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Titel
Die Religion der Römer. Eine Einführung


Autor(en)
Rüpke, Jörg
Erschienen
München 2001: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard Linke, Institut für Geschichte, Philosophische Fakultät, Technische Universität Dresden

Nach langen Jahren einer Existenz im Schatten anderer Forschungsinteressen zieht die römische Religion seit einiger Zeit wieder verstärkte Aufmerksamkeit auf sich. Bis vor kurzem dominierten im deutschsprachigen Raum in einer fast monopolartigen Weise die Darstellungen von Georg Wissowa und Kurt Latte die Sicht auf das sakrale Leben der Römer. Während das Handbuch von Wissowa, das bis heute in vieler Hinsicht seine Bedeutung behalten hat, auf den Entwurf einer Synthese 'der römischen Religion' abzielte, bei dem Veränderungen nur in einem relativ bescheidenen Maße als Vorstufen bzw. 'Dekadenzerscheinungen' wahrgenommen wurden, wollte Latte diese Herangehensweise durch die Rekonstruktion von Entwicklungslinien ersetzen, die sich gerade auf die unterstellten Veränderungen im Laufe der Zeit konzentrierte. Beiden gemeinsam war die Prioritätensetzung auf die Darstellung der göttlichen Wesen und ihrer Wirkungsformen in der menschlichen Sphäre.

Die Differenz zu diesen früheren Ansätzen wird bei Rüpke schon nach flüchtiger Lektüre des Inhaltsverzeichnisses deutlich. Eine Rubrik zu 'den' römischen Göttern und ihren Wirkungsbereichen wird man vergebens suchen. Statt dessen ist der Aufbau der Arbeit von Kategorien wie 'soziale Ordnungen', 'Rituale' oder 'Orientierung' geprägt. Der Hintergrund für diesen Wechsel in der Betrachtungsweise wird von Rüpke selbst in einem einleitenden Kapitel erläutert: "Religion als handelndes Antworten des Menschen auf den Anruf des 'Heiligen', als Erfahrung von 'Numinosem', 'Macht' oder dergleichen zu beschreiben, ist geschichtlich gesehen lediglich der Versuch, in der Definition Gott, das Ziel christlicher Verehrung, durch einen weniger spezifisch christlichen Begriff zu ersetzen" (S. 12). Durch die Einbettung seiner Darstellung in ein Konzept, das von dem 'selbstverständlichen', dem 'kollektiven' und dem 'öffentlichen' Charakter der römischen Religion ausgeht, möchte Rüpke diese künstliche Christianisierung antiker Religiösität vermeiden.

Ausgangspunkt seiner Rekonstruktion bildet ein Kapitel, das die historischen Grundlagen für die Entfaltung der römischen Religion knapp skizziert (S. 46-66). Schon in diesem Abschnitt wird deutlich, daß Rüpke sich primär auf die Epoche der römischen Republik als zeitlichen Hintergrund für seinen Entwurf konzentriert. Der erste thematische Hauptabschnitt widmet sich den 'Strukturen' der römischen Religion (S. 67-136). Unter dieser Überschrift untersucht der Autor zunächst die allgemeinen Aspekte der Konkretisierung von Göttern in einer polytheistischen Religion (S. 67-85). Fragen nach Kultbild und Praxis, nach Sterblichkeit und Unsterblichkeit sowie nach den Wesenszügen pluraler Gottesvorstellungen werden dabei aufgeworfen und Erklärungsperspektiven skizziert. Danach erörtert Rüpke die Problematik der Rituale in einer handlungsorientierten Religion (S. 86-118). Überzeugend kann er darlegen, daß beim Vollzug der Rituale weniger die Deutung des rituellen Hintergrundes durch die Teilnehmer entscheidend war als vielmehr die durch das rituelle Handeln gegebene Verknüpfung religiösen Erlebens mit anderen Faktoren des sakralen Zeichensystems, das die modernen Forscher als römische Religion bezeichnen. Unter der Überschrift 'Nachdenken über Religion' werden zum Abschluß des ersten Hauptteils antike Konzeptionalisierungen der römischen Religion skizziert (S. 119-136).

Der zweite Hauptteil untersucht die 'Leistungen' der römischen Religion (S. 137-197). Dabei behandelt Rüpke zunächst das Verhältnis von Göttern und Menschen bei der Inszenierung und im Ablauf von Opfern und sakralen Banketten, wobei er ausdrücklich darauf hinweist, daß die Durchführung von Tieropfern nicht nur als religiöses Phänomen gedeutet werden kann, sondern sehr wohl auch eine reale Verwurzelung und enge Wechselbeziehung zu den agrarischen Grundlagen der jeweiligen Gesellschaft besitzt, die man nicht unterschätzen sollte (S. 137-153). Nach diesen Betrachtungen zu den ordnungsstiftenden Aspekten der Religion in der Opferhandlung analysiert Rüpke Spannungsfelder, die sich bei der Etablierung einer religiös fundierten Ordnung ergeben können und entweder durch Gelübde 'entstört' oder aber durch die Verfluchung anderer mit Hilfe magischer Handlungen sogar provoziert werden können (S. 154-171). Formen der räumlichen Orientierung in Gestalt der Sakraltopographie (S. 172-182) und die zeitliche Strukturgebung durch die sakralen Kalender (S. 183-197) bilden die weiteren Faktoren, mit denen die Religion dem gemeinschaftlichen Zusammenleben unabdingbare Ordnungskategorien zur Verfügung stellt.

Im dritten Hauptteil zielt der Autor darauf ab, die Religion in die soziale Wirklichkeit, wie sie uns aus der lückenhaften Überlieferung entgegentritt, einzubetten (S. 199-226). Vor allem anhand der engen Verwobenheit zwischen religiösem Kult und der Organisation von 'Vereinen' ganz unterschiedlicher Zielsetzung, die insbesondere in der römischen Oberschicht auf intensives Mißtrauen stieß, spürt Rüpke der sozialen Realität der römischen Religion nach (S. 199-208). Die Betonung der Vielfalt religiöser Spezialisten in Rom und deren ganz unterschiedlicher Aufgabenstellungen, die nach der Überzeugung des Autors die von der Oberschicht konstruierten Grenzen bewußt überschreiten mußte, bildet den thematischen Schlußpunkt des Buches (S. 208-226). An abschließende Bemerkungen zu den Schwierigkeiten einer modernen Erfassung des religiösen Lebens in der Antike schließen sich eine bibliographische Übersicht (S. 237-247) und verschiedene Indices an.

Das Buch von Rüpke bietet einen interessanten und facettenreichen Einblick in die religiöse Sphäre der Römer und deren gesellschaftliche Verankerung. Es ist gut geschrieben und zielt in seiner konzeptionellen Struktur auch auf fachfremde Leser. So werden in der Regel allgemeine Analysen durch die Interpretation einzelner Textstellen, die in Übersetzung vorgestellt werden, vorbereitet. An vielen Stellen überschreitet der Autor auch den rein antiken Horizont und zieht ethnologischen und anthropologische Kategorien als erweiterten Vergleichsmaßstab heran, um auf diese Weise seine Aussagen zur römischen Kultur in eine weitere Perspektive einzubetten. Mit Hilfe dieser anspruchsvollen Kombination aus detaillierten Analysen und allgemeinen Überlegungen bringt der Autor der Leser das Phänomen der römischen Religiösität näher, ohne auf die früher üblichen formalen Systematisierungen zurückgreifen zu müssen.

Gerade diese komplexe Herangehensweise macht es aber dem Leser nicht immer leicht. Natürlich zeigt schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis, daß die Intention des Buches nicht auf eine kompendienartige Darstellung von sog. Handbuchwissen abzielt, sondern eher schwerer greifbare, gelebte Strukturen der religiösen Wirklichkeit erfassen möchte. Ob für die Erreichung dieses Zieles aber wirklich der weitgehende Verzicht auf die Darstellung derjenigen Elemente in der römischen Religion notwendig ist, die uns in systematisierter Form bei staatlichen Handlungen begegnen, scheint zumindest diskutabel zu sein. Rüpke glaubt, daß diese Aspekte sich im Laufe der historischen Entwicklung so weit von der religiösen Wirklichkeit der breiten Bevölkerungsmehrheit entfernt haben, daß sie letztlich nur noch 'Privatreligion' der römischen Führungsschicht wurden: "Die <Staatsreligion> der durch das neunzehnte Jahrhundert geprägten Religionsgeschichten hat sich einmal mehr als <Privatreligion> der Führungsschicht entpuppt, die ihr soziales Prestige gerade durch politische Funktionen definiert" (S. 146).

So richtig die Erweiterung des Blickfeldes über die rein staatliche Ebene der Religionsausübung ist, so diskussionswürdig scheint die Reduzierung dieser Elemente auf ein reines Oberschichtenphänomen. Die religiösen Inszenierungen der Oberschicht im öffentlichen Raum hätten mit Sicherheit nicht diese Bedeutung erlangen und behalten können, wenn sie zu einem von der religiösen Wirklichkeit der Masse der Bürger lösgelösten Religionssystem geworden wären. Religion und 'Existenz als Bürger' waren in Rom untrennbar verbunden, wie vielfältige Untersuchungen in der neueren Forschung eindrucksvoll belegen. Auch wenn also die 'offizielle Religion' im Alltag eine deutlich geringe Rolle gespielt haben mag, als dies früher angenommen wurde, so sollte man doch nicht ihre Bedeutung als kollektives Deutungs- und Orientierungssystem für die gesamte Bürgerschaft unterschätzen.

Trotz dieser Einwände ist unbestreitbar, daß Rüpke mit seinem Buch eine anregende Darstellung der Thematik vorgelegt hat, die den Leser durch vielfältige innovative Deutungen zum Nachdenken über die Fragestellungen anregt.

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