R. Van Dam: Families and friends in Cappadocia

Cover
Titel
Families and friends in late Roman Cappadocia.


Autor(en)
Van Dam, Raymond
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 256 S.
Preis
$45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Sommer, Wolfson College, University of Oxford

In "Kingdom of Snow", dem ersten Band einer auf drei Teile angelegten Reihe über Kappadokien zur Zeit der drei Kirchenväter Gregor von Nazianz, Basilius von Caesarea und Gregor von Nyssa,1 hatte Raymond Van Dam, Professor für Alte Geschichte an der University of Michigan, das stupende Textcorpus, das die "Drei Kappadokier" hinterlassen haben, benutzt, um Wirtschaft und Gesellschaft, Alltag und Lebenswirklichkeit, kulturelle und religiöse Konflikte in einer entlegenen Grenzregion des römischen Kleinasien wiedererstehen zu lassen. Das Ergebnis war ein historiografisches Kleinod, eine hervorragend lesbare Handreichung gerade auch für all jene, die mit den Texten (noch) nicht vertraut waren. Wer vermutet hatte, in den patristischen Texten lediglich auf dröges Kirchenlatein (bzw. -griechisch) und einen abstrakten klerikalen Diskurs zu stoßen, wurde von Van Dam eindrucksvoll eines Besseren belehrt. Mitten ins Leben des spätantiken Anatolien führen die Schriften der Kappadokier und Van Dams solide auf ihnen fußende Darstellung.2

Intimerem als dem Alltagsleben widmet sich der Folgeband von "Kingdom of Snow": "Families and Friends" hat, wie der Titel andeutet, die familiären und freundschaftlichen Bande zum Gegenstand, die Gregor von Nazianz, Basilius und seinen Bruder Gregor von Nyssa untereinander und mit ihrer Umgebung verbanden. Die unbestrittenen Protagonisten des Buches sind Basilius und Gregor von Nazianz, die ihr gemeinsamer Enthusiasmus für das klassische Erbe der antiken Kultur nach Athen führte und "the best of friends" (S. 139) werden ließ. Am Ende der Lektüre meinen wir, beide ganz genau zu kennen: Basilius in seinem brennenden Ehrgeiz, in seiner Präpotenz und seiner ans Fanatische grenzenden Kompromisslosigkeit; Gregor in seiner Hin- und Hergerissenheit zwischen klassischer Kultur und christlicher Religiosität, seiner Indolenz und seiner Ergebenheit Freunden und der Familie gegenüber. Was wir in den Quellen finden und was Van Dam aus ihnen schöpft, sind Porträts und Selbstporträts von einer Eindringlichkeit und Farbigkeit, wie wir sie wohl für wenige antike Persönlichkeiten gewinnen können.

Musterbeispiele sind die Geschichte der Freundschaft zwischen Basilius und Gregor und die ihres Scheiterns. Ihre Grundlage war die geteilte Begeisterung für das, was um die Mitte des 3. Jahrhunderts bereits kulturelles Erbe, "Klassik", war; ihr Ort das Athen jener Zeit, wo sich Gleichgesinnte aus allen Teilen der antiken Mittelmeerwelt zum "Studium" zusammenfanden. Als Basilius von Athen aufbrach, um sich zielstrebig seiner Karriere zu widmen, die ihn bald höheren klerikalen Weihen entgegenstreben ließ, begannen erste Friktionen, ihre Freundschaft zu belasten. Als Basilius als Metropolitanbischof von Caesarea im Streit mit dem heterodoxen Kaiser Valens loyaler Hilfstruppen bedurfte (S. 372), überredete er Gregor kurzerhand, sich zum Bischof von Sasima, einer Kleinstadt unweit seiner Heimatstadt Nazianz, weihen zu lassen. Widerstrebend willigte Gregor ein - und verwand die Kränkung nie, von Basilius benutzt und übergangen worden zu sein. Die Freundschaft zerbrach über gegenseitige Schuldzuweisungen und Kränkungen, zu verfolgen in den von Gregor verfassten Schriften und in den von ihm edierten Briefen.

Van Dam bietet sein Material nicht einfach unkommentiert dem Leser dar, sondern bettet es subtil in relevante Zusammenhänge ein, im vorliegenden Fall in die Bedeutung von Briefen für die Aufrechterhaltung von Freundschaft über geografische Distanz hinweg ("The emotional life of letters", S. 131-138) und in allgemeine Betrachtungen über die Bedeutung von Freundschaft im Umkreis der "Drei Kappadokier" (S. 139-154). Hier freilich hätte man sich noch mehr wünschen können: Eine anthropologische Annäherung an die amicitia der Römer bzw. die philia der Griechen, essenzielle reziproke symmetrische Nahverhältnisse gegenseitiger Solidarität, hätte eine ideale Folie abgegeben, vor der sich die Freundschaft zwischen Gregor und Basilius mit ihren emotional weitreichenden Implikationen noch exzeptioneller ausgenommen hätte. Van Dam hätte sich hier Gelegenheit geboten, einen Prozess elementaren Wandels unter den Auspizien der Christianisierung nachzuzeichnen.3

Eine vierte Person gewinnt im Werk Gregors von Nyssa und - fast mehr noch - in Van Dams Buch beeindruckende Statur: Gregors Schwester Macrina, die zunächst durch Schicksal, nicht durch eigenen Willen unverheiratet blieb und dann von ihrem Bruder zur Personifikation wahrer Askese stilisiert wurde. Die historische Gestalt Macrinas entzieht sich unserem Zugriff. Überlebt hat sie einzig in der Darstellung ihres Bruders. Van Dam macht am Beispiel der Macrina, aber auch anderer weiblicher Familienangehöriger Gregors plausibel, wie der Kappadokier sie benutzt, um die Reputation seiner Familie zu mehren; mit der Biografie seiner Schwester setzte Gregor zugleich seiner Sippe ein Denkmal. Gregor rückte damit Macrina aus dem Bereich des spezifisch Weiblichen in eine Sphäre quasi-geschlechtsloser Jungfrauenschaft, in der sie auch einige eigentlich typisch männliche Züge annehmen durfte, namentlich ihre theologisch-philosopische Gelehrsamkeit.

Abermals ist Van Dam die lebendige, facettenreiche Darstellung einer faszinierenden Epoche gelungen. Er hat die literarische Hinterlassenschaft der "Drei Kappadokier" kongenial vom theologischen Moder befreit und öffnet den historischen Blick für die unvergleichliche Materialfülle. Wem Gregor von Nazianz, Basilius und Gregor von Nyssa nach diesem zweiten Band noch nicht ans Herz gewachsen sind, dem ist vermutlich auch mit dem dritten Teil der Trilogie nicht zu helfen.

Anmerkungen:
1 Der dritte Band, "Becoming Christian", über die Christianisierung der Provinz im 4. Jahrhundert n.Chr. ist soeben erschienen.
2 Vgl. Sommer, M., Rezension zu Van Dam, R., Kingdom of Snow. Roman Rule and Greek Culture in Cappadocia, Philadelphia 2002, H-Soz-u-Kult, 14.07.2003, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-3-028; vgl. auch die vorzügliche knappe Übersicht von Leppin, H., Die Kirchenväter und ihre Zeit, München 2000.
3 Vgl. die Beiträge in Peachin, M.; Alföldy, G.; Caldelli, M. L. (Hgg.), Aspects of Friendship in the Greco-Roman World, Portsmouth 2001; Fitzgerald, J. T. (Hg.), Greco-Roman Perspectives on Friendship, Atlanta 1997; vgl. auch Konstan, D., Friendship in the Classical World, Cambridge 1997. Als knappe Einführung in das Problem Gehrke, H.-J., Art. "Freundschaft", in: Der Neue Pauly 4, 1998, S. 669-671; speziell mit Bezug zur Freundschaft im frühen Christentum Konstan, D., Problems in History of Christian Friendship, Journal of Early Christian Studies 4 (1996), S. 87-113; White, C., Christian Friendship in the Fourth Century, Cambridge 1992.

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