Rez. ASN: M. Clinton: Revolutionary Nativism

Titel
Revolutionary Nativism. Fascism and Culture in China, 1925–1937


Autor(en)
Clinton, Maggie
Erschienen
Durham, NC 2017: Duke University Press
Anzahl Seiten
XI, 280 S.
Preis
$ 99.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Hausmann, SFB 1095 "Schwächediskurse und Ressourcenregime", Johann-Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main

Der Faschismus in China ist bisher vergleichsweise wenig untersucht worden. Die beiden neuesten Monographien zum Thema von Frederic Wakeman und Chung Dooeum1 widmen sich hauptsächlich den politisch-organisatorischen und sozialen Aspekten, vernachlässigen aber die faschistische Kultur. Daneben sind in den letzten Jahren Studien zum außereuropäischen Faschismus erschienen, besonders zu Japan2 oder auch zu Argentinien.3 In diesem doppelten Sinne ist Maggie Clintons Revolutionary Nativism ein willkommener Beitrag zur Geschichte Chinas unter der nationalistischen Guomindang (Nationalpartei) in der Ära Chiang Kai-sheks und zur Debatte über den internationalen Faschismus.

Methodisch und inhaltlich folgt Clinton einem kulturwissenschaftlichen Ansatz poststrukturalistischer Prägung, und sie konzentriert sich auf eine Gruppe von Intellektuellen und deren Ideen. Ihre Darstellung wirkt essayistisch und ist gut lesbar. Leider führt dieser Stil manchmal zu Wiederholungen oder Abschweifungen. Nichtsdestotrotz ist ihre Arbeit eine weiterführende Interpretation der sogenannten CC-Clique, der Blauhemden und der Bewegung für Neues Leben im China der 1920er- und 30er-Jahre. Was das Quellenmaterial betrifft, so liegt Clintons Hauptbeitrag in der Auswertung faschistischer Zeitschriften. Vorrangig geht es der Autorin jedoch um eine neue Interpretation des Faschismus in China, die sie mit dem Konzept des revolutionary nativism auf den Punkt bringt.

Revolutionary nativism versteht Clinton als eine Reaktion auf die 4.-Mai-Bewegung von 1919 und vor allem gegen deren Forderung, China müsse sich von seiner Vergangenheit vollständig lösen, um sich modernisieren zu können. Vor allem aber habe sich revolutionary nativism gegen den damals aufkommenden Kommunismus gerichtet. So positioniert Clinton den chinesischen Faschismus als Alternative zu Liberalismus und Kommunismus. Sie betont dessen revolutionären Charakter, nämlich als Versuch, einen radikalen kulturellen Wandel herbeizuführen und das urtümliche Wesen der chinesischen Nation wiederzubeleben. Hier ist die Bezugnahme auf Roger Griffin unschwer zu erkennen.4 Wie Griffin betont Clinton die kulturellen Aspekte des Faschismus und wendet sich gegen im weiten Sinne sozialwissenschaftliche Interpretationen. Im chinahistorischen Kontext grenzt sie sich vor allem von der sozialgeschichtlichen Forschung von Frederic Wakeman ab, der unter nativism einen Gegenbegriff zum Faschismus versteht5 und der der Ideologie des chinesischen Faschismus die Authentizität absprach.

Im ersten Kapitel steckt Clinton den sozialen und institutionellen Rahmen für die folgende Untersuchung ab. Sie führt hier die wesentlichen Gruppierungen innerhalb von Partei und Staat ein: die sogenannte CC-Clique um die Brüder Chen Guofu und Chen Lifu sowie die „Blauhemden“, ein Sammelbegriff für die um die geheime Gesellschaft zum Tatkräftigen Handeln (Lixingshe) angeordneten Kern- und Frontgruppen, wie etwa die Renaissancegesellschaft (Fuxingshe) oder Jugendorganisationen. Die CC-Clique war eine amorphe Gruppe, die ihren Einfluss auf die Politik seit ungefähr 1929 immer weiter ausdehnen konnte. Der Wirkungszeitraum der Blauhemden reicht von der Gründung der Lixingshe am 18. September 1931 bis zu ihrer Auflösung 1938. Clintons Hauptpunkt ist jedoch, dass diese zwei Gruppen eine relativ einheitliche Kulturpolitik in verschiedenen Zeitschriften zum Ausdruck brachten, wie in „Neues Leben“ (Xinshengming), „Kulturaufbau“ (Wenhua jianshe), „Eisen und Blut“ (Tiexue yuekan) oder „Zukunft“ (Qiantu). Deren Ästhetik war industriell, geometrisch und modern. Sie forderten eine Wiederbelebung des chinesischen Wesens, verlangten, dass die Drei Volksprinzipien des Parteigründers Sun Yat-sen (1866–1925) umgesetzt würden, und begeisterten sich für Körper, Sport, Technik, den Nationalsozialismus und den italienischen Faschismus. Im Allgemeinen vertraten sie eine chinesische Variante des globalen Faschismus. Ein kleiner Makel dieses Kapitels, der einen Schatten auch über die restliche Darstellung wirft, ist Clintons Hang, die inneren Verwerfungen faschistischer Gruppen zu glätten, im Gegensatz zu den von Wakeman so betonten Fraktionsstreitigkeiten.

In den Kapiteln zwei bis fünf geht Clinton dann auf verschiedene Aspekte dieser faschistischen Kultur ein, nämlich die revolutionäre Restauration des nationalen Geistes (Kapitel 2), die Wahrnehmung und Behandlung des kommunistischen Feindes (Kapitel 3), die Mobilisierungsversuche durch an die Massen gerichtete Kulturprogramme und Propaganda (Kapitel 4) und schließlich die Versuche, eine spezifisch faschistische Kultur in Literatur und Film zu etablieren (Kapitel 5). Das von Clinton analysierte empirische Material hier zu diskutieren, übersteigt schnell den Rahmen dieser Rezension, aber in allen Kapiteln wiederholen sich bestimmte Themen: die revolutionäre Ideologie, das Wiederbeleben des urtümlich chinesischen Geistes, die Verbreitung einer moralistischen Alltagsdisziplin, propagandistische Einflussnahme und „Umerziehung“, die oftmals in eine Metaphorik gekleidete Forderung nach nationaler Einheit, die Absage an den Klassenkampf, der Ausschluss und die Bekämpfung von „Anderen“, eine anti-imperialistische Agenda (auch gegenüber Japan), und schließlich das Austragen des faschistischen Kampfes auf der Ebene der Kultur, also in Zeitschriften, durch Bücher, mit Hilfe von Filmen usw.

In der Schlussfolgerung problematisiert Clinton, wie gescheiterte Faschismen zu analysieren sind. „Erfolg“ oder besser gesagt die tatsächliche Grausamkeit, der Massenmord, die Unterdrückung und die totale Herrschaft des Faschismus sind in ihren Augen keine guten Kriterien dafür, ob eine Bewegung oder eine Ideologie faschistisch war oder nicht. Vielmehr stellt Clinton das kulturelle faschistische Erbe in den Vordergrund. Dieses ist nämlich bis heute einflussreich geblieben. Chiang Kai-shek und Chen Lifu haben Taiwan nach dem Rückzug der Guomindang nach Taiwan im Jahre 1949 maßgeblich geprägt. In Auseinandersetzung mit der VR China in den 1960er- und 70er-Jahren gab es immer wieder Bemühungen, die nach Clinton stark an die 1920er- und 30er-Jahre erinnerten. Seit den 1980er-Jahren schwappte solches Gedankengut immer mehr auf das chinesische Festland über. Faschismus in der chinesischen Geschichte ernst zu nehmen, rückt also nicht nur die Gegenwart in ein neues Licht, sondern Clinton distanziert sich auch von der dominanten Interpretation aus der Zeit des Kalten Krieges, die faschistische Tendenzen in Asien eher verharmloste.

Eine Schwäche des Buches ist der unklare Faschismusbegriff. Es hätte Clintons Werk nicht geschadet, die Forschung zum Faschismus gründlicher zu berücksichtigen. Kenner dieser Literatur werden einige Themen vermissen, wie zum Beispiel Mythenbildung, die jeweils verschiedenen Vorstellungen des Lebensraums, und auch die Ideologie des „neuen Menschen.“ Es ist außerdem bedauerlich, dass wenig explizite Vergleiche gezogen werden, und vor allem, dass Clinton globale Transfers weitgehend außer Acht lässt.

Die aus chinahistorischer Perspektive wohl bedenklichste Unklarheit ist sowohl stilistischer als auch inhaltlicher Natur. Clintons Analyse bewegt sich eng in ihrem selbst gesteckten zeitlichen Rahmen und bietet keine tiefere historische Analyse an. Nicht selten ist in ihrer Darstellung nur verschwommen zu erkennen, wer spricht – paraphrasiert sie gerade Quellen oder spricht sie als Historikerin? Dies liegt in Teilen am großzügigen Umgang mit Fußnoten; zum Teil aber auch daran, dass nicht immer klare sprachliche Marker eigene Urteile von Paraphrasen unterscheiden. Kritisch ist hier, dass Clinton in Teilen eine Rhetorik der Quellen reproduziert. Diese „konfuzianisierten“ beispielsweise die gesamte chinesische Vergangenheit, sei sie tatsächlich konfuzianisch oder nicht, und Clinton grenzt sich zu selten kritisch davon ab.

Der Gesamteindruck von Clintons Buch ist gemischt. Einerseits gelingt ihr ein konziser und gut lesbarer Überblick von faschistischen oder faschismusnahen Konzeptionen von Kultur im China der 1930er-Jahre. Auf der anderen Seite sind ihre Ausführungen aus chinahistorischer Perspektive sowie in Bezug auf die Forschung zum internationalen Faschismus weniger geglückt, vor allem, weil ihre Arbeit in diesen Hinsichten zu stark vereinfacht und einige Bezüge schlicht unbeachtet lässt. Eine Spezialistin für die Geschichte Chinas wird wenig Unbekanntes erfahren, während eine Spezialistin für die Geschichte des Faschismus Clintons Ausführungen mit ein wenig Skepsis begegnen sollte.

Anmerkungen:
1 Frederic Wakeman, Spymaster. Dai Li and the Chinese Secret Service, Berkeley, CA 2003; Chung Dooeum, Elitist Fascism. Chiang Kaishek's Blueshirts in 1930s China, Aldershot 2000.
2 Reto Hofmann, The Fascist Effect. Japan and Italy, 1915–1952, Ithaca 2015; Janis Mimura, Planing for Empire. Reform Bureaucrats and the Japanese Wartime State, Ithaca 2011.
3 Federico Finchelstein, Transatlatic Fascism. Ideology, Violence and the Sacred in Argentina and Italy, 1919–1945, Durham 2010.
4 Roger Griffin, The Nature of Fascism, London 1991.
5 Wakeman, Spymaster, S. 52.

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