J. Frimmel: Das Geschäft mit der Unzucht

Cover
Titel
Das Geschäft mit der Unzucht. Die Verlage und der Kampf gegen Pornographie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik


Autor(en)
Frimmel, Johannes
Reihe
Buchwissenschaftliche Beiträge 99
Erschienen
Wiesbaden 2019: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
366 S., 18 Abb.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Urszula Bonter, Universität Wrocław

Pornographie als Forschungsobjekt ist nun auch in der deutschen Kulturwissenschaft salonfähig geworden. Ins Zentrum des Interesses rückte zunächst die literarische Epoche der Aufklärung, die mit Fug und Recht nicht nur als das goldene Zeitalter der Pornographie gilt, sondern durch die zahlreichen Querverschränkungen mit den Bereichen Politik, Philosophie und Sozialkritik in der Kulturgeschichte auch einmalig hervorsticht.1 Allein der Kostenfaktor begrenzte die Zahl der Konsumenten auf eine überschaubare Elite. Im 19. Jahrhundert hingegen verliert die Pornographie ihre Exklusivität und gleichzeitig auch ihren gesellschaftskritischen Impetus; als billige Massenware zur Ergötzung aller Lesefreudigen und Bildhungrigen beginnt sie den Markt zu überfluten. Sie mutiert im bürgerlichen Diskurs zu einer realen sozialen Gefahr der Moderne, vor der vorgeblich vor allem die unmündigen Unterschichten mithilfe von Gesetzen und Verboten geschützt werden sollen. Die späte Phase des deutschen Kaiserreichs und die Weimarer Republik werden nun durch die breit angelegte buchwissenschaftliche Studie von Johannes Frimmel abgedeckt. Es handelt sich um eine redigierte Fassung seiner Habilitationsschrift, die 2016 an der Ludwig-Maximilians-Universität angenommen wurde.

Frimmels Arbeit bietet einen wahrlich imposanten Überblick über die Geschichte der erotisch-pornographischen Lesestoffe in Kaiserreich und Weimarer Republik; der Schwerpunkt liegt erklärtermaßen auf den Wandlungen dieses speziellen Marktsegments. Das Wesen der Pornographie zu erfassen bereitete selbst den zuständigen staatlichen Autoritäten große Schwierigkeiten. Der Paragraph 184,1 des Reichsstrafgesetzbuches, der die Verbreitung unzüchtiger Schriften und Abbildungen untersagte und unter Strafe stellte, war nur sehr vage formuliert. Den rechtlichen Maßstab der Unzüchtigkeit bildete das „normale Scham- und Sittlichkeitsgefühl“ (S. 19). Diese nebulöse Definition ließ eine sehr beliebige Handhabung im konkreten Fall zu und gewährte sowohl den Verfolgern als auch den Produzenten und Distribuenten pornographischer Lesestoffe große Spielräume. Nicht zuletzt waren Art und Ort der Publikationen sowie die gewählte Verkaufsstrategie von Bedeutung. So ging etwa der renommierte Leipziger Verlag von Wilhelm Friedrich, der die wichtigsten Frühnaturalisten um sich sammelte, an den Folgen eines Sittlichkeitsprozesses aus dem Jahre 1889 zugrunde (S. 41ff.), während sich ein einfacher Dresdner Kolporteur, der ein Jahr zuvor auf einem Jahrmarkt offiziell anstößige Schriften verkauft hatte, problemlos herausreden konnte (S. 91). 1896 wurde wiederum der Abdruck eines klassischen Romans aus der Zeit der Aufklärung (Ardinghello von Wilhelm Heinse) in der Zeitung Der Sozialist nur deswegen verboten, weil diese sich an breite Arbeitermassen richtete und im Zusammenhang mit den kürzlich aufgehobenen Sozialistengesetzen immer noch als suspekt und bedrohlich galt (S. 48). Die Studie von Frimmel präsentiert eine ganze Reihe von solchen juristischen Widersprüchen und Inkonsequenzen. Auf die Anklage durch die Polizei folgte oft der Freispruch durch die entsprechenden Gerichte und das zeitweilige Verbot wurde dann zur willkommenen Werbung und zum marktwirksamen Verkaufsinstrument.

Bei seiner Rekonstruktion der verschleierten Wege des pornographischen Marktes stützt sich Frimmel auf umfangreiches Archivmaterial; als besonders ertragreiche Quellen erweisen sich die Akten der Bayerischen Dependance der im Jahre 1911 in Berlin eingerichteten „Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchtiger Schriften und Bilder“ (nach ihrer Telegrammadresse im Volksmund „Polunbi“ genannt). Die Münchner Behörde zeichnete sich in der Weimarer Republik durch eine besonders strenge Linie und Hartnäckigkeit bei der Verfolgung des „Geschäfts mit der Unzucht“ aus (S. 13, 24f.). Die zwischen Berlin und München kursierenden polizeilichen Tätigkeitsberichte bilden mit ihren für den internen Gebrauch bestimmten Analysen eine exzeptionelle Quelle für die Entwicklungen des Marktes.

In den drei Hauptkapiteln seines systematischen Überblicks widmet sich Frimmel zunächst den inkriminierten Verlagen, dann der ganzen Palette der erotisch-pornographischen Produkte und schließlich den Distributionswegen. Die Auswahl der dargestellten Verlage erfolgte auf der Grundlage der Buchverbotsmeldungen im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und der Auswertung der internen „Polunbi“-Kataloge; die einzelnen Verlagsportraits berücksichtigen auch die internationale Vernetzung des pornographischen Marktes und unterstreichen die Rolle Deutschlands als gefragter Importeur. So brachte etwa der berühmt-berüchtigte Belgier Auguste Brancart seine klandestinen Werke gleich auf Französisch, Englisch und Deutsch heraus. Eine besonders interessante Entdeckung bildet der Verlag Gustav Grimm aus Budapest, der nicht nur das meistverbotene Witzblatt im Deutschen Reich (Caviar), sondern auch hochbegehrte Sammlungen von pikanten Geschichten herausbrachte. Am umfangreichsten fällt das der Erfassung und Einordnung der pornographischen Produktion gewidmete Kapitel aus (S. 81–225); es umfasst gleichermaßen Romane, Heft- und Kolportageliteratur, Fotografien, Zeitschriften, bibliophile Drucke sowie populärwissenschaftliche Werke, Sittengeschichten und Ratgeber. Auch wenn ein Teil von ihnen heute nur noch harmlos anmutet, gerieten sie ihrerzeit ins Visier der Sittlichkeitsverfechter. Die Titel einiger Secreta aus der Österreichischen Nationalbibliothek hingegen verraten zweifelsohne ihre Zugehörigkeit zur Hardcore-Kategorie: Erlebnisse eines Wollustspenders. (Godmiché); Die 36 Freuden einer Frau; Lesbia, die Schulvorsteherin. Die polizeilichen Tätigkeitsberichte warten auch zu diesem Thema mit pikanten Details auf: So verfasste etwa in den späten 1920er-Jahren eine geschiedene Majorsfrau über 20 sadomasochistische Romane, die sie in Form von schreibmaschinenschriftlicher Vervielfältigung erfolgreich unter die Kunden brachte (S. 82). Im Kapitel zum Vertrieb wird ebenfalls die ganze Breite der Handelswege abgedeckt: Kolportage, Versand, Sortiment, Antiquariat und Leihbibliotheken, Bahnhofs- und Straßenhandel. Das Fallbeispiel des Hausierers, Verlegers und Versandhändlers Gustav Leonhard aus München (S. 231–235) erhellt die Rolle der Druckerbranche und überrascht durch die Schilderung der reibungslosen Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Behörden Ende der 1920er-Jahre.

Frimmels zum Stöbern einladendes großes Panoramawerk wird durch einen umfangreichen Abbildungsteil abgerundet, vornehmlich mit Buchcovern aus den Beständen der Ungarischen Nationalbibliothek und der Österreichischen Nationalbibliothek. Als weiterer Anhang ist eine Liste der Verlage im „Polunbi“-Katalog angefügt, die das Ausmaß der behördlichen Repression dokumentiert. Sie besteht aus mehr als tausend Posten, unter denen kaum ein aus heutiger Sicht hochangesehener Verlag fehlt.

Deutlich arbeitet Frimmel die Konjunkturen des Verfolgungsdrucks heraus mit ihren Höhepunkten kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und am Anfang und zum Ende der Weimarer Republik. Die schwankende Intensität des Kampfes gegen Pornographie steht in einem klaren Zusammenhang zum Krisenempfinden von Gesellschaft und Politik. Frimmels abschließender Feststellung, „Verbote und Bekämpfung der unzüchtigen Bilder und Schriften reagieren seismographisch auf politische Krisen“ (S. 271), ist vollkommen zuzustimmen. Ebenso seinem Plädoyer für weitere Untersuchungen zur Entwicklung des pornographischen Marktes unter den rassistischen und volkshygienischen Vorgaben des NS-Regimes. Aus Sicht der Rezensentin gibt es auch für die lange Zeitspanne zwischen Aufklärung und frühem Kaiserreich noch viel Forschungsbedarf.

Anmerkung:
1 Allein im Jahre 2018 erschienen gleich drei Bände, die die Pornographie der Aufklärungsära unter die Lupe nehmen: Christine Haug / Johannes Frimmel / Helga Meise (Hrsg.), „in Wollust betäubt“. Unzüchtige Bücher im deutschsprachigen Raum im 18. und 19. Jahrhundert, Wiesbaden 2018; Dirk Sangmeister / Martin Mulsow (Hrsg.), Deutsche Pornographie in der Aufklärung, Göttingen 2018; Das achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 42/2 (2018), Erotisch-pornografische Texte des 18. Jahrhunderts, Konzipiert von Christine Haug und Helga Meise. Im Auftrag des Vorstandes hrsg. von Carsten Zelle.