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Titel
Das Amt "Dux" in Spätantike und frühem Mittelalter. Der "ducatus" im Spannungsfeld zwischen römischem Einfluss und eigener Entwicklung


Autor(en)
Zerjadtke, Michael
Reihe
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 110
Erschienen
Berlin 2019: de Gruyter
Anzahl Seiten
IX, 421 S.
Preis
€ 119,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido M. Berndt, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Mit dem schwierigen, gleichwohl für das Verständnis der Verwaltungsstrukturen der poströmischen Königreiche überaus bedeutendem Phänomen der duces (bzw. der ducatus), befasst sich Michael Zerjadtke in seiner Hamburger Dissertationsschrift. Der dux-Begriff selbst findet sich bekanntermaßen bereits in frühkaiserzeitlichen Quellen und erweist sich über mehrere Jahrhunderte hinweg als sehr langlebig. Damit unterliegt die Bedeutung, oder vielmehr die Bedeutungen, beinahe zwangsläufig einem kontinuierlichen Wandel. Das taciteische Diktum reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt (Germania, cap. 7) hat die Forschung bekanntermaßen sehr in den Bann gezogen und zu unterschiedlichen Deutungen veranlasst. Lange Zeit sah man die völkerwanderungszeitlichen Verbände, denen schließlich gentile Reichsgründungen glückten, gewissermaßen als Nachfolger der kaiserzeitlichen Germanen. Doch selbst wenn solche Ansichten (wie auch die vom „germanischen Stammesherzogtum“) mittlerweile längst überwunden sind und wesentlich differenziertere Erklärungsmodelle für die Herkunft und Organisation dieser Gruppen diskutiert werden, bleiben doch viele Fragen, insbesondere nach dem Verhältnis von römischen und nicht-römischen Einflüssen auf die Herrschaftsformen und den Gesellschaftsaufbau in den sogenannten Nachfolgereichen, nach wie vor offen.

Kurz und knapp definierte Isidor von Sevilla um 600: Dux dictus eo quod sit ductor exercitus (Etymologiae IX,3,22), womit er freilich den Kern der Sache traf. Doch etwas mehr möchte man dann schon über die Genese und Wirkung dieses Amtes und seine unterschiedlichen Facetten wissen. Zu Recht hebt Zerjadtke in seiner Einleitung hervor, dass es bislang noch keine systematische Analyse dieser herausgehobenen Funktionsträger in den spätantiken und frühmittelalterlichen Reichen gibt.1

Um diese Forschungslücke zu schließen, nimmt er insgesamt sieben Gentilverbände mit ihren Reichsbildungen in den Blick, wobei sich weder für die Alemannen noch die Burgunder oder die Vandalen duces nachweisen lassen. Aus den Reichen der West- und Ostgoten, der Langobarden und der Franken hingegen sind zahlreiche duces überliefert. Der Forschungsstand hinsichtlich der duces in diesen Verbänden variierte bislang erheblich, wobei die Fälle der Langobarden und Franken als vergleichsweise gut bearbeitet gelten dürfen. Ein Verdienst Zerjadtkes ist es, durch seine ausführliche Dokumentation der erfassbaren Fälle eine umfangreiche Materialbasis geschaffen zu haben, auf der zukünftige Forschungen aufbauen können.

Nach einigen Vorbetrachtungen, die sich mit dem Quellenbestand, dem römischen Ursprung des dux und terminologischen Fragen befassen, behandelt Zerjadtke zunächst die Reiche der Alemannen und Burgunder. Als Heerführer finden sich bei beiden allein reges (bzw. reguli). Im Falle der Vandalen lassen sich zwar hin und wieder vom rex eingesetzte Heerführer ausmachen, doch werden diese an keiner Stelle explizit als duces klassifiziert. Den Grund dafür sieht Zerjadtke vor allem in der territorialen Struktur des Vandalenreichs, welches auf Militärbezirke, die wiederum von Amtsträgern verwaltet wurden, verzichtet habe. Dass sich keine feste und differenzierte Militärhierarchie abzeichne, wie Zerjadtke meint, könnte aber auch schlicht den unzureichenden Zeugnissen geschuldet sein.

Wesentlich besser gestaltet sich die Quellenlage für die Reiche der West- und Ostgoten. Bei ersteren lassen sich duces als (vom König beauftragte) Heerführer ab der Mitte des 5. Jahrhunderts belegen. Ihr Aufgabenbereich ist, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, im Bereich des Militärischen zu verorten. Eine Militärhierarchie ist – trotz der für das 6. Jahrhundert vergleichsweise guten Quellenlage – allerdings auch in diesem Fall kaum zu erkennen. Für das ostgotische Italien erweist sich die Quellenbasis ebenfalls als aussagekräftig, wobei insbesondere die Varien Cassiodors und der Kriegsbericht des Prokopios wertvolle Details liefern. Der Amaler Theoderich scheint schon kurz nach seinem Sieg über Odovakar dazu übergegangen zu sein, duces als Heerführer einzusetzen und nicht mehr persönlich an kriegerischen Unternehmungen teilgenommen zu haben. Seine Kommandeure rekrutierte er im Wesentlichen aus dem gotischen Verband, wohingegen er in der zivilen Verwaltung des Königreiches durchaus auf römisches Personal setzte. Dass diese Kommandeure in den Quellen als duces bezeichnet werden, beruht Zerjadtke zufolge vor allem darauf, dass die Autoren einen Begriff gebraucht hätten, welcher ihrem Wissen nach der Position des Amtsträgers entsprach. Mehr als diese römische „Inspiration“ möchte er aber nicht erkennen.

Den dux Raetiarum, dessen Bestallungsurkunde Cassiodor in seinen Variae überliefert, behandelt Zerjadtke recht ausführlich (S. 132–142), was insofern berechtigt erscheint, als er diesen Fall offenbar als die Ausnahme von der Regel gelten lässt, indem er an dieser Stelle eine Kontinuität zwischen spätantik-römischen und ostgotischen Amtsträgern gelten lässt.

Der Zeit zwischen dem römischen Sieg über die Ostgoten in Italien und der Ankunft der Langobarden ist ein eigener kurzer Abschnitt gewidmet, in dem vornehmlich die Verwaltung der civitates bzw. der italischen Provinzen behandelt wird. In dem vorangegangenen, langandauernden Krieg sieht Zerjadtke den Grund für die Zerrüttung der Administration, welche eine grundlegende Neuordnung durch Kaiser Justinian nötig gemacht habe (dokumentiert in der Pragmatischen Sanktion aus dem Jahr 554). Seinem ehemaligen Feldherrn Narses – nun im Rang eines patricius – oblag sowohl die zivile wie auch die militärische Verwaltungskontrolle. Aus diesem Modell entwickelte sich einige Jahre später das Exarchen-Amt in Ravenna.

Die Langobarden hatten in Italien 568 jedenfalls keine voll funktionierenden Strukturen vorgefunden. Die Einrichtung des Dukates von Forum Iulii (Cividale del Friuli) bereits kurz nach ihrem Einmarsch dürfte eine Reaktion sowohl auf die Notwendigkeit einer neuen Verwaltung als auch des Fehlens effektiver Verteidigungsstrukturen gewesen zu sein. Mit Gisulf, einem engen Verwandten des Kriegerkönigs Alboin, beginnt denn auch die Reihe der Herzöge dieser civitas, deren Amtsträger bis zum Ende des Langobardenreiches vergleichsweise gut dokumentiert sind (Paulus Diaconus, Autor unserer wichtigsten narrativen Quelle, stammte von dort). Für die meisten der anderen Dukate lassen sich nur einzelne Personen erfassen.

Insgesamt untersucht Zerjadtke über 40 namentlich bekannte Funktionsträger, für die meisten von ihnen liegen allerdings nur wenige aussagekräftige Zeugnisse vor.2 Offenkundig fielen ihnen sowohl zivile als auch militärische Aufgaben zu. Es dürften aber vor allem die militärischen Kompetenzen gewesen sein, welche die duces regelmäßig zu gefährlichen Kontrahenten des Königs machten. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass die Könige Maßnahmen ergriffen, um die Macht der Herzöge zu beschneiden. So finden sich etwa seit der Mitte des 7. Jahrhunderts Gastalden als actores regis, die mit ähnlichen Befugnissen wie die duces ausgestattet waren, gleichwohl aber durch das Königtum besser kontrollierbar waren. Auch für die duces des Langobardenreichs lässt Zerjadtke kaum römischen Einflüsse gelten, die über die Terminologie hinausgingen. Allerdings sieht er auch keine Anknüpfungen an ältere langobardische Institutionen, die vielleicht in ihrer pannonischen Phase zu finden wären, als sie wiederholt in engem Kontakt zur römischen Armee standen.

Nach Zerjadtke war die Einführung des dux im Langobardenreich kurz nach der Invasion eine Art ad hoc-Erfindung, mit Hilfe derer auf die spezifischen Schwierigkeiten in Italien reagiert werden sollte. Da für diese Funktionsträger kein eigenes langobardisches Wort existierte, habe man den dux-Begriff verwendet, wobei offenbleibt, ob dieser durch die Langobarden selbst oder doch durch ihr lateinischsprachiges Umfeld geprägt wurde.

Für sein abschließendes Untersuchungsfeld, das merowingische Frankenreich bis um 600, kann Zerjadkte auf eine recht breite Quellenbasis zurückgreifen. Immerhin 68 duces sind namentlich bekannt, ihre individuellen Laufbahnen teilweise erschließbar. Daraus wiederum kann bis zu einem gewissen Grad eine Ämterlaufbahn rekonstruiert werden. Demnach nahmen die duces die zweithöchste Position der Ämterhierarchie ein und waren allein dem König verantwortlich. Besonders auffällig sind die unterschiedlichen Kompetenzbereiche, die für fränkische duces vorgesehen sein konnten. Dies kennzeichne einen entscheidenden Unterschied zu den vorangegangen römischen duces, zu denen außer in der Begrifflichkeit keine Kontinuitäten feststellbar seien.

Das selbst gesteckte Ziel, die duces am Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter einer eingehenden vergleichenden Untersuchung zu unterziehen und systematisch zu analysieren, erreicht Zerjadtke. Diese Systematik beinhaltet, je nach Quellenlage, die Zuständigkeitsbereiche eines dux, seine militärische Befehlsgewalt, die territoriale Zuständigkeit, seine Amtsdauer, die Position in der gesellschaftlichen Hierarchie, und, soweit denn möglich, auch eine Rekonstruktion der jeweiligen Herkunft und „Karriere“ des Amtsträgers.

Zerjadtke kann durch diese detaillierten Studien zeigen, dass die duces der Nachfolgereiche in ihren Kompetenzen deutlich variabler waren als die früheren römischen Amtsträger. In der Folge kommt er zu dem Schluss, dass der Kontinuitätsthese, nach der die gentilen duces auf den spätrömischen beruht hätten, weitgehend eine Absage zu erteilen sei. Offen bleibt schließlich die Frage, ob und wenn ja inwieweit sich die gentilen Reiche in der Ausgestaltung des Amtes dux gegenseitig beeinflusst haben könnten. Kurz: Zerjadtke gelingt es, eine Forschungslücke zu schließen, die Lektüre seines Buches ist anregend. 16 Karten, Namenslisten der behandelten duces sowie ausführliche Register erleichtern die Benutzung.

Anmerkungen:
1 Darauf verwies 2014 Stefan Esders in seinem programmatischen Aufsatz Spätantike und frühmittelalterliche Dukate. Überlegungen zum Problem historischer Kontinuität und Diskontinuität, in: Hubert Fehr / Irmtraut Heitmeier (Hrsg.), Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, St. Ottilien 2014, S. 425–462; darin machte er deutlich, dass es verfehlt wäre, die „einstige germanische Herleitung frühmittelalterlicher Herzogtümer […] durch eine römische zu ersetzen“ (hier S. 426).
2 Eine Zusammenstellung aller Herzöge, also auch der des 7. und 8. Jahrhunderts, bei Stefano Gasparri, I duchi longobardi (Istituto storico italiano per il Medio Evo. Studi Storici 109), Rom 1978, der 105 duces des Langobardenreichs in seiner prosopographischen Studie verzeichnet.