M. Keshavarz: The Design Politics of the Passport

Cover
Titel
The Design Politics of the Passport. Materiality, Immobility, and Dissent


Autor(en)
Keshavarz, Mahmoud
Erschienen
London 2019: Bloomsbury
Anzahl Seiten
XI, 132 S., 10 SW-Abb.
Preis
£ 85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dennis Jelonnek, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin

Die vorliegende Untersuchung reiht sich in eine Vielzahl von Publikationen ein, die sich aufgrund international zunehmender Fluchtbewegungen seit einigen Jahren mit Chancen und Risiken der Migration, ihren Ausprägungen und den damit verbundenen Formen von Verantwortung der Zielländer befassen. Diese Literatur, in der sich sämtliche politische Richtungen zu Wort melden und zu der unterschiedlichste Disziplinen und Institutionen beitragen, ist mittlerweile quantitativ und qualitativ kaum mehr zu überblicken. Der Titel von Mahmoud Keshavarz’ Untersuchung stellt in diesem Zusammenhang eine willkommene Konkretion in Aussicht: Hier soll es um einen spezifischen Gegenstand gehen, den Reisepass, und um die Frage, welche „Design Politics“ sich mit diesem scheinbar selbstverständlichen Objekt verbinden. Die Gestaltung des Dokuments soll daraufhin untersucht werden, wie Regierungen und supranationale Zusammenschlüsse damit ein „auf die Durchsetzung bestimmter Ziele […] und auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtetes Handeln“ realisieren – so die Definition von „Politik“ im Duden. Entsprechend kündigt der Autor für seine Darstellung auf den folgenden gut 100 Seiten drei Schwerpunkte an: „(i) the designed thing (the passport); (ii) the activity of designing (the different practices, situations, and contexts involved in designing passports, technologically, bureaucratically, and materially); and (iii) the actions flowing from the designed thing and the activity of designing“ (S. 5).

Eine so klare Nachvollziehbarkeit seiner Ideen wie in der zitierten Passage erreicht Keshavarz im Anschluss jedoch nicht immer; bereits das Inhaltsverzeichnis erweckt einen eher diffusen Eindruck, welchem Erkenntnisinteresse hier nachgegangen werden soll. Zwar stützt sich der Autor auf eine ganze Reihe von Vorarbeiten, doch nimmt er keine konkrete regionale und historische Eingrenzung seiner Studie vor. Als Grundlage seiner Überlegungen dienen ihm Praktiken und Zustände an ganz verschiedenen Orten der Welt in der jüngeren Vergangenheit. Bis auf das Einleitungskapitel, für das neben den Begriffen „Design“ und „Politics“ das damit eng verbundene Hauptaugenmerk der „Mobility Regimes“ titelgebend ist, tragen die Kapitel folglich allgemein gehaltene Überschriften wie „Histories“, „Power“, „Passporting“ und „Dissent“, bevor Keshavarz am Ende den Kreis zur Einleitung mit einem gerafften Abschnitt zu seinem Verständnis von „Design Politics“ schließt.

Bereits nach den ersten Zeilen irritiert der übermäßige Einsatz rhetorischer Figuren, vor allem drei- und viergliedriger Aufzählungen, die nicht nur den Lesefluss beeinträchtigen, sondern auch inhaltlich Aussagen häufig vor einer präzisen Formulierung bewahren. Als Beispiel hierfür sei eine Textstelle angeführt, die eine der zentralen Thesen des Autors enthält: „My main argument, then, is that articulations of power by passports take various shapes, scales, forms, and configurations. They overlap, expand, extend, and move through specific spaces and times and condition the possibilities of mobility. They are design and political practices, which articulate bodies, the space and time of their movement and action“ (S. 31). Es ist anzunehmen, dass Keshavarz damit die Bandbreite des Phänomens abbilden möchte, das er zu beschreiben sucht, doch münden Formulierungen dieser Art häufig in emphatischen Allgemeinplätzen: „When passports become necessary for everyone, lack of a passport or its deprivation becomes a means of power imposition, discrimination, management, and control. Once such a material or artificial entity becomes the only way to pass or move freely among territories, its absence leads to the prevention of motion“ (S. 23). Mit den Aufzählungen und Allgemeinplätzen verbindet sich zudem eine Tendenz zur Redundanz; bestimmte Sachverhalte werden in jedem Kapitel gering variiert in verschiedenen theoretischen Rahmungen wiederholt.

Methodisch fragwürdig erscheint die Einführung von Begriffen, mit denen der Autor zur Reflexion über Missstände anzuregen sucht, oder mit denen er pejorative Ausdrücke ersetzen möchte. Zum Beispiel treten bei Keshavarz an die Stelle von „heterogeneous travelers who are rendered a ‚group‘ by their lived experiences of their passports or lack thereof: asylum seekers, refugees, undocumented migrants“ (S. 11) die von ihm so genannten „travelers without the right papers“ (ebd.). In diesem Satz wird eine der grundlegenden Aporien des Vorgehens deutlich: Während im ersten Halbsatz noch die Zusammenfassung von verschiedenen Migrations-Typen zu einer undifferenzierten „Gruppe“ kritisiert wird, führt der Autor eine solche Verkürzung in der zweiten Satzhälfte selbst ein, indem er dieselben „heterogenen“ Individuen unter dem politisch vermeintlich korrekteren Begriff „Reisende ohne die richtigen Papiere“ erneut subsumiert.

Der Anspruch zu differenzieren, nur um anschließend neue Kategorien zu bilden, die mit anderen Bezeichnungen wiederum Verallgemeinerungen einführen, lässt sich an weiteren Begriffsschöpfungen aufzeigen – etwa an dem Neologismus „Passporting“ (S. 57), den Keshavarz als notwendig erachtet: „[…] artifacts are not isolated from their environments in which they function and the environments that they produce, and due to the fact that passports are in constant change and are contingent articulations of power. Furthermore, they are always already in interaction with bodies – biological and artificial“ (ebd.). Statt diese Auffächerung des Dispositivs weiter zu verfolgen, welches sich um das Objekt des Reisepasses anlagert und von diesem ausgeht, wird die eben getroffene Differenzierung erneut auf das eine Schlagwort „Passporting“ reduziert. Globale und historische Unterschiede bei der Vergabe von und im Umgang mit Ausweispapieren werden so zum Teil nivelliert. Als letztes Beispiel sei die Entscheidung des Autors angeführt, statt von Passfälschung – „forging“ (passim) – von „migration brokery“ (S. 76) zu sprechen, womit sich eine weitgehend unkritische Aufwertung einer aufgrund diverser Interessen ebenfalls heterogenen Praxis verbindet. Diese wächst sich im selben fünften Kapitel „Dissent“ zu einem Lob auf das Fälschen von Ausweispapieren als einer subversiven Form von „Critical Design“ aus (S. 88). In diesem Verständnis wird die Praxis unter Einsatz von Theoriefragmenten etwa von Jacques Rancière und Michel Foucault zu einer „art of not being governed“ (ebd.), in der sich die Kontingenz der Machtverhältnisse enthülle: „A forged passport as an internal contract […] is a form of material dissent and yet another material declaration of the fictitious – and simultaneously artifactual – relation between the nation and the body. […] Forged passports are thus a material critical practice within the possibilities offered by design politics“ (S. 87).

Ohne die Plausibilität solcher Gedankengänge hier detailliert prüfen zu können, sei anhand der zuletzt zitierten Passage doch auf eine grundlegende Prämisse des Autors verwiesen, welche die Frage nach der Wissenschaftlichkeit des Buches vom einleitenden Kapitel an mitschwingen lässt. Denn bereits zu Beginn macht Keshavarz deutlich, dass seine Studie nicht auf einer unbefangenen Recherche und Untersuchung seines Gegenstandes beruht, sondern dass er den Reisepass und die damit verbundenen „politics of design“ (S. 3) und das „design of politics“ (ebd.) dezidiert aus der Perspektive der von dem herrschenden Mobilitätsregime Benachteiligten betrachtet. Deren vom Autor aufgezeichnete Geschichten fungieren unter dem Begriff „Passport Situations“ (S. 13) als Komplement zu seinen theoretischen Ausführungen: „While following the existing scholarly works on the passport and expanding the themes explored previously […], this book approaches the passport from the perspective of those who do not own one or do not have access to one that can guarantee them equal admission into the current mobility regime“ (S. 10f.). Diese Positionierung des Autors wirft die Frage auf, ob eine solche dezidiert einseitige Erschließung des Gegenstandes aus der Warte von Benachteiligten vollgültigen Anspruch auf wissenschaftliche Aussagekraft erheben kann, wenn gleichzeitig ein Gegenüber von staatlichen Akteuren konstruiert wird, das über die Politiken der Gestaltung von Personaldokumenten entscheide und den „travelers without the right papers“ unvermittelt gegenübergestellt wird. Den Zwischenraum dieser gegeneinander abgeschlossenen Lager bevölkert einzig eben jene subversive Figur des „migration broker“ als „critical designer“ (S. 88), der durch sein Handeln nicht nur die Willkür des staatlichen Monopols auf die Ausstellung von Personaldokumenten verdeutliche, sondern den Benachteiligten auch faktische Bewegungsspielräume innerhalb des durchregulierten Systems kalkulierter Mobilitäten und Immobilitäten verschaffe.

Markant ist in diesem Zusammenhang die Strategie des Autors zur Legitimierung seiner Thesen und Aussagen. So führt Keshavarz keine Positionen aus der einschlägigen Literatur an, die seiner eigenen zuwiderlaufen oder alternative Blicke auf das Thema eröffnen. Stattdessen fungieren die von ihm genannten Autoren durchweg als affirmierende Advokaten seiner Thesen und geben diesen den Anschein alternativloser Erkenntnisse. Im Gegensatz dazu können die beigefügten Abbildungen im besten Fall als Illustrationen gesehen werden. Zwar verweist der Autor hin und wieder auf eine der abgedruckten Tafeln, doch findet eine konkrete Arbeit an und mit den Bildern nicht statt. Es verwundert im Kontext einer Studie, die sich mit der Gestaltung von Ausweispapieren befassen will, dass konkrete Aspekte des Designs trotz vorhandener Bildbeispiele nicht ausführlich beschrieben, verglichen, differenziert und analysiert werden.

Abschließend ist dem Buch zu attestieren, dass es mit einer Vielzahl von Informationen zur Funktion und Produktion globalisierter Mobilitätspolitik aufwartet. Gerade in Passagen, in denen der Autor weder rein systemische Schaltpläne des „mobility regime“ in theoretischer Abstraktion entwirft, noch Interviews mit „travelers without the right papers“ für sich sprechen lässt, sondern in denen konkrete Informationen zum Reisepass und seinen Funktionen eingeordnet und zueinander in Beziehung gesetzt werden, ist die Studie eine gewinnbringende Lektüre. Als Postdoctoral Researcher im Feld der Cultural Anthropology and Ethnology an der Universität Uppsala und zugleich als praktizierender Designer gewinnt Mahmoud Keshavarz einen individuellen Blick auf den Reisepass und seine politische Instrumentalisierung. Das Buch kann gerade aufgrund des unorthodoxen Zugangs den Anstoß zu einem Nachdenken über die Asymmetrien liefern, die Politiken der Mobilität in der globalisierten Welt nicht nur aufweisen, sondern auf denen sie beruhen. Bestenfalls setzt es eine vertiefende Reflexion in Gang, wie Geschichts- und Sozialwissenschaften sich mit diesen Asymmetrien konstruktiv auseinandersetzen können.