K. Nolte u.a. (Hrsg.): Geschichte der Pflege im Krankenhaus

Cover
Titel
Geschichte der Pflege im Krankenhaus.


Herausgeber
Nolte, Karen; Vanja, Christina; Bruns, Florian; Dross, Fritz
Reihe
Historia Hospitalium. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte 30
Erschienen
Berlin 2017: LIT Verlag
Anzahl Seiten
VI, 537 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Czolkoss, Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz

Zusätzlich zu dem Schwerpunktthema, der Geschichte der Pflege im Krankenhaus (S. 1–141), umfasst der vorliegende Band die Beiträge zweier Symposien der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte aus den Jahren 2015 und 2016. Inhaltlich geht es hier um Hospitaltypen und Krankenhäuser im Alpenraum in der Neuzeit (S. 217–394) und um das Thema Krankenhäuser und Denkmalpflege (S. 395–458). Weiterhin bietet der Band einen umfangreichen Bericht des Panels „Hospital Inmates in the Early Modern Society – Winners or Losers?“, abgehalten im Jahr 2016 auf der European Social Science History Conference (S. 173–213), ein off-topic-Paper von Hartmut Bettin („Krankheit und Kranke in den mittelalterlichen norddeutschen Hansestädten – Wahrnehmung, Wertung, Deutung und Umgang, insbesondere im Spiegel der Stralsunder Bürgertestamente“, S. 145–171), vereinsrelevante Mitteilungen sowie einige Rezensionen.

In Anbetracht dieser heterogenen inhaltlichen Fülle wird sich die folgende Besprechung auf eine Diskussion des Schwerpunktthemas Geschichte der Pflege im Krankenhaus fokussieren, der insgesamt fünf Aufsätze umfasst. Die Beiträge von Birgit Seemann – die sich anhand des Gumpertz’schen Siechenhauses in Frankfurt am Main dem Themenkomplex Judentum und Pflege (1888–1941) widmet – und Bernhard Bremberger zur Pflege in Berliner Ausländerkrankenhäusern während des Zweiten Weltkrieges beleuchten dabei interessante Untersuchungsgegenstände, die, auch aufgrund der dünnen Quellenüberlieferung, von der Forschung bisher kaum thematisiert worden sind. Zugleich bleiben die genannten Artikel meist auf einer lokalhistorischen und deskriptiven Ebene. Auch bei dem Beitrag von Anna Urbach zu „Epileptikeranstalten“ als Wegbereiter der Qualifizierung psychiatrischer Pflegekräfte um 1900 (S. 65–87) handelt es sich um eine lokalhistorische Fallstudie zur Geschichte der Pflegeanstalt Uchtspringe bei Stendal. In diesem Fall erfolgt allerdings eine stärkere Kontextualisierung der Untersuchungsergebnisse. Urbachs Ausführungen gewähren einen anschaulichen Einblick in die konkrete Pflegepraxis und unterstreichen ihre These, nach der die „vermehrt medizinisch geprägten „Epileptikeranstalten“ als Vorreiter einer spezifischen Ausbildung von psychiatrischen Pflegekräften fungierten“ (S. 67). Interessant ist hierbei besonders, dass die Pflegekräfte in Uchtspringe sehr intensiv in die Krankenbeobachtung und Dokumentation sowie auch die Intervention eingebunden waren. In der Monatsschrift „Die Irrenpflege“ hatten die Uchtspringer Krankenpflegerinnen und -pfleger zudem ein Sprachrohr, in dem sie Beiträge veröffentlichen konnten, was wiederum Aufschluss darüber gibt, wie sich mit der wachsenden Professionalisierung ihre Selbstwahrnehmung wandelte. Die in Uchtspringe durch die Psychiater gesetzten „Professionalisierungsimpulse“ können jedoch laut Urbach nicht als „emanzipatorischer Akt“ gewertet werden, „da die hierarchischen Strukturen innerhalb der „Epileptikeranstalt“ zumeist erhalten blieben“ (S. 87). Dies ist sicher zutreffend, jedoch hätte Urbach hier der Relationalität von Machtverhältnissen mehr Aufmerksamkeit schenken können.

Zwei sehr anregende Beiträge runden den Themenschwerpunkt zur Pflegegeschichte ab. Sue Hawkins (S. 41–64) widmet sich dabei den Entwicklungen in England im 19. und 20. Jahrhundert – wobei ihre Untersuchungsergebnisse in vielerlei Hinsicht auch auf andere Länder übertragbar wären – und geht dem erklärungsbedürftigen Umstand nach, dass trotz des starken quantitativen Übergewichts von Frauen in Pflegeberufen die Führungspositionen in diesem Bereich häufig von Männern besetzt werden. Die Wurzeln dieses Phänomens macht Hawkins in der Viktorianischen Gesellschaft aus. Hier wurde die Pflege an den Krankenhäusern häufig durch „Lady Nurses“ geleitet, die in der Rangordnung der klassenbewussten Viktorianischen Gesellschaft theoretisch über vielen Medizinern standen, deren Weisungen jedoch befolgen mussten. Diese Konstellation gefährdete mithin sowohl die Geschlechter- als auch die Klassenordnung. Auf diskursiver Ebene wurde dies eingefangen durch eine Argumentationsweise, der zufolge es sich bei den Arbeitsbereichen der Frauen in den Krankenhäusern lediglich um eine Ausdehnung der häuslichen Sphäre handelte. Auch Familienmetaphern wurden auf die Arbeitspraxis im Krankenhaus übertragen (siehe v.a. S. 50). Auf diese Weise wurde die Herausforderung der Geschlechter- und Klassenordnung eingehegt. Da Frauen auch lange Zeit (weitgehend) von Professionalisierungsprozessen ausgeschlossen wurden, konnte die männliche Vormachtstellung in den Hospitälern gefestigt werden.

Isabel Atzl befasst sich in ihrem auch auf theoretischer Ebene anregenden Beitrag zum Thema „Pflegedinge und Pflegealltag im Krankenhaus“ (S. 117–141) vorrangig mit den Entwicklungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Exemplarisch fokussiert sie ihre Ausführungen auf das ab etwa 1870 weite Verbreitung findende Fieberthermometer sowie Krankenwaagen, Steckbestecke und Uringeschirre. Zur Illustration finden sich hier eine Reihe gut ausgewählter Abbildungen (S. 126–140). Überzeugend kann Atzl darlegen, dass die anhand dieser Beispiele veranschaulichte zunehmende Technisierung des pflegerischen Arbeitsfeldes einerseits das Pflegepersonal in den Prozess der Diagnostik – eigentlich exklusive Domäne der Ärzte – partiell einbezog und auf diese Weise einen höheren Schulungsgrad erforderlich machte. Dies führte durchaus zu einer Aufwertung der Krankenpflege als Beruf. Zugleich jedoch traten „Fähigkeiten Pflegender in Bezug auf sinnliche und subjektive Wahrnehmung zurück“ (S. 135).

Die Dokumentation des 2015 abgehaltenen Symposiums zu Hospitaltypen und Krankenhäusern im Alpenraum in der Neuzeit bietet mit insgesamt zehn Beiträgen vielfältige Einblicke in die Multifunktionalität frühneuzeitlicher Hospitäler, die neben einer oft sehr begrenzten medizinischen Versorgung bekanntermaßen zumeist auch der – im weitesten Sinne – Armenfürsorge dienten. Weniger bekannt ist hingegen wohl die große wirtschaftliche Bedeutung, die Hospitäler bisweilen spielten. Diesbezüglich sei auf den Beitrag von Sarah Pichtelkastner zum Wiener Bürgerspital hingewiesen (S. 305–318). Eine ganze Reihe von Aufsätzen widmet sich ferner Leprosorien, die laut Fritz Dross auf die Medizin- und Sozialgeschichte eine besondere Faszination ausüben, da Leprosorien durch die Praxis der körperlichen Untersuchung der Aufgenommenen und durch die frühe Durchsetzung eines gewissen Hygienegedankens (Isolation) als Vorläufer „moderner“ Krankenhäuser gesehen werden können (S. 278). Hingewiesen sei abschließend noch auf den aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive sehr interessanten Beitrag von Sabine Veits-Falk (S. 367–389) zu Rosa Kerschbaumer (1851–1923), einer aus Russland stammenden Ärztin, die in Salzburg als erste Frau in Österreich als Medizinerin praktizierte. Im Alter von 60 Jahren siedelte sie als geschiedene Frau in die USA über, wo sie ebenfalls eine Lizenz als Ärztin erhielt (S. 388).

Insgesamt sechs Beiträge umfasst die Dokumentation des 2016 abgehaltenen Symposiums zum Thema Krankenhaus und Denkmalpflege. Wiederholt stehen hier die aktuellen Ereignisse um den bevorstehenden Abriss der mittlerweile leer stehenden Magdeburger Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten, die in der Spätphase der Weimarer Republik errichtet worden ist, im Zentrum. Von größerer Relevanz sind die hier versammelten Beiträge sicher eher für architekturhistorisch Interessierte und vor allem für Personen, die sich mit Fragen der Baudenkmalpflege befassen. Bei dem Beitrag von Arnold Körte zu einigen von Martin Gropius und seinem Partner Heino Schmieden errichteten Krankenhäusern (S. 415–423) hätte sich der Rezensent eine sprachliche Überarbeitung gewünscht. Sicherlich ist es legitim, den Vortragsstil für einen Tagungsbandbeitrag beizubehalten. Die Ausführungen sind jedoch extrem umgangssprachlich gehalten und insbesondere die unzähligen Ausrufezeichen sorgen eher für Irritationen.

Angesichts der Heterogenität des zu besprechenden Bandes fällt eine abschließende Würdigung schwer. Für den im Zentrum stehenden Themenschwerpunkt zur Geschichte der Pflege im Krankenhaus liefert das Buch in jedem Fall anregende Impulse für weitergehende Forschungen, wobei eine noch stärkere Verknüpfung dieser zum Teil doch sehr spezifischen Teilgebiete mit den Fragen und Entwicklungstendenzen der „allgemeinen“ Geschichte bzw. Geschichtsschreibung zu wünschen bleibt. Möglicherweise wäre es ratsam gewesen, wenn die Herausgeber/innen für die Autor/innen präzisere Leitlinien formuliert hätten, aber das ist letztlich wohl Geschmackssache. Berücksichtigt werden muss nicht zuletzt der Umstand, dass es sich bei dem Thema Pflegegeschichte um ein sehr junges Forschungsfeld handelt, auf dem erst wenige Beiträge vorliegen, die heutigen Standards der Forschung genügen.1 Sehr erfreulich ist vor diesem Hintergrund die vor wenigen Jahren erfolgte Gründung der „Fachgesellschaft Pflegegeschichte“, von der weitere Impulse für die Forschung ausgehen.2

Anmerkungen:
1 Verwiesen sei hier auf zwei neuere Bände, die als Beihefte Nr. 53 und 32 der Reihe „Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung“ erschienen sind: Anja Faber, Pflegealltag im stationären Bereich zwischen 1880 und 1930, Stuttgart 2015; Sylvelyn Hähner-Rombach (Hrsg.), Alltag in der Krankenpflege: Geschichte und Gegenwart – Everyday Nursing Life: Past and Present, Stuttgart 2009.
2 Die Vereinshomepage kann unter folgender URL aufgerufen werden: http://pflegegeschichte-gahn.de/de/ (26.03.2018).

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