V. Ortmann: Reformation und Einheit der Kirche

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Titel
Reformation und Einheit der Kirche. Martin Bucers Einigungsbemühungen bei den Religionsgesprächen in Leipzig, Hagenau, Worms und Regensburg 1539-1541


Autor(en)
Ortmann, Volkmar
Erschienen
Anzahl Seiten
343 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Konersmann, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Die vorliegende theologiegeschichtliche Untersuchung von Volkmar Ortmann ist im Rahmen der von Professor Karl-Heinz zur Mühlen vorbereiteten Edition der Akten und Berichte der Religionsgespräche in Hagenau und Worms 1540/41 entstanden. Diese Edition ist bereits in zwei Teilbänden unter Mitarbeit von Ortmann im Jahr 2000 erschienen; weitere Editionen der ‚Akten der deutschen Religionsgespräche im 16. Jahrhundert‘ sind in Vorbereitung. Der Autor hat seine Studie 1997 als Dissertation an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn eingereicht, betreut wurde sie von Karl-Heinz zur Mühlen.

Da bisher nur Teilaspekte der konkreten Mitwirkung des Straßburger Reformators Martin Bucer an den Religionsgesprächen auf Reichsebene in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erforscht worden sind, ist es Ortmanns „Hauptanliegen“, nicht nur Bucers Einfluss auf die Gespräche, sondern auch seine Beteiligung in ihrem „weitgehend unerforschten Vorfeld“ (S. 13) und in den die Gespräche begleitenden Geheimverhandlungen offen zu legen. Die Untersuchung des kirchenpolitischen Engagements Bucers in diesen Religionsgesprächen zielt in erster Linie auf eine schärfere Konturierung seines „reformatorischen Profils“ (ebd.). Denn in der Forschung würden seine vermittelnde Art der Verhandlungsführung und seine theologischen Positionen nach wie vor kontrovers beurteilt, weil Bucer im Unterschied beispielsweise zu Melanchthon, Luther und Zwingli gegenüber den Altgläubigen zu weitgehenden Kompromissen bereit war, die ihn „bis an den Rand der Selbstaufgabe“ geführt hätten (S. 293). Zwar macht Ortmann auf die disparaten Urteile über Bucer in der Forschung in einer - freilich sehr additiven Art und Weise - in dem ersten Kapitel aufmerksam. Im Verlauf seiner Studie setzt er sich jedoch nur selten kritisch mit einzelnen Positionen auseinander, und wenn er sich hierzu veranlasst sieht, erfolgt die Kritik in den Anmerkungen. Im Schlusskapitel vermeidet er es geradezu, seine Befunde in den Forschungskontext zu stellen. Diese außerordentlich zurückhaltende Vorgehensweise dürfte dazu führen, dass nur Spezialisten die interpretatorische Leistung der gebotenen Textanalysen - das gilt vor allem für das fünfte Kapitel über das Wormser Buch – ebenso wie die auf einer stupenden Quellenkenntnis beruhende Detailkritik in den Anmerkungen würdigen können.

Zum Ausgangspunkt seiner Studie wählt der Autor folgende Fragen: Welches Ziel verfolgte Bucer mit seinen Konkordienbemühungen, und welche Bedeutung maß er den Religionsgesprächen bei? Weiter: „Folgte er einem theologischen oder kirchenpolitischen Programm, und gab es im Laufe der Ereignisse Veränderungen?“ (S. 13). Für die Beantwortung dieser Fragen greift Ortmann nicht nur auf die Edition der Religionsgespräche, die teilweise bereits vorliegenden kommentierten Werke Bucers und die bestehende Forschung zurück, sondern zieht auch diverse Briefwechsel und Akten aus mehreren Archiven heran. Auf dieser breiten Quellengrundlage hat er eine akribisch belegte und kommentarreiche Studie über die Religionsgespräche zwischen namhaften Vertretern altgläubiger und protestantischer Positionen in Leipzig, Hagenau, Worms und Regensburg vorgelegt.

Allerdings wählt Ortmann nicht die genannten Fragestellungen zum Gliederungsprinzip seiner Studie, sondern orientiert sich an der chronologischen Abfolge der Religionsgespräche mit einigen der sie begleitenden Publikationen, die zumeist aus der Feder Bucers stammen. Dem entsprechend beginnt der empirische Teil der Untersuchung im 2. Kapitel mit der Erläuterung von Bucers Schrift ‚Furbereytung zum Concilio‘ von 1533 und endet beim 6. Kapitel, in dem er die zentralen Themen der theologischen Gespräche auf dem Regensburger Reichstag von 1541 interpretiert und das Regensburger Buch mit den neun Gegenartikeln der protestantischen Theologen interpretiert. Die Studie wird von zwei kürzeren Kapiteln beschlossen: Im 7. Kapitel wird das endgültige Scheitern der Vermittlungsbemühungen Bucers und dessen wachsende kirchenpolitische Isolierung bei allen Konfessionsparteien zwischen dem Regensburger Reichstag 1541 und dem Augsburger Interim von 1548 geschildert, so dass er 1549 sogar die Stadt Straßburg verlassen und in das Exil nach England gehen musste. Im Schlusskapitel erläutert Ortmann resümierend das theologische Grundanliegen Bucers und sein kirchenpolitisches Engagement in den Religionsgesprächen, die stets von dem Impetus geleitet waren, „die christliche Wahrheit der protestantischen Lehre für die Altgläubigen annehmbar [zu] machen“ (S. 285).

Dank der unaufhörlichen Dialog- und Kompromissbereitschaft von humanistisch ambitionierten Theologen wie Martin Bucer und Wolfgang Capito gelang der protestantischen Partei auf Reichsebene immerhin die kirchenpolitische Anerkennung ihrer theologischen Position gut fünfzehn Jahre vor der reichsrechtlichen Anerkennung der Confessio Augustana im Augsburger Religionsfrieden 1555. Darin besteht Martin Heckel zufolge die historische Leistung von Bucer und seinen altgläubigen Gesprächspartnern, wie etwa Georg Witzel und Johannes Gropper. 1 Darüber hinaus hat Bucer auf der Grundlage intensiver Beschäftigung mit den Kirchenvätern und im Rückgriff auf die doppelte Rechtfertigungslehre (Gnade und Werke) des Erasmus von Rotterdam die theologischen Übereinstimmungen der Kontrahenten beispielsweise in der Rechtfertigungslehre bereits im Leipziger Religionsgespräch 1539 und später im Wormser Buch 1541 plausibel machen können, so dass sie selbst Luther für bedenkenswert erachtete (vgl. S. 245). Der „Grenzgänger“ Martin Bucer (Harmut Joisten) 2 lehnte eine frühzeitige dogmatische Festlegung der protestantischen Position ab, um die auf einem zukünftigen Nationalkonzil zu erzielende Einheit der Kirche nicht zu gefährden (S. 28, 136f., 261f., 284). Damit entwickelte er eine Form theologischer Vergleichsgespräche3, die erst Jahrhunderte später nach der Überwindung des Konfessionalismus wieder aufgegriffen worden ist. Bucers beachtliche Leistung als Vermittlungstheologe hat der Autor analytisch wie interpretatorisch sehr überzeugend am Beispiel des Wormser Buches im fünften Kapitel dargelegt; es kann als das Kernstück seiner Studie angesehen werden. Die Tragik des Straßburger Reformators ist in seiner ambivalenten Ablehnung gegenüber dem sich im Alten Reich abzeichnenden Konfessionalismus zu sehen, für den sich bereits in den 1540er-Jahren die meisten seiner protestantischen und katholischen Weggefährten entschieden und damit nicht zuletzt dem politischen Taktieren der fürstlichen Reichsstände, des Kaisers und Papstes nachgegeben hatten. Angesichts des Scheiterns seines Vermittlungsstandpunktes neigte Bucer offenbar Ende der 1540er-Jahre zu einer „eignen Orthodoxie“ (S. 264), als er seine Zustimmung zum Augsburger Interim 1548 verweigerte und von Kaiser Karl V. durch „Beugehaft“ zu dessen Annahme gezwungen werden musste (S. 278).

Ortmann hätte jedoch das reformatorische Profil Martin Bucers noch wesentlich präziser herausarbeiten und seine Darstellung nach inhaltlichen Gesichtspunkten systematisch strukturieren können, wenn er beispielsweise die Forschung zur Konfessionsbildung berücksichtigt hätte, die von Ernst-Walter Zeeden in den späten 1950er-Jahren begründet worden ist. 4 Denn im Unterschied zum Konfessionalisierungsansatz Heinz Schillings und Wolfgang Reinhardts beurteilte Zeeden Dogma, Verfassung und religiös-sittliche Lebensform als gleichrangig zu erforschende Bereiche. Wie die grundlegende Studie von Albrecht Pius Luttenberger zeigt5, erweist sich gerade das Untersuchungsfeld der Religionsgespräche des 16. Jahrhunderts als ein höchst aufschlussreicher Gegenstand, anhand dessen der schwierige und konfliktreiche Weg und die treibenden sozialen und politischen Kräfte zur Bekenntnisbildung und Dogmatisierung der Bekenntnisse erschlossen werden können - Prozesse, die sich teilweise hinter dem Rücken der Akteure - auch Martin Bucers - ausprägten.

Anmerkungen:
1 Heckel, Martin, Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Deutsche Geschichte 5), Göttingen 1983, S. 36f.
2 Joisten, Hartmut, Der Grenzgänger Martin Bucer. Ein europäischer Reformator, Stuttgart 1991, S. 163-173.
3 Dingel, Irene, Religionsgespräche IV, Altgläubig – protestantisch und innerprotestantisch, in: Theologische Realenzyklopädie 28 (1997), S. 654-681, hier S. 660.
4 Zeeden, Ernst Walter, Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform, Stuttgart 1985, S. 67-112.
5 Luttenberger, Albrecht Pius, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik (1530-1552). Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg, Göttingen 1982, S. 41-92.

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