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Titel
Bilder als Botschaft. Bildstrukturen deutscher Illustrierter 1905–1945 im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Publikum


Autor(en)
Dussel, Konrad
Erschienen
Anzahl Seiten
551 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maren Tribukait, Georg-Eckert-Institut - Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, Braunschweig

Mit seiner Studie „Bilder als Botschaft. Bildstrukturen deutscher Illustrierter 1905–1945 im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Publikum“ hat sich der Mannheimer Medienhistoriker Konrad Dussel an eine Gesamtschau der deutscher Illustrierten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herangewagt. Ausgehend von dem Gedanken, dass nicht das einzelne Schlüsselbild für die Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert prägend war, sondern „die massenhafte Zunahme des Durchschnittlichen, die steigende ganz alltägliche Bilderflut“ (S. 18) zielt das Werk darauf, das Gesamtangebot der Illustrierten zu erfassen und eben ihre „Bildstrukturen“ zu beschreiben. Dies soll allerdings nicht in eine „selbstgenügsame[…] Illustrierten-Geschichte“ (S. 21) münden, sondern im Rahmen einer Kulturgeschichte des Politischen geschehen. Daher richtet sich der Fokus der Untersuchung auf die Frage, wie die Illustrierten das Politische visualisiert haben und welche politischen Funktionen ihnen in den verschiedenen politischen Systemen des Untersuchungszeitraumes zukamen.

Die Studie zeichnet sich dadurch aus, dass sie kommunikationswissenschaftliche Ansätze für medienhistorische Fragen fruchtbar macht. Zum einen lässt sich Dussel vom Uses and Gratifications Approach leiten, der davon ausgeht, dass die Nutzung von Medien durch das Gesamtangebot eines Produkts motiviert wird und sich nach bestimmten psychologisch erklärbaren Mustern vollzieht. Zum anderen wendet Dussel – im Unterschied zu vielen deutschsprachigen medienhistorischen Studien, die mit qualitativen Methoden arbeiten – das Verfahren der quantitativen Inhaltsanalyse an, das zu seiner breit angelegten Fragestellung gut passt. Angesichts des langen Untersuchungszeitraums beschränkt er sich auf drei Illustrierte: die mit Abstand auflagenstärkste Berliner Illustrierte Zeitung (BIZ) aus dem liberalen Ullstein Verlag, die im Kaiserreich ebenfalls erfolgreiche Woche (Wo) aus dem konservativen Scherl-Verlag, die nach 1918 jedoch schrumpfte, und den 1926 gegründeten nationalsozialistischen Illustrierten Beobachter (IB), der sich erst nach 1933 großer Beliebtheit erfreute. Für die Inhaltsanalyse zieht er eine Stichprobe von jeweils drei Ausgaben im Frühjahr und Herbst jedes Jahrgangs, aus der sich ein Korpus von 30068 publizierten redaktionellen Bildern ergibt, die zum großen Teil Fotos, aber auch Gemäldereproduktionen, Schaubilder und Zeichnungen umfassen.

Bevor er zu den Ergebnissen der Inhaltsanalyse kommt, widmet sich Dussel den Kontexten der Illustrierten (Kapitel 2), der Anordnung der Bilder in den Illustrierten (Kapitel 3) und den Produzenten der Bilder (Kapitel 4). Kapitel 2 stellt den bekannten Forschungsstand zur Titel- und Auflagenentwicklung der Illustrierten bis 1945 sowie zu den sich stark verändernden bildpolitischen Rahmenbedingungen zwischen Kaiserreich und nationalsozialistischer Diktatur zusammen. Dabei betont Dussel die große Reichweite der Illustrierten, die um 1930 20 bis 30 Millionen Leser fanden, und die besondere Bedeutung der BIZ, die auch nach der „Arisierung“ des Ullstein Verlages unter anderen Vorzeichen als Marktführer erfolgreich blieb. In Kapitel 3 präsentiert er seine Untersuchungen zu Form und Aufbau der Hefte, zur Gestaltung der Titelseiten und zur Seitengestaltung im Innern vor, die im Ergebnis – nicht ganz überraschend – die Weimarer Republik als „Zeit der großen formalen Experimente“ (S. 158) in allen drei Illustrierten bestätigen. Ein prominenter Aspekt ist dabei die allmähliche Herausbildung der Fotoreportage seit Mitte der 1920er-Jahre, die auch im untersuchten Sample nachgezeichnet werden kann. Interessant ist der Blick über 1933 hinaus, der zeigt, dass sich Fotoreportagen von hoher ästhetischer und narrativer Qualität, wenn auch häufig mit propagandistischer Stoßrichtung, als feste Elemente in den Illustrierten etablierten, während formal-gestalterische Experimente zurückgingen und die Hefte im Ganzen ein ruhigeres Layout aufwiesen. In Kapitel 4 werden die Menschen hinter den Illustrierten beleuchtet. Die Zusammenstellung der biographischen Informationen führt dem Leser die harten Kontraste zwischen den Karrieren der Bildproduzenten in Weimarer Republik und Nationalsozialismus vor Augen: Während gefeierte Fotografen wie Erich Salomon und Yva von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet oder wie Martin Munkácsi ins Exil gedrängt wurden, nahmen junge Fotografen die Plätze ihrer Vorbilder ein und Heinrich Hoffmann brachte es zum Multimillionär. Der Bruch, den das Jahr 1933 für die Akteure auf einer existentiellen Ebene darstellte, bildet den Hintergrund, vor dem sich die von Kontinuitäten und Abwandlungen geprägte Entwicklung der Illustrierten nach 1933 abspielte.

Das Ziel der in den Kapiteln 4 und 5 folgenden Inhaltsanalyse ist zu ermitteln, wie ‚Politik’, verstanden als „Herstellung und Durchführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen“ (S. 22, Zitat von Barbara Stollberg-Rilinger), dargestellt wird, und darüber hinaus, wie das ‚Politische’ als offener Handlungsraum im gesamten Bildangebot der Illustrierten visualisiert wird. Dazu werden die Bilder ihrem inhaltlichen Schwerpunkt gemäß zunächst den Hauptkategorien „Politik“, „Bildung“ und „Unterhaltung“ zugeordnet, die alle in etwa ein Drittel der Gesamtmenge umfassen, um dann Differenzierungen innerhalb der Kategorien sowie Übergänge beschreiben zu können.

Ein wichtiges Ergebnis ist das hohe Maß an Personalisierung in der Kategorie „Politik“: 70% der etwa 4800 im engeren Sinne politischen Bilder zeigen aktive Politiker fast immer in einem direkten politischen Kontext. Die menschliche Seite von Politikern zu zeigen – gar im Rahmen von Homestorys –, war die große Ausnahme; dies gilt auch für Hitler, der vor allem als Staatsmann und Feldherr porträtiert wurde. Einen anderen Weg schlug nur der IB vor 1933 ein, der mit Bildern von großen Massen vielfach die NS-Bewegung ins Bild setzte, bevor er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu einer traditionellen Politik-Darstellung zurückkehrte. ‚Soziales’, eine Unterkategorie der „politischen“ Bilder, weist mit 5% einen geringen Anteil am Gesamtbildangebot auf, was die bekannte Kritik an den Illustrierten empirisch unterfüttert, gesellschaftliche Konflikte auszublenden. Die inhaltliche Analyse macht zudem deutlich, dass sich die meisten Bilder sozialer Probleme auch schon vor 1933 zum Teil mit negativem Akzent auf das Ausland bezogen und dann im Zweiten Weltkrieg zur Abwertung und Dämonisierung der Kriegsgegner eingesetzt wurden. Während sich hier also im konventionellen Bildprogramm der Illustrierten Anknüpfungspunkte für die propagandistische Nutzung im Nationalsozialismus aufzeigen lassen, unterstreicht die Untersuchung der begleitenden Texte die Unterschiede zwischen der Zeit vor und nach 1933: Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik lag der Anteil an wertenden begleitenden Texten in der BIZ und der Wo unter 10%, während er im IB bei über 50% lag; nach 1933 wurden BIZ und Wo dann agitatorischer und der IB nahm sich etwas zurück. Was die inhaltliche Ebene der Agitation betrifft, entspricht es den Erwartungen, dass im IB antisemitische Hetze ein wiederkehrendes Thema darstellte, überraschend ist dagegen, dass in der BIZ und der Wo im gesamten Sample nur 32 Bilder rassistisch und drei Bilder antisemitisch betextet wurden.

Im Hinblick auf die Fragestellung des Buches ist die Gewichtung der Bilder aus den Kategorien „Politik“, „Bildung“ und „Unterhaltung“ von Bedeutung: Politische Bilder hatten Konjunktur während der beiden Kriege – hier vor allem in der Unterkategorie „Militär und Krieg“ – und mit 20% den geringsten Anteil in den „Goldenen Zwanzigern“, in dieser Zeit erreichte der Anteil der unterhaltenden Bilder mit gut 40% den höchsten Wert. Bilder mit Bildungsthemen nahmen im Nationalsozialismus ab, dagegen blieb der Anteil unterhaltender Bilder, die fast zur Hälfte Witzzeichnungen ausmachten, recht hoch und betrug im Zweiten Weltkrieg noch 29% gegenüber 12% im Ersten Weltkrieg. Die Politisierung unpolitischer Bilder durch begleitende Artikel oder Bildunterschriften fand insgesamt nur in geringem Umfang statt. Vor 1933 profilierte sich hierbei nur der IB, im NS-Staat machten BIZ und Wo allerdings bei der ideologischen Kommentierung bisher politikfreier Themen aus Bildung und Unterhaltung mit. Ein weiteres von Patrick Rössler verfasstes Kapitel arbeitet schließlich die Unterschiedlichkeit der einzelnen Illustrierten heraus, indem er zeigt, dass sich die Berichtsanlässe der Bildbeiträge im gesamten Zeitraum in den drei Zeitschriften nur marginal überschnitten. Dies bedeutet, dass die Illustrierten auch im Nationalsozialismus trotz politischer Gleichschaltung über unterschiedliche Ereignisse berichteten und nur ganz selten dieselben Bilder zeigten, sodass der Eindruck einer vielfältigen Presselandschaft in der Diktatur aufrechterhalten wurde.

„Bilder als Botschaft“ stellt zweifelsohne einen Meilenstein in der Erforschung der Bildöffentlichkeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, der künftigen Studien als wertvolle Referenz dienen wird. Die interdisziplinäre Anlage der Studie, die kulturwissenschaftliche, medienhistorische und kommunikationswissenschaftliche Perspektiven zusammenführt, ist beeindruckend, auch wenn die Überlegungen zum Politischen noch etwas ausführlicher hätten ausfallen können. Die quantitative Untersuchung bestätigt manche bekannte These, darüber hinaus fügen sich die Befunde in Hinblick auf die Umformung der Illustrierten im Nationalsozialismus zu einem differenzierten Gesamtbild zusammen, das Aufschluss über Lenkung und Logik von Medien im Nationalsozialismus gibt: Während eine Vielfalt auf der Ebene der Berichtsanlässe, gestalterische Errungenschaften wie die Fotoreportage, die herkömmliche Politik-Darstellung und die bunte Mischung von Politik, Bildung und Unterhaltung beibehalten wurden, wurden zunehmend Wertungen wohldosiert beigemischt und gleichzeitig politikfreie Zonen des Humors geschaffen. Diese Bildstrukturen interpretiert Dussel nicht als Diktat aus dem Propagandaministerium, sondern als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen NS-Staat, linientreuen Verlagen und Lesern, die sich ja für den Kauf von Illustrierten entscheiden mussten. Dass die Illustrierten mit ihrer eher konventionellen Visualisierung des Politischen und dem beliebten Themenmix den Lesern ein Stück Normalität boten, das sie in Diktatur und Weltkrieg womöglich zuweilen vermissten, stellt eine zentrale durch den Uses and Gratifications Approach gestützte Erkenntnis der umfangreichen Untersuchung dar.

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