C. Rollinger (Hrsg.): Classical Antiquity in Video Games

Cover
Titel
Classical Antiquity in Video Games. Playing with the Ancient World


Herausgeber
Rollinger, Christian
Reihe
IMAGINES – Classical Receptions in the Visual and Performing Arts
Erschienen
London 2020: Bloomsbury
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
£ 59.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulli Engst, Freie Universität Berlin

Der vorliegende, von Christian Rollinger herausgegebene Sammelband beschäftigt sich mit Geschichte in digitalen Spielen und fokussiert dabei die Antike. Damit verfolgt er einen ähnlichen Ansatz wie frühere Veröffentlichungen zu digitalen Spielen, die sich auf eine bestimmte Epoche spezialisieren, etwa ein Sammelband von Florian Kerschbauer und Tobias Winnerling, welcher die Frühe Neuzeit thematisiert1, und eine Monographie von Carl Heinze zum Mittelalter.2 In der Liste der beitragenden Autor/innen finden sich einige aus dem Bereich der historischen Game Studies bekannte Namen wie Adam Chapman, Jeremiah McCall, Nico Nolden und Rollinger selbst. Der Sammelband enthält 15 Beiträge und ist eingeteilt in vier thematische Bereiche.

Im Prolog macht Rollinger deutlich, dass er die Auseinandersetzung mit digitalen Spielen, die Themen der antiken Geschichte aufgreifen, zur Antikenrezeption zählt, auch wenn das Medium üblicherweise nicht als Teil der Hochkultur verstanden wird. Die Antike und digitale Spiele sind hierbei ein Themenkomplex, der bisher kaum durch wissenschaftliche Veröffentlichungen gewürdigt wurde. Rollinger stellt fest, dass die Beiträge des vorliegenden Sammelbands die Anzahl an Veröffentlichungen zum Thema nahezu verdoppeln. Durch das Vorstellen geläufiger Erkenntnisinteressen der historischen Game Studies, das grundsätzliche Definieren verschiedener Begriffe und Konzepte und das Einordnen derselben in die Forschungslandschaft bieten Rollingers Prolog und das darauffolgende erste Kapitel von ihm gleichzeitig auch eine übersichtliche Einführung in die Disziplin selbst. Hilfreich für Neueinsteiger/innen ist darüber hinaus ein Glossar am Ende des Bandes mit den wichtigsten Begriffen aus dem Bereich der digitalen Spiele.

Die Beiträge des ersten Themenbereichs in der Publikation, der mit „A Brave Old World. Re-Figurations of Ancient Cultures“ überschrieben ist, bestehen vornehmlich aus Analysen digitaler Spiele und deren historischen Inhalten. David Serrano Lozano etwa untersucht diese popkulturellen Rezeptionen der Antike mithilfe von Rückgriffen und Verweisen auf Kinofilme aus dem Genre der sogenannten Sandalenfilme. Sian Beavers dagegen macht anhand einer Spielanalyse die problematische Darstellung von weiblichen Figuren im von ihr untersuchten digitalen Spiel deutlich. Tristan French und Andrew Gardner befassen sich wiederum mit der historischen Authentizität in digitalen Spielen und setzen sich so mit einem der meistdiskutierten Themen der historischen Game Studies auseinander. Sie stellen fest, dass zum Beispiel „Ryse: Son of Rome“, sowohl für seine spielmechanische Linearität und Repetitivität als auch für seine mangelnde historische Akkuratesse kritisiert wurde. Dies lag unter anderem an den verzerrten Darstellungen historischer Persönlichkeiten und auftretender Völker, weswegen French und Gardner das Fazit ziehen, dass „Ryse“ als auf allen Authentizitätsebenen misslungen eingeordnet werden muss. „Assassin’s Creed: Origins“ dagegen schafft trotz eines übergeordneten Fantasynarrativs das genaue Gegenteil. Durch eine frei begehbare, offene Spielwelt, die personalisierbare Ausrüstung des Spieler/innencharakters und akkurat nachgebildete historische Bauten erreicht es einen hohen Grad an Immersion und damit, laut French und Gardner, auch ein hohes Maß an Authentizität.

„There are exceedingly few games about antiquity that, if not set in a military context per se, do not feature violence and conflict as an integral part of gameplay.“ (Rollinger, S. 33) Es verwundert also nicht, dass sich die Beiträge im zweiten Themenbereich („A World at War. Martial Re-Presentations of the Ancient World“) explizit mit der Darstellung antiker Kriegsführung beschäftigen. Dominic Machado analysiert hierfür eine Cutscene aus „Total War: Rome II“, welche im Spiel die Schlacht im Teutoburger Wald eröffnet und über historische Hintergründe der Schlacht informiert. Für Jeremiah McCall wiederum gilt: „[V]ideo games offer exact (quantifiable) relations, are fully operational […] and manipulable. In short, one can play them and test them as systems. These features give them the potential to offer more exact and holistic ways to conceptualize and analyse the dynamics of ancient battles in the past.“ (S. 108) Um diese Behauptung zu stützen, analysiert McCall sehr detailliert die Darstellung von antiken Schlachten in den digitalen Spielen „Fields of Glory 2“ und „Total War: Rome II“. Er identifiziert darin anhand der drei Analysekategorien der Manöver-, Kampf- und Befehlsmodellierungen zwei verschiedene Darstellungsweisen. Digitale Spiele bieten seiner Meinung nach zweifellos das Potenzial, eine andere Art von Verständnis vom Kampf in einer antiken Schlacht zu vermitteln, als dies etwa literarische Medien können.

„Digital Epics. Role-Playing in the Ancient World“, der nächste Themenbereich des Bandes, hebt weniger einen bestimmten Inhalt, sondern eine spezielle Form von digitalen Spielen hervor. Die Beiträge befassen sich damit, wie digitale Rollenspiele („Role-Playing Games“, RPGs) antike Geschichte transportieren. Ross Clare zieht für seine Analyse postkolonialistische Ansätze heran und Nico Nolden untersucht das MMORPG („Massively Multiplayer Online Role-Playing Game“) „The Secret World“, welches zwar in einem gegenwärtigen Setting verortet ist, jedoch auf diverse historische Wissensbestände zurückgreift. Roger Travis schließlich unternimmt den Versuch, die Art und Weise der Narration in digitalen Spielen des Studios „Bethesda Softworks“ mit jener der homerischen Epen Ilias und Odyssee zu vergleichen. Angelehnt an die erzähltheoretischen Überlegungen von Albert Lord entwickelt Travis ein Theoriemodell für digitale RPGs, wonach sich deren Handlung durch wiederkehrende Elemente, die er als „Themen“ bezeichnet, zusammensetzt. Die Spieler/innen kombinieren diese, ihren Entscheidungen im Verlauf des Spieles entsprechend, miteinander, etwa „Unterhaltung mit einem Charakter“ oder „Kampf“. Ebenso lassen sich damit Themen über mehrere RPGs hinweg identifizieren, etwa der „Versammlungsort“, zu dem sowohl in „Skyrim“ die mittelalterlichen Tavernen als auch in „Fallout 4“ die postapokalyptischen Bars zählen. Ähnliche „Versammlungsort“-Themen finden sich laut Travis wiederum ebenso in den Werken Homers.

Im vierten und letzten thematischen Bereich des Sammelbandes, welcher den Titel „Building an Ancient World. Re-Imagining Antiquity“ trägt, stehen schließlich die Möglichkeiten im Fokus, die digitale Spiele bieten, um Geschichte auf die eine oder andere Art zu rekonstruieren. Die Spiele treten hier also eher als Werkzeug auf und sind weniger Objekt der Analyse. Maciej Paprocki arbeitete zwischen 2013 und 2015 als Berater für das digitale Spiel „Apotheon“, welches die griechische Mythologie zum Thema hat. In seinem Beitrag gibt er Einblicke in dessen Konzeptionierung und Entwicklungsprozess aus Sicht eines Historikers. Alexander Flegler war ebenso an der Produktion der Neuauflage von „Age of Empires“ beteiligt. Er untersucht, aufbauend auf einem Modell von Katie Salen und Eric Zimmermann, wie die Titel dieser Reihe Geschichte darstellen. Erika Holter, Ulrike Schäfer und Sebastian Schwesinger beschreiben in ihrem Beitrag den Versuch, mithilfe einer Spiel-Engine – also der Software, die für Entwickler/innen die Werkzeuge zur Verfügung stellt, mit denen sie ein digitales Spiel programmieren – die Zusammenkunft der Volksversammlung des klassischen Athen zu simulieren. Neville Morley schließlich unternimmt den Versuch, Thukydides‘ Melierdialog, „the archetypal triumph of might over right“ (S. 179), in ein kontrafaktisches und textbasiertes, digitales Spiel umzuwandeln. Dieses stellt die ursprüngliche Linearität in Frage und ersetzt sie durch eine Reihe von Entscheidungen, welche allerdings nicht verändern, was im Original passiert, sondern zu erklären versuchen, warum es passiert ist. Er spricht sich dementsprechend für kontrafaktische Geschichtsschreibung als erkenntnisversprechende Methode aus und beschreibt digitale Spiele als ein mögliches sinnvolles Werkzeug dafür.

Es fällt Adam Chapman zu, im Epilog das Resümee zu den einzelnen Beiträgen und zum Band als Ganzem zu ziehen. Er betont die Rolle der vorliegenden Veröffentlichung als eine Art Bindeglied zwischen den historischen Game Studies und der Antikenrezeption und hebt die Bedeutung hervor, die sie für beide Disziplinen hat. Er ordnet die Ergebnisse der einzelnen Beiträge in die jeweiligen Forschungsdebatten ein und macht damit auch für jeden einzelnen Beitrag dessen Nutzen deutlich. Darüber hinaus wiederholt er seine an anderer Stelle bereits formulierte Forderung, sich beim geschichtswissenschaftlichen Umgang mit digitalen Spielen nicht auf die reine Überprüfung der historischen Akkuratesse einzelner Titel zu limitieren, sondern weitergehende Fragestellungen, speziell angepasst an genau dieses Medium, zu formulieren. Christian Rollingers Sammelband geht genau dieser Forderung mit seinen vielseitigen methodischen Ansätzen nach und bietet damit sowohl für Neueinsteiger/innen als auch für erfahrene Leser/innen interessante Zugänge zu (antiker) Geschichte in digitalen Spielen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Florian Kerschbaumer / Tobias Winnerling (Hrsg.), Frühe Neuzeit im Videospiel. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2014.
2 Vgl. Carl Heinze, Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel, Bielefeld 2012.

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