: Theodor Mayer. Ein Mittelalterhistoriker im Banne des "Volkstums" 1920–1960. Paderborn 2016 : Ferdinand Schöningh, ISBN 978-3-506-78264-9 311 S. € 39,90

: Hermann Kellenbenz 1913–1990. Ein internationaler (Wirtschafts-)Historiker im 20. Jahrhundert. Berlin 2017 : BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, ISBN 978-3-8305-3755-7 420 S. € 69,00

: Eine Karriere im Zeichen der Umbrüche. Der Historiker Martin Göhring (1903–1968) in seiner Zeit. Mainz 2018 : Franz Steiner Verlag, ISBN 978-3-515-11966-5 XIII, 334 S. € 42,00

Hruza, Karel (Hrsg.): Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3. Wien 2019 : Böhlau Verlag, ISBN 978-3-205-20801-3 627 S. € 90,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Berg, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München

Männer mittleren Alters, in Anzug und Krawatte. Weshalb man auch immer ein Buch zur Hand nehmen mag, der erste Blick fällt unweigerlich auf den Einband. Die hier besprochenen, drei historiographiegeschichtlichen Biographien zeigen (gleich dem ergänzend einbezogenen Sammelband), Porträts von Männern mittleren Alters, in Anzug und Krawatte. Offenbar die Berufsbekleidung professionell betriebener Wissenschaft im 20. Jahrhundert, als deren festliche Variante der von Theodor Mayer als Marburger Rektor zu Beginn der 1940er-Jahre präsentierte Talar gelten kann. Das Interesse an der biographischen Erschließung der Lebensläufe von Historikern (und gelegentlich Historikerinnen) ist ungebrochen. Dabei scheint, legt man die Abbildungen auf den Einbänden zu Grunde, die berufliche Persona allein von Interesse zu sein. Persönliche Aspekte der Lebensführung, individuelle Präsentationsformen bleiben unsichtbar. Allein die einzig abgebildete Frau, die österreichische Historikerin Lucie Varga, wird nicht in dieser Weise porträtiert, ihr Bild offeriert – mit nachdenklichem Blick – eine persönliche Note.

Was verbindet den Mediävisten Mayer, den Frankreich-Spezialisten Göhring und den Wirtschaftshistoriker Kellenbenz? Ihre Wirkungsphasen haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts überschnitten, können sie möglicherweise als Angehörige generationeller Prägegemeinschaften begriffen werden? Während eine Zuordnung des 1883 geborenen Mayers zur „Weltkriegsgeneration“ auf der Hand liegt (zumal Mayer tatsächlich Kriegsteilnehmer war), lädt eine Eingruppierung Göhrings (Jahrgang 1903) sowie des zehn Jahre jüngeren Kellenbenz zu weiteren Überlegungen ein. Die Geburtsjahrgänge lassen beide als Angehörige der „Kriegsjugendgeneration“ erscheinen, der durch das passive Erleben von Krieg und Kriegsniederlage eine verstärkte Tendenz zur politischen Radikalisierung in den 1920er-Jahren zugeschrieben wird. Sicher, Kellenbenz war am Kriegsende gerade einmal fünf Jahre alt, hingegen durchlebte Göhring seine Adoleszenz während der Krisenjahre der Weimarer Republik. Doch beileibe nicht jeder – wenn auch mancher unter den Studenten der Geschichte – verfiel der politischen Zuspitzung. Zugleich bot die Nachgeschichte des Krieges auch Jüngeren hinreichend Anstoß zur Eskalation. Ob aber generationelle Prägungen allein in der Jugend mit letzter Gültigkeit gestiftet werden? Gemeinsame Erfahrungen mit Bindekraft können wohl auch auf dem weiteren Lebensweg folgen.

Der nicht aus einer Akademikerfamilie stammende Göhring erlangte erst 1938 im damals als fortgeschritten geltenden Alter von 35 Jahren die Habilitation, konnte sich aber im NS-Staat mit einer außerordentlichen Professur an der Reichsuniversität Straßburg etablieren, um 1951 am Institut für Europäische Geschichte in Mainz eine höhere Position zu übernehmen. Zwar hatte sich Kellenbenz 1944 noch habilitieren können, jedoch unterband das Kriegsende weitere Karriereschritte. Erst 1960 gelangte er auf ein Ordinariat in Köln. Dieser für seine Alterskohorte nicht ungewöhnliche Verlauf der Nachkriegskarriere stützt Überlegungen einer differenzierten generationellen Zuordnung. Die Generation der im NS-Staat wie Göhring in der zweiten Reihe etablierten Historiker – später weitaus prominentere Vertreter waren Theodor Schieder oder Werner Conze – hat bereits vielfach im Fokus der Forschung gestanden.1 Doch prägte die folgende Generation, die wie Kellenbenz ihre wissenschaftliche Ausbildung zwischen 1933 und 1945 absolviert hatte, ohne bereits in feste akademische Positionen aufgestiegen zu sein, die Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik nachdrücklicher als es ihre marginale Beachtung in der Forschung vermuten ließe.

Während die Studien zu Göhring und Kellenbenz in klassischer Manier die Lebensjahre ihrer Protagonisten im Buchtitel vermerken, umreißt die Arbeit über Theodor Mayer mit der Angabe „1920–1960“ den Wirkungsrahmen ihres Gegenstandes – eines „Mittelalterhistoriker(s) im Banne des ‚Volkstums‘“. Ihr Verfasser Reto Heinzel ist bereits vor einigen Jahren mit vielversprechenden Beiträgen über Mayer, als führender deutschsprachiger Mediävist der 1930er- und 1940er-Jahre eine historiographiegeschichtliche Schlüsselfigur, in Erscheinung getreten. Nunmehr kann Heinzel die Fülle unterdes publizierter Studien überblicken und mögliche eigene Schlüsse aus dem Forschungsverlauf ziehen. Die Einleitung der Arbeit ist geprägt von diesem Anspruch, sie attestiert der biographischen Forschung zur deutschen Geschichtswissenschaft, den „methodologisch-theoretischen Herausforderungen freilich auf höchst unterschiedliche, nicht in jedem Fall restlos überzeugende Art und Weise“ begegnet zu sein. Leider fügt Heinzel dieser moderaten Kritik nicht hinzu, welche Ansätze in welcher Weise ihm ungenügend erscheinen. Sein Hinweis, Wissenschaft finde „nicht im luftleeren Raum“ statt, das „Bild des Forschers, der in stiller Abgeschiedenheit“ wirke, habe „wenig mit der Realität wissenschaftlicher Tätigkeit“ gemein, rennt ebenso seit langem weit offen stehende Türen ein wie der Allgemeinplatz, es handele sich bei der Biographie „um ein Genre voller Tücken“. Gleiches gilt auch für seinen Anspruch, bezüglich Mayer die „geläufige Trennung zwischen dem Wissenschaftler und der politisch denkenden Person“ zu durchbrechen. Natürlich, das sollte man tun (S. 12–14).

Was bietet Heinzel an? Ludwig Flecks Überlegungen zu „Denkstil und Denkkollektiv“ hebt er als Inspiration hervor, die konstitutive Phase wissenschaftlicher Sozialisation lege Grundlagen, in dem die „maßgeblichen wissenschaftlichen Standards vermittelt, ja eingeimpft werden“ (S. 15). Ein Ansatz, der Interesse weckt, zählt die wissenschaftliche Ausbildung doch zu den eher vernachlässigten Abschnitten der einschlägigen Biographien. Auch dieser Befund hat seine Gründe, ein Einblick in die Ausbildungswerkstatt fällt nicht immer leicht. Der Österreicher Mayer aber absolvierte zwischen 1903 und 1905 einen der Ausbildungskurse des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, erfuhr mithin eine geschichtswissenschaftliche Sozialisation, welche Heinzels erkenntnisleitende Fragen mit einer im deutschsprachigen Raum einzigartigen Institution konfrontiert. Leider – und angesichts der Einleitung erstaunlich – handelt Heinzel die wissenschaftliche Sozialisation Mayers auf wenigen Seiten ab, präsentiert überdies mit dem prägenden Einfluss von Alfons Dopsch eine „klassische“ Lehrer-Schüler-Beziehung (vgl. S. 32f.) Nur wenige Seiten darauf tritt der bereits 40-jährige Mayer 1923 ein Ordinariat an der Deutschen Universität in Prag an. Der Anspruch, Mayers wissenschaftliche Biographie zumindest teils aus seiner Sozialisation zu erklären, ist auf diese Weise kaum einzulösen.

Während die „Biographiewürdigkeit“ Mayers – zumal als Mittelalterhistoriker – keinen Zweifeln unterliegt, kreist die Studie zu Martin Göhring von der ersten Seite an um die Frage, ob dieser „Mann der zweiten Reihe“ eine solche Untersuchung wert sei. Heinz Duchhardt nähert sich seinem Gegenstand mit der Erfahrung einer langjährigen akademischen Karriere, deren Höhepunkt im Mainzer Institut für Europäische Geschichte sich mit der Laufbahn Göhrings überschneidet. Eine Konstellation, deren Erläuterung Duchhardt einige – man kann finden: zu viele – Worte widmet, immerhin liegt die etwaige Befangenheit klar auf der Hand. Weitaus stärker sät die dürftige Überlieferungslage (Duchhardt spricht explizit von „Quellenarmut“, S. 11) Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens. Es ist eine eindrucksvolle, jedem ein biographisches Projekt Erwägenden zur Lektüre empfohlene Auflistung dessen, was warum nicht da ist: kein wissenschaftlicher Nachlass (und der private nach dem Tod der Witwe entsorgt), kaum Korrespondenzen angesichts des „turbulenten Karriereverlaufs“. Was von der Bibliothek nicht als Kriegsverlust zu verbuchen war, wanderte nach dem Tod ins Antiquariat, kein Tagebuch, kein nennenswerter Schülerkreis sowie universitäre und andere berufliche Stationen, deren Archive schweigen. Zu guter Letzt noch eine „selbst den paläographisch geschulten Historiker“ überfordernde Handschrift (S. VII–IX).

Ohne theoretischen Überbau, aber mit Genauigkeit widmet sich Duchhardt dem Aufwachsen Göhrings bis zur ersten akademischen Qualifikation – mithin seiner Sozialisation. Eine für universitäre Laufbahnen jener Zeit sehr ungewöhnliche Herkunft aus einem „bäuerlichen Kleinbetrieb“ stand am Beginn. Erst die Unterstützung eines aufgeschlossenen Pfarrers und das württembergische Volksbildungswerk führten den Heranwachsenden auf den Pfad, der ihn – so entnimmt Duchhardt den Studien Wolfgang Webers – als einzigem (!) unter 650 untersuchten Ordinarien auf dem „zweiten Bildungsweg“ die Hochschulqualifikation erwerben ließ. Als nicht nur regional naheliegenden Studienort wählte Göhring zunächst Tübingen, wagte sich nach drei Semester allerdings an die Pariser Sorbonne. Ein ungewöhnlicher Schritt, der Französischkenntnisse von einigem Niveau verlangte und Göhrings historiographische Interessen nachhaltig prägen sollte. Zurück in Deutschland strebte Göhring eine Promotion mit einem Thema zur Französischen Revolution an und schloss dieses Vorhaben 1932 in Kiel bei Otto Becker ab. Duchhardts unaufgeregte, im besten Sinne „konventionelle“ Darstellung dieser in vielen Belangen ungewöhnlichen wissenschaftlichen Sozialisation gibt der Studie ein überzeugendes Fundament, blieb doch Göhring seine „Herkunft von ganz unten […] bis ans Lebensende sehr gegenwärtig“ (S. 16).

Der wissenschaftliche Lebenslauf von Hermann Kellenbenz hatte seinen zeitlichen wie sachlichen Schwerpunkt ganz zweifelsohne in der Bundesrepublik, jedoch absolvierte er seine Ausbildung einschließlich der Habilitation und erster beruflicher Positionen im NS-Staat. Die von Jeanette Granda vorgelegte Dissertation berücksichtigt das Gewicht dieses Umstandes und räumt der wissenschaftlichen Sozialisation ihres Protagonisten angemessen Raum ein. Allerdings ermüdet die von Beginn an grundlegend apologetische Anlage der Arbeit rasch. Ob dem „international renommierten (Wirtschafts)historiker Hermann Kellenbenz“ (die erste Zeile des Vorwortes) damit zu einem angemessenen Platz in der Historiographiegeschichte zu verhelfen ist, mag dahingestellt bleiben. Ihren Anspruch, die „bisherige Biographieforschung (wieder) weiterzuentwickeln und zu spezifizieren“ (S. 14), unterläuft Granda damit fundamental. Das ist zu bedauern, weil sich die Studie eine avancierte biographische Netzwerkanalyse der „Verflechtungsbeziehungen“ Kellenbenz‘ auf nationaler wie internationaler Ebene zum Ziel setzt, sich gar als „Pionierstudie“ begreift (S. 16).

Die Entwicklung Kellenbenz‘ bis 1945 behandelt Granda nach eigener Einschätzung noch in „konventioneller“ Weise, als zusätzliche Hürde blieb ihr der Nachlass Kellenbenz‘ versperrt. In großer Detailverliebtheit wird dem Aufwachsen des späteren Wirtschaftshistorikers in der elterlichen Gastwirtschaft nachgegangen, durchaus differenziert im Einzelnen, glasklar jedoch in der Bewertung ihres „Helden“. Während die Nationalsozialisten die politische Macht in Deutschland ergriffen, schloss Kellenbenz die Schule ab, meldete sich zum freiwilligen Arbeitsdienst, absolvierte ein Wehrsportlager, um im Herbst 1933 sein Studium in Tübingen zu beginnen. Mit viel Fleiß arbeitet Granda aus sekundären Überlieferungen einen denkbaren Studienverlauf sowie mögliche Prägungen heraus. Da jedoch fast keine zeitgenössischen Ego-Dokumente von Kellenbenz, ob Briefe oder Tagebücher, zur Verfügung stehen, bleiben Aussagen über seine tatsächlichen Motive spekulativ. Es ist also allein ihr Wunsch der Vater des Gedanken, wenn Granda festlegt: „Kellenbenz verfolgte kein politisches Motiv, als er der SA, dem NSDStB oder der NDSAP beitrat“ (S. 36). Weder untermauern die präsentierten Quellen dieses Urteil noch belegen sie eine politische Motivation. Nach „konventioneller“ Methodik wäre sich auf diesen Befund zu beschränken.

Leider setzt sich dieser Stil bezüglich der Entwicklung Kellenbenz‘ als Nachwuchshistoriker im NS-Staat fort. Es ergibt an dieser Stelle wenig Sinn, den zahllosen Abschwächungen und Umdeutungen der Autorin im Einzelnen nachzugehen. Wenn es passt, werden methodische Standards, etwa zum quellenkritischen Umgang mit retrospektiv geäußerten Erinnerungen, über Bord geworfen (S. 37). Auch bleibt die jüngere Forschung mehrfach unberücksichtigt.2 Mit der Tätigkeit für die „Forschungsabteilung Judenfrage“ des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands von 1939 bis 1945 – wie üblich erhielt Kellenbenz einen einschlägigen Forschungsauftrag („Das Hamburger Finanzjudentum im 17. Jahrhundert und seine Kreise“), der in seine 1944 eingereichte Habilitation mündete –, wurde Kellenbenz Teil der genuin nationalsozialistischen, antisemitisch ausgerichteten Geschichtswissenschaft. In diesen Abschnitten verlässt Grandas Studie, das ist so deutlich festzuhalten, den Bereich kritikfähiger Wissenschaft: Nicht weil das Wirken von Kellenbenz auch in diesen institutionellen und historiographischen Kontexten keine differenzierte Betrachtung verdiente, sondern weil Grandas Apologetik – auf Grundlage einer lückenhaften und veralteten Forschungsliteratur – sich in ihrer argumentativen Einseitigkeit einer tatsächlichen Diskussion entzieht.

Die hier vergebene Chance, in einer detailreichen Untersuchung die Spielräume und Grenzen eines Nachwuchshistorikers im NS-Staat analytisch auszuloten, schmerzt angesichts des vermerkten Desiderates. Hingegen bleibt angesichts der Vielzahl an Studien über von der Zeit des Kaiserreichs geprägte und seit 1933 den Höhepunkt ihrer Karrieren anstrebende Historiker zu fragen, wie sich Heinzels Untersuchung über Theodor Mayer in diesem vielfach beackerten Forschungsfeld positioniert. Äußerlich strukturiert Heinzel die wissenschaftliche Biographie Mayers durch die Verknüpfung von Wirkungsort und Wirkungsschwerpunkt, das heißt die Prager Station verbindet sich mit Mayers Eintritt in den „Volkstumskampf“. Mit dem Wechsel nach Gießen vollzieht Mayer örtlich wie historiographisch den „Schritt ins Reich“, um mit Freiburger „Grenzlanderfahrungen“ sein Profil derart zu schärfen, dass er als Marburger Rektor und Präsident des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde als nationalsozialistischer Multifunktionär den Gipfel seiner Karriere erreichen konnte.

Der Ruf nach Prag bot dem noch als Archivar tätigen Mayer das Sprungbrett. Seine in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie wurzelnden politischen, wissenschaftlichen und persönlichen Prägungen kamen als gewichtiges Gepäck mit in die junge tschechoslowakische Republik. Nach einiger Zeit begann der Wirtschafts- und Verwaltungshistoriker Mayer sich mit siedlungsgeschichtlichen Fragen zu beschäftigen, um, orientiert an Kategorien wie „Volk“ bzw. „Raum“ und in Kooperation mit der entsprechend ausgerichteten Leipziger Stiftung, in der deutschen „Volks- und Kulturbodenforschung“ Anschluss an dieses zunehmend wirkmächtige Paradigma nicht nur der historischen Forschung zu finden. Ob es sich bei dem hier versammelten, interdisziplinären Kreis ebenfalls um ein Denkkollektiv handelte, an dem Mayer partizipierte, mag man wie Heinzel annehmen können (S. 57). Für einen tragfähigen Nachweis genügt die Aufführung einer Reihe verwandter Zitate sicher nicht. Vornehmlich assoziativ gebraucht, erscheinen die eng an Flecks Konzeption gebundenen Begriffe irreführend und lenken von den Ergebnissen dieses und der folgenden Abschnitte ab: vom stetigen, politisch induzierten und historiographisch erarbeiteten Aufstieg eines „Volkstumshistorikers“.

In Deutschland waren angesichts der prosperierenden Landes- und Siedlungsforschung die im Institut für Österreichische Geschichtsforschung entsprechend ausgebildeten Österreicher gefragt. Mayer konnte sich in Gießen wie anschließend in Freiburg weiter profilieren. Heinzels Darstellung dieses Weges argumentiert stets nachvollziehbar, wenn auch bisweilen recht detailliert und bezieht die Schriften Mayers gewinnbringend ein. Dessen strebsame Entwicklung – der selbst die „osmotische“ Aufnahme der NS-Herrschaft ab 1933 entsprach – gibt allerdings wenig Anlass zu aufsehenerregender Thesenbildung. Doch gelingt es Heinzel, in gesonderten Abschnitten Mayers historisches Denken (etwa zu „Führer und Gefolgschaft“, S. 102–108) präzise darzulegen und für die Forschung fruchtbar zu machen. Ohne Konflikte blieb der auch institutionell sich vielfach abbildende Erfolg nicht. Erschien der Wechsel nach Marburg 1938 deshalb zunächst wie ein Rückschlag, fügte sich dieser Schritt ein Jahr darauf mit Mayers Ernennung zum Rektor in dessen anhaltenden Aufstieg ein. Wiederum drei Jahre darauf erklomm Mayer den Gipfel der deutschsprachigen Mediävistik und wurde Präsident des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde, den früheren und heutigen MGH. Mit ausgreifendem historiographischen Anspruch und vielfältigen Planungen wollte Mayer der altehrwürdigen Einrichtung zu neuem Erfolg verhelfen, um im nahenden Kriegsende allenfalls das materielle Erbe der Institution noch retten zu können. Bereits seit 1940 hatte Mayer den mediävistischen Beitrag zum „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ koordiniert, über den Frank-Rutger Hausmanns Forschungen bereits informiert haben. Heinzel betont sehr zu Recht, dass es sich keineswegs, wie von Mayer später behauptet, allein um wissenschaftliche Tagungen gehandelt habe (S. 220f.).

Bald nach 1945 wurde Mayer aller Ämter enthoben. In einer ähnlichen Lage fand sich auch Martin Göhring wieder. Bevor sein Weg im NS-Staat nachgezeichnet wird, gibt Duchhardt einen Überblick zum Umgang der historischen Disziplin mit ihrer NS-Belastung. Ein Überblick, der aus Sicht des Rezensenten den Einfluss von NS-Studentenbund oder NS-Dozentenbund im Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb weit überschätzt, hingegen die tatkräftige Bereitschaft vieler Historiker, sich für den Nationalsozialismus einzusetzen, unterschätzt. Der „mühsam an seiner Karriere bastelnde Nachwuchshistoriker“ (S. 44) Göhring war vor allem, meint Duchhardt, an einer raschen und gesicherten Fortsetzung seiner akademischen Karriere interessiert. Auch der Eintritt in die NSDAP erfolgte nach Einschätzung seines Biographen zur Absicherung der beruflichen Karriere. Da es aber keine Quelle gibt, die Göhrings Motive offenlegt, diskutiert Duchhardt – ganz „konventionell“ – alternative Deutungen, etwa ob Göhring sich aus sozialpolitischen Wünschen oder einem antibürgerlichen Impuls für die NSDAP entschieden habe. Die Antwort muss offen bleiben, zumal die Parteimitgliedschaft allein, darauf weist Duchhardt zu Recht hin, ein unzulänglicher Indikator für Nähe bzw. Ferne zur Ideologie oder Praxis des Nationalsozialismus ist. Trotz „Quellenarmut“ gelingt es Duchhardt, Göhrings Laufbahn und persönliche Entwicklung darstellerisch zu verbinden, es entsteht ein lebendiges Bild der Sinnwelt eines ehrgeizigen Nachwuchshistorikers in den 1930er-Jahren. Allein die verwendete Literatur weist Lücken auf, auch wird gelegentlich allzu sehr auf die Deutungen Helmut Heibers vertraut.3 Göhring erhielt 1943 einen Ruf als außerordentlicher Professor für politische Auslandskunde an die Reichsuniversität Straßburg, für Duchhardt aller differenzierten Betrachtung zum Trotz öffentlich „der ‚Nachweis‘, dass Göhring fest auf dem Boden des NS-Systems stand“ (S. 84).

Es sahen sich demnach Mayer und Göhring wie auch der frisch habilitierte Kellenbenz in der Herausforderung vereint, ihre Teilhabe am NS-Staat möglichst geräuschlos hinter sich zu lassen und der künftigen Laufbahn den Weg zu bahnen. Kellenbenz unternahm diesen Schritt keinen Tag zu früh, verbrannte noch in den letzten Kriegswochen die Akten der „Forschungsabteilung Judenfrage“. In seinem Spruchkammerverfahren profitierte Kellenbenz 1947 von der Weihnachtsamnestie, die Mitläufer mit einem vor 1945 geringen Einkommen betraf. Dass Granda seine „Entlastung“ als in der Sache zutreffend bewertet, wird keinen Leser ihrer Studie mehr erstaunen. Tatsächlich aber war es in Kenntnis vergleichbarer Verfahren für Kellenbenz glimpflich abgelaufen, weder die Besatzungsbehörden noch die Spruchkammern stellten Nachforschungen an, welche Ziele die „Forschungsabteilung Judenfrage“ verfolgt hatte. Die Nachkriegskarriere konnte beginnen, mit einem Lehrauftrag, neuen Forschungen und dem fortgesetzten Knüpfen am „Netzwerk“. Kellenbenz‘ „Verflechtung und Etablierung als Wissenschaftler“ auf nationaler sowie internationaler Ebene widmet sich Granda in zwei Kapiteln, wovon ersteres mit mehr als 150 Seiten alle anderen im Umfang weit übertrifft. Mit der Nachzeichnung seiner sozialen und wissenschaftlichen Netzwerke soll der „Akteur Kellenbenz in seiner Zentralität“ (S. 80) für die Entwicklung und Internationalisierung der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte sichtbar werden. Eine Fleißarbeit, detailliert wird die bundesrepublikanische (und internationale) Karriere Kellenbenz‘ in all ihren Verästelungen beschrieben. Ob und wie die Fülle der zusammengetragenen Informationen über den engen Rahmen der Untersuchung hinaus nützlich sein könnte, bleibt offen, zumal der Erkenntniswert mancher Einschätzungen begrenzt bleibt („Seine Wahl in die Göttinger Akademie ist als Anerkennung seiner Person und wissenschaftlichen Leistungen zu bewerten.“ S. 236).

Als NSDAP-Mitglied und Professor an der Reichsuniversität Straßburg musste auch Göhring seiner Entnazifizierung mit Sorge entgegenblicken. Duchhardt, der seine Sympathie für den ungewöhnlichen Aufsteiger nicht verhehlt, fasst die Rolle Göhrings im NS-Staat klar zusammen – „ein Profiteur des Systems“ (S. 88) – und beweist auch in diesem Abschnitt ein hohes Maß an darstellerischer Souveränität. Eine geschickt platzierte Publikation zur „modernen Staatsidee in Frankreich“ und hilfreiche persönliche Kontakte verhalfen Göhring schließlich zur Einstufung als „Mitläufer“. Die strebsam erkämpfte akademische Karriere konnte also fortgesetzt werden, wenn auch nicht ohne Mühen. Doch die Berufung an das Mainzer Institut für Europäische Geschichte im Frühjahr 1951 ließ diese rasch vergessen. Der „unerwartete Durchbruch“ und Göhrings Wirken in Mainz ist Duchhardt eine eingehende, gut 90-seitige Darstellung wert, in deren Mittelpunkt institutionelle Herausforderungen stehen. Erst seit einigen Jahren ist die Bedeutung außeruniversitärer Geschichtswissenschaft für die Re-Organisation und Neu-Erfindung des Faches nach 1945 vollauf erkannt worden. Das Mainzer Institut zählte zu den Brückenpfeilern dieser Entwicklung, zumal mit seiner „übernationalen“ europäischen Ausrichtung. Duchhardt zeigt, dass Göhring zugleich wenig Scheu hatte, alte „Kameraden“ und andere in der NS-Zeit hoch engagierte Kollegen zu hofieren. Auch in dieser Hinsicht fügte sich Göhring gut in die „Zunft“ ein, er war ein Historiker wie viele andere geworden, der, resümiert Duchhardt, für die „breite Mittelschicht deutscher Wissenschaftler im zweiten Drittel des 20. Jahrhundert steht“ (S. 308).

Für Theodor Mayer war der Untergang des NS-Staates gleichbedeutend mit dem Ende seiner universitären Karriere. Auch andere hochrangige Ämter wie jenes des MGH-Präsidenten verlor er und wurde überdies 1945/46 von den amerikanischen Militärbehörden für einige Monate interniert. Immerhin konnte Mayer sein Spruchkammerverfahren als „Mitläufer“ abschließen, blieb aber, das zeigt Heinzel deutlich auf, „belastet“. Mayers Unfähigkeit, seine Beteiligung am NS-Staat mit Realismus einzuschätzen, geht Heinzel in einem eigenen Abschnitt nach und legt den Schwerpunkt der Darstellung auf Mayers Fortschreibung seiner Paradigmen (S. 245–258). Heinzel zeichnet Mayer als einen Unbelehrbaren, der auf der „Suche nach einem neuen Mittelalter auf der Grundlage des Volkstums“ (S. 278) blieb. Knapp skizziert Heinzel abschließend die bereits von anderen beleuchtete, beachtliche Nachkriegskarriere Mayers in Konstanz. Eine Rückkehr in seine österreichische Heimat kam für Mayer nicht ernsthaft in Frage, obwohl er sich im Nachkriegsdeutschland wegen seiner Herkunft als diskriminiert empfand. Die engen personellen, institutionellen und paradigmatischen Bande zwischen der deutschen und österreichischen Geschichtswissenschaft sind historiographiegeschichtlich weitaus weniger präsent als es ihre tatsächliche Bedeutung verlangte. Eindrucksvoll hat dies die Reihe „Österreichische Historiker 1900–1945. Lebensläufe und Karrieren“ nachgewiesen, die mit ihrem dritten, erneut voluminösen Band vor kurzem zum Abschluss gekommen ist. Vor allem von Österreich nach Deutschland bewegte sich eine Vielzahl einflussreicher Historiker, deren Biographien in der Reihe berücksichtigt worden sind (Theodor Mayer vgl. Band 1).

Die Reihe ist mit sehr viel Lob bedacht worden; ihrem Herausgeber Karel Hruza ist es gelungen, ein umfassendes biographisches Bild der österreichischen Geschichtswissenschaft auf hohem Niveau zu präsentieren. Einwände, etwa gegen den nicht überzeugenden Schnitt im Jahr 1945 (den eine Vielzahl der Beiträge denn auch nicht vollzog), hat Hruza gewürdigt, ohne im dritten Band Änderungen am Gesamtkonzept vorzunehmen. Einer der Hauptvorzüge aller drei Bände wird ausgerechnet am abweichenden Beispiel deutlich: Das Format des „großen“ Aufsatzes von etwa 40 bis 80 Seiten hat in allen Bänden überzeugen können. Es bietet mehr Raum als ein thesen- und themenmäßig konzentrierter Aufsatz in üblicher Länge, ohne sich einer kürzeren Monographie anzunähern (welche einen anderen argumentativen Aufbau verlangte). Im dritten Band jedoch präsentiert Martina Pesditschek auf beinahe 130 Seiten eine Flut an Informationen über Adolf Helbok, füllt weit mehr als 700 Fußnoten – ohne diese Menge angemessen zu strukturieren. Es mag angehen, einen kürzeren Aufsatz allein numerisch zu ordnen, für einen Text dieses Umfangs gilt dies jedoch nicht. Als Gegenbeispiel sei Reinhard Blänkners nachvollziehbar strukturierter Beitrag über Otto Brunner genannt, etwa 40 Seiten umfassend und mit dem nötigen Mut versehen, nicht alles berichten zu wollen.

Nachdem im ersten Band bereits eine geschichtsforschende Frau, die Mediävistin Mathilde Uhlirz, Aufnahme gefunden hatte, fassen Anne-Katrin Kunde und Julia Richter im dritten Band der „Österreichischen Historiker“ die Biographien von Erna Patzelt und Lucie Varga in einem Beitrag zusammen. Es blieb (noch) wenig Platz für Frauen neben den Männern mittleren Alters, in Anzug und Krawatte. Eine bürgerliche „Uniform“, die äußerliche Gleichheit bis zur Unsichtbarkeit des Persönlichen herstellt, wo – dies haben die berücksichtigen Biographien gezeigt – durchweg individuelle Herkünfte, Sozialisationen, Perspektiven und Karriereverläufe zu Tage traten. Doch tragen auch die Darstellungen selbst zum in den Porträts verbildlichten Eindruck bei: Theodor Mayer und Hermann Kellenbenz bleiben in diesen Studien jenseits ihrer wissenschaftlichen Laufbahn oftmals blasse Gestalten. Allein der ungewöhnliche Lebensweg Martin Göhrings hat eine angemessene Entsprechung in der biographischen Darstellung erfahren. Die drei gemeinsam besprochenen, in Anlage und Qualität sehr unterschiedlichen Historiker-Biographien geben keinen Anlass für einen übergreifenden Aufruf, die künftige Forschung in diese oder jene Richtung zu entwickeln. Man möchte nur hoffen, dass die Historikerbilder des 20. Jahrhunderts sich nicht in diesen, den Charme von Personalakten verbreitenden Bildnissen erschöpfen – es könnte sonst ein böswilliger Rezipient vermuten, Anzug und Krawatte dienten auch den Biographen als Deckung.

Anmerkungen:
1 Christoph Nonn, Theodor Schieder. Ein bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2013; Thomas Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, München 2001; Jan Eike Dunkhase, Werner Conze. Ein deutscher Historiker im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010.
2 Beispielsweise Carsten Mishs Studie über Otto Scheel, der als Kieler Mentor und Doktorvater erheblichen Einfluss auf Kellenbenz hatte, vgl. Carsten Mish, Otto Scheel (1876–1954). Eine biographische Studie zu Lutherforschung, Landeshistoriographie und deutsch-dänischen Beziehungen, Göttingen 2015.
3 So ist Ursula Wolfs Untersuchung „Litteris et patriae“ (Stuttgart 1996) kaum als „neuere Studie“ (S. 49) zu bezeichnen und Notker Hammersteins Darstellung zur DFG-Geschichte (München 1999) muss nach den Arbeiten von Sören Flachowsky (Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat. Wissenschaftspolitik im Kontext von Autarkie, Aufrüstung und Krieg, Stuttgart 2008) und anderen als überholt gelten. Zu Heiber vgl. dessen Studie: Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966.

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