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Titel
Der ewige Faschismus. Übersetzt aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Vorwort von Roberto Saviano


Autor(en)
Eco, Umberto
Erschienen
München 2020: Carl Hanser Verlag
Anzahl Seiten
76 S.
Preis
€ 10,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Scheiwiller, Institut für Systematische Theologie und Religionswissenschaft, Universität Wien

200 Jahre liegen zwischen Der ewige Faschismus von Umberto Eco und Zum ewigen Frieden von Immanuel Kant aus dem Jahr 1795. Im italienischen Original heißt es bei Eco Il fascismo eterno; der philosophische Entwurf von Kant hingegen wird mit Per la pace perpetua ins Italienische übersetzt. Obwohl Eco Kant mit keinem Wort erwähnt, zeigt die begriffliche Unterscheidung der romanischen Sprache, dass ‚ewig‘ verschiedene Bedeutungsebenen besitzt. Bei Kant soll ein Frieden juristisch und politisch eingesetzt und verewigt (perpetuiert) werden. Im Gegensatz dazu bezeichnet Eco Ewigkeit mit eterna und will damit zeigen, dass der Faschismus keine historische Epoche Europas darstellt, sondern sich im politischen Denken der Moderne festgesetzt hat. Als Rhetorik der Intoleranz passt sich der Faschismus seiner politischen Umgebung an und wirkt bis heute fort. Die Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen Ecos, die vom italienischen Schriftsteller und Investigativjournalisten Roberto Saviano eingeleitet wird, behandelt die Themen Totalitarismus, Rassismus, Migration, Friedensbewusstsein und Selbst- bzw. Fremdwahrnehmung.

Der 1932 in Alessendria (Piemont) geborene Eco beginnt seine Ausführungen in Der ewige Faschismus (S. 15–42) aus persönlicher Perspektive, wenn er sich an seine Kindheit im Italien Mussolinis, an dessen Sturz, die „Befreiung“ durch die Alliierten und den Widerstand erinnert. Da in Italien unterschiedliche politische Gruppierungen an der Resistenza mitgewirkt hatten, wurde die Erinnerung an Krieg und Faschismus von mehreren Seiten instrumentalisiert (S. 18f.), was die Grenzziehung in der Beurteilung und Aufarbeitung erheblich erschwerte. Den in den 1990er-Jahren erstarkten Rechtspopulismus in Europa schätzt Eco jedoch nicht als Wiederauflage von historischen Totalitarismen ein. Vielmehr zeige sich, dass die einzelnen europäischen Nationalismen eine diffuse Verbindungsebene teilten, welche von „Emotionen“, „kulturellen Sitten“ bis hin zu „dunklen Instinkten und unauslotbaren Trieben“ (S. 20) gesteuert werde. Der italienische Faschismus war für Eco nicht nur aufgrund der Begriffsbildung wegweisend für andere nationalistische Diktaturen. Vielmehr habe es Mussolini über die Inszenierung einer Rhetorik von Macht und Bedrohung verstanden, mittels einer „militärische[n] Liturgie“, einer „Folklore“ und einer eigenen „Kleidermode“ (S. 23) zu regieren. Auch wenn der ‚Fascismo‘ in Italien an Grausamkeit anderen Regimen in nichts nachstand, vertritt Eco die These, dass dieser „nicht durchgehend totalitär“ (S. 22) war, weil Mussolini keiner bis zur äußersten Konsequenz durchgesetzten Ideologie folgte. Eco befasst sich damit, wie faschistische Bewegungen überdauern können, bestehen sie doch vorwiegend aus staatsrechtlichen, ökonomischen und kirchenpolitischen Widersprüchen; es ist dies ein „verschwommener Totalitarismus“ (Totalitarismo ‚fuzzy‘ e Ur-Fascismo, 1995). Faschismus habe sich nicht aufgrund inhaltlicher Konsequenz durchgesetzt, sondern vielmehr wegen ideologischer Unschärfe (vgl. S. 28f.). Eco führt im Anschluss 14 Punkte seines Konzepts des „ewigen oder Ur-Faschismus“ (S. 30) auf. Es reiche aus, wenn Teile oder gar nur ein Merkmal verfolgt werden, um eine faschistische Dynamik herauszubilden (vgl. S. 30–38). Ein zentraler Punkt ist für ihn ein traditionalistischer „Überlieferungskult“, der auf eine mythische „Ur-Wahrheit“ (S. 31) zurückgeführt wird. Des Weiteren ist die Ablehnung der Moderne hervorzuheben, welche kritisches Denken durch Aktionismus und Wertekonservativismus ruhigstellt. Der Faschismus dulde keine Kritik, keine Differenzierung seiner „Wahrheit“, weil er als „synkretistischer Glaube“ (S. 33) Geschlossenheit demonstriere. Diese mystische Einheit bezieht sich im Besonderen auf ethnische Fragestellungen: „der Ur-Faschismus [ist] per Definition rassistisch“ (S. 33). Auf die gesellschaftliche Enttäuschung antworte der Faschismus mit dem Sonderrecht auf die eigene Nationszugehörigkeit. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit sei aufgrund (internationaler) konspirativer Machenschaften permanent bedroht. So changiert die Selbstwahrnehmung nach Eco zwischen Selbstüberhöhung und Opferposition. Die Fremdwahrnehmung hingegen pendelt zwischen Gefahr und Minderwertigkeitszuschreibung. Politisch herrsche das Prinzip des totalen Kampfes, denn der Friede sei kein Moment des Faschismus. Zudem sei dieser elitär, weil in hierarchischen Strukturen die Missachtung nach unten weitergereicht werde. Dafür wird – so Eco – der „Heroismus zur Norm“ (S. 36) erklärt, was zugleich einen heternormativen Machismus fördert, der Frauen abwertet. Eco beschreibt abschließend den „Ur-Faschismus“ als „selektiven oder qualitativen Populismus“ (S. 37). Das bedeutet, dass das politische Individuum in ein Volk aufgegangen ist und die abgegebene Macht vom Führerwillen repräsentiert wird. Die Funktion der Bevölkerung reduziere sich darauf, der inszenierten Rhetorik des Führers ein Publikum zu bieten. Schon in den 1990er-Jahren sah Eco voraus, dass sich dieses „Spiel“ in das Fernsehen und das Internet verlagern wird. Besonders sensibilisiert zeigt sich Eco bei der politischen Herabwürdigung von Parlamenten und bei der Verwendung des „Neusprech“ (George Orwell, 1984), einer in Satzbau und Vokabular vereinfachten Sprache, die das politische Unterbewusstsein manipulieren soll.

In der Rede Migration des dritten Jahrtausends (S. 43–51) von 1997 spricht sich Eco für eine Unterscheidung von Migration und Immigration aus. Im Gegensatz zur unmittelbaren Migration, die viele Menschen zum Verlassen ihrer Heimat zwinge (Krieg, Katastrophe), sei die Immigration politisch steuerbar. So bleibt die Unterscheidung in eine kulturverändernde Migration und eine kulturanpassende Immigration thesenartig stehen. Ecos Vorhersage eines zunehmend multiethnischen Europas des 21. Jahrhunderts, das von Ressentiments gegenüber (Im-)Migrant/innen geprägt sein wird, ist 2020 weitestgehend eingetroffen.

In dem 1997 verfassten Aufsatz Intoleranz (S. 52–59) geht Eco den zwei konfessionell geprägten Begriffen Fundamentalismus und Integralismus nach. Der Fundamentalismus geht auf den protestantischen Literalismus der Moderne zurück, denn das wörtliche Schriftverständnis gestaltet eine Gegenwahrheit zu den mit modernen theologischen Methoden und mit naturwissenschaftlicher Empirie gewonnenen Erkenntnisse aus. Das fundamentalistische Textverständnis neige zwar zu einer sozial-politischen Intoleranz, zwangsläufig sei sie jedoch nicht. Der (katholische) Integralismus hingegen sei eine (religiöse) Lehre, die ihre Prinzipien auf alle – auch politischen und juristischen – Lebensbereiche eines Staates ausdehnen wolle. Intoleranz leitet sich, so Eco, nicht von den Systemen des Fundamentalismus, des Integralismus oder des Rassismus ab, sondern ist diesen vorgelagert. Vielmehr ist Intoleranz ein Impuls, gegen den Menschen sich mittels Bildung ständig erwehren müssen. Dementsprechend gefährlich schätzt Eco die Situation ein, wenn Intoleranz von „elementare[n] Triebe[n]“ (S. 58) gesteuert wird. Verfestige sich die Intoleranz erst zu einer Ideologie, werde sie für vernünftige Argumente endgültig unzugänglich.

In der Rede an der niederländischen Universität Nijmegen unter dem Titel Ein neuer Vertrag von Nimwegen von 2012 konzentriert sich Eco weniger auf die Ursprünge von Intoleranz als vielmehr auf die Bedingungen eines friedlichen Europas. Im selben Jahr wird der Europäischen Union der Friedensnobelpreis überreicht werden. Eco erinnert an die gemeinsamen, mitunter sehr leidvollen Erfahrungen vieler Europäer/innen, welche vor allem nach 1945 zu einer europäischen Identitätsbildung geführt haben. Trotzdem grenzt Europa, so Eco weiter, in seiner Intoleranz weiterhin sogenannte „extracomunitaria“ gegen Innen aus – diejenigen, die nicht Teil von „Europa“ sind oder sein sollen. Dennoch bedeutet das Einfordern von Respekt und die Überwindung von Nationalismus für Eco nicht, dem „ethischen Relativismus“ (S. 65) das Wort zu reden. Vielmehr macht er an dieser Stelle deutlich, dass es historisch und kulturell geprägte europäische „Werte“ (S. 65) gibt, die auch normativ Toleranz einfordern und Intoleranz in all ihren Ausprägungen ablehnen. In Erinnerung an den Frieden von Nimwegen 1678/79 votiert er im Europa des 21. Jahrhunderts für einen neuen Friedensvertrag, der einen ‚Wertepluralismus‘ duldet – Intoleranz jedoch bekämpft.

Experimente in reziproker Ethnologie (S. 67–75) ist die 2011 veröffentlichte Einleitung einer Anthologie, welche im Rahmen seines Forschungsnetzwerks Transcultura (S. 69) entstand. Die Idee der Reziprozität besteht in der Auflösung des ethnologischen Eurozentrismus. Im Hintergrund stehen Fragen der Fremdwahrnehmung: Tendieren räumliche Distanzen verschiedener Kulturräume in der Wahrnehmung eher zu Exotismus? Oder kann Nähe sowohl Reflexion anregen als auch zu Rassismus pervertieren? Das Vorhaben einer symmetrisch angelegten Ethnologie bewegte Transcultura zum Vorhaben, eine „Transkultur-Enzyklopädie“ zu erstellen, die „die gemeinsamen Werte und Prinzipien der verschiedenen Kulturen zu identifizieren“ (S. 73f.) vermag. Schnell wurde jedoch eingesehen, dass eine differenzierte Wahrnehmung interkultureller Auseinandersetzung einem unbefriedigenden Kompromiss aller Beteiligten vorzuziehen ist.

Die in diesem Band zusammengefassten Texte Umberto Ecos richten sich in erster Linie gegen Rassismus und Intoleranz. In Reden brachte er das Aufkommen der sogenannten Rechtspopulist/innen seit Ende der 1980er-Jahre zur Sprache. Es ist dieser Rechtspopulismus, der, wie schon der Faschismus Mussolinis, aus Widersprüchen besteht: aus „christlichen Werten“, aus Bedrängung von Minderheiten und aus einer „Law-and-Order Politik“, die oft noch mit einer neoliberalen Gesellschaftsordnung in Verbindung gebracht wird. Auch im Text zur Migration wird vorweggenommen, wie die „Neue Rechte“ ihre Debatten nicht mehr über die „Rasse“, sondern entlang von kulturellen Ein- und Ausschlusskriterien führt. Eco warnt frühzeitig vor den „ewigen“ Mechanismen einer Angstrhetorik, vor euphemistisch-faschistischen Begriffen und vor Medienmissbrauch. Dass dabei einige inhaltliche Punkte im Rahmen des Vortragsstils einer genaueren Untersuchung bedurften, liegt auf der Hand. So würde man sich zum besseren Verständnis der Thesen zum Triebbegriff (S. 20, 57f.), der Political Correctness (S. 54f.) oder der Unterscheidung von Migration und Immigration (S. 49–51) weitere Ausführungen wünschen.