich mit der spezialisierten Produktion und dem Warenaustausch beschäftigt, wird das in Kap. 12 Ausgeführte für einzelne Regionen des Reiches untersucht. Ward-Perkins analysiert den bislang vorliegenden Befund der Quellen und zeigt, daß in der Spätantike die wirtschaftliche und soziale Entwicklung lokal und zeitlich sehr unterschiedlich verlaufen ist, so daß man nur mit Einschränkungen von einem Niedergang sprechen kann. Während es z.B. in Britannien seit dem 5. Jh. zu einem völligen Verfall der röm. geprägten Produktion und des Warenaustausches kam, blieb der Nahe Osten noch in arabischer Zeit sehr produktiv und im Zentrum eines neu organisierten Handels. Fragen zur Organisation des Warenverkehrs im 5./6. Jh. stehen im Mittelpunkt der Ausführungen (u.a. am Beispiel der Töpferware aus Nordafrika und Gaza). Aber auch der Staat und die Großgüter der spätantiken Aristokratie trugen zu Produktion und Austausch bei. Nach den Zuleitungen von materiellen Mitteln in die gefährdeten Grenzregionen (Heer) im 4. Jh. gingen diese im 5. Jh. allgemein zurück. Auch die Eroberungen germanischer Stämme im Westen und der Wegfall Roms als politischem Mittelpunkt hatte auf den Warenaustausch erhebliche Rückwirkungen. In dieser Hinsicht ist, mit Ausnahmen, ebenfalls eine Trennung von Ost- und Westreich festzustellen.

Die Besteuerung in der Spätantike wird als hoch bezeichnet (S. 379). Ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft sind trotzdem schwer abzuschätzen. Ihre mutmaßliche Verringerung kann regional (besonders nach dem Ende der röm. Herrschaft) auch negative Auswirkungen auf die Produktivität gehabt haben. Allgemein gehen Ward-Perkins’ Überlegungen (im Gegensatz zu Finley) von einer verzahnten Wirtschaft im Reich aus, allerdings auf einem nicht sehr entwickelten Niveau. Probleme bereiten allerdings noch eine Menge offener Fragen im Detail. Nach Ward-Perkins haben Kriege und Unruhen sowie auch der regional unterschiedliche Bevölkerungsrückgang zum allgemeinen wirtschaftlichen und materiellen Niedergang beigetragen, dagegen weniger klimatische oder Umwelt-Einflüsse. Er verlief z.B. in Afrika und Italien sehr langsam, während er in Britannien sich innerhalb weniger Jahrzehnte vollzog. Das Beispiel des Wandalenreichs und der Araberherrschaft zeigt, daß die Wirtschaft in den dortigen Regionen ungeachtet der fremden Eroberer noch lange Zeit auf hohem Niveau bestehen konnte.

Kap. 14 (A. Giardina) über die Familie in der Spätantike ist eine Studie über das Verhältnis Gesetzgebung – Christentum – familiäres Leben. Nach einer Skizze der wesentlichen Gesetzgebungsziele Constantins (Schutz der Ehelosigkeit, Stärkung des matrimonium iustum, und Schutz der Minderjährigen), setzt sich Giardina mit der neuerlichen Diskussion um "das Christliche" in der constantinischen Gesetzgebung auseinander. Auffallend ist der durch die Spätantike hindurch uneinheitliche Umgang mit der Ehescheidung, an deren Beispiel Giardina erläutert, was unter "Christianisierung des Rechts" verstanden werden kann. Nachfolgend werden eine ganze Reihe von Forschungsproblemen thematisiert, so die Rolle des Bischofsgerichts bei der Relativierung und Vermittlung staatlicher und kirchlicher Vorschriften, die Gesetzgebung und die gesellschaftliche Wirklichkeit sowie die Ablehnung des Familienlebens aus weltanschaulichen und materiellen Gründen (Asketenbewegung, Kindesaussetzung). Deutlich wird die anhaltende römische Tradition des Familienlebens, die im Osten und Westen des Reiches relativ ähnlich war. Da viele divergierende Aspekte unter einer Fragestellung abgehandelt werden, fällt es gelegentlich schwer, dem Gedankengang zu folgen.

Kap. 15 (I. N. Wood) hat die Familie und Freundschaft in den germanischen Reichen des Westens zum Gegenstand. Grundlage der Darstellung zum Familienbegriff und seiner spätantiken Ausprägung bilden die Briefe und Werke senatorischer Adliger Galliens (Sidonius, Gregor von Tours, Venantius Fortunatus u.a.) sowie familienrechtliche Vorschriften der Codices. Die Ausführungen belegen eine fortgesetzte Angleichung im Verhalten und in den Regularien bezogen auf die gallo-röm. Adelsfamilien und den germanischen Adel (bis zur Mitte des 6. Jhs., S. 431). Selbst das Institut der germanischen Fehde hatte Charakter und Ausmaße früherer Jahrhunderte verloren. Ein großes Problem war die Bekämpfung des Inzests. Dies betraf jedoch vor allem die in engen Verhältnissen lebende Landbevölkerung. Der Adel dagegen hatte größere Freiräume und zumindest aus dem Merowingischen Königshaus ist diesbezüglich nur ein einziger Fall bekannt ist. Ein römisches "Institut" wie die amicitia wurde von dem christlichen Begriff der caritas überlagert. Zwischen dem germanischen und dem gallo-röm. Adel zeigt sich ein Amalgamierungsprozeß (S. 436), der sich trotz unterschiedlicher Traditionen an der Realität orientiert.

Kap. 16 (P. Heather) befaßt sich mit der Staatlichkeit der germanischen Reiche und ihren Ausprägungen. Der Wandlungsprozeß von einer bürokratischen Struktur mit allgemeiner Besteuerung und professionellem Militär hin zu einer auf Personalbeziehungen (Militäradel, Grafen, Bürgermiliz) aufgebauten Königsherrschaft wird herausgearbeitet. Das bürokratische Gebaren wurde zugunsten der Gewährung von materiellen Vorteilen an die Körperschaften der Reiche reduziert. Neue politisch Allianzen wurden mit den geistlichen Würdenträgern geschlossen. Die Gesetzgebung zeigt den Anspruch, das jeweilige Reich als ein integrales Gebilde zu formen. In den Reichen des Westens begann die mittelalterliche Reisetätigkeit der Könige. Mit Ausnahme von Britannien und Nordostgallien blieben die Städte und ihre Gemeinden bis gegen Ende des 6. Jhs. bedeutsam, nun geleitet von Bischöfen und comites civitates. Weitere Ausführungen betreffen die Adligen und Freien, die Schicht der neuen Freigelassenen, Sklaverei und Colonat und den Beginn der frühmittelalterlichen Gutswirschaft.

Kap. 17 (M. Whitby) hat die Beziehungen von Militär und Gesellschaft zum Gegenstand. Das Militär beziehungsweise dessen Führung blieb auch in der Spätantike bestimmend, besonders beim Herrscherwechsel. Die Streitmacht stand im Osten allerdings unter stärkerer Kontrolle der politischen Zentrale als im Westen, wo die Militärführung viel wirkungsmächtiger in die Politik einzugreifen vermochte. Zahlreich waren im Osten, aber auch im Westen die Einsätze des Militärs zur Beseitigung von örtlichen Unruhen und Räuberbanden. Die Schwäche der Regierungszentrale im Westen und die neue Herrschaftsstruktur der germanischen Staaten begünstigten die lokale Militarisierung der Gesellschaft. Im Osten dagegen wurden Tendenzen zur Regionalisierung der Verteidigung durch die Zentrale eingedämmt. Die Stellung der Armee in der Gesellschaft blieb prekär. Das stehende Heer war sehr teuer und im Westen ineffektiv. Die röm. Gesellschaft blieb – häufig übersehen – trotz hoher Rechtsentwicklung eine gewalttätige (S. 486). Das Militär konnte Schutz und wirtschaftliche Prosperität in Stationierungsgebieten bringen, aber auch – wenn schlecht geführt - Quelle vieler Übel und Bedrückungen sein.

Kap. 18 (I. N. Wood) wird der Verfall der röm. Verteidigung und Verwaltung in den nordwestlichen Provinzen seit 406/07 dargestellt, dessen Folgen Unruhen und regionalisierte Verteidigungsorganisation durch mehr oder weniger loyale Foederaten waren. Schwerpunkt ist die Darstellung des Wandels im 5. und 6. Jh. Die klerikale Verwaltung und charismatische Kirchenführer übernahmen in Gallien die Organisation in der sozialen und wirtschaftlichen Krise. Die Königtümer der Franken und Westgoten entwickelten seit dem späten 5. Jh. ein "romanisiertes" Gepräge (z.B. Kodifizierung, Wiederaufnahme des Zirkuswesens), wohingegen in Britannien, Galizien und Noricum die römischen Traditionen abbrachen.

Kap. 19 (M. Humphries) ist der Entwicklung in Italien gewidmet. Nach einem gelungenen historischen Überblick der Zeit von 425-605 behandelt Humphries die durch die germanische Herrschaft und die Kriege des 6. Jhs. hervorgerufenen Veränderungen. Themen sind der Wandel der herrschenden Schicht von der Senatsaristokratie hin zum langobardischen Militäradel mit Verwaltungs- und Rechtsprechungsbefugnissen; der Aufstieg von Kirche und Papsttum (u.a. mit Übernahme staatlicher Einrichtungen wie Getreideversorgung in Rom), nachgewiesen auch durch archäologische Arbeiten jüngerer Zeit; lokal sehr unterschiedliche Veränderungen des Stadtbildes (gesteigerte Bedeutung des Kirchenbaus, Hospitäler und Waisenhäuser, siehe S. 941, Bestattungen innerhalb der Mauern u.a.) und der Siedlungsweise bei langsamem Rückgang der Bevölkerung und Ausführungen über die zäh bewahrte italische oder röm. Identität unter fremder Herrschaft. Bis zu den Kriegen Iustinians und den langobardischen Eroberungen blieb Italien noch ein relativ einheitliches, röm. geprägtes Land. Die Zerstörungen des 6. Jhs. aber führten eine territoriale Zersplitterung herbei, die Jahrhunderte anhielt.

Kap. 20 (A. Cameron) Gerade archäologische Forschungen der jüngeren Zeit haben in Teilen auch die gängige Beurteilung des spätantiken Nordafrika in Frage gestellt. Als die Wandalen Afrika eroberten (429), waren die Provinzen insgesamt wirtschaftlich wohlhabend. Die röm. Landbesitzer verloren einen Teil ihrer Güter an die neuen Herren. Die Katholiken erfuhren Verfolgung durch die wandalischen Arianer und wanderten teilweise aus. Die Verteidigung gegen die Wüstenvölker wurde vernachlässigt und erst wieder unter byzantinischer Herrschaft (seit 534) verstärkt (S. 566f.). Neuere Ausgrabungen (zu Töpferöfen, Töpferware u.a.) lassen aber den bislang angenommenen Rückgang der afrikanischen Wirtschaft in anderem Licht erscheinen, obwohl es für gesicherte Aussagen noch zu früh ist (S. 556f.). Unter byzantin. Herrschaft wurde der Katholizismus und der Landbesitz wieder hergestellt. Afrika tritt nun mehr und mehr aus dem Blickfeld zeitgenössischer Schriftsteller. Der Afrika betreffende Fernhandel hat weiterhin prosperiert und ist erst infolge der pers. und arab. Eroberungen seit dem 7. Jh. drastisch zurückgegangen.

Kap. 21a (Ch. Roueché) Mit den kleinasiatischen Provinzen (und Zypern) beschreibt Roueché nun eine Region der Spätantike, die über drei Jahrhunderte hinweg von unmittelbaren Kriegseinwirkungen verschont geblieben ist. War hierdurch schon eine außerordentliche enorme wirtschaftliche Prosperität vieler kleinasiatischer Landschaften ermöglicht, wurde sie noch gesteigert durch die neue Hauptstadt Konstantinopel. Allerdings hatte ihre Existenz wahrscheinlich auch den Abzug lokaler Prominenz und damit einen Rückgang des antiken bürgerlichen Stadtlebens verursacht (S. 572ff.). Den einzigen Unruheherd von einiger Bedeutung bildeten die Isaurier, eine Volksgruppe von großer Kampfkraft aber zweifelhafter Loyalität. Der aus Isaurien stammende Kaiser Zeno hatte denn auch Zeit seiner Regierung Kämpfe mit rivalisierenden Truppenführern auszutragen. Die Städte erlebten, bei insgesamt hoher wirtschaftlicher Prosperität, aber mit großen regionalen Unterschieden, erhebliche Veränderungen (Neubefestigungen, Renovierungen von Bädern und Theatern, Niedergang altgläubiger Kultzentren, Aufstieg christlicher Kultstätten, Neuplatonismus in Aphrodisias im 5./6.Jh. u.a.), bis hin zum Verlust des antiken bürgerlichen Charakters im 7. Jh. (als gesellschaftlicher Treffpunkt, Markt und stadtpolitischer Einheit). Nach wie vor umstritten ist das Verhältnis zwischen Städten und den bedeutenden ländlichen Siedlungen.

Kap. 21b (H. Kennedy) Eine der wohlhabendsten Regionen der Spätantike war der östliche Mittelmeerraum: dicht besiedelt, vielsprachig, religiös vielgestaltig und mit Ausnahme der östlichen Wüstenregionen wirtschaftlich stark mit intensiver Landwirtschaft, hochentwickeltem Gewerbe und reger Handelstätigkeit. In keiner Gegend des Reiches wurden religiöse Auseinandersetzungen und christologischer Streit mit einem vergleichbaren Eifer geführt. Aber trotz gelegentlicher Aufstände der Juden, Samariter und Antiochener sowie der seit 502 andauernden Bedrohung durch die Perser und arab. Stämme änderte sich an dem reichen Wirtschaftsleben zunächst nur wenig. Dafür zeugt auch eine rege Bautätigkeit in Städten, ländlichen Siedlungen und Grenzfestungen. Die Auswirkungen der Seuche (seit 542) sowie vieler Erdbeben im 6. Jh. sind schwer abzuschätzen (S. 609, mit anderer Tendenz S. 354 und 389), doch dürften sie im Zusammenwirken mit den pers. und arab. Eroberungen im 7. Jh. zu einem lokal erheblichen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit geführt haben.

Kap. 21c (J. G. Keenan) Ägypten hat der altertumswissenschaftlichen Forschung in den Papyri einzigartige Primärquellen in großer Zahl geliefert, wenn auch ihre Aussagen auf die Verhältnisse Ägyptens beziehungsweise einer jeweiligen Lokalität beschränkt sind. Keenan bietet eine bilderreiche Skizze zum spätantiken Ägypten bis zur arab. Eroberung (639/42). Nach der Vorstellung des Verwaltungspersonals und des Wandels der Verwaltungseinteilung Ägyptens beschreibt Keenan wichtige Aspekte des spätantiken Ägypten anhand der Kommentierung zweier Testamentsurkunden (Wohlstandunterschiede, Christentum, Blemmyereinfälle, Vererbbarkeit von Verwaltungsstellen u.a.). Im Mittelpunkt stehen dann Ausführungen zu Geschichte, Besitz und Personal der mittelägyptischen Familie der Apionen. Dabei wird ihre zwischen "Privatem" und "Staatlichem" schillernde Stellung thematisiert. Ferner wird die Gestalt des Verwalters, Richters und Gelegenheitsdichters Dioskoros geschildert, dessen Tätigkeit als Gesandter ihn auch an den Hof Iustinians geführt hat.

Kap. 22a (Ze’ev Rubin) befaßt sich mit der Herrschaft der Sasaniden in Persien (226-651). Während die Beziehungen zwischen Rom und den Sasaniden im späteren 4. Jh. und im 5. Jh. weitgehend friedlich blieben, da beide Mächte militärisch anderwärts gebunden waren, waren das 6. und vor allem das 7. Jh. von kriegerischen Auseinandersetzungen bestimmt. Das sasanidische Königtum leitete seine Legitimation vor allem von dem Königshaus der Achaimeniden und dessen Herrschaftsansprüchen über die Hellenen her. Die religiöse Grundlage des Königtums bildete der Zoroastrismus und seine Priesterschaft, doch unterlagen die Beziehungen zwischen Königsherrschaft und der Priestermacht starken Schwankungen. Der Zoroastrismus hatte, im Gegensatz zum Christentum, nicht die Stellung einer Staatsreligion (S. 650). Rubin wendet sich vor allem (aus Gründen der Quellenforschung) gegen die weit verbreitete Ansicht, daß die Herrschaft der Sasaniden viel dichter und zentralistischer organisiert gewesen sei als die der Parther (S. 652ff.). Er führt dagegen die Schwierigkeiten der Herrschaft, die auch nach der großen Steuerreform im frühen 6. Jh. nur kurzzeitig gelösten Probleme der Mittelbeschaffung und die nur von einigen Königen zeitweilig gebrochene Macht der lokalen Provinzspitzen an (S. 659).

Kap. 22b (R. W. Thomson) Armenien blieb nach wie vor eine Zone, über die Römer wie Perser die Oberherrschaft beanspruchten. Demzufolge gab es auch eine Vielzahl von kriegerischen Auseinandersetzungen um Armenien. Traditionell herrschte dort eine Anzahl mächtiger adliger Familien, und das Königtum wurde schließlich 428 abgeschafft. Zur nationalen und kulturellen Einheit trug demgegenüber die Einführung des Christentums (frühes 4. Jh.), aber vielmehr noch die Schöpfung einer eigenen Schrift und Literatur (ca. 400) bei. Doch an der unterschiedlichen Lehre über die Inkarnation zerfielen die oström. und die armenische Kirche.

Kap. 22c (L. I. Conrad) beschreibt die Verhältnisse der arab. Halbinsel und der Stämme, ihre Instrumentalisierung in der Auseinandersetzung zwischen dem Römischen Reich und dem Sasanidenreich, ihre Sozialstruktur (Stammesführung und Gefolgschaft), die mit großen Interpretationsproblemen behafteten religiösen Vorstellungen und die Wirtschaft bei den Arabern. Seßhafter waren die Stämme des Südens. Die bislang angenommene Erblichkeit und herausgehobene religiöse Stellung ihrer Führer wird neuerdings in Frage gestellt (S. 682). In der Spätantike bedienten Römer und Sasaniden sich weiterhin mächtiger arab. Stämme zur Verteidigung ihrer Grenzen (auch gegen Arabien), doch wurden sie ihrer mangelhaften Zuverlässigkeit wegen Ende des 6. Jhs. nicht mehr unterstützt. Der erste Sieg arab. Kämpfer über ein sasanidisches Heer um 610 war ein Hinweis auf die nunmehr geänderte Lage, die späterhin durch das Wirken Mohammeds und seiner Nachfolger zu den weit ausgreifenden islamischen Eroberungen führen sollte.

Kap. 23 (M. Whitby) schildert die wechselhafte und verworrene Geschichte des Balkanraums und Griechenlands. Bis auf wenige Zeitabschnitte blieb der Donauraum eine gefährdete Grenze des Reiches. Erschwert wird das Verständnis der Vorgänge durch das Fehlen ausführlicherer historischer Berichte und die mangelnde archäologische Erforschung beziehungsweise Interpretationsmöglichkeit der Funde dieses Raumes (S. 703). Von den 420er bis 450er Jahren beherrschten zunächst die Hunnen unter Attila mit militärischen Erfolgen, Führerpatronage und Terror (S. 709) über angrenzende Stämme den Balkanraum. Zu ihren militärischen Fähigkeiten (u.a. erfolgreiche Städtebelagerungen) traten diplomatisches Geschick und Raub in großem Umfang. Wie sehr aber dies alles auf der Persönlichkeit Attilas beruhte, zeigte der rasche Untergang des Reiches, dem die Herrschaft anderer Völker folgte (Goten, Heruler, Gepiden, Bulgaren, Slawen), seit 567 beendet durch die gleichfalls mächtige Herrschaft der Awaren in Ungarn. Diese unruhigen Verhältnisse waren nach Whitby (S. 717) nicht überall gleichermaßen zerstörerisch (vorwiegend in den von der Donau entfernt liegenden Gebieten), und wenigstens Griechenland blieb noch lange Zeit von wiederholten Überfällen verschont, wie neuere archäologische Forschungen zeigen (S. 722ff.; Prosperität Athens auch als heidnisch-geistiges Zentrum). Im 7. Jh. verschwanden mit der dauerhaften Herrschaft slawischer Stämme hier wie auch im gesamten Balkanraum weitgehend die Zeugnisse antiker Kultur.

Kap. 24 (S. G. Hall) behandelt (vor allem am Beispiel Galliens und Italiens) im Überblick Aspekte der Organisation der christlichen Gemeinschaft, so Patriarchate und Bistümer mit ihren Rangstreitigkeiten, die (zumeist von den Herrschern) einberufenen Provinzkonzilien/ökumenischen Konzilien und den Klerus mit Fragen zu seiner Zusammensetzung, der Observanz und Disziplin der Amtsinhaber, ferner die Finanzen und die Lehre (besonders am Beispiel des Wirkens Gregors des Großen).

Kap. 25 (Ph. Rousseau) befaßt sich mit der Entwicklung des Mönchtums. Diese nahm ihren Anfang in Ägypten und breitete sich im 4. Jh. über den Osten aus (Antonius, Pachomios, Basilios). Kennzeichen des östlichen Mönchtums ist die starke Verbindung zum Eremitentum und demzufolge eine gewisse Unabhängigkeit von den Vertretern der Amtskirche. Nacheinander stellt Rousseau Aspekte des palästinensischen (S. 750-754), syrischen (S. 754-756) und ägyptischen (S. 760) Mönchtums vor. Politisch wirksam ist das Mönchtum in Konstantinopel mit seinen Beziehungen zu Mitgliedern des Kaiserhauses geworden (S. 757). Das westliche Mönchtum verdankt seine Existenz und Ausgestaltung wesentlich der Tätigkeit der Bischöfe sowohl durch theoretische Schriften (von Augustinus, Martin von Tours, Leontius von Frejus, Johannes Cassianus u.a.) als auch durch Klostergründungen. Frühzeitig war Gallien ein Schwerpunkt der Klosterbewegung (Kirchenväter des Jura, Caesarius von Arles). Die Verbreitung nach Nordgallien wurde durch gallische und irische Mönche (Columbanus) bewirkt. Thematisiert werden Fragen nach den Einflüssen auf die Formung der Benedictinerregel (S. 771f.), sowie nach dem Bild Benedicts, das Papst Gregor der Große vermutlich beispielgebend für die christliche Öffentlichkeit formen wollte (S. 773ff.). Der in der Einleitung seines Kap. meines Erachtens zutreffend skizzierte Mentalitätswandel in der Spätantike, für den gerade das Mönchtum ein wichtiges Symptom ist, wird von Rousseau leider nicht historisch erklärt. Thema ist vielmehr die aus den Quellen (Apophtegmata, Vitae) gewonnene theoretische und theologische Gestaltung des mönchischen Lebens.

Kap. 26 (P. Brown) Der sehr anspruchsvolle Beitrag über die Heiligen stellt verschiedene Aspekte herausragender Persönlichkeiten und des "Wunderglaubens" vor. Hauptthemen sind zunächst die historischen Quellen und die Möglichkeiten ihrer Interpretation, sodann das allgemeine Wirken von Heiligen in der Öffentlichkeit, ihre Anbindung an soziale und religiöse Bedingungen und schließlich ihre Rolle bei der Ausbildung einer christlichen Geisteswelt. In den Ausführungen Browns wirkt das Fehlen von Systematik störend auf das Verständnis. Die hoch ambitionierte Aneinanderreihung verschiedenster Gesichtspunkte und Gedanken macht den Text schwer erfaßbar.

Kap. 27 (P. Allen) beschäftigt sich mit der wechselvollen Geschichte der Bestimmung und Geltendmachung des rechten Glaubens. Die Glaubensstreitigkeiten des Ostens im 4. Jh. (um den Arianismus) setzten sich im 5. um die Natur Christi (Mono- und Dyophysitismus) und das Beiwort für Maria (Gottesgebärerin – Christusgebärerin) fort. Einigende Formeln auf den ökumenischen Konzilien konnten die Spaltung innerhalb der Gläubigen nicht beenden. Überlagert wurden die Auseinandersetzungen von einer beständigen Rivalität zwischen dem Bischof von Rom und dem Patriarchen von Konstantinopel (Akakianisches Schisma 482-519). Die Regierung Iustinians versuchte vergeblich, mit Hilfe der Gesetzgebung und des 2. Konzils von Konstantinopel die Spaltung zu überwinden. Theodora spielte dabei eine schillernde Rolle, indem sie die Monophysiten unterstützte, die sich im 6. Jh. zudem in sekundäre Lehrmeinungen teilten und damit eine Einigung weiter erschwerten. Gleichzeitig hielt sich das Heidentum bis gegen Ende des 6. Jhs. (S. 830-832).

Kap. 28 (A. Sheppard) stellt die spätantike Philosophie, den Neuplatonismus, und ihre beiden Hauptschulen in Athen und Alexandria vor (außerdem Aphrodisias, S. 852f.). Die athenische blieb bis zu ihrer Schließung 529 altgläubig geprägt, während die alexandrinische Schule sich mit der mächtigen christlichen Gemeinde unter dem Patriarchen arrangieren mußte. Doch wurde die Lehranstalt Alexandrias zum Teil aus öffentlichen Mitteln unterhalten. In der Auseinandersetzung mit den Arbeiten Praechters, Hadots, Verryckens u.a. untersucht Sheppard die Unterschiede in den Kommentaren der athenischen und alexandrinischen Philosophen. Der zeitweilige Verzicht auf die Beschäftigung mit Theurgie und Lehre der chaldäischen Orakel hat - neben anderem - seine Ursache möglicherweise im Zugeständnis an die christliche Elite Alexandrias. Darüber hinaus wird die in der früheren Forschung vorherrschende problematische Trennung zwischen altgläubigen und christlichen Intellektuellen thematisiert (S. 849ff.).

Kap. 29 (R. Browning) ist eine gut aufgebaute und inhaltsreiche Studie zur Bildung in der Spätantike. Immer wieder verdeutlichen die Ausführungen von Browning wie sehr die antike (und auch die spätantike) Bildung und damit Weltbild, Menschenbild und Politik vom Rückbezug auf die Tradition bis hin zum 5. Jh. v. Chr. lebt. Gerade hier kommt besonders gut ein Aspekt des Wesens der Antike zum Ausdruck, die keinen Fortschrittsbegriff moderner Prägung gekannt hat. Browning ruft einige Grundtatsachen in Erinnerung, so den Analphabetismus der breiten Mehrheit der antiken Bevölkerung (Ausnahmen in Städten und Armee), die Konzentration griechisch-römischer Bildung in den Städten, Schulmethoden und Gang der Ausbildung beim Elementarlehrer, Grammatiker und Rhetoriklehrer. Er macht uns mit der Vielzahl bisweilen sehr guter spätantiker Lehrbücher bekannt. Seit dem 5. Jh. war lediglich die körperliche Ausbildung im Gymnasium aus Gründen der christlichen Ethik zurückgedrängt. Wurden Grammatiker und Rhetoriklehrer häufig von den Stadtgemeinden bezahlt, so war der Unterricht der Elementarlehrer und der Philosophen kostenpflichtig. In der Philosophie sah die Antike (und wohl nicht nur sie) die Krönung der Bildung. Zwar zeigt die neuplatonische Geistesrichtung einen uns fremden Charakter, doch legen ihre Vertreter bis in die späteste Zeit Zeugnis von ihrer Verbundenheit mit den geistigen Vorgängern ab. Während die Philosophie christlichen Angriffen ausgesetzt war (wegen ihrer Frage nach dem Welterschaffenden, der Verbindung zu Theurgie und Zauberei und zu den altgläubigen Kulten, S. 863), blieben Teile der antiken Literatur weiter für die Bildung bestimmend. Eigene christliche Bildungsstätten gab es außerhalb der Klöster kaum. Die christliche Literatur (Heiligenviten u.a.) trat neben die antike und fand eine neue Schicht von Kulturträgern (S. 869).

Kap. 30 (R. Cormack) beschäftigt sich mit einer für eine Einführung bisweilen zu differenzierten Weise mit den bildenden Künsten. Infolge des auf der Kunstgeschichte und ihren Interpretationsproblemen liegenden Schwerpunkts ist der genuin historische Gehalt der Ausführungen gering. Behandelt wird der Einfluß der Buchillustration auf die Entwicklung der frühchristlichen Kunst und die Funktion der Bilder (u.a. am Beispiel von Santa Maria Maggiore, San Vitale, Rotunde von Thessalonike), ferner das Aufkommen der Mosaikkunst (bis ins 6. Jh.), der Elfenbein-Diptychen und des zeremoniellen Kircheninventars. Am Beispiel von Hagia Sophia, San Vitale, der Katharinenkirche des Sinai-Klosters u.a. werden Aspekte der neuen Zentralkirchenarchitektur und der Bildprogramms der Iustinianischen Zeit erläutert. Die Finanzierung von Kunst und Baukunst durch Kleriker und wohlhabende Funktionsträger/Privatleute zum eigenen Seelenheil und "zur Ehre Gottes" zeigt schließlich auch auf diesem Gebiet die Wandlung des antiken Euergetismus (S. 917).

Kap. 31 (M. M. Mango) über Baukunst und Architektur im Osten und Westen enthält eine systematische und materialreiche Darstellung. Thema ist zunächst die weltliche Architektur der Städte und des Umlandes (Fora, Portiken, Nymphaea, Verwaltungsgebäude, Bäder, u.a. mit der jüngeren Diskussion um den Aufbau östlicher Bäder S. 938, Vergnügungsstätten wie Hippodrom oder Theater, Kasernen, Herbergen, Krankenhäuser, Klöster, Paläste, Häuser, Villen und Gräber). Es folgt die Darstellung der religiösen Architektur: Langkirchen (Basiliken und Hallenkirchen überwiegend im Westen) und Zentralkirchen (überwiegend im Osten), Altäre und anderes liturgisches Mobiliar, Märtyrer- und Taufkapellen sowie Synagogen. Auch in den Ausführungen Mangos wird die Kontinuität antiker Lebensformen bis gegen Ende des 6. Jhs. gut dokumentiert und verdeutlicht.

Wenn A. J. Toynbee äußerte, daß der Niedergang von Zivilisationen augenfälliger sei, als ihr Aufstieg (A Study of History), so wird seine Ansicht durch das vorliegende Werk relativiert. Es zeigt mit aller Deutlichkeit, wie schwer es ist, im Einzelnen Ursachen und Symptome eines allgemeinen Verfalls differenziert zu erfassen und nachvollziehbar zu beschreiben. Die Vielzahl behandelter Aspekte aus der Spätantike ermöglicht einen Blick auf die sehr heterogenen Entwicklungen hin zu anderen staatlichen und gesellschaftlichen Formen und dies auf der Grundlage der neueren archäologischen Befunde und der zum Teil neu interpretierten schriftlichen Zeugnisse. Eine Bewertung und Einordnung der Epoche in den Zusammenhang der europäischen Geschichte wird nicht gegeben. Auch eine systematische und didaktische Aufbereitung des Stoffes im Stile eines Handbuchs liegt nicht in der Absicht der Herausgeber. Die Beiträge Kap. 10 oder 26 haben allerdings den Zweck, eine Einführung in den jeweiligen Gegenstand zu geben, nach Art und Form der Darstellung verfehlt. Auch die Konzeption und Ausführung der Kap. 14 und 30 erschweren das Verständnis. Das Buch muß jedoch an seinen eigenen Ansprüchen gemessen werden und die werden, aufs Ganze gesehen, erfüllt. Beeindruckend ist es, in dem collageartig zusammengestellten Werk das Beharren zu erkennen, mit dem in verschiedenen Teilen des Weltreiches eine beträchtliche Zahl der Bewohner unter den verschärften materiellen und geistigen Umständen dieser Spätzeit noch am "Antiken", am "Römischen" festgehalten hat (siehe z.B. S. 830, 832, 852f., 971; anders S. 915). Die Vielzahl von Fragestellungen und Antwortversuchen werden der Fachwelt als eine Sammlung des gegenwärtigen Wissensstandes und darüber hinaus noch lange als Anregung zur weiteren Erforschung dieser interessanten Zeit dienen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch