G. Minn: Kathedralstadt und Benediktinerkloster

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Titel
Kathedralstadt und Benediktinerkloster. Die Abtei St. Vinzenz und die Stadt Metz im Mittelalter


Autor(en)
Minn, Gisela
Reihe
Trierer Historische Forschungen 45
Erschienen
Trier 2002: Kliomedia
Anzahl Seiten
617 S., 7 Karten
Preis
€ 72,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Lützelschwab, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Klöster des Benediktinerordens gehören im Gegensatz zu den Konventen der Seelsorgeorden noch nicht zu den etablierten Gegenständen der Stadtgeschichtsforschung. Fragen zum Verhältnis von Kirche, Stadt und Umland sowie zur Rolle der Klöster im Urbanisierungsprozess Westeuropas ist zwar sowohl auf französischer als auch – mit einiger zeitlicher Verzögerung – auf deutscher Seite nachgegangen worden, doch darf vor dem Hintergrund der bisher vorliegenden Einzelstudien eine tragfähige Synthese noch immer als Desiderat der Forschung gelten. Die hier zu besprechende, von Alfred Haverkamp betreute Trierer Dissertation beschäftigt sich mit den herrschaftlich-rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kultischen Beziehungen zwischen der Abtei St. Vinzenz und der Stadt Metz. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich dabei vom 11. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Mit Metz steht eine der großen Kathedralstädte Westeuropas im Blickpunkt des Interesses, die im Mittelalter mit bis zu 30.000 Einwohnern zweifellos zu den wenigen „Großstädten“ nördlich der Alpen gehörte und insofern eine Sonderstellung einnimmt, als sie den Kontaktbereich zweier Kulturräume bezeichnet. Politisch gehörte sie zum deutschen Reich, rechtlich und kulturell jedoch zum romanischen Gebiet. Mit St. Vinzenz wird eines der sieben in Metz seit dem 10. Jahrhundert nachweisbaren Benediktinerklöster untersucht. Die heute in den Archives départementales zu Metz befindlichen Klosterurkunden bilden zusammen mit dem in der Bibliothèque Nationale verwahrten Hauptkopiar der Abtei, das – ab 1250 zusammengestellt – mehrere hundert, zumeist alt- und mittelfranzösische Urkunden umfasst, die Quellenbasis der Dissertation. Miteinbezogen wird die reiche städtische Überlieferung, insbesondere städtische Verordnungen (atours) und die sogenannten Bannrollen, in denen Besitzveränderungen dokumentiert wurden.

Die Arbeit gliedert sich in sechs Hauptteile. Nach einer Einleitung (I) wird die Entwicklung der Abtei St. Vinzenz bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts (II) nachgezeichnet. Die Beziehungen zwischen Stadt und benediktinischer Mönchsgemeinschaft in herrschaftlich-rechtlicher, sozialer, wirtschaftlicher und kultischer Hinsicht (III) sind Gegenstand des zentralen und mit Abstand umfangreichsten Kapitels. Der Blick wird in der Folge auf den Stadtteil Outre-Moselle und die Vorstadt Saint-Julien gelenkt, mithin dem Beitrag der Abtei zur urbanen Entwicklung von Metz (IV) nachgespürt. Ausführungen zur Klostergrundherrschaft im Metzer Umland (V) münden in eine profunde Schlussbetrachtung (VI).

In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts außerhalb der Stadtmauern gegründet, wird St. Vinzenz erst im Laufe des 13. Jahrhunderts in die Stadtummauerung miteinbezogen (II). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Kloster, dessen Gründung vom Papst 970 bestätigt wurde, eine wichtige Rolle innerhalb der Reformbewegungen des 10. und 11. Jahrhunderts gespielt. Enge Kontakte zum Gorzer Reformzentrum belegen das Bemühen um eine tiefgreifende Neuorganisation des Klosters sowohl in spiritueller als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Rolle von St. Vinzenz während des Investiturstreits muss vor dem Hintergrund einer defizitären Quellenlage unklar bleiben. Doch immerhin wird mit der Umbettung der Vinzenz-Reliquien 1093 die Grundlage für eine Intensivierung der Wallfahrt zum Kloster geschaffen.

Die Ausbildung einer städtischen Gesamtgemeinde (III), die die im Stadtgebiet ansässigen Gemeinschaften und Personenverbände mit ihren jeweiligen eigenen Rechtsbereichen allmählich überlagerte, gehört zweifellos „zu den grundlegenden Neuansätzen im Herrschafts- und Gesellschaftsgefüge Westeuropas während des Mittelalters.“ (S. 82) Dieser Prozess war häufig von starken Anpassungsschwierigkeiten begleitet, hatte der Klerus doch um eine Vielzahl von Privilegien und Sonderrechten zu kämpfen. Nichts anderes geschieht in Metz: weit über die Entstehungsphase der Stadtgemeinde hinaus sind die herrschaftlich-rechtlichen Beziehungen zwischen Laien und Geistlichen von einer generalis discordia geprägt, deren konkreter Verlauf stets von den wechselnden innerstädtischen wie auch regionalen Macht- und Herrschaftsverhältnissen abhängig war. Nachgewiesen wird so beispielsweise, dass die Beziehungen zwischen Geistlichkeit und Bürgerschaft in Metz erst nach der Verdrängung des Bischofs aus der Stadtherrschaft als relativ konfliktfrei bezeichnet werden können. Die ab 1240 erfolgte sukzessive Eingliederung der Konvente in die städtische Rechts- und Solidargemeinschaft war zwar vom partiellen Verlust alter Privilegien begleitet, hatte jedoch auch unbestreitbare Vorteile. Ein effizienter Rechtsschutz war nicht nur für St. Vinzenz angesichts sich immer weiter ausdehnender wirtschaftlicher Aktivitäten von allergrößter Bedeutung.

St. Vinzenz agierte keinesfalls als Fremdkörper innerhalb der Stadt, sondern verstand sich als Teil derselben. Dieses Bewusstsein war zweifellos getragen von den engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Geistlichen und Bürgern. Das Solidarprinzip der Familiengemeinschaften machte die Eingliederung der Geistlichen in den städtischen Rechtsbereich möglich, führte zu einer Nivellierung der Rechtsunterschiede und begünstigte durch soziale Veränderung in den Konventen die Umgestaltung der politischen Verhältnisse nach Übergang der Stadtherrschaft in die Hände der führenden Familienverbände. Der Streit um jurisdiktionelle Kompetenz war ein auf Stärke bzw. Schwäche beruhender Streit. Erst als den Bischöfen die Machtmittel fehlten, um ihre Jurisdiktionsgewalt gegenüber der ihnen unterstellten Geistlichkeit durchzusetzen, konnte es die städtische Justiz wagen, die Reform der Geistlichkeit ungeachtet der bischöflichen Sanktionsgewalt in Angriff zu nehmen. Zur Finanzierung der wachsenden kommunalen Aufgaben wurde die Metzer Geistlichkeit spätestens seit 1223 verstärkt herangezogen. Neben permanenten Abgaben wie der maltôte, einer auf bestimmte Waren erhobenen Verkaufssteuer, waren unregelmäßige Beiträge, beispielsweise zur Realisierung öffentlicher Bauten, zu leisten. Im Kriegsfall war der Klerus zu Gemeinschaftsleistungen verpflichtet.

Die Einbindung der Geistlichkeit in städtische Verantwortung zeigt sich jedoch nirgendwo eindrucksvoller als in der Reform des Wahlmodus, der die jährliche Neubesetzung des Schöffenmeisteramtes zum Ziel hatte. Das Wahlgremium bestand ausschließlich aus Geistlichen, die zumeist den in der Stadt Metz ansässigen Familienverbänden angehörten. In einem Versuch, die Autorität und das Ansehen des Schöffenmeisters, mithin also des Oberhauptes der Stadtverwaltung, gegenüber den konkurrierenden adligen Herrschaftsträgern zu stärken, wandelte sich das Wahlgremium von einem stadtherrlich-bischöflichen zu einem quasi-städtischen Organ, „das der Weisungsbefugnis und der Strafgewalt des Magistrats unterstand.“ (S. 152) In luzider Detailanalyse gelingt G. Minn hier die Darstellung dessen, was man als das transpersonale Pfund bezeichnen könnte, mit dem die Metzer Geistlichkeit nach wie vor wuchern konnte: ihre Autorität und Neutralität.

Der Versuch, die vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen Kloster und Gesellschaft zu ermitteln, gestaltet sich insofern schwierig, als durch die Quellenlage der prosopographischen Analyse enge Grenzen gesetzt werden. Führt man sich vor Augen, dass in Mönchslisten erst im Laufe des 14. Jahrhunderts zu den Vornamen die jeweiligen Beinamen treten, die sich zu Nachnamen im modernen Sinn verfestigen, kann es nicht erstaunen, dass der Quellenbefund häufig mehrdeutig bleibt. Die Autorin erliegt jedoch an keiner Stelle der Versuchung, fehlende Quellenbelege durch ein mehr oder minder tragfähiges Hypothesengerüst zu ersetzen. Gleichwohl gelingt ihr der Nachweis, dass im Kloster St. Vinzenz das monastische Lebensideal niemals so eng gefasst wurde, dass darunter die sozialen Beziehungen nach außen in Mitleidenschaft gezogen worden wären. Eher im Gegenteil: Die Tatsache, dass die Zugehörigkeit zu einzelnen Familienverbänden weiterhin aufrecht erhalten wurde, konnte die klösterliche Entwicklung nachhaltig im positiven Sinn beeinflussen. St. Vinzenz bleibt im gesamten behandelten Zeitraum ein städtisch geprägter Konvent, aus dessen Leitung die einflussreichen Metzer Familien erst mit der Übergabe in Kommende 1452 verdrängt werden. Hatten sich die Konventualen im 14. Jahrhundert noch mehrheitlich aus Familien der politischen Führungselite rekrutiert, gelangten im folgenden Jahrhundert auch Angehörige der „nichtpatrizischen“ Bürgerschaft in den Konvent. Dies ist höchstwahrscheinlich Folge eines dramatischen Rückgangs der Konventsstärke, die im 14. Jahrhundert mit 30 Mönchen, im 15. Jahrhundert jedoch nur noch mit rund 10 Personen beziffert werden kann.

Der Beitrag der Abtei zur urbanen Entwicklung von Metz (IV) wird spätestens zu dem Zeitpunkt fassbar, als durch Ummauerung und Verbesserung der Verkehrsanbindung im frühen 13. Jahrhundert die Entwicklungsvoraussetzungen für den nordwestlichen Stadtteil geschaffen wurden. Der Ausbau des Stadtteils wurde von der Abtei in Eigenregie verantwortet und zeugt von den „raumprägenden Gestaltungsmöglichkeiten geistlicher Personenverbände innerhalb der Stadt.“(S. 329) Die städtische Befestigungs- und Wehrhoheit wurde dabei niemals in Zweifel gezogen. Mit dem 1253/54 fertiggestellten Neubau der Abteikirche gelang dem Konvent eine bis heute wirksame städtebauliche Akzentsetzung. Zugleich trug der Entschluss, eine Kirche „im neuen Stil“ errichten zu lassen, dazu bei, die französische Gotik in der Stadt einzuführen und in die Germania weiterzuvermitteln. Die Sozial- und Wirtschaftsstruktur des Stadtteils war von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe geprägt. Als Begegnungs- und Kontaktzone zwischen Stadt und Land hatte er eine Brückenfunktion inne, die sich als vorteilhaft für die Verwaltung des nicht-städtischen Klosterbesitzes erweisen sollte.

Die Klostergrundherrschaft im Metzer Umland (V), die sich zwar bis in die Nachbarbistümer Mainz, Trier und Worms hinein erstreckte, zum großen Teil jedoch in der unmittelbaren Umgebung von Metz lag, wird anhand unterschiedlichen Kartenmaterials eindrucksvoll illustriert. Deutlich wird, dass sich das Besitzinteresse klar auf stadtnahe Güter westlich und östlich der Mosel richtete. Die Besitzungen wurden erworben, flossen der Abtei jedoch auch in Form von Schenkungen und Lehnsauftragungen durch Metzer Mitbürger zu. Eine kluge Erwerbspolitik trug dazu bei, das Klostervermögen sinnvoll und möglichst verlustresistent anzulegen.

Die Arbeit von G. Minn unterstreicht die entscheidende Bedeutung, die dem personalen Element bei der Beschreibung der Beziehungen zwischen Konvent und Stadtgemeinde beizumessen ist. Raumstrukturierende und urbanisierungsfördernde Vorgänge und Entfaltungsmöglichkeiten können nur dann angemessen analysiert werden, wenn neben den institutionell verfestigten Gemeinschaften wie Kirche und Gemeinde eben auch die hinter diesen Körperschaften stehenden Personenverbände und deren Verbindungen untereinander in die Untersuchung mit einbezogen werden. Nur dann gelangt man zu einer differenzierten Beurteilung raumbildender Vorgänge im späten Mittelalter. Diesem Anspruch ist die Autorin in ihrem Werk voll und ganz gerecht geworden.

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