Cover
Titel
Encounter between enemies. Captivity and Ransoms in the Latin Kingdom of Jerusalem


Autor(en)
Friedman, Yvonne
Reihe
Cultures, Beliefs and Traditions 10
Erschienen
Anzahl Seiten
295 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Clauss, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Das Schicksal von kriegsgefangenen Soldaten und Zivilisten erfährt aus trauriger Aktualität zunehmende Aufmerksamkeit. Während es in jüngster Zeit eher um die Frage der (völker)rechtmäßigen Behandlung von Kriegsgefangenen geht, befasst sich Yvonne Friedman in ihrer Studie vornehmlich mit der Frage nach Gefangenschaft und Lösegeld in den Kreuzfahrerstaaten.

Ihre Grundthese dabei ist, dass die Begegnung und der Kontakt mit den muslimischen Gepflogenheiten die Einstellung der Kreuzfahrer gegenüber dem Problemfeld ‚Gefangenschaft’ beeinflusst und entscheidend verändert habe. So formuliert sie den Leitgedanken des Buches wie folgt: „My goal has been to tell the tale of the captive in the Eastern arena, to show the effect of the Christian-Muslim encounter on Frankish society.“ (S. 251)

Die Kreuzfahrer zeigten in der Anfangsphase des ersten Kreuzzuges keine oder wenig Bereitschaft, eigene Gefangene auszulösen oder muslimische Gefangene gegen Lösegeld oder im Tausch gegen gefangene Kampfgefährten freizulassen; der muslimische Einfluss führte mit der Zeit dann dazu, dass sie sich mehr und mehr den Sitten ihrer Gegner anpassten und immer komplexere Mechanismen entwickelten, um Lösegelder aufzubringen und Gefangene auszutauschen. Die Kreuzfahrer glichen sich also den Standards an, die sie vorfanden, wobei nicht nur das Vorbild der Muslime, sondern auch die teilweise verheerenden Folgen einzelner Niederlagen und die Notwendigkeiten einer im ständigen Kriegszustand lebenden Gesellschaft eine Rolle spielten: „Taking the basic view that there is a progression, I shall try to show that the crusaders’ attitude changed from one of unwillingness to ransom captives and take responsibility for one’s failures to a gradual learning to cope with the problem, mainly by adopting ways already known in the East.“ (S. 7)

Friedmans Darstellung gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste sich in einem eher chronologischen Aufbau der Entwicklung widmet, die der Umgang mit Kriegsgefangenen genommen hat (Kap. 1-4). In einem zweiten Teil werden verschiedene Einzelaspekte (Leben in Gefangenschaft, Wege aus der Gefangenschaft, Frauen als Gefangene etc.) vorgestellt (Kap. 5-10). Ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein Index beschließen den Band.

Nachdem in einer Einleitung methodische Fragen geklärt und die - vornehmlich historiographische - Quellengrundlage dargestellt wird, widmet sich das erste Kapitel der Frage, wie die ersten Kreuzfahrer mit dem Phänomen der Gefangenschaft umgegangen sind. Zwar bediente sich die Kreuzzugspropaganda des Bildes eines zu befreienden Jerusalems als Ziel des Krieges, eine Konzeption oder Planung, wie mit Gefangenen umzugehen wäre, haben die Kreuzfahrer vorab aber nicht entwickelt. „Therefore, the crusaders had to create their ideology and practice dealing with captivity in response to events.“ (S. 17)

Die ersten Kreuzfahrer waren am Beginn ihres Unternehmens weder bereit den unterlegenen andersgläubigen Gegner zu schonen, noch eigene Kameraden aus der Gefangenschaft auszulösen. Friedman zeigt an Hand einer Reihe von - ins Englische übersetzten - Quellenbeispielen, wie sich diese Einstellung langsam änderte. So machte die erste Kreuzfahrergeneration mit der Zeit zwar Gefangene und ließ diese auslösen, sie übernahm aber noch keine Verantwortung für gefangene Mitstreiter.

Um die Voraussetzungen für dieses Verhalten und den konstatierten Wandel besser beurteilen zu können, wendet sich Friedman in den nächsten Kapiteln den Gepflogenheiten zu, die sich auf beiden Seiten des Konflikts vor der Kreuzzugszeit ausmachen lassen. Auf arabischer Seite geht sie vor allem auf die lange Tradition des Gefangenenaustauschs und Lösegeldzahlens in den arabisch-byzantinischen Auseinandersetzungen des 9. und 10. Jahrhunderts ein. Im andauernden Grenzkonflikt konnten sich von beiden Seiten akzeptierte Mechanismen entwickeln, die einen regelmäßigen Austausch bzw. Abkauf von Gefangenen ermöglichten. Friedman hebt besonders hervor, dass auf muslimischer Seite das Eintreten für Gefangene ein ‚öffentliches’ Anliegen der Gesellschaft war, die den Wert von Gefangenen anerkannte und auf Vermittler zurückgriff, um den Austausch vorzunehmen.

Diesem eingespielten System stellt Friedman die Verhältnisse im Westen gegenüber und kommt zu dem Schluss: „In short, the world the crusaders confronted in the East had a much more developed system of dealing with captives than the places from which the crusaders originated.“ (S. 47)

Den Bereich, den sie verkürzend als ‚den Westen’ bezeichnet, versucht Friedman als Einheit zu behandeln und wendet sich hier unterschiedlichen gesellschaftlichen Aspekten zu, die für die Frage der Behandlung von Gefangenen aussagekräftig sind: religious sensitivities, lay laws of war, peace of God und chivalry. Friedman bemüht sich zu zeigen, dass in der Gesellschaft, aus der die Kreuzfahrer ins Heilige Land ausgebrochen sind, weder das Konzept der Lösegeldzahlung für Gefangene, noch das der Schonung unterlegener Gegner auf breiter Basis anerkannt wurde.

Diese Einstellung änderte sich im Verlaufe des 12. Jahrhunderts durch die Auseinandersetzungen der Kreuzfahrer - der neu aus dem Westen hinzukommenden und der im Königreich von Jerusalem ansässigen - mit den Muslimen, wie Friedman im vierten Kapitel verdeutlicht. Zwar waren die Kreuzfahrer der zweiten und dritten Generation bereit, sich für ihre Gefangenen einzusetzen und zu verhandeln, die Gefangenschaft und die daraus resultierenden finanziellen Konsequenzen sahen sie aber noch immer als vornehmlich individuelles Problem an.

Erst mit der Niederlage in der Schlacht von Hattin 1187, die Friedman als „watershed“ (S. 86) für das Verhältnis der Kreuzfahrer zum Gefangenenproblem bezeichnet, änderte sich dieses Bild. Nun musste eine so große Anzahl von Gefangenen ausgelöst werden, dass aus der individuellen eine gesellschaftliche Verpflichtung wurde. Eine Reaktion auf diese Situation sieht Friedman in der Gründung des Ordens der Trinitarier, die sich vornehmlich dem Freikaufen von Gefangenen verschrieben hatten.

Nach dem chronologischen Überblick wendet sich Friedman Einzelaspekten ihres Themas zu. Zunächst untersucht sie, wie das Leben in Gefangenschaft ausgesehen hat, was sich auf Grund der sehr schlechten Quellenlage als schwierig erweist. Verschiedene Aspekte, wie Zwangsarbeit und Folter, werden dargestellt und analysiert, wobei hier kaum Unterschiede zwischen den Kriegsparteien ausgemacht werden können.

Als Wege aus der Gefangenschaft boten sich Flucht, Befreiung, Konversion zum Islam und eben die Auslösung durch Lösegeld oder in Form eines Gefangenenaustausches an. Friedman untersucht im sechsten Kapitel diese Möglichkeiten und diskutiert an Einzelbeispielen deren unterschiedliche Implikationen. Bezüglich der Lösegeldzahlungen lassen sich schwerlich allgemeingültige Aussagen treffen. Die Zahlenangaben der historiographischen Quellen haben eher topischen Charakter und sollen den Wert des jeweils ausgelösten Gefangenen betonen, der sich an dessen sozialem Status bemaß.

Kapitel sieben befasst sich mit der speziellen Situation von Frauen in Gefangenschaft; obwohl Nichtkombattantinnen waren auch sie von Gefangenschaft betroffen, und ihr Schicksal unterschied sich wesentlich von dem ihrer männlichen Leidensgenossen: „Thus, while female prisoners of war had better chances of survival than male ones, especially if they were young and attractive, their lot in captivity was harder than that of men and usually included sexual abuse.“ (S. 186)

Die besondere Bedeutung der Ritterorden bei den Lösegeldverhandlungen und dem Austausch von Gefangenen, den Trinitariern, den Darstellungen von Gefangenen in der Literatur der Kreuzfahrerzeit widmet sich Friedman ebenso wie dem Vergleich zwischen den Kreuzfahrerstaaten und der Situation der spanischen Reconquista, die ein grundlegend anderes, wesentlich ‚östlicheres’ Vorgehen gegenüber der Kriegsgefangenenproblematik an den Tag legte.

Die Fülle der von Friedmann aufgezeigten Ideen und Gedanken, die hier nur angerissen werden konnte, macht dieses Buch ebenso zu einer äußerst gewinnbringenden Lektüre wie die konzise und durchdachte Art der Analyse. Das Thema wird umfassend und erschöpfend behandelt.

Dem zweigliedrigen Aufbau ist es geschuldet, dass manche Quellenstellen und historischen Ereignisse mehrfach angesprochen werden, was teilweise zu Redundanzen führt. An einigen Stellen hätte man sich ausführlichere Argumentationen gewünscht, um den sehr anregenden Gedanken besser folgen zu können. So wirken etwa die Überlegungen zum Kriegsrecht im europäischen Westen vor den Kreuzzügen vereinfachend, wenn auf Grund weniger Quellenstellen ein allgemeiner Trend hergeleitet werden soll (S. 60-62). Hier scheint es, dass Friedman um ihres sicherlich richtigen Grundgedankens willen die Lage im Westen simplifiziert.

Dies tut dem Gesamteindruck des Buches aber wenig Abbruch, das eine gewinnbringende Lektüre für diejenigen ist, die sich mit der Zeit der Kreuzzüge oder der mittelalterlichen Militärgeschichte befassen.

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