G. Bitto u.a. (Hrsg.): Das neue alte Rom

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Titel
Das neue alte Rom. Die Flavier und ihre Zeit


Herausgeber
Bitto, Gregor; Ginestí Rosell, Anna; Hamacher, Kristina
Reihe
Antiquitas. Reihe 1 Abhandlungen zur Alten Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
VI, 271 S.
Preis
71,00 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Weikert, Kleinandelfingen

Das Besondere der flavischen Epoche, zu der man das Vierkaiserjahr 68/69 n.Chr. und die Zeit bis zur Regierung Traians als Pro- und Epilog rechnen muss, besteht in der Tatsache, dass erstmals Männer ohne familiären Bezug zu den Iulio-Claudiern den Prinzipat für sich beanspruchten und zudem mit Vespasian erstmals ein Herrscher leibliche Söhne als dynastische Nachfolger stellte. Trotz literarischer Referenzen auf die Republik in den antiken Texten zeigte sich der Prinzipat bereits im Vierkaiserjahr als etabliertes und akzeptiertes politisches System, an dem sich die teils ephemeren Kaiser selbstverständlich am iulisch-claudischen Vorbild orientierten und nur im geringen Maß persönliche Akzente setzten. Diesen Entwicklungen trägt der treffende Titel des zu besprechenden Bandes „Das neue alte Rom: Die Flavier und ihre Zeit“ Rechnung. Das von Gregor Bitto, Anna Ginestí Rosell und Kristina Hamacher herausgegebene Buch versammelt Aufsätze von Petra Cain, Stefan Pfeiffer, Meike Rühl, Julia Wilker, Heinz-Jürgen Beste, Farouk F. Grewing, Gregor Bitto, Kristina Hamacher und Heinz-Günter Nesselrath zu den Themen Geschichtsschreibung, Archäologie, Dichtung und Rezeptionsgeschichte, die im Rahmen einer Vorlesungsreihe der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt im Wintersemester 2014/15 und im Sommersemester 2015 gehalten wurden; eine konzise Zusammenfassung der Thesen der Beiträger liefert die Einleitung (S. 1–10). Mit seiner thematischen Breite dokumentiert das Buch das rege Interesse an der flavischen Zeit und ergänzt die in den letzten Jahren erschienen Sammelbände.1

Im Folgenden werden die Beiträge von Petra Cain, Julia Wilker und Kristina Hamacher näher besprochen, da diese die aktuellen Trends in der Erforschung der historischen Entwicklungen vom Vierkaiserjahr bis zur Adoption Traians besonders deutlich veranschaulichen.

Petra Cain betrachtet in ihrem Beitrag die römischen Portraittypen seit der Republik und zieht dabei den oft postulierten bewussten Rückbezug der neuen Herrscher aus nicht-iulio-claudischem Haus auf die republikanische Zeit in Zweifel. Augustus prägte für seine Familie einen idealisierten Portraittyp, der durch Alters- und Bartlosigkeit sowie Kurzhaarfrisur und fehlende Mimik ernste Gelassenheit ausdrückte und den Nero mit einer luxusorientierten Darstellung durchbrach, die der Mode jener Zeit entsprach (S. 16–18). Besonders die Portraits von Galba und Vespasian zeigten ab dem Vierkaiserjahr Männer im vorgerückten Alter in vermeintlich republikanischem Darstellungsstil. Während dieser Bezug für den hochadeligen Galba plausibel sei (S. 23), stammte Vespasian aus bescheidenen Verhältnissen und habe persönlich, wie Sueton (Vesp. 12) überliefert, keinen Wert auf eine konstruierte republikanisch-adelige Abkunft gelegt (S. 29). Für die Deutung verweist Cain überzeugend auf die Privatportraits des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, die sich – anders als das Kaiserhaus – auch weiter der aus der Republik vertrauten Bildsprache bedienten (S. 24–26): Den Zeitgenossen seien Portraits mit Alterszügen keineswegs unvertraut gewesen und sie müssten deswegen nicht zwingend als Referenz auf die Republik und als „bürgernah“ (S. 36) interpretiert werden, da sie auch im ersten Jahrhundert allgemein positiv konnotierte Werte transportierten.

Julia Wilker untersucht das Verhältnis der Flavier zu den Juden (S. 113–138) und betont, dass „Judaea gleich in mehrfacher Hinsicht als eigentlicher Geburtsort der flavischen Herrschaft gelten“ müsse (S. 115), da Vespasian nur als Neros General im jüdischen Aufstand den Oberbefehl über ein beträchtliches Heer erhielt, was ihm erst ermöglichte, im Vierkaiserjahr nach der Herrschaft zu greifen. Die in der Forschung leidenschaftlich geführte Debatte, ob die Zerstörung des Jerusalemer Tempels auf Befehl des Titus oder gegen dessen Willen erfolgte, relativiert Wilker und verweist auf die Funktion des Tempels als letzten Rückzugsort der jüdischen Rebellen, der aufgrund der Kampfhandlungen zwangsläufig in Mitleidenschaft geraten musste. Vielmehr handle es sich bei der Entscheidung, diesen nicht wiederaufzubauen, um „eine Transgression und Abweichung von der üblichen römischen Politik“ (S.118). Die der dynastischen Legitimation dienende Inszenierung des Sieges über die Juden durch einen Triumphzug und eine Reihe stadtrömischer Bauten habe den Flaviern die Wiederherstellung des jüdischen Heiligtums verunmöglicht. Da die Flavier gleichzeitig die jüdische Religion akzeptiert und geschützt hätten, ergebe sich auf den ersten Blick ein ambivalentes bis widersprüchliches Bild der Politik gegenüber den Juden (S. 125f.). In ihrem Fazit weist Wilker mit Recht darauf hin, dass die Allgegenwart des flavischen Sieges über die Juden nicht einer gegen die Juden gerichteten Politik der Flavier zuzuschreiben, „sondern vielmehr Produkt der dynastischen Legitimationsmaschinerie“ (S. 126) sei.2

Kristina Hamacher (S. 215–238) widmet sich dem Nachleben der flavischen Dynastie und untersucht die Adoption Traians mit Fokus auf den Germanicus-Namen, den gleichermaßen Domitian, Nerva und Traian trugen. Domitian übernahm „Germanicus“ im Jahr 83 als erster Kaiser als Siegesbeinamen, was nach seinem Tod angesichts des schiefen Verhältnisses von militärischem Erfolg und folgender feierlicher Inszenierung auf einige Kritik stieß. Nerva nahm denselben Namen trotzdem Ende 97 nach einem Sieg über die Quaden und Markomannen an, obwohl er anders als Domitian nicht einmal an der Front gewesen war. Den Grund für die Annahme des Siegesbeinamens sieht Hamacher in der Person Traians: Mit der Adoption desselben habe der militärisch völlig unerfahrene Nerva bereits die Ambitionen eines Generals aus dem Osten (Plin. epist. 9,13,11) durch die Klärung der Nachfolgefrage unterbunden und seine Position als Kaiser gesichert gehabt. Die darauf folgende Übernahme des Siegerbeinamens sei „als Versuch der Etablierung eines politischen Gegengewichts zum bereits profilierten Militär Traian“ zu erklären; Nerva habe sich „durch die Suggestion militärischer Sieghaftigkeit zumindest ideell auf dem Feld des Anderen als fähig erweisen und damit seine Herrschaft […] festigen“ wollen (S. 233). Dabei wird Traians Karriere jedoch überschätzt – er hatte keine bemerkenswerten militärischen Erfolge vorzuweisen.3 Vielmehr veranschaulicht die Übernahme des Siegerbeinamens durch Nerva ein prägendes Charakteristikum der flavischen Kaiser, das ihre Herrschaftszeit überdauerte, nämlich die der Legitimation dienenden öffentlichen Inszenierung der kaiserlichen Sieghaftigkeit, die mit dem Triumph über die Juden begann. Der Dekoration mit militärischen Erfolgen konnte sich Nerva genauso wenig entziehen wie Domitian – Traian schließlich trieb sie, als „Germanicus“, „Dacicus“ und „Parthicus“ auf die Spitze.

Das Buch ist hochwertig produziert, enthält keine nennenswerten Rechtschreibfehler und wird von einem Register (S. 265–271) beschlossen, das auf Quellen, Personen und Orte verweist. Kritisch anzumerken bleibt für letzteres die fehlende Vollständigkeit.4 Insgesamt gelingt es dem Sammelband, ein breites Spektrum an relevanten Themen der Flavierzeit anschaulich darzustellen.

Anmerkungen:
1 Genannt seien Anthony Boyle / William J. Dominik (Hrsg.), Flavian Rome. Culture, Image, Text, Leiden u.a. 2003; Norbert Kramer / Christiane Reitz (Hrsg.), Tradition und Erneuerung. Mediale Strategien in der Zeit der Flavier, Berlin 2010; Andrew Zissos (Hrsg.), A Companion of the Flavian Age of Imperial Rome, Chichester 2016.
2 Ebenso Christopher Weikert, Von Jerusalem zu Aelia Capitolina. Die römische Politik gegenüber den Juden von Vespasian bis Hadrian, Göttingen 2016, S. 344.
3 Dazu Werner Eck, Traian. Der Weg zum Kaisertum, in: Annette Nünnerich-Asmus (Hrsg.), Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einer Umbruchszeit?, Mainz 2002, S. 7–20, bes. S. 12; und Karl Strobel, Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte, Regensburg 2010, S. 108f.
4 Inschriften werden nicht erfasst; der in Wilkers Aufsatz ausführlich zitierte Josephus (bes. S. 128–130) wird im Quellenverzeichnis nicht genannt, ebenso wenig die jüdisch-rabbinischen Quellen (S. 113); der von Hamacher erwähnte M. Cornelius Nigrinus Curatius Maternus (S. 225) findet sich nicht im Personenregister. Eine Vielzahl weiterer Beispiele ließe sich nennen.

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