W. Weber (Hrsg.): Briefe und Berichte eines Industriespions

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Titel
Briefe und Berichte eines Industriespions. Friedrich August Alexander Eversmann in England


Herausgeber
Weber, Wolfhard
Reihe
Bochumer Studien zur Technik- und Umweltgeschichte 7
Erschienen
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Gorißen, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Friedrich August Alexander Eversmann (1759–1837) war seit 1783 als Fabrikenkommissar, seit 1791 als Kriegs- und Domänenrat der preußischen Regierung in der westfälischen Provinz Grafschaft Mark tätig mit der Aufgabe, die gewerbliche und technologische Entwicklung in dieser durch zahlreiche Exportgewerbe geprägten Region nach Kräften zu fördern. Vor seinem Amtsantritt im Westen hatte Eversmann mit seinem Mentor, dem preußischen Minister Friedrich Anton von Heynitz, Inspektionsreisen zu Manufakturen, Fabriken und Bergwerken in verschiedenen preußischen Landesteilen unternommen und sich hierbei vor allem durch seine genauen Beschreibungen und detaillierten Skizzen technischer Anlagen ein gewisses Ansehen erworben. In der Grafschaft Mark sollte Eversmann seine technologischen Kenntnisse an die regionalen Kaufleute und Unternehmer vermitteln, eine Aufgabe, der Eversmann mit großem Engagement und einem gewissen Erfolg nachkam, auch wenn sich sein technisches Verständnis nicht immer auf der Höhe der Zeit bewegte.

Zur Vorbereitung auf seine Tätigkeit als Fabrikenkommissar unternahm Eversmann zwischen August 1783 und November 1784 auf Geheiß des Ministers Heynitz eine Reise durch Holland und England, um die dort eingesetzten technischen Verfahren bei der Stahl- und Eisenproduktion, bei der Leinenbleiche, im Kohlenbergbau und bei der Konstruktion von Dampfmaschinen zu erkunden. Über seine Beobachtungen sollte er genaue Berichte erstellen, von Maschinen und Produktionsanlagen möglichst detaillierte Zeichnungen anfertigen und die Techniken so in Preußen bekanntmachen. Die Reise Eversmanns, der sich in England zuweilen als Landschaftsmaler tarnte, erweckte mit einiger Berechtigung das Misstrauen der englischen Gastgeber. Sie war Bestandteil einer durch Heynitz propagierten Politik der Wirtschaftsförderung, die mit modernen Begriffen als Industriespionage zu bezeichnen wäre. Auch Heynitz selbst hatte sich bereits 1776 mit ähnlichen Intentionen mit seinem Neffen Friedrich Wilhelm von Reden nach England und Frankreich begeben. Weitere „technologische Reisen“ nach England unternahmen im Auftrag des preußischen Ministers die jungen Bergräte Johann Philipp Waitz von Eschen, begleitet durch den Techniker Karl Friedrich Bückling, 1779/80 und Karl vom Stein, begleitet durch Johann Conrad Friedrich, 1787.

Während seine Vorläufer ihre Reisen jedoch noch aus eigener Tasche hatten bezahlen müssen, konnte Heynitz für Eversmann aus Meliorationsgeldern einen Reiseetat zur Verfügung stellen. Obwohl die Reise damit unzweifelhaft den Charakter einer offiziellen Dienstreise besaß, hielt Eversmann das Reisejournal mit seinen Berichten und Zeichnungen über seine Beobachtungen in England nach seiner Rückkehr zunächst bei seinen persönlichen Unterlagen zurück in der Hoffnung, hieraus persönlichen Nutzen ziehen zu können. Lediglich seine in Holland gemachten Beobachtungen veröffentlichte er 1792 in einem kleinen Büchlein, dem seine in Kupfer gestochenen Zeichnungen beigegeben waren.1 Aus dem zweibändigen Journal zu seiner Englandreise wurden lediglich einige kleinere Ausschnitte der Öffentlichkeit präsentiert, die Eversmann in der an der sächsischen Bergakademie erscheinenden Zeitschrift „Bergmännisches Journal“ zwischen 1789 und 1794 publizierte. Ob die scharfe Kritik, die Eversmanns Darstellungen wenige Ausgaben später im gleichen Organ erfuhren, ihn schließlich bewogen haben, auf die Publikation weiterer Teile seines Reisejournals zu verzichten, lässt sich nicht mehr klären. Offensichtlich ging das Manuskript des Reisejournals in den Jahren nach 1810 verloren, als Eversmann für mehrere Jahre in Russland tätig war, bevor er seinen Lebensabend in Berlin verbrachte.

Die hier vorzustellende Publikation von Wolfhard Weber, emeritierter Inhaber des Bochumer Lehrstuhls für Wirtschafts- und Technikgeschichte, bietet eine Edition von Briefen, Berichten und Zeichnungen Eversmanns, die dieser auf seiner Englandreise anfertigte und die der Herausgeber in den Akten des preußischen Bergbauministeriums im Geheimen Staatsarchiv in Berlin aufgefunden hat. Nicht zuletzt die Briefe, mit denen Eversmann Heynitz regelmäßig über den Fortgang seiner Reise unterrichtete, geben eine Vorstellung von den gelegentlich bemerkenswerten Einblicken Eversmanns in die auf den britischen Inseln angewandten Produktionstechniken. Erwähnt sei hier nur das 1784 von Henry Cort patentierte Puddelverfahren, mit dem die Kohlenstoffreduktion im Roheisen durch den Einsatz von Steinkohle statt der bislang verwendeten Holzkohle gelang, über das Eversmann in seinem Brief vom 18. Mai 1784 berichtet (S. 167). Allerdings hatte Eversmann das Verfahren nicht mit eigenen Augen beobachtet, er berichtet offensichtlich auf der Grundlage von Informationen, die er andernorts aufgeschnappt hatte, wie nicht zuletzt seine meist unbestimmten Antworten auf die Rückfragen von Heynitz zum neuen Verfahren im Brief vom August 1784 belegen (S. 176ff.).

Insgesamt 15 Briefe, die Eversmann aus England schickte, bilden den Kern der vorliegenden Quellensammlung. Ergänzt werden die Briefe durch die ausführliche Reiseinstruktion, die Eversmann selbst erstellt hatte, einige kleinere Empfehlungsschreiben sowie insgesamt sechs die Briefe ergänzende Berichte, von denen einige um aufwändige Konstruktionszeichnungen zu verschiedenen Produktionsanlagen (Alaun-Siedepfannen, Pferdegöpel, Windofen als Teil eines Brennofens und ein mit Steinkohle betriebener Backofen) angereichert wurden. Die letzten ca. 50 Seiten des Buches nimmt schließlich der Abdruck der „Tafeln“ mit Zeichnungen und Kupferstichen ein, die Eversmann dem Abdruck von Auszügen aus seinen Reiseaufzeichnungen im „Bergmännischen Journal“ beigegeben hatte. Auch hier finden sich neben einigen Landschaftsskizzen, mit denen Eversmann zu geologischen Diskussionen beitragen wollte, sehr unterschiedliche Produktionsanlagen von einem Zinnröstofen bis zur Windmühle, Branntweinbrennerei oder Bleichhaus.

Webers Buch bietet keine Quellenedition im strengen Sinne, ein entsprechender editorischer Apparat fehlt ebenso wie exakte archivalische Nachweise zu den einzelnen Briefen und Berichten. Auch auf eine erläuternde Kommentierung von einzelnen textlichen oder grafischen Darstellungen hat der Herausgeber verzichtet. Briefe und Berichte werden nicht in chronologischer Ordnung wiedergegeben, sondern gegliedert nach Textsorten, die Berichte etwa unterteilt nach solchen „mit“ und „ohne Zeichnungen“, was die Orientierung des Lesers im Quellenmaterial unnötig erschwert. So finden sich die Fragen, die Heynitz an Eversmann zum Cort’schen Puddelofen schickte, auf den Seiten 215 und 216, die Antworten Eversmanns hierauf jedoch bereits auf den Seiten 176ff. Eine Anordnung in der Reihenfolge, in der die Texte entstanden, hätte die Orientierung für die Leser/innen erleichtert. Der Wiederabdruck der Tafeln aus dem „Bergmännischen Journal“ bleibt für sich kaum verständlich, da sich der Herausgeber hier auf die Wiedergabe der Legende beschränkt, die Textpassagen aus Eversmanns Reisejournal jedoch nicht wiedergegeben werden.2 Dass Eversmanns Darstellungen und Zeichnungen nicht immer den Gegebenheiten in England entsprachen, dass der Fabrikenkommissar manches nicht richtig verstanden und die Zeichnungen überdies für die Drucklegung nicht immer korrekt übertragen wurden, ist bekannt. Umso mehr hätte man sich eine kommentierende Erläuterung des Materials am Text durch den Herausgeber gewünscht.

Das umfangreiche einleitende Kapitel, das Weber der Quellensammlung voranstellt, kann diese Aufgabe nicht leisten, auch wenn es wichtige Informationen zu den Rahmenbedingungen von Eversmanns Reise und zur preußischen Gewerbeförderung in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts bietet. Webers Interesse gilt in diesem Text zum einen den Bemühungen um den Bau und die Installation von Dampfmaschinen in verschiedenen preußischen Provinzen, wie sie vor allem zum Antrieb von Pumpen im Bergbau benötigt wurden, zum anderen den Verfahren zur Eisen- und Stahlherstellung unter Einsatz von Steinkohle. Je mehr der Autor hierbei ins Detail geht, desto weiter entfernt er sich jedoch thematisch und zeitlich von Eversmanns Englandreise. Die Bedeutung Eversmanns für die Inbetriebnahme erster Dampfmaschinen in Preußen beschränkt sich im Wesentlichen darauf, Kontakte zum walisischen Eisenindustriellen Samuel Homfray hergestellt zu haben. Er konnte Homfray nicht nur dafür gewinnen, Gussteile und Gebläsezylinder nach Preußen zu liefern, sondern selbst nach Deutschland zu kommen, die preußischen Techniker bei der Installation einer Dampfmaschine für den Mansfelder Kupferbergbau zu beraten und schließlich eine vollständige Dampfmaschine für den schlesischen Bergbau zu liefern. Für die weiteren Bemühungen in den 1790er-Jahren waren Eversmanns Rat und Hilfe dann nicht mehr gefragt. Dies galt auch für das Puddelverfahren, das Eversmann zwar bereits 1784 in groben Umrissen beschrieben hatte, das in Preußen jedoch erst seit den 1820er-Jahren zum Einsatz kam, ohne dass Eversmanns Erkenntnisse von seiner Englandreise hierfür von Belang gewesen wären. Die Frage, welche Relevanz Eversmanns Beschreibungen und Zeichnungen unter diesen Umständen überhaupt besaßen, erörtert Weber nicht weiter.

Schließlich bleibt die nachlässige Textgestaltung ein Ärgernis der vorliegenden Publikation. Nicht nur eine fehlende Binnengliederung, zahlreiche Wiederholungen (bis hin zu Formulierungen) und Sprünge in der Chronologie erschweren die Textlektüre, ärgerlich sind vor allem zahlreiche Fehler und die offenbar nicht erfolgte redaktionelle Bearbeitung des Manuskripts, so wenn auf Seite 45 unten der Text mitten im Satz mit drei Fragezeichen abbricht, um in der Folgezeile mitten in einem anderen Satz fortgeführt zu werden. Auch im Quellenteil des Buches finden sich weiter nicht kommentierte Fehler – offensichtliche Schreibfehler, aber auch inhaltliche Fehler, etwa auf Seite 179 unten die Verwechslung des Altenaer Nähnadel-Manufakturunternehmers Rumpe mit dem Iserlohner Kaufmann Rupe. Gehen diese Fehler auf Eversmann oder auf den Herausgeber zurück? Und worin bestanden angesichts solcher Pannen eigentlich Aufgabe und Leistung des Verlags?

Anmerkungen:
1 Friedrich August Alexander Eversmann, Technologische Bemerkungen auf einer Reise durch Holland, Freyberg 1792.
2 Dies mag man mit Hinweis auf die frei zugänglichen Digitalisate dieser Zeitschrift durch die Bayerische Staatsbibliothek sowie die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (Saale) rechtfertigen. Ein Hinweis auf diese Digitalisate findet sich allerdings in Webers Publikation nicht.

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