Titel
Codename Brooklyn. Jüdische Agenten im Feindesland. Die Operation Greenup 1945


Autor(en)
Pirker, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Neugebauer, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien

Peter Pirker, Historiker und Politikwissenschaftler an der Universität Wien, ist bereits durch mehrere bemerkenswerte Publikationen über transnationalen Widerstand, insbesondere über Kooperationen mit west-alliierten Kriegsgeheimdiensten, hervorgetreten. Seine Arbeiten zeichnen sich durch gründliche Recherchen in Archiven, Einbettung in größere historisch-politische Zusammenhänge sowie präzise Analysen aus und brachten zum Teil aufsehenerregende Ergebnisse.1

Diese Vorzüge weist auch die vorliegende Arbeit über die Operation Greenup des US-Kriegsgeheimdienstes Office of Strategic Services (OSS) in Tirol 1945 auf, mit der Pirker bisherige, österreich-national orientierte Versionen der Befreiung Innsbrucks radikal in Frage stellt. Greenup war ein Projekt in dem Bemühen, die Widerstands- und Partisanenbewegungen in Europa in die alliierte Kriegsführung einzubinden. Das in der OSS-Basis in Bari vorbereitete Fallschirmspringerkommando bestand aus zwei jungen, vor den Nazis aus Europa in die USA geflüchteten Juden, Fred Mayer aus Freiburg und Hans Wijnberg aus Amsterdam, sowie dem Tiroler Franz Weber, einem in Italien zur US-Armee desertierten Wehrmachtsoffizier. Als Betreuer der Gruppe fungierte ein gleichfalls in die USA geflüchteter deutscher Jude, Dyno Löwenstein, Sohn des sozialdemokratischen Reformpädagogen und Reichstagsabgeordneten Kurt Löwenstein.

Der Autor schildert – auf der Grundlage von Personalakten, Erinnerungsberichten und Interviews – relativ ausführlich den Werdegang und das gesellschaftliche Milieu der Protagonisten. Mayer und Wijnberg waren durch die ihre Familien zerstörende nationalsozialistische Judenverfolgung in Europa hochmotiviert, identifizierten sich mit ihrer neuen Heimat USA und wollten aktiv an der Befreiung Europas mitwirken. Bei dem aus einem bäuerlich-katholischen Milieu kommenden Franz Weber, der nur kurz, 1938, vom Nationalsozialismus beeindruckt war, führten seine Erlebnisse als Wehrmachtssoldat – im Warschauer Getto sowie bei der Partisanenbekämpfung in Russland und in Kroatien – zur entschiedenen Ablehnung des NS-Regimes.

Greenup wurde eine der erfolgreichsten OSS-Operationen im Zweiten Weltkrieg. Ausschlaggebend dafür waren die familiären und freundschaftlichen Kontakte Webers in seinem Heimatort Oberperfuss – ein kleines, durch und durch katholisch-konservativ und weitgehend Nazi-freies Dorf, westlich oberhalb von Innsbruck, wo die Gruppe Unterschlupf fand und bis zur Befreiung 1945 operieren konnte. In diesem Zusammenhang hebt der Autor den wichtigen und mutigen Beitrag von einheimischen Frauen als Quartiergeberinnen, Kurierinnen, Kontaktherstellerinnen und dergleichen hervor und qualifiziert sie als das „operative Rückgrat“ (S. 311) von Greenup.

Die im Februar 1945 mit Fallschirmen abgesetzte Gruppe hatte zwar primär nachrichtendienstliche Aufträge: Informationsbeschaffung über die (de facto nichtexistente, aber von der NS-Propaganda hochgespielte) „Alpenfestung“, Auskundschaftung der für den alliierten Vormarsch wichtigen Brennerstrecke und Daten für Bombenziele zu funken, was auch erfolgreich durchgeführt werden konnte. Fred Mayer ging in seinen Aktivitäten aber darüber weit hinaus und baute im Raum Innsbruck ein weitverzweigtes Widerstandsnetz auf. Seine historische Stunde schlug allerdings erst nach seiner durch Verrat eines Gestapospitzels erfolgten Verhaftung durch die Gestapo im April 1945.

Der Tiroler NSDAP-Gauleiter Franz Hofer, als Reichsstatthalter, Reichsverteidigungskommissar und Oberster Kommissar für die Operationszone Alpenvorland ein mächtiger Mann in der NS-Hierarchie, der am Rande schon in die Verhandlungen zur deutschen Kapitulation an der Italienfront Ende April involviert war und in dieser Zusammenbruchsphase vor allem seine Haut retten wollte, sah in dem – fälschlich für einen höherrangigen Offizier gehaltenen – OSS-Agenten eine Schiene zur heranrückenden US-Armee. Er ließ den schwer gefolterten Fred Mayer durch den Innsbrucker NSDAP-Kreisleiter Max Primbs aus der Gestapohaft herausholen. Mayer gelang es, am 3. Mai 1945 den Kontakt mit den in Zirl vor Innsbruck kämpfenden US-Truppen herzustellen und Kapitulationsverhandlungen einzuleiten. Noch am selben Tag unterzeichnete Hofer in Anwesenheit von weiteren führenden Tiroler NS-Funktionären die kampflose Kapitulation vor den Unterhändlern der US-Armee.

Parallel zum Vorgehen des Greenup-Kommandos und aus den nichtverhafteten Resten von Mayers Widerstandsnetzwerk hatte sich der Widerstand in Tirol unter der Leitung des späteren Landeshauptmannes Dr. Karl Gruber neuformiert und konnte durch den nach Zirl entsandten Oberleutnant Ludwig Steiner, einen nachmaligen ÖVP-Politiker, ebenfalls den Kontakt zur US-Armee aufnehmen. Praktisch zeitgleich mit den Verhandlungen der Unterhändler in Zirl, am 3. Mai 1945, besetzten Widerstandskämpfer gewaltsam und unter Verlusten wichtige Punkte in Innsbruck, so dass Innsbruck beim kampflosen Einmarsch der US-Truppen bereits in der Hand der Widerstandsbewegung war.

Peter Pirker beschränkt sich nicht auf die Darstellung der – dramatischen und spannend erzählten – Ereignisse bis zum Mai 1945. Er zeichnet auch ein – aus heutiger Sicht – skandalöses Bild des Umgangs der USA und Deutschlands mit den inhaftierten NS-Verbrechern. Die opportunistische Rechnung Gauleiter Hofers ging auf: Aus amerikanischer Haft entsprungen, erhielt er in der BRD nur eine geringe Strafe und wurde nicht an Österreich ausgeliefert, wo ihm die Todesstrafe drohte. Ebenso kamen die in Folter und Mord involvierten Innsbrucker Gestapobeamten glimpflich davon. Pirker spricht von „offensichtlichen Justizversagen und möglichen politischen und geheimdienstlichen Interventionen“ (S. 304).

Der Autor macht auch den innenpolitischen Klimawandel in Tirol und Österreich bald nach 1945 sichtbar: Im Zuge der gesellschaftlichen Reintegration der ehemaligen NS-Mitglieder, Wehrmachts- und Waffen-SS-Angehörigen waren Widerstand, Desertion und Kampf für die Alliierten nicht mehr opportun. Franz Weber, der eine politische Karriere machte und ÖVP-Nationalratsabgeordneter wurde, sprach und schrieb bald nicht mehr über seine OSS-Tätigkeit, weil er Schaden für seine Laufbahn befürchten musste. Seine aufhellenden Interview-Aussagen für die TV-Sendung „Österreich II“, mit der der Starjournalist Hugo Portisch das zeitgeschichtliche Bild breiter Kreise in Österreich in den 1980er-Jahren prägte, blieben ungesendet. Erst 1988, als sich im Zuge der Waldheim-Debatte die Sicht auf das Verhalten der Österreicher in der NS-Zeit zu ändern begann, konnte Weber in einem Interview für die Tageszeitung „Die Presse“ seine Anerkennung des Einsatzes der US-Agenten öffentlich machen.

Ein wesentlicher, vielleicht der wichtigste Teil von Pirkers Arbeit ist die Auseinandersetzung mit einer österreichisch-patriotischen Historiografie, die einseitig die Innsbrucker Widerstandsaktion hervorhob, zu einer „Selbstbefreiung“ hochstilisierte und den entscheidenden Anteil Fred Mayers und der Greenup-Operation immer stärker ausblendete.2 Insbesondere mit dem damaligen OSS-Agenten und nachmaligen Wiener Verleger Fritz Molden geht Pirker hart ins Gericht („fantastische Erzählungen", “imaginäre Fabrikation von österreichischen Partisanenverbänden", S. 73).

Es ist das besondere Verdienst Peter Pirkers, die bis vor kurzem tradierten Legenden falsifiziert und den entscheidenden Anteil von jüdischen US-Agenten an der kampflosen Befreiung Innsbrucks herausgearbeitet zu haben. Diese Geschichtsrevision erfolgt ohne polemischen oder moralisierenden Ton und sie ist auch nicht einseitig, weil die Rolle des Tiroler Widerstands durchaus anerkannt wird. Der von Pirker nun schon in mehreren Publikationen entwickelte Gesichtspunkt des transnationalen Widerstandes, des grenzüberschreitenden Zusammenwirkens von Widerstands- und Partisanengruppen mit militärischen und nachrichtendienstlichen Stellen der Alliierten, ist ein Kontrapunkt zu einer die europäische Widerstandsforschung jahrzehntelang dominierenden, eindimensionalen patriotisch-nationalen Historiografie3 und bietet neue und fruchtbare Perspektiven für zukünftige Forschungen.

Anmerkungen:
1 Peter Pirker, Gegen das "Dritte Reich". Sabotage und transnationaler Widerstand in Österreich und Slowenien 1938–1940, Klagenfurt-Wien 2010; ders., Subversion deutscher Herrschaft. Der britische Kriegsgeheimdienst SOE und Österreich, Zeitgeschichte im Kontext, hrsg. von Oliver Rathkolb, 6, Göttingen 2012.
2 Diese Sichtweise bestimmte insbesondere die Arbeiten von Otto Molden, Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938–1945, Wien 1958; und Fritz Molden, Fepolinski und Waschlapski auf dem berstenden Stern, Wien 1976, auf denen wiederum der tschechisch-amerikanische Historiker Radomir Luza, Der Widerstand in Österreich 1938–1945, Wien 1985, aufbaute.
3 Siehe dazu u.a. Ger van Roon (Hrsg.), Europäischer Widerstand im Vergleich, Berlin 1985; Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39–1945, Berlin 2011.

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