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Titel
Kuno von Westarp (1864-1945). Parlamentarismus, Monarchismus und Herrschaftsutopien im deutschen Konservatismus


Autor(en)
Gasteiger, Daniela
Reihe
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 117
Erschienen
Anzahl Seiten
521 S.
Preis
€ 64,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Nielsen, Sarah Lawrence College, New York

Daniela Gasteiger hat eine profunde Biographie zu Kuno von Westarp, einer der zentralen Personen des deutschen Konservatismus vor 1945, vorgelegt, die nicht nur gut lesbar ist und vor Details strotzt, sondern die das Bild rechter Politik während der Weimarer Republik bereichert und in wichtigen Punkten nuanciert. Gasteiger sieht das Leben Westarps als Linse, durch die sich die Entwicklung des deutschen Konservatismus vom Kaiserreich bis zum „Dritten Reich“ fokussieren lässt. Westarp berühre in seiner politischen Geschichte die beiden Pole der „bedingten parlamentarischen Integration einerseits und zähen utopischen Ordnungsvorstellungen andererseits“ (S. 3). Ob dieser Position könne seine Biographie neue Einblicke in die Debatte geben, inwiefern es in der Weimarer Republik die realistische Chance eines „Tory-Konservatismus“ gegeben habe. Zu dieser Frage und insbesondere zu Thomas Mergels Studien dazu, kehrt Gasteiger wiederholt zurück.1

Gasteiger versteht Politik als Kommunikationsakt, in dem Erwartungen sowohl an das politische Personal als auch die gesellschaftliche Zukunft erfüllt werden müssen. Im Falle Westarps war (erfolgreiche) politische Kommunikation an die Erwartung einer „konservative[n] Authentizität“ (S. 9) gebunden und musste darüber hinaus in der spezifisch konservativen Ausprägung des „Spannungsverhältnisses von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ operieren (S. 12), in der die Mitgestaltung einer politischen Zukunft keineswegs in eine „Modernität“ führen durfte, sondern immer auf vormoderne Traditionen rekurrieren musste. Contra Mergel sieht Gasteiger in diesem Spannungsverhältnis zusammen mit der notwendigen Authentizität auch die Grenzen eines pragmatischen Konservatismus in der Weimarer Republik. Dieser konnte immer nur ein temporäres Phänomen darstellen, da die Erwartung einer nicht-demokratischen Ordnung nie komplett aufgegeben und immer wieder befriedigt werden musste. Er wurde, anders als Mergel schreibt, Gasteiger zufolge nicht zu einem systemimmanenten Faktor.2 Dies galt auch für den eher gouvernmentalen Flügel der DNVP, dem sich Westarp erst annäherte und ab Mitte der 1920er vorstand. Diese Position war allerdings, so Gasteiger, zum einen einem gewissen Geschmack für politische Macht geschuldet, zum anderen vor allen Dingen taktisch und temporär. „In dem Moment, als die Demokratie zerstört werden sollte, war Westarp in vorderster Linie mit dabei“ (S. 440).

Diejenigen Kapitel, die sich mit der Zeit von 1924 bis 1930 und damit der Periode befassen, in der Westarp den größten Einfluss auf die Politik der DNVP hatte, sind faszinierend zu lesen und das Kernstück des Buches. Bereits für diese Jahre, aber insbesondere in der Beschreibung der Endphase der Republik, hätte dem Buch jedoch eine breitere Einbettung in die Entwicklung der Rechten über die DNVP hinaus gutgetan. Während Gasteiger in den Passagen zu Westarps früher Politikerkarriere und insbesondere zur Zeit des Ersten Weltkriegs noch ausführlich über sein Verhältnis zu Politikern auch außerhalb des rechten Spektrums schreibt, verengt sich der Blick je weiter die Zeit voranschreitet. Dies ist sicherlich nicht zuletzt der größeren Materialfülle für die späteren Jahre zu schulden. Allerdings erfährt man so über den Aufstieg der Nationalsozialisten und die sich damit neuordnenden Machtverhältnisse auf der rechten Seite des politischen Spektrums wenig. Über die schicksalhafte Wahl zum Preußischen Landtag 1932 zum Beispiel lernt man nur, dass Westarp den Einzug verpasste, was seiner Aussicht auf weiteres politisches Engagement ein Ende setzte. Auch der sogenannte Preußenschlag wird nur mit einem Satz erwähnt, obgleich sich Westarp wohl zunehmend Carl Schmitts Dezisionismus zuwandte und für die Ausschaltung des Parlaments plädierte. Wie Westarp auf diese Entmachtung der demokratischen Regierung des größten deutschen Staates reagierte, wäre sicherlich nicht uninteressant gewesen. Das gleiche gilt für andere zentrale Daten, über die entweder Westarp oder die Quellen schweigen, was dann allerdings ebenfalls Erwähnung verdient hätte: So finden sich bei Gasteiger keine Aussagen Westarps zum Hitler-Ludendorff-Putsch 1923, zum sogenannten „Röhm-Putsch“ 1934, zum gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 oder zur Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945.

Gerade da Westarp sich als Gradmesser der Entwicklung der konservativen Rechten anbietet, wie Gasteiger überzeugend darlegt, wäre auch eine etwas tiefere Auseinandersetzung mit Antisemitismus aufschlussreich gewesen. Dass dies kaum geschieht, ist um so überraschender, als Gasteiner in Anlehnung an Shulamit Volkovs „Antisemitismus als Code“ vom „Code der Republikfeindschaft“ schreibt (S. 230). Gleichwohl arbeitet Gasteiger Westarps Verbindungen zum völkischen Flügel der DNVP, die noch aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammten, eindeutig heraus, genauso wie sein grundsätzliches Einverständnis mit der Rassenideologie der Nationalsozialisten. So attestiert sie Westarp bereits 1921 Anschlussfähigkeit zum rassischen Antisemitismus der Völkischen, allerdings ohne dessen Forderung nach einem „Arierparagraphen“ für die Partei mitzutragen. Es fehlt dann aber der Hinweis, dass die DNVP eben jenen Paragraphen 1926 einführte – nachdem Westarp zusätzlich zum Fraktionsvorsitz auch den Parteivorsitz übernommen hatte.3 Hier wäre es aufschlussreich gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie Antisemitismus und Republikfeindschaft als Codes und die bedingte Öffnung Westarps hin zur Regierungsbeteiligung interagierten und wie sich dies wiederum in die Diskussion um die Möglichkeit eines „Tory-Konservatismus“ einfügte.

Sehr bereichernd sind Gasteigers Betrachtungen zur Rolle der Familie in Westarps politischer Arbeit. Hier bettet sie den Politiker mit Hilfe ihrer Quellen, insbesondere der Familienbriefe, in sein soziales Umfeld ein und stellt die Politik, gerade in dieser Übergangsphase vom Honoratiorenpolitiker zum Berufspolitiker, eindrücklich als Familienbetrieb dar. Dies wäre in Westarps Fall ohne Unterstützung seiner Frau und Tochter so nicht möglich gewesen. Überhaupt ist die Professionalisierung konservativer Politik vom Kaiserreich bis zur Endzeit der Weimarer Republik ein gewinnbringender Aspekt der Biographie. Die Bemerkung Westarps Frau in einem Brief an die gemeinsame Tochter vom 14. Juni 1932 in Reaktion auf seinen Rücktritt von der Politik spricht Bände darüber, wie sehr die Familie das Vollzeitpolitikerleben verinnerlicht hatte: „‚Die Stille um uns ist eigenartig.‘“ (S. 428) Hier löst Gasteigers ihren Anspruch, eine politische Kulturgeschichte zu schreiben, überzeugend ein. Genauso wenn sie anschaulich und aufschlussreich über die materiellen Bedingungen einer Politikerkarriere schreibt, die trotz des adeligen Titels immer auf die Einkünfte aus dem politischen Betrieb angewiesen blieb.

Gasteigers Biographie Westarps liefert einen wichtigen Beitrag zur Debatte um die Entwicklung der deutschen Rechten von der Endphase des Kaiserreichs bis zum Ende der Weimarer Republik und zur Frage zur potenziellen Systemkonformität der DNVP, die die Autorin abschlägig beantwortet. Eine etwas straffere Darstellungen seiner Positionen während des Ersten Weltkriegs und dafür eine ausführlichere Einbettung der Machtkämpfe innerhalb der DNVP in die weiteren Wandlungen der Politik gerade in der Endphase der Weimarer Republik hätten diesen Forschungsbeitrag abgerundet.

Anmerkungen:
1 Thomas Mergel, Das Scheitern des deutschen Tory-Konservatismus. Die Umformung der DNVP zu einer rechtsradikalen Partei, 1928–1932, in: Historische Zeitschrift 276 (2003), H. 2, S. 323–368.
2 Ebd., S. 324.
3 Werner Bergmann, Deutschnationale Volkspartei, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5, Organisationen, Institutionen, Bewegungen, Berlin 2012, S. 191–197, bes. S. 195.

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