J. Davis u.a. (Hrsg.): Labour and the left in the 1980s

Titel
Labour and the Left in the 1980s.


Herausgeber
Davis, Jonathan; McWilliam, Rohan
Erschienen
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 67,31; £ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Almuth Ebke, Historisches Institut, Universität Mannheim

Der von Jonathan Davis und Rohan McWilliam herausgegebene Sammelband befasst sich mit der Geschichte der Labour Party in den 1980er-Jahren – eine Zeit, die bis heute oft als die Phase erinnert wird, die die Partei in der sprichwörtlichen Wildnis verbracht habe. Nach diesem Narrativ habe erst das durch die Reformer John Smith, Tony Blair und Gordon Brown initiierte Projekt „New Labour“ eine programmatische Wende eingeleitet, die Partei damit an die veränderten Bedürfnisse der Bevölkerung nach Konsum angepasst und sie so wieder wählbar gemacht. Jüngere Ansätze der Geschichtswissenschaft haben dieses Bild der grauen 1980er-Jahre jedoch einer kritischen Überprüfung unterzogen.1 In diese Forschungen reiht sich der Band ein, der aus einer Konferenz der Labour History Research Unit an der Anglia Ruskin University und der Society for the Study of Labour History hervorging.

Davis und McWilliam geht es darum, die „langen“ 1980er-Jahre aus der historiographischen Versenkung hervorzuholen und als einen Zeitabschnitt mit eigenem Wert anzuerkennen, in der kreative Lösungen für die politischen und innerparteilichen Herausforderungen der Zeit gesucht wurden. Dies ist ein sinnvolles Unterfangen, das – so viel kann an dieser Stelle verraten werden – weitestgehend gelingt. Die „langen 1980er-Jahre“, also die Zeit von 1979, dem Wahlsieg Margaret Thatchers, bis 1992, der letzten Wahlniederlage des Oppositionsführers Neil Kinnock, werden in der Einleitung der Herausgeber in zwei Phasen linker Aktivität unterteilt: Eine erste Phase sei durch eine dramatische Mobilisierung, den Parteivorsitz Michael Foots und die Forderung der Parteibasis nach mehr Kompetenzen gegenüber den Labour-Parlamentariern gekennzeichnet gewesen. Dies sei die Zeit der Politik der einseitigen Abrüstung gewesen, ebenso der Unterwanderung von Labour-geführten Stadträten durch die trotzkistische Gruppierung Militant Tendency sowie der Unfähigkeit Labours, auf die neue wirtschaftliche Lage der 1980er-Jahre zu reagieren. Eine solche Polarisierung der Partei habe einen innerparteilichen Bürgerkrieg nach sich gezogen, der schließlich zur Abspaltung der moderaten Social Democratic Party und zur katastrophalen Wahlniederlage von 1983 geführt habe. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre hingegen habe ein weitgehendes Umdenken eingesetzt. Neil Kinnock wird von den Herausgebern als bedeutendes Scharnier in der programmatischen Neuausrichtung der Partei angesehen: Diese habe unter anderem die Abkehr vom Ziel der einseitigen nuklearen Abrüstung, eine positivere Haltung gegenüber Konsum und dem Stellenwert wirtschaftlicher Märkte sowie eine größere Beachtung der Bedürfnisse von Minderheiten in Bezug auf Geschlecht, Sexualität und Ethnie beinhaltet.

Der Band umfasst neben der Einleitung neun Beiträge, die in drei inhaltlichen Blöcken angeordnet sind: die Krise der Labour Party, der internationale Kontext sowie die weitergehenden Strömungen in der Linken in Großbritannien. Ergänzt wird die Aufsatzsammlung durch ein Vorwort des Labour-Aktivisten Peter Tatchell. Worin genau die Krise der Labour Party bestand, wird bei der Lektüre des ersten (und seitenmäßig umfangreichsten) Teilabschnitts deutlich: Sie manifestierte sich besonders in der Führung der Partei, ihrer programmatischen Ausrichtung im Allgemeinen sowie der von ihr vertretenen Wirtschaftspolitik im Speziellen. Zentral sind dabei die Aufsätze von Eric Shaw und Richard Carr. Während Shaw argumentiert, dass der Begriff des „Old Labour“ vor allem ein von den Modernisierern um New Labour erfundener Begriff war, der als strategisches Mittel eingesetzt wurde, um in Abgrenzung zum augenscheinlich überholten „Alten“ das Reformprojekt der 1990er-Jahre zu bewerben, widmet sich Carr dem Projekt der National Investment Bank. Er kann damit an der Schnittstelle von Wirtschaftspolitik und innerparteilicher Politik zeigen, wie sich das wirtschaftspolitische Denken lange vor „New Labour“ auf die Produktionsseite und damit in die ideologische Mitte bewegte. Wie Carr möchte auch Paul Bloomingfield die künstliche Trennung des politischen Denkens der 1980er- von den 1990er-Jahren überwinden: Sein Beitrag handelt von Labours Haltung zu sozialliberalen Reformen, als die zunehmende Liberalisierung der britischen Gesellschaft in den 1980er-Jahren von Seiten der konservativen Regierung kritisiert wurde. Anhand der Beispiele „gay rights“ und „video nasties“ wird die Haltung der Labour Party zu diesen Themen ausgelotet, vor allem in Hinblick auf den Spagat zwischen der (eher) sozialliberalen Mittelklasse und der eher sozialkonservativen Arbeiterklasse sowie den privaten Einstellungen von Politikern.

Jonathan Davis und John Callaghan wenden sich im zweiten Teil der internationalen Dimension zu. Während Callaghan einen Überblick über die internationale Lage der Linken in den 1980er-Jahren gibt, diagnostiziert Davis eine ideologische Konvergenz von Ost und West vor allem im Begriff des „democratic socialism“, die aber vom Zusammenbruch der Sowjetunion verfrüht beendet worden sei. Davis grenzt seine These jedoch insofern ein, dass Kinnock sich zwar an den sowjetischen Bemühungen um Perestroika orientiert habe, innenpolitisch aber die Abgrenzung zu Thatcher zentraler gewesen sei.

Der dritte Teil des Sammelbandes behandelt die breiteren Debatten der Linken in den 1980er-Jahren. Neil Pye widmet sich dem Aufstieg und Fall von Militant Tendency, einer Splittergruppe innerhalb der Labour Party, die der Parteiführung Mitte der 1980er-Jahre Kopfzerbrechen bereitete. Militant Tendency habe zunächst die Labour Party in Liverpool unterwandert, ab 1983 als Teil der Partei die Führung des dortigen City Councils übernommen, jedoch nach anfänglichen Erfolgen im Budgetstreit mit der konservativen Regierung 1986 die Kontrolle wieder verloren. Pye zeigt eindrücklich, wie Militant Tendency nicht nur die Schwäche lokaler Parteistrukturen ausnutzte, sondern auch eine ideologische Alternative darstellte, die letzten Endes aber am Verhalten der Mitglieder scheiterte. Die beiden Beiträge von Maroula Joannou und Robin Bunce widmen sich von unterschiedlichen Seiten den „identity politics“ der 1980er-Jahre. Joannous Beitrag handelt von der breiten Solidaritätsbewegung angesichts des Bergarbeiterstreiks 1984/85. Die Autorin versteht den Streik als Höhepunkt einer kurzen und inzwischen weitgehend vergessenen Periode alternativen Protestes. Sie geht dabei besonders auf die Solidarisierungsbewegung von Frauen und Homosexuellen ein, die dazu beigetragen habe, dass sich innerhalb der traditionell sozialkonservativen Bergarbeitergemeinden Einstellungen gegenüber diesen Gruppen geändert hätten. Bedacht darauf, keine reine Erfolgsgeschichte zu präsentieren, wird auch auf Gegenbeispiele hingewiesen; dennoch erscheint die Zeit in einem weitgehend positiven Licht. Eine ähnlich positive Deutung findet sich auch bei Robin Bunce, der sich der Geschichte des Race Today-Kollektivs widmet. Der Leser erfährt von den Anfangszeiten des Kollektivs in den 1970er-Jahren, der erhöhten medialen Aufmerksamkeit im Zuge der Unruhen von 1981 und der verstärkten Fernsehkarriere von Gründungsmitglied Darcus Howe. Gerade durch dessen Karriere sei zwar das Ziel erfüllt worden, die Themen und Probleme der schwarzen Bevölkerungsschichten einer breiten Masse zugänglich zu machen; das mediale Engagement Howes habe aber letzten Endes auch das Ende des Kollektivs eingeleitet. Gerade hier wäre jedoch eine stärkere Einordnung in die Geschichte der Labour Party wünschenswert gewesen, waren die Belange der „black community“ doch auch dort Thema, beispielsweise in der innerparteilichen Debatte um die sogenannten „Black Sections“.

Davis und MacWilliam erheben in ihrer Einleitung keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die Einflüsse der Friedens- und der Umweltbewegung, Feminismus oder zentrale Figuren wie Tony Benn werden explizit als Leerstellen genannt. Dementsprechend verstehen die Herausgeber den Band eher als Beitrag zur Öffnung eines Forschungsfeldes denn als erschöpfende Betrachtung des Themas. Dieses Ziel haben sie sicherlich erreicht. Wünschenswert wäre es aber gewesen, wenn sich die Konzeption des Bandes und die einzelnen Beiträge weniger an den hergebrachten Trennlinien Krise, national/international, innerparteilich/weitere Linke orientiert, sondern stärker thematische Stränge wie beispielsweise Liberalisierung herausgearbeitet hätten. Dies kann und sollte jedoch Gegenstand weiterer Studien sein, für die der Sammelband sicherlich eine gute Grundlage bildet.

Anmerkung:
1 Vgl. beispielsweise Florence Sutcliffe-Braithwaite, Class, politics, and the decline of deference in England, 1968–2000, Oxford 2018.