T. Kaizer: Religious life of Palmyra

Cover
Titel
The religious life of Palmyra. A study of the social patterns of worship in the Roman period


Autor(en)
Kaizer, Ted
Reihe
Oriens et occidens 4
Erschienen
Stuttgart 2002: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
307 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulf Scharrer, Institut für Klassische Altertumswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine weitgehend unveränderte, in Einzelheiten aktualisierte Dissertation, die unter der Anleitung von Fergus Millar in Oxford entstand und dort im Jahr 2000 eingereicht wurde. Vor dem weiteren Hintergrund der römischen Herrschaft im Nahen Osten seit Pompeius untersucht Ted Kaizer die Frage, inwieweit das religiöse Leben Palmyras den Aufbau und das Funktionieren der palmyrenischen Gesellschaft beeinflusste. Er verfolgt dabei einen regionalen Ansatz, den er bewusst gegen häufig grob verallgemeinernde Konzepte "der orientalischen Religion(en)" o.ä. setzt.

In der Einleitung benennt Kaizer nach einer Skizze allgemeiner Aspekte der Geschichte und Kultur Palmyras und ihrer Wahrnehmung in der Forschung sowie nach einem Forschungsüberblick zum religiösen Leben Palmyras grundsätzliche methodische Probleme. In der Forschung wiederholt angesprochen und diskutiert ist das Phänomen, dass seit der 2. Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrhunderts eine palmyrenische Kultur scheinbar aus dem Nichts entsteht. Entsprechend, so Kaizer, seien Konzepte einer Trennung eines religiösen "einheimischen Substrates", das von verschiedenen äußeren Einflüssen überformt werde, sehr hypothetisch. Dagegen setzt er ein dynamisches "model of an additive extension of an open system" (S. 27).1

Ein weiteres Problem sei das Phänomen der Zweisprachigkeit - Latein sei hier zu vernachlässigen - palmyrenischer Inschriften: Stehen Griechisch und das palmyrenische Aramäisch gleichberechtigt nebeneinander, oder ist das Aramäische eher eine Übersetzung des Griechischen? Inwieweit spiegeln die Bilinguen kulturelle Identität(en) wider? Überzeugend ist Ted Kaizers Erklärung, dass sich die palmyrenische Kultur und Identität sowohl in griechischer Sprache wie im palmyrenischen Aramäisch äußern könne. Mit dem Phänomen der Zweisprachigkeit ist freilich nur ein Aspekt der Quellen problematisiert. Das Kapitel 'The sources' stellt eher eine Begründung des regionalen Ansatzes dar. Wünschenswert wäre hier vielleicht eine grundsätzliche Problematisierung der Aussagekraft epigraphischer und archäologischer Quellen im Hinblick auf die Fragestellung gewesen.

Im ersten Kapitel untersucht Ted Kaizer kritisch die soziopolitische Umwelt der palmyrenischen Kulte. Nach einem Überblick über die externe Entwicklung, i.e. die Beziehungen zum Römischen Reich bis 272 n. Chr., skizziert Kaizer die städtebaulichen Strukturen Palmyras. In der Forschung schon lange diskutiert sind die Unregelmäßigkeiten im Stadtplan. Kaizer wendet sich hier zu recht gegen Versuche, darin etwaige 'nomadische' Spuren entdecken zu wollen. Dieser grundsätzlichen Skepsis entsprechend diskutiert er kritisch das Modell eines Gegensatzes zwischen 'bürgerlichen' und 'tribalen' Formen der Götterverehrung, das aufgrund der inschriftlichen Nennung von Göttern der "Vier Stämme" und anderer Gruppen (bny X) auf der einen und der Bezeichnung des Bel-Tempels als "Haus der Götter der Palmyrener" auf der anderen Seite entwickelt wurde. Dieses Modell lasse außer acht, dass die "Vier Stämme" Palmyras eine römerzeitliche soziopolitische Konstruktion darstellen. Vor einer alternativen Klassifikation der religiösen Welt Palmyras behandelt Kaizer Probleme der Urbanisierung Palmyras - das Unterkapitel (S. 51-55) thematisiert freilich in erster Linie Aspekte einer palmyrenischen Ethnogenese.

Ted Kaizer wendet sich hier - sicherlich zu recht - gegen die verbreitete Ansicht, Palmyra sei durch eine plötzliche Sesshaftwerdung von Nomaden entstanden. Eine Alternative sei eine Integration der Oase in ihr Hinterland. Unklar bleibt dabei freilich der mögliche Mechanismus. Problematisch ist bei dieser Erklärung ferner die Fundsituation: Soweit bekannt, datiert der bei weitem überwiegende Teil des archäologischen Materials in die nachchristliche Zeit.2 Grundlegend sind allerdings Kaizers Bemerkungen zum Problem des Stammesbegriffs: Anders als in der Forschung häufig vorausgesetzt, reduziert sich der Begriff weder auf Nomaden, noch ist er als statisch zu betrachten. Als Alternative zu der gängigen soziopolitischen Klassifikation der Tempel und Kulte in 'tribal' und 'bürgerlich' schlägt Ted Kaizer eine Einteilung nach den beiden hauptsächlichen kulturellen Einflusssphären vor, einerseits eine aramäische Sphäre unter mesopotamischem Einfluss, darunter z.B. Bel und die mit ihm assoziierten Götter, andererseits später dazugekommene, vor allem aus dem Westen stammende Götter wie Baal-Shamin, Allat oder Shamash.

Den umfangreichsten Teil der Arbeit bildet das zweite Kapitel, ein ausführliches und detailliertes Inventar sämtlicher inschriftlich und archäologisch nachgewiesener Heiligtümer und Kulte und ihrer äußeren Entwicklung in Palmyra. Deutlich wird dabei eine wesentlich größere Variabilität der religiösen Welt Palmyras, als zu vermuten wäre: Die meisten Heiligtümer dienten der Verehrung mehrerer Götter; zugleich konnte eine Gottheit in mehreren Heiligtümern verehrt werden. Auch die Zuschreibung bestimmter Eigenschaften erscheint als individuell durchaus variabel. Es entsteht mithin das Bild eines offenen religiösen Systems.

Das dritte Kapitel, 'The rhythm of religious life', behandelt die Ausübung von Kulten, religiösen Festen, Prozessionen usw. in ihrem sozialen Kontext. In einem ersten Abschnitt zitiert und bespricht Ted Kaizer ausführlich die schwierig zu interpretierenden palmyrenischen Inschriften zu den sog. 'Heiligen Gesetzen'. Da sie aus unterschiedlichen Kontexten stammen, lassen sich laut Kaizer keine generalisierenden Aussagen machen. Der Versuch, ein kultisches System einzuführen, sei nicht erkennbar. Nach einer Darstellung der Opferriten behandelt Ted Kaizer die Opferterminologie. Auffallend ist hier das offensichtliche Fehlen von aus dem Griechischen abgeleiteten Begriffen. Hingegen zeichne sich ein akkadischer Hintergrund ab. Spärliche Quellen aus Palmyra finden sich zur sog. Heiligen Hochzeit, zu Prozessionen im allgemeinen und zu einem möglichen Akitu-Fest. Generell, so Kaizer, scheint das Material keine unterschiedlichen Gruppenidentitäten zu reflektieren.

Im vierten Kapitel analysiert Ted Kaizer die verschiedenen "groups of worshippers both in a social and in a religious and political context." (S. 213) In einem ersten Schritt problematisiert er die Anwendung der genealogischen Terminologie zur (Selbst-)Definition von Gruppen. Er unterscheidet dabei zwischen den artifiziellen 'Vier Stämmen', 'echten' Stämmen ("'real' tribes", S. 213) und Gruppen, die mit dem Begriff bny (Söhne) belegt werden. Schwer zu interpretieren sei die Anwendung des letzteren Begriffes: Er impliziere nicht notwendigerweise familiäre Beziehungen; das Wort könne auch professionelle Vereinigungen bezeichnen. Der darauf folgende Abschnitt ist den kultischen Trink- und Mahlgemeinschaften gewidmet. Freilich lässt das epigraphische und archäologische Material kaum detailliertere Aussagen über diese Zusammenkünfte zu. Nach einer Untersuchung des Phänomens der Marzeah, zu übersetzen mit 'religiöse Gilde' oder 'Bruderschaft', behandelt Kaizer die palmyrenischen Priesterschaften. Wenn auch die genaue Bestimmung ihrer religiösen und anderen Pflichten schwierig sei, so lasse sich doch für die spätere Zeit feststellen, dass die Priester auch andere wichtige Funktionen in der Stadt hatten. Anzunehmen sei dies auch für die frühere Zeit.

Die wichtigste, wenn auch nicht einzige Gruppe stellen die vielfach belegten Bene Komare (= Söhne der Priester). Auch hier muss die Frage nach einer verwandtschaftlichen Bindung offen bleiben. Ähnliches gilt für die grundsätzliche Frage nach der Erblichkeit des Priestertums, wenn auch eine Reihe von Zeugnissen dies suggerieren mag. Eine wesentliche Quelle für soziale und religiöse Phänomene stellen Gräber und damit verbundene Stiftungen dar, und diese untersucht Kaizer in dem folgenden Abschnitt, indem er detailliert einzelne Inschriften analysiert. Der letzte und zusammenfassende Abschnitt des Kapitels schließlich gilt 'Worship and its role in society'. Nicht zuletzt bemerkenswert sei das Fehlen von Hinweisen auf 'öffentliche' religiöse Feste. Entsprechend sei eine Trennung zwischen 'öffentlichen' und 'privaten' religiösen Verrichtungen kaum vorzunehmen.

Die 'Conclusion' bietet schließlich eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie eine kurze Skizze der Konsequenzen des in dem Buch durchgeführten reduktionistischen Ansatzes für weitere Forschungen. Diese bestehen in erster Linie in einem generellen Infragestellen verschiedener Theorien sowie in einem lokalen Ansatz im Studium der Religionen im Nahen Osten generell.

Abgerundet wird das Buch durch eine ausführliche Bibliographie sowie durch fünf Indizes (Quellen, Orte, Götternamen, Personennamen, allgemeiner Index).

Ted Kaizers Buch verlangt eine genaue Lektüre. Die Vielzahl der an unterschiedlichen Stellen aufgeworfenen Detail- und generellen Fragen und nicht zuletzt zahlreiche innertextuelle Bezüge machen das Buch zwar nicht immer leicht zugänglich, eröffnen jedoch bei genauerer Lektüre eine Unmenge von Perspektiven und weiterführenden Fragestellungen. Wenn Ted Kaizer schreibt, in erster Linie "some new directions for future research" aufzeigen zu wollen (S. 24), so ist ihm mehr als dies gelungen. Eine detaillierte Auswertung der Quellen, insbesondere der Inschriften, verbunden mit einer grundsätzlichen Vorsicht und Skepsis in Fragen der Interpretation, machen sein Buch zu einer Grundlage für weitere Forschungen zur palmyrenischen Geschichte, ferner zur Sozial- und Religionsgeschichte des antiken Nahen Ostens wie überhaupt für das Studium antiker Religionen. Dies gilt zumal, da zur Zeit teilweise die intensive Auswertung der Quellen der Anwendung von Theorien, die mit ihren eigenen Annahmen arbeiten (vgl. Kaizer, S. 264), zu weichen scheint.

Anmerkungen:
1 Er verwendet dabei einen Ansatz von A. Bendlin, Peripheral Centres - Central Peripheries: Religious Communication in the Roman Empire, in: H. Cancik; J. Rüpke (Hgg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion, Tübingen 1997, S. 35-68 (hier S. 52-54).
2 Vgl. D. Schlumberger, La Palmyrène du Nord-Ouest. Villages et lieux de culte de l'époque imperiale. Recherches archéologiques mise en valeur d'une région du désert par les Palmyréniens (Bibliothèque archéologique et historique 49), Paris 1951; vgl. auch G. Buccellati; M. K. Buccellati, Archaeological Survey of the Palmyrene and the Jebel Bishri, in: Archaeology 20 (1967), S. 305-306.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension