K. Fermaglich: A Rosenberg by Any Other Name

Cover
Titel
A Rosenberg by Any Other Name. A History of Jewish Name Changing in America


Autor(en)
Fermaglich, Kirsten
Erschienen
Anzahl Seiten
V, 245 S.
Preis
$ 28.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Czakai, Osteuropa-Institut, Freie Universität Berlin

Die Änderung von Vor- und Familiennamen ist ein wiederkehrendes Thema in Migrationsgeschichten und damit auch in der US-amerikanischen Immigrationsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Bislang wurde dieses Phänomen für keine ethnische Gruppe systematisch analysiert. Kirsten Fermaglich untersucht in ihrer 2018 erschienenen Studie die Namensänderungen amerikanischer Jüdinnen und Juden und stellt fest, dass die jüdische Bevölkerung ihre Namen weitaus häufiger änderte als alle anderen Migrantengruppen. Fermaglich fragt nach den Gründen und analysiert mithilfe historischer, soziologischer sowie film- und literaturwissenschaftlicher Ansätze die Geschichte dieses ihrer Auffassung nach vorrangig „jüdischen Phänomens“ (S. 118).

Ausgehend von Namensänderungspetitionen aus dem New York City Civil Court der Jahre 1917 bis 1967 stellt die Autorin chronologisch dar, wie sich die Anträge inhaltlich und quantitativ wandelten, und bestätigt, dass Juden stets überrepräsentiert waren. Durchweg stammten etwa 50 bis 66 Prozent der Anträge von Personen mit jüdisch klingenden Namen, obwohl Juden und Jüdinnen im Beobachtungszeitraum nur etwa 24 bis 30 Prozent der städtischen Bevölkerung ausmachten.

Fermaglichs grundlegende These lautet, dass die Änderung von Vor- und Familiennamen in erster Linie eine Vermeidungsstrategie gegenüber antisemitischer Diskriminierung darstellte. Der alltägliche Antisemitismus in den USA äußerte sich im Beobachtungszeitraum vor allem in der inoffiziellen und nichtstaatlichen Sphäre: Hotels verweigerten Juden die Übernachtung, Arbeitgeber lehnten Juden ab und Hochschulen führten Quotenregelungen ein, um jüdische Studenten auszuschließen. Da Juden durch eine Vielzahl distinktiver Familiennamen für die nichtjüdische Umwelt als „members of a distinct racial group“ (S. 28) erkennbar waren, bedeutete die Änderung des als „jüdisch“ konnotierten Namens hin zu einem unauffälligen englischen (wie etwa Lipschitz zu Lipson) einen Vorteil in der Berufswahl sowie im sozialen Umfeld. Die angestrebten Berufe lagen dabei vor allem im akademischen, medizinischen und Dienstleistungsbereich; die Änderung von Namen ist somit eng gebunden an den Aufstieg der zweiten Generation jüdischer Amerikaner in die Mittelschicht.

Neben dem Antisemitismus war der zweite wichtige Grund für Namensänderungen die wachsende Bedeutung staatlicher Kontrollmechanismen und ihrer Datenträger, beziehungsweise „the growing federal demand for citizens to be easily identified through one consistent name“ (S. 16). Namensänderungen galten lange Zeit als Privatsache und mussten nicht offiziell dokumentiert werden. Spätestens der Kriegseintritt 1941 beförderte jedoch eine Explosion staatlicher Bürokratie sowie die Notwendigkeit übereinstimmender Dokumente. Unterschiede zwischen dem aktuellen Namen und dem Namen in der Geburtsurkunde konnten rechtliche Probleme nach sich ziehen, etwa bei der Rentenzahlung. Namen drücken demnach auch immer ein Verhältnis des Staates zu seinen Einwohnern aus.

Die Autorin stand von Anfang an vor der methodischen Herausforderung, dass die Begründungen in den Petitionen meist recht knappgehalten sind und die Antragsteller antisemitische Diskriminierungserfahrungen so gut wie nie offen benennen. Dennoch kann sie überzeugend herausarbeiten, dass beide eng aneinandergekoppelt waren und Namensänderungen einen Gradmesser antisemitischer Ressentiments in den USA darstellen. Dabei stellt sie fest, dass entgegen weit verbreiteter Legenden nicht nur opportunistische junge Männer ihre karrierehemmenden Namen änderten. Vielmehr kann Fermaglich nachweisen, dass oft ganze Familien ihre Namen gemeinsam änderten und besonders viele junge Frauen unter den Antragstellenden zu finden sind. Auch die Darstellung, die Abkehr von den alten Namen käme einer Abkehr von jüdischer Herkunft, Religion und Identität gleich, kann die Autorin widerlegen. Zwar waren manche Namensänderungen durchaus das Ergebnis einer Entfremdung vom Judentum und ihre Träger nutzten die Gelegenheit, ihre jüdische Identität auch namentlich abzulegen. In den meisten Fällen bedeutete die Namensänderung jedoch ein Abschirmen (S. 184) gegen antijüdische Anfeindungen nach außen, während die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft nicht infrage gestellt wurde. Obwohl Juden, die ihre Namen amerikanisierten, durchaus auf Kritik innerhalb der eigenen community stießen, waren sich die jüdischen Gemeinden und ihre Funktionäre darüber im Klaren, dass es sich in erster Linie um eine Schutzmaßnahme in einer antisemitischen Umgebung handelte, und daher tolerierbar war. Fermaglich schlussfolgert daher, dass die innerjüdische Debatte um Namensänderungen dabei half, die eigene kulturelle Identität zu hinterfragen und sich innerhalb der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Mittelschicht neu zu positionieren.

Ihr Blick auf den öffentlichen Diskurs zu Namensänderungen bietet zudem eine neue Perspektive auf die damals unklare und umkämpfte „rassische“ Zugehörigkeit der amerikanischen Juden. Im Gegensatz zu anderen rassistisch diskriminierten Minderheiten war es Juden möglich, mithilfe einer Namensänderung zumindest ein Erkennungszeichen abzulegen und „racially unmarked“ (S. 102) beziehungsweise „invisible“ zu werden. Fermaglich stellt zudem die These auf, dass der Abwehrkampf sowie Antidiskriminierungskampagnen jüdischer Organisationen einen bedeutenden Einfluss auf die Bürgerrechtsbewegung hatten. Namensänderer sowie Bürgerrechtsanwälte „helped to construct Jewish identity as a white identity“ (S. 10). Mit Verweis auf zeitgenössische Migrantengruppen und ihrer Einstellung zu Namensänderungen (besonders von Muslimen nach dem 11. September 2001) schlussfolgert sie, dass die Bedingungen, aufgrund derer sich Juden für eine Namensänderung entschieden, singulär und mit keiner anderen Migrantengruppe beziehungsweise ethnischen Minderheit vergleichbar waren.

Da sich die Autorin auf New York und die dortigen Namensänderungsanträge konzentriert, bleibt zuweilen das genaue Ausmaß von Namensänderungen in den USA unklar. Anhand ihrer Zahlen zeigt sich zunächst, dass sich nur eine kleine Minderheit der jüdischen Bevölkerung zu diesem Schritt entschloss. Diese quantitative Unschärfe umgeht die Autorin immer wieder, indem sie von „many“ und „some“ (Jews, Americans…) spricht, ohne deutlich zu machen, wie viele sie eigentlich meint. Diese etwas nachlässigen Verallgemeinerungen schmälern jedoch in keiner Weise ihre Forschungsergebnisse. Stattdessen kann die Autorin überzeugend darstellen, dass das Phänomen, trotz der eher geringen Fallzahlen, innerhalb der amerikanisch-jüdischen Öffentlichkeit allseits bekannt war und einen weitreichenden Einfluss auf sie hatte.

Erst die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung und Antidiskriminierungsgesetze sowie die zeitgleich einsetzende Suburbanisierung leiteten einen deutlichen Rückgang jüdischer Namensänderungen ein, sodass sie sich spätestens seit den 1980er-Jahren in New York kaum mehr nachweisen lassen. Im letzten Drittel der Arbeit befasst sich die Autorin daher vor allem mit der Erinnerungskultur. Beeindruckend ist ihre Erkenntnis, dass der Kampf um Namen nach den 1960er-Jahren schnell in Vergessenheit geriet und von einer „cultural amnesia“ (S. 146) ersetzt wurde. Statt die eigene Diskriminierungserfahrung, die sich in der aktiven Entscheidung zur Namensänderungen manifestierte, zu erinnern, wandelte sich das Narrativ in der Populärkultur hin zum Bild der passiven und ahnungslosen Immigranten, deren „authentic Jewish names“ (S. 142) von mürrischen Einwanderungsbeamten willkürlich amerikanisiert wurden. Obwohl solch ein Vorgang historisch nicht haltbar ist, entwickelte sich der Erinnerungsort Ellis Island zum Sinnbild kultureller Auslöschung.

Fermaglichs Ansatz, mithilfe von Namen ein facettenreiches Bild jüdischer Alltagsgeschichte zu schreiben, steht klar in der Tradition von Dietz Berings 1987 erschienenem Werk Der Name als Stigma.1 Obwohl ihre Studie ein gelungenes und erfreuliches Beispiel dafür ist, wie Berings Ansatz mit neuen wissenschaftlichen Konzepten adaptiert und fortgeführt werden kann, bleibt sie im Vergleich zu dessen linguistischer Detailschärfe zuweilen hinter ihren Möglichkeiten zurück. Ein offensichtliches methodisches Problem benennt die Autorin selbst, nämlich die Frage, welcher Name eigentlich als „jüdischer“ Name gilt. Zwar erkennt sie völlig richtig, dass es nicht „den“ jüdischen Namen gab, sondern dass verschiedene Namen zu verschiedenen Zeiten von Juden und Nichtjuden als „jüdisch“ wahrgenommen wurden. Dennoch bleibt unklar, welche Familiennamen die Autorin selbst als „jüdisch“ definiert und überhaupt in ihr Korpus aufgenommen hat. Sie bietet keine eindeutige Definition an, differenziert die Namen nicht nach Herkunft und untersucht nicht, ob sich etwa Namensänderungen von galizisch-jüdischen Immigranten von russisch-jüdischen oder deutschen unterschieden. Zu kurz kommt daher auch der historische Ursprung der Namen in Europa. So kann die Autorin nicht erklären, warum Familiennamen, die in Osteuropa noch als aufgezwungenes staatliches Konstrukt ignoriert wurden, in Amerika plötzlich Ausdruck einer jüdischen Identität waren, die es zu bewahren und gegen Amerikanisierung zu schützen galt. Diese gelegentliche Schwäche im Umgang mit dem Faktor „Name“ ändert jedoch nichts an dem starken Hauptargument der Arbeit, dass Antisemitismuserfahrung das dominante Motiv ihrer Abänderung war.

Fermaglichs Studie beweist, wie gewinnbringend die Erforschung der Kulturgeschichte von Namen ist. Sie zeigt, wie eine vermeintlich nicht erklärungsbedürftige Selbstverständlichkeit ein Ausgangspunkt sein kann, einen verschütteten und verzerrten Aspekt der jüdisch-amerikanischen Alltagsgeschichte zu rekonstruieren.

Anmerkung:
1 Dietz Bering, Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812–1933, Stuttgart 1987.

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