Cover
Titel
Thought Crime. Ideology and State Power in Interwar Japan


Autor(en)
Ward, Max
Reihe
Asia-Pacific
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 294 S.
Preis
$ 27.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Till Knaudt, Institute for Research in the Humanities, Kyoto University

Tenkō, die politische Konvertierung inhaftierter Mitglieder der verbotenen Kommunistischen Partei Japans (KPJ) zu Unterstützern des japanischen Faschismus in den 1930er-Jahren, ist eine politische Hypothek. Sie hat die Auseinandersetzungen in der japanischen Linken auch in der Nachkriegszeit weiter geprägt. Nachdem zwei Mitglieder der Parteiführung im Sommer 1933 aus dem Gefängnis heraus die Taktik der Kommunistischen Internationalen öffentlich kritisiert und ihre Unterstützung für die militärische Expansion des japanischen Kolonialreiches in Nordostchina öffentlich gemacht hatten, wandte sich der Großteil der Parteimitglieder von der KPJ ab und dem japanischen Kaiserstaat zu. An dieses historische Ereignis anknüpfend bearbeitet Max Ward mit Thought Crime das Thema tenkō neu, indem er sich mit der staatlichen Bekämpfung von „Gedankenverbrechen“ (shisō hanzai) im Zuge des „Gesetzes zur Aufrechterhaltung der Öffentlichen Sicherheit“ (Chian ijihō, ab hier „Sicherheitsgesetz“) von 1925 und der „Rehabilitierung“ von Exkommunisten durch staatlich geförderte Institutionen beschäftigt. Max Wards Buch ist nicht nur deshalb eine willkommene Intervention in die Geschichte Japans der 1930er-Jahre, da im englischen Sprachraum zu tenkō zum letzten Mal vor knapp 30 Jahren monographisch publiziert worden ist, sondern auch, weil diese Episode ansonsten vornehmlich a posteriori zur Erklärung der Niederlage der japanischen Vorkriegslinken untersucht wurde. Ward invertiert nun die Perspektive und untersucht kritisch den Erfolg der „ideologischen Staatsapparate“ (Althusser) in der Umerziehung von Kommunisten zu kaiserlichen Untertanen.

Thought Crime ist in drei größere Abschnitte gegliedert. Die ersten beiden Kapitel beschäftigen sich mit der Genese und Revision des Sicherheitsgesetzes. In den zwei folgenden Kapiteln liegt der Schwerpunkt auf den Rehabilitationszentren, vor allem der „Reichserneuerungsgesellschaft“ (Teikoku kōshinkai), wobei Ward auch auf die Verschärfung des Sicherheitsgesetzes eingeht. Zum Schluss zeigt der Autor am Beispiel der „Ausstellung zum Gedankenkrieg“ (Shisōsen tenrankai) 1938, wie das System der Rehabilitation von Gedankenverbrechern als Modell der gesamtgesellschaftlichen Mobilisierung der japanischen Bevölkerung für den Krieg in Asien angewandt wurde.

Die Zielsetzung des Sicherheitsgesetzes war den Akteuren der Bürokratie und der Legislative völlig klar. Das Gesetz sollte als legales Instrument zur Unterdrückung der kommunistischen und antikolonialen Bewegungen in Japan und Korea dienen, die nach der Revolution in Russland 1917 und der Annektion Koreas 1910 in Japan virulent wurden. Allerdings wurde das Sicherheitsgesetz auch zu einem Vehikel, um die essentielle Bedeutung „kaiserlicher Souveränität“ zu klären, und somit Ambiguitäten in der Genese dieser kaiserstaatszentristischen Ideologie zu überwinden (S. 22). So bedienten sich die staatlichen Akteure des diffusen Begriffs kokutai, 1925 vom Innenministerium mit dem deutschen Begriff „Staatsform“ gleichgesetzt, um auf ideologische Angriffe gegen die Institution der „ungebrochenen Linie der Kaiserherrschaft“ (bansei ikkei) zu reagieren (S. 28). Obwohl die ersten Entwürfe eines „Radikalengesetzes“ seit 1921 zunächst auf die Kontrolle von Kommunismus und Anarchismus abzielten, schienen die Ministerialbürokraten mit der Definition der beiden Strömungen größte Schwierigkeiten gehabt zu haben. Der Begriff kokutai wurde dann aber gerade wegen seiner Ungenauigkeit bevorzugt, da er nur auf die Verfassung des Kaiserstaates, und nicht auf seine konkrete Regierungsform zu verweisen schien (S. 43 und 44). Insofern ist Wards Feststellung, der Legislative sei der Begriff kokutai „völlig unklar“ gewesen (S. 46), nicht ganz überzeugend, da es die bewusste Uneindeutigkeit und unklare juristische Definition von kokutai als Strategie in der Bekämpfung von politischen Gegnern ignoriert.

Nach der Einführung des Sicherheitsgesetzes 1925 wurde die Behandlung von „Gedankenverbrechen“ auch durch Reformprozesse im japanischen Justizsystem beeinflusst. Dabei versteht Ward den Wandel von „Repression zu Rehabilitierung“ nicht als „uni-linearen Übergang von Repression zu Reformierung“ japanischer Kommunisten, sondern als „duale Konfiguration von Repression mit Reform innerhalb des Apparats des Sicherheitsgesetzes“ (S. 75). Die Akteure dieser repressiven Reformen waren Staatsanwälte wie Hirata Isao im Bezirksgericht Tōkyō, oder Reformbürokraten im Justizministerium. Ward nutzt Foucaults Konzept der Disziplinarmacht, um die Justizreformen der 1930er als staatliche Disziplinierungsmaßnahmen zu verstehen, die mit physischer Unterdrückung durch die Sonderpolizei zur Sicherung des modernen Staates einhergingen (S. 54).

66.000 „Gedankenverbrecher“ wurden bis 1941 verhaftet. Weiter wurde 1928 die Todesstrafe als mögliche Strafform dem Gesetz angefügt. Zur gleichen Zeit wurden die ersten Kommunisten von der Tokioter Staatsanwaltschaft dazu bewegt, die Politik der Komintern öffentlich zu kritisieren. In den frühen 1930er-Jahren wurden Reformen des Jugendstrafrechts auch auf die inhaftierten Kommunisten ausgeweitet, die nun entweder auf Bewährung freigelassen wurden, oder deren Anklage ausgesetzt wurde, und die sich unter Überwachung eines Bewährungshelfers (kansatsukan) rehabilitieren konnten (S. 72 und 73). Da nun nicht mehr die Tat bestraft wurde, sondern das vermeintlich falsche Leben des Gedankenverbrechers, sieht Ward hier „eine Vermittlung zwischen dem souveränen Geist (souvereign ghost) des Staatsapparats und des Geistes der Konsequenz (corollary ghost) eines idealen kaiserlichen Untertans“ (S. 75).

Umgesetzt wurde die Schaffung des Untertanen durch Institutionen wie die „Reichserneuerungsgesellschaft“ (Teikoku kōshinkai), eine private Stiftung, die sich der Rehabilitation von Straftätern, wie den „Gedankenverbrechern“, widmete und die Bekehrungsschriften von politischen Konvertierten (tenkōsha) publizierte. Mit Althussers Theorie vom „ideologischen Staatsapparat“ betont Ward die ideologische Praxis von Organisationen wie die Reichserneuerungsgesellschaft, die er als „zerstreute Orte der ideologischen Vermittlung zwischen dem kaiserlichen Staat, einzelnen Häftlingen und der breiteren Gemeinschaft“ versteht (S. 88). Dieser ideologische Staatsapparat war die politische Praxis, in der sich der „Geist der imperialen Subjektivität manifestierte“ (S. 110).

In den frühen 1930er-Jahren wurde mit dem gleichzeitigen Ausbau von Rehabilitationszentren die politische Konvertierung unter die volle Kontrolle des imperialen Staates gestellt. Politische Äußerungen der Konvertierten sollten sich nun auf die „nichtrevolutionäre allmähliche Veränderung der Gesellschaft, die auf dem Japanischen Geist basierte“ berufen (S. 125). Gleichzeitig arbeitete der Staat seit 1932 an einer Überarbeitung des Sicherheitsgesetzes, um Rehabilitationsprozesse zu kontrollieren und durch „präventive Haft“ den Rückfall oder offene Ablehnung von politischer Konvertierung zu verhindern (S. 135). Mit dem Beginn der Invasion in China im Juli 1937 verschoben sich die Ziele der Rehabilitation von „Gedankenverbrechern“. Von den Konvertierten wurde nun erwartet, proaktiv die Kriegsanstrengungen zu unterstützen (S. 148). Dies ging so weit, dass Konvertierte in die besetzten Gebiete geschickt wurden, ein Umstand, dem Ward leider nicht weiter nachspürt (S. 154). Der Höhepunkt der Verbindung von nationaler Mobilisierung und Rehabilitation ist für Ward die „Ausstellung zum Gedankenkrieg“ (Shisōsen tenrankai) 1938, die über eine Millionen Besucher/innen angezogen haben soll. Hier konnten sich die Überwachungsorgane zur Rehabilitation der „Gedankenverbrecher“ „das Bild des Kaiserstaats von einem Apparat, der unerschütterlich [die Nation] gegen gefährliche Gedanken aus dem Ausland verteidigt, zu einem wohlwollenden Anleiter zur Rückgewinnung der eigenen imperialen Subjektivität transformieren“ (S. 172). Mit der erneuten Revision des Sicherheitsgesetzes 1941 rückte der Gedanke der Rehabilitierung in den Hintergrund, da sich das Gesetz nun auch gegen nichtkommunistische politische Gegner richtete (S. 174). Hier ist jedoch zu hinterfragen, ob nicht die Gedankenkrieg-Ausstellung schon ein Zeichen eines politischen Wandels war, in dem die „zivile“ Bekämpfung des Kommunismus gegenüber der militärischen Abwehr in den Hintergrund gerückt wurde. Auch wenn Ward die Exponate, die explizit über die Rehabilitationszentren berichteten, als „zentral“ (center stage) bezeichnet, scheint sich im Gegenteil der größte Teil der Ausstellung mit der positiven Darstellung des „japanischen Geistes“, des Antikominternpakts, des Kriegs in Spanien, und eben vor allem mit der Warnung vor feindlicher Propaganda aus China, der Sowjetunion und dem japanischen Reich befasst zu haben.

Mit Thought Crime hat Max Ward ein sehr wichtiges Buch geschrieben, dass Studierende und Forschende der politische Geschichte Japans in den 1920er- und 1930er-Jahren zur Kenntnis nehmen müssen. Auch wenn stellenweise die Theorieeinlassungen die spannende Quellenarbeit überdecken, ist das Argument, dass tenkō als gesamtgesellschaftliche ideologische Praxis zu verstehen ist, voll überzeugend. Zu hinterfragen bleibt jedoch, ob Ward nicht stellenweise den Bogen überspannt und in der Ablehnung eines Extrems, der Perspektive der japanischen akademischen Linken in der Nachkriegszeit als moralische Niederlage von Individuen, in das andere Extrem wechselt, nämlich in ein Narrativ der unausweichlichen Übermacht des Staats und der „institutionellen Staatsapparate“. Sein Ansatz, der sich auf Japan als Bezugsraum beschränkt, erklärt nicht, warum trotz eines identischen Disziplinierungsapparats die 1938 verhafteten linksozialistischen Aktivisten im Vergleich zu den KPJ-Mitgliedern viel seltener konvertierten. Wie einfach war die Konversion, überspitzt formuliert, von Stalin zum Shōwa-Kaiser? Es bleibt also offen, ob tenkō als Praxis wirklich getrennt von der politischen Ideengeschichte linker Akteure und ihrer Bewegung in den 1930er- und 1940er-Jahren verstanden werden kann.