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Titel
Kunst durch Kredit. Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935


Autor(en)
Rother, Lynn
Erschienen
Berlin 2017: de Gruyter
Anzahl Seiten
492 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Heuß, Staatsgalerie Stuttgart

Die vorliegende Studie rekonstruiert erstmals umfassend den Verkauf eines großen Konvolutes von Kunstwerken durch die Dresdner Bank an das Land Preußen im August 1935. Es handelte sich dabei um den „größte[n] Kunstdeal während der Zeit des Nationalsozialismus“ (S. 1). Für 7,5 Millionen RM wurden 4.401 Objekte vom Land Preußen erworben und an verschiedene Berliner Museen überwiesen. Quantitativ erhielt das Schlossmuseum die meisten Objekte, gefolgt von der Skulpturen-Abteilung, der Nationalgalerie und der Gemäldegalerie. Gemessen an den Ankaufspreisen erhielten jedoch die Gemäldegalerie und das Schlossmuseum die wertvollsten Konvolute. Heute befinden sich immerhin noch mindestens 1.600 Werke im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin; die Verluste gehen einerseits auf Verkäufe noch in der Zeit des Nationalsozialismus, andererseits wohl auf Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges zurück. Die Verkäufe zwischen 1935 und 1945, vor allem die Auktion von fast 800 Objekten über den Münchner Kunsthändler Julius Böhler 1937, werden von der Autorin ausführlich behandelt.

Während diese Transaktion in der Fachwelt der Provenienzforscher(innen) schon länger bekannt ist, dürfte sie dem historisch interessierten Publikum nicht geläufig sein. Tatsächlich ist eine andere Transaktion in dieser Zeit in der Öffentlichkeit wesentlich präsenter: der Verkauf des Welfenschatzes im Juni 1935 durch ein Konsortium von Kunsthändlern für 4,2 Millionen RM an das Land Preußen. Dieser Verkauf ist nicht Thema der vorliegenden Publikation, wird aber häufig als Referenz herangezogen.

Die Reizworte „Raubkunst“, „Dresdner Bank im Nationalsozialismus“1 und natürlich die Tatsache, dass es sich bei einem Teil der Objekte um Kunstwerke aus ehemals jüdischem Besitz gehandelt hat, gibt immer wieder Spielraum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen der Vorgänge. Es ist das Verdienst der Autorin, die sehr unterschiedliche Herkunft dieses Konvolutes aufzuzeigen. So kann sie nachweisen, dass die Objekte aus 34 verschiedenen Geschäftsbeziehungen der Dresdner Bank stammten, den so genannten Bankengagements. Diesen Bankengagements lagen Kredite zugrunde, die in den 1920er-Jahren aufgenommen worden waren. Um diese Kredite abzusichern, hatten die Kunden, meist Kunstsammler oder Kunsthändler, Sicherheiten in Form von Kunstwerken hinterlegt. Die Rechtsform war jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich. Mal war das Kunstwerk der Dresdner Bank sicherheitsübereignet worden, mal war sie anteilig oder vollständig Eigentümerin, Pfandnehmerin oder Gläubigerin geworden. Selbst innerhalb eines Bankengagements konnte die Rechtsform sich im Laufe der Verhandlungen verändern oder von Werk zu Werk abweichen.

Leider war es der Autorin nicht möglich, die Rechtsverhältnisse im Einzelnen zu analysieren: „Angesichts der Komplexität der Gesamttransaktion sowie der einzelnen Bankgeschäfte hätte deren Mikroanalyse den Rahmen dieser Arbeit gesprengt.“ (S. 3) Damit bleibt die Frage, die die Öffentlichkeit derzeit am meisten interessieren dürfte, unbeantwortet, nämlich ob es sich im Einzelfall um einen verfolgungsbedingten Verkauf gehandelt haben könnte.

Den Löwenanteil an diesem Konvolut hatte die kunstgewerbliche Sammlung von Albert Figdor in Wien († 1927), gefolgt von der Porzellansammlung Hermine Feist († 1933) und der Kunstsammlung mit Gemälden, Skulpturen und Textilien von Marcell von Nemes († 1930), die zusammen 71,6% des Kaufpreises ausmachten. Als weiteres wichtiges Engagement ist die AG für alte Kunst zu nennen, die altniederländische Gemälde aus der Sammlung des Fürstenhauses Hohenzollern-Sigmaringen auf Initiative von Marcell von Nemes übernommen hatte.2

Die Dresdner Bank war seit der Zwangsfusion mit der Darmstädter- und Nationalbank (Danat-Bank) 1931 keine Privatbank mehr, sondern ein öffentliches Unternehmen, das (bis 1937) der Reichsbank bzw. dem Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht unterstand. Hjalmar Schacht spielte im Kunsthandel in der NS-Zeit eine lange unterschätzte Rolle: er hatte nicht nur aus rein devisenpolitischen Gründen international agierende jüdische Kunsthändler bis zu diesem Zeitpunkt „geschützt“, sondern später insgeheim als Finanzier und damit Nutznießer der „Arisierung“ der Galerie Heinemann agiert3; darüber hinaus sammelte er selbst Kunst des 19. Jahrhunderts. Schacht begleitete die Verhandlungen der Dresdner Bank mit dem Land Preußen seit dem Herbst 1933 bis zum Verkauf 1935. Damit fand dieser Verkauf zwischen zwei öffentlichen Institutionen statt, die aber recht unterschiedliche Interessen vertraten. Das Interesse der Dresdner Bank war vor allem, die notleidenden Kredite abzulösen und die „eingefrorenen“ Sicherheiten zu liquidieren.4 Die Autorin stellt fest, dass die Objekte vom Land Preußen oft überbezahlt worden waren – mit Wissen der eingeschalteten Experten an den Berliner Museen, die diesen Ankauf unbedingt ermöglichen wollten. (S. 341). Dies zeigte sich bei der Auktion bei Julius Böhler 1937, als deutlich geringere Erlöse als der Ankaufswert erzielt werden konnten: zwei Jahre zuvor war der Schätzwert der angebotenen Objekte noch mehr als doppelt so hoch angesetzt worden.

Das Interesse des Landes Preußen an diesem Ankauf bleibt unklar. War es wirklich nur der Wunsch, Kulturgut für die Berliner Museen zu sichern? Oder wurde hier aus den Etatmitteln des Landes Preußen eine Bank, die unter der Aufsicht des Deutschen Reiches stand, querfinanziert, um sie fast unbemerkt von der nationalsozialistischen Öffentlichkeit zu stützen? Diese Frage drängt sich auf, wird aber nicht behandelt.

Mit dieser Studie, der jahrelange Forschungen vor allem im Zentralarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und im Archiv der Dresdner Bank vorausgegangen waren, wird eine „Identifizierung der Vorbesitzer“ oft erstmals ermöglicht (S. 9). Leider trifft dies nicht für sämtliche Bankengagements zu. So hat die Autorin z.B. nicht erkannt, dass es sich bei dem Engagement Fischer & Co., Nürnberg um die 1908 gegründete Blechspielzeugfirma Heinrich Fischer in Nürnberg gehandelt hatte, deren Eigentümer in den 1920er-Jahren Abraham Adelsberger war. Wegen finanzieller Probleme musste die Firma 1932 schließen; die Kunstsammlung wurde bereits im Oktober 1930 bei Hugo Helbing in München unter dem Titel „Die Sammlung Adelsberger“ zur Versteigerung angeboten. Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise wurde jedoch wenig verkauft. Daher fanden immerhin 20 Werke aus dieser Auktion später Eingang in das Dresdner Bank-Konvolut. Abraham Adelsberger (1863–1940) und seine Ehefrau Clothilde waren jüdischer Herkunft und wurden verfolgt. Abraham Adelsberger emigrierte 1938 nach Amsterdam, wo er sich verstecken konnte; seine Ehefrau Clothilde wurde 1943 nach Bergen-Belsen deportiert, überlebte den Holocaust aber. Sowohl ihre Geschichte als auch die der betreffenden 20 Kunstwerke kann man unschwer in der öffentlich zugänglichen Datenbank www.lostart.de bzw. in der Datenbank „German Sales“ nachlesen. Unverständlich bleibt auch, warum Lynn Rother nicht das Bankengagement Schwedenberg (Filiale Breslau) identifiziert hat, bei dem es sich eindeutig um (sicherheitsübereignete) Werke aus der Sammlung Ismar Littmann handelte. Auch Littmann war ein Sammler jüdischer Herkunft, der aufgrund finanzieller Probleme, aber auch aufgrund der Verfolgung als jüdischer Anwalt und Notar in Breslau 1934 Selbstmord begangen hatte. Es handelt sich hierbei zwar um „kleinere“ Engagements, die nur einen geringen Teil des behandelten Gesamtvolumens ausmachten. Trotzdem wäre es dadurch möglich gewesen, die zeitliche Abfolge dieses Bankengagements exemplarisch darzustellen. Im Fall Littmann wurden von der Witwe Littmann im Februar 1935 – also während der Verhandlungen mit dem Land Preußen und wenige Monate vor dem Verkauf – 200 Kunstwerke zur Auktion gegeben, die teils der Familie, teils verschiedenen Breslauer Banken gehörten. Zwei Tage vor der Auktion wurden jedoch zahlreiche Werke von der Gestapo als „entartet“ beschlagnahmt, was den Verkauf empfindlich störte. Vier dort angebotene Kunstwerke von Lovis Corinth, Carlo Mense, Max Pechstein und Willi Schmid im Eigentum der Dresdner Bank wurden nicht verkauft und gelangten daher als Teil des Konvolutes an Preußen bzw. die Nationalgalerie Berlin. Auch diese Werke können sowohl im überlieferten Inventar des Sammlers als auch in der Datenbank „German Sales“ eindeutig identifiziert werden.

Trotz Schwächen bei der Identifizierung kleinerer Bankengagements bildet diese Studie einen Grundstein der Erforschung von Kunstwerken und Konvoluten, die als Kreditsicherheiten hinterlegt worden waren und im Zuge der Weltwirtschaftskrise zu einem Risikofaktor für die Banken wurden.

Anmerkungen:
1 Grundlegend dazu: Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.), Die Dresdner Bank im Dritten Reich. 4 Bände, München 2006.
2 Vgl. Anja Heuß, Die Auflösung der Sammlung Hohenzollern-Sigmaringen, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen des Landes Baden-Württemberg 50, 2013/14. S. 47–58.
3 Vgl. Anja Heuß, Die „Arisierung“ der Galerie Heinemann, Nürnberg 2012. Dazu auch die Datenbank der Galerie Heinemann: http://heinemann.gnm.de/de/literatur.html (02.03.2018).
4 Von der Autorin werden diese Kreditsicherheiten als „stille Reserven“ bezeichnet; tatsächlich handelte es sich aber eher um versteckte Verluste, da der Marktwert der Kunstwerke durch die Weltwirtschaftskrise massiv gesunken war.

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