: Emperor - A New Life of Charles V. New Haven 2019 : Yale University Press, ISBN 978-0300196528 760 S. $ 35.00

: Karl V.. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach: Biographie. München 2020 : C.H. Beck Verlag, ISBN 9783406748998 457 S. € 29,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilhelm Ribhegge, Sendenhorst

Am 8. September 1517 stach der 17-jährige Karl, Herzog von Burgund und der neue König von Kastilien, im niederländischen Vlissingen mit 40 Schiffen in See, um Spanien zu erreichen. Ein großes Gefolge und seine 19-jährige Schwester Eleonore begleiteten ihn. Bei widrigem Wind landeten einige der Schiffe am 20. September in dem abgelegenen kleinen asturischen Hafen Villaviciosa. Karl und sein Gefolge mussten sich in eisiger Kälte über 2.000 Meter hohe Berge nach Kastilien durchschlagen. An Allerseelen, am 31. Oktober 1517, erreichten sie den kleinen Ort Becerril los Campos, wo sie allerdings nichts zu essen fanden. Diese Fahrt nach Spanien war wahrscheinlich „die elendste im Leben Karls“, schreibt sein Biograf Geoffrey Parker. Karl und Eleonore machten sich weiter auf nach Tordesillas, wo sich ihre Mutter aufhielt, die nominell Königin von Kastilien war, aber unter Kuratel gehalten wurde.

Zu gleicher Zeit schrieb der bis dahin unbekannte Augustinermönch Martin Luther seine 95 Thesen im fernen Wittenberg, die die Reformation auslösten.

Karls Spanienaufenthalt war nur von kurzer Dauer. Die deutschen Kurfürsten wählten Karl am 28. Juni 1519 in Frankfurt zum deutschen König und „erwählten Kaiser“. Karl musste zur Kaiserkrönung nach Aachen fahren. Im Mai 1520 fuhr Karl mit dem Schiff von Spanien ab und traf am 31. Mai in den Niederlanden ein. Die Krönung fand am 23. Oktober statt.

Fast vierzig Jahre später, im Jahre 1556, unternahm Karl seine letzte Reise von den Niederlanden nach Spanien, um sich im Hieronymitenkloster Yuste in der Extremadura niederzulassen. Zuvor hatte Karl V. am 25. Oktober 1555 in einem feierlichen Staatsakt im Coudenberg-Palast in Brüssel vor den Generalständen der Niederlande seine Herrschaft über Burgund niedergelegt und am 16. Januar 1556 auch seine spanische Herrschaft. Das Kaisertum ging an seinen Bruder Ferdinand I. (1503–1564) über, die Länder der spanischen Krone (Spanien, Niederlande, die italienischen Königreiche Neapel, Sardinien, Sizilien, das Herzogtum Mailand sowie das spanische Kolonialreich in Amerika) an seinen Sohn Philipp II. (1527–1598).

Karl wurde von seinen Schwestern Eleonore von Kastilien und Maria von Ungarn auf der letzten Fahrt nach Spanien begleitet. Man landete am 28. September 1556 an der baskischen Küste. Von dort begab sich Karl zu dem Dorf Jarandilla, in der Nähe des Klosters Yuste, das er zu seinem Alterssitz ausbauen ließ. Am 3. Februar 1557 traf er dort ein. Vorzeitig gealtert und gichtkrank musste er von einer Sänfte getragen werden. Am 21. September 1558 starb Karl in Yuste im Alter von achtundfünfzig Jahren an einem Malariaanfall.

Mit dem Lebensweg Kaiser Karls V. (1500–1558) befassen sich die beiden neuen Biografien von Geoffrey Parker und Heinz Schilling. Parker hat sich intensiv mit der spanischen und niederländischen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts befasst und bereits eine Biografie über Karls Sohn Philipp II. (1978) geschrieben. In dem hier vorzustellenden Buch kommen seine jahrelangen Forschungen über den Kaiser zu ihrem Abschluss.1 Heinz Schillings Buch ist der letzte Titel einer Trilogie, die außerdem seine Bücher „Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie“ (2012) und „1517. Weltgeschichte eines Jahres“ (2017) umfasst.2

Aber warum braucht man überhaupt noch ein weiteres Buch über Karl V., fragt Parker, neben den zahlreichen Büchern, die es über ihn bereits gibt? Beide Autoren, Parker wie Schilling, verdanken der Biografie des Göttinger Historikers Karl Brandi (1868–1946) starke Anregungen. Sein Buch „Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreichs“ kam zuerst 1937 – in der NS-Zeit – heraus. Es erschien 1979 in der siebten Auflage und wurde in fünf Sprachen übersetzt, 1939 bereits ins Englische. Der Ergänzungsband „Karl V. Quellen und Erörterungen“ erschien 1941.

Parker verweist darauf, dass Karl die Hälfte seines Lebens (über 10.000 Tage) in den Niederlanden verbrachte, und fast ein Drittel (über 6.5000 Tage) in Spanien. Er hielt sich mehr als 3.000 Tage in Deutschland auf und fast 1.000 Tage in Italien. Vier Mal besuchte er Frankreich (195 Tage), Nordafrika und England jeweils zwei Mal (99 beziehungsweise 44 Tage). Er verbrachte 260 Tage auf See, um seine Länder zu erreichen. Allerdings überquerte er nie den Atlantik, um seine amerikanischen Besitzungen zu besuchen.

Parkers Biografie ist narrativ und chronologisch angelegt. Seine Bibliografie listet 440 Primärquellen und 568 Sekundärquellen auf, die in dem 90 Seiten umfassende Fußnotenteil verarbeitet werden. Parker zitiert – wortwörtlich – zahlreiche zeitgenössische Quellen, vor allen die Berichte der auswärtigen Diplomaten an den Höfen. Das verleiht dieser Biografie eine ungewöhnliche Breite und Tiefe.

Karl wurde am 24. Februar 1500 in Gent geboren. Der Vater Philipp, Herzog von Burgund, war schon 1506 gestorben, die Mutter Johanna war die Tochter Ferdinands von Aragon und Isabellas von Kastilien. Die ersten 15 Jahre verbrachte Karl mit seinen Schwestern Eleonore, Isabella und Maria am Hof seiner Tante Margarete, der Tochter Kaiser Maximilians I., im niederländischen Mechelen, wo er französisch erzogen wurde. Seine Erzieher waren der burgundische Adelige Chièvres und der Theologe Adrian von Utrecht. 1515 wurde Karl mündig gesprochen, und er zog nach Brüssel um.

Es heißt, dass Karl von Jugend an die Waffen mehr als die Bücher liebte. Bei seinen Besuchen in den Niederlanden freute sich sein Großvater Maximilian darüber, dass sein Enkel Gefallen an der Jagd und am Schießen mit Büchsen und Armbrüsten fand, wie Maximilian es selbst in seinen Büchern „Theuerdank“ und „Weißkunig“ beschrieben hatte. Bis in das Alter liebte Karl das Jagen und Schießen. Auf den Reichstagen, die manchmal monatelang dauerten, vertrieb er sich die Zeit, um mit den Fürsten gemeinsam zu jagen. Karl liebte die Turniere der Ritter vom Goldenen Vlies, deren Großmeister er wurde. Karls Lieblingslektüre war de La Marches Versepos „Le chevalier délibéré“, das er auf seinen Alterssitz in Yuste im Original und einer spanischen Übersetzung mitnahm, ein Beleg dafür, wie sehr Karl von der burgundischen Kultur geprägt war.

Karl wird als frommer Mann beschrieben, der seinen Glauben ernst nahm. In der Karwoche pflegte er sich in ein Kloster zurückzuziehen, um die Gottesdienste zu feiern. Auch als Kaiser ließ sich beim Essen gelegentlich aus religiösen Büchern vorlesen, beispielsweise denjenigen des Bernhard von Clairvaux. Auch Karls Beichtväter beeinflussten ihn. Als aber der Beichtvater Garcia de Loysa Karl dringend zur Mäßigung beim Essen und Trinken riet, hatte er damit keinen Erfolg. Später in Yuste, als er bettlägerig war, ließ er es einrichten, dass er die Messe des Klosters von seinem Bett aus verfolgen konnte.

Karls Verhältnis zu den Päpsten war oft angespannt. Auf dem Reichstag zu Worms 1521 hatte Karl Luther seinen Auftritt gestattet, entgegen dem dringenden Rat des päpstlichen Gesandten Aleandro. Unter Papst Klemens VII. ereignete sich 1527 der Sacco di Roma, der Einfall der kaiserlichen Truppen, der den Papst zwang, auf die Engelsburg zu flüchten. Karls Sekretär Valdes veröffentlichte einen Dialog, in dem er den Papst und seine Berater dafür verantwortlich machte. Aber der Kaiser und der Papst arrangierten sich, und am 24. Februar 1530, dem 30. Geburtstag Karls, kam es zur Kaiserkrönung in Bologna, die ausgiebig gefeiert wurde. Unter seinem Nachfolger, Papst Paul III., wurde 1545 das Konzil von Trient eröffnet, was Karl immer wieder gefordert hatte. Unter Paul IV. fiel das Verhältnis zwischen Papst und Kaiser dann auf einem Tiefstand. Am 25. September 1555 beschloss der Augsburger Reichstag den Religionsfrieden, der die Konfession der Lutheraner anerkannte. Der päpstliche Legat Giovanni Morone, der dem Religionsfrieden zugestimmt hatte, wurde vom Papst Paul IV. inhaftiert, weil er die Rechte der Kirche verraten habe.

Beim ersten Besuch in Spanien sprach Karl noch kein Wort Spanisch, erlernte die kastilische Sprache aber schon innerhalb eines Jahres. Allmählich wurde auch er ein Spanier, und als König von Spanien unterzeichnete er seine Briefe: „Yo el Rey“ – „Ich der König“. Bei seiner Krönung in Aachen 1520 brauchte Karl einen französischen Dolmetscher, aber auf den Reichstag in Augsburg 1530 konnte er sich auf Deutsch verständigen. Als er 1529 erstmals Italien betrat, sprach er kein Wort Italienisch. Aber nach einigen Jahren konnte er sich auch italienisch verständigen. In der Kindheit hatte er wohl auch flämisch gelernt. Schwer tat er sich allerdings mit Latein, das immer noch die damalige Gelehrtensprache war. Botschafter am Hof des Kaisers bewunderten später, schreibt Parker, dass er das Französische, Spanische, Portugiesische, Deutsche und Italienische beherrschte.

Karl V. wurde zum Beherrscher der Niederlande, Spaniens, Deutschlands (Heiliges Römisches Reich), halb Italiens und großer Teile von Mittel- und Südamerika. Aber sein Aufstieg war keineswegs zwingend, sondern von vielen Zufällen begleitet.

In die Regierungszeit Karls V. fiel die Spaltung der Christenheit in Konfessionen seit dem Auftreten Luthers vor dem Reichstag in Worms 1521. Außenpolitisch wurde Europa durch die Osmanen bedroht, die 1529 Wien belagerten. Fast zur gleichen Zeit wie Karl hatten in England Heinrich VIII. und in Frankreich Franz I. ihre Königskronen erlangt. Diese drei Herrscher sollten in den folgenden Jahrzehnten das Schicksal Europas bestimmen. Die Beziehungen zwischen Karl V. und Franz I. waren bis zu ihren ihrem Lebensende von ständigen Kriegszügen begleitet. Zweimal forderten sie sich zu einem Duell heraus. Karls Beziehung zu Heinrich VIII. war davon belastet, dass Heinrich sich von Katharina von Aragon, Karls Tante, scheiden lassen wollte. Der jahrelange internationale Konflikt, der daraus entstand, führte zur Abspaltung Englands von der römisch-katholischen Kirche.

Ein großes Problem der Herrschaft Karls V. waren die langen Distanzen, wie Parker im Kapitel „The tyranny of distance” anschaulich und gut belegt vorführt. Die Nachricht von der Frankfurter Wahl 1519 erreichte Karl in Barcelona nach 17 Tagen. Briefe von Mexiko nach Spanien bauchten mindesten drei Monate. Erasmus beklagt sich in einem Brief, den er 1525 von Basel an den Sekretär Karls schrieb, dass er nicht wisse, ob sein Brief ihn in Spanien erreicht habe: „So viele Berge, Ebenen und Meere trennen uns, dass du in einer anderen Welt zu leben scheinst.“

Von den Schlachten Karls ist vor allen die Schlacht von Pavia 1525 zu nennen, bei der der französische König Franz I. gefangen genommen und nach Madrid gebracht wurde: Karl hatte mit Franz „den mächtigsten Fürsten der Christenheit“ (S. 148) ersetzt. Aber auch die katastrophale Niederlage in der Seeschlacht von Algier 1541 gegen die Ottomanen muss erwähnt werden, bei der Karl in einem Sturm 100 Schiffe und die Hälfte seiner Armee verlor. In der Schlacht von Mühlberg schlug Karl die Lutheraner, mit denen er bisher friedlich verhandelt hatte. Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen verlor hierbei sein Kurfürstentum. Ein Buch über diese Schlacht von Avila y Zuniga („Comentario de la Guerra de Alemaña“) erschien schon 1548, eine lateinische Ausgabe von Guillaume van Male, den Privatsekretär Karls V., im Jahre 1550 und eine deutsche Übersetzung von Philipp Magnus von Braunschweig-Lüneburg 1552 („Warhafftige beschreibung des Teutschen kriegs“). Titian schuf sein berühmtes Gemälde „Kaiser Karl V. nach der Schlacht bei Mühlberg“. Allerdings musste Karl bereits fünf Jahre später vor den aufständischen Reichsfürsten fliehen und die Geschicke des Reichs seinem Bruder Ferdinand überlassen.

Die dynastische Politik der Habsburger spielte eine entscheidende Rolle in der Biografie Karls. Karl traf seinen jüngeren Bruder Ferdinand, der in Spanien aufgewachsen war, zum ersten Mal in Valladolid im November 1517. Er veranlasste, dass Ferdinand in die Niederlande zur Tante Margaret wechselte. Auf dem Reichstag zu Worms 1521 einigten sich die beiden Brüder das Erbe Maximilians I. zu teilen: Ferdinand übernahm das Erzherzogtum Österreich und die österreichischen Länder, Karl bestimmte für seinen Erbteil seinen Bruder zum Nachfolger. In Karls Abwesenheit führte Ferdinand die Geschäfte des Reichs. Über ihre Politik standen die Brüder in einem ständigen brieflichen Austausch.

Bereits Kaiser Maximilian I. hatte mit König Wladislaw II. von Ungarn und Böhmen eine eheliche Verbindung zwischen beiden Königshäusern vereinbart. Im Mai 1521 heiratete Erzherzog Ferdinand in Linz Anna, die Tochter Wladislaws. Dessen Sohn Ludwig wurde im Januar 1522 für volljährig erklärt und zum ungarischen König gekrönt. Er heiratete seine Verlobte Maria, die Schwester Karls und Ferdinands. Aber in der Schlacht von Mohács gegen die Osmanen am 29. August 1526 kam der zwanzigjährige Ludwig um das Leben. Noch im gleichen Jahr wurde sein Schwager Ferdinand als Nachfolger Ludwigs II. zum König von Böhmen – damit zugleich einer der sieben deutschen Kurfürsten – und Ungarn gewählt.

Nach seiner Rückkehr nach Spanien 1522, wo Karl bis 1529 verblieb, hatte er seine Tante Margaret zur Regentin der Niederlande ernannt. Nach deren Tod 1530 ernannte er seine verwitwete Schwester Maria von Ungarn zu ihrer Nachfolgerin. 1526 hatte Karl Isabella von Portugal (1503–1539) geheiratet. Als er 1529 Spanien wieder verließ, um sich u. a. in Bologna von Papst Klemens VII. zum Kaiser krönen zu lassen, setze er Isabella als Regentin in Spanien ein. Daraus entstand eine intensive politische Korrespondenz. Es wird oft übersehen, dass die Korrespondenz, die Karl mit diesen drei Frauen führte, häufig politischer Natur war.

Karls Beziehungen zu seiner Familie – auch zu den illegitimen Kindern – bis hin zu denen der Nichten, Neffen und Enkeln werden bei Parker ausführlich wiedergegeben. Auch sie waren nämlich keineswegs nur persönlicher Natur. Die zahlreichen ehelichen Querverbindungen waren durchweg immer politisch motiviert: Ausdruck der dynastischen Habsburger Familienpolitik. Seine Schwester Eleonore hatte er gezwungen, eine Liebe aufzugeben, um König Manuel I. von Portugal zu heiraten. Später brachte er sie dazu, in zweiter Ehe den französische König Franz I. zu heiraten. Vor und nach seiner Ehe mit Isabella hatte er mehrere uneheliche Kinder, die er alle standesmäßig versorgte. Seine Tochter Maria wurde mit Maximilian, dem Sohn seines Bruders (den späteren Kaiser Maximilian II.), verheiratet. Verwandtenehen waren bei den Habsburgern nicht unüblich. Noch zwei Jahre vor seiner Abdankung nötigte Karl seinen Sohn Philipp, eine Ehe mit der neuen, um elf Jahre älteren Königin von England Mary Tudor einzugehen. Die Heirat fand im Juli 1554 in der Kathedrale von Winchester statt.

Sein Sohn Philipp war 1527 geboren und kastilisch erzogen worden. Karl hatte großen Wert auf seine Erziehung gelegt. Er sprach neben Spanisch auch Portugiesisch und Latein, aber er hatte Schwierigkeiten mit dem Französischen und Deutschen. Karl hatte vorgesehen, dass Philipp ihm als Kaiser nachfolgen sollte. Der Plan scheiterte aber am Einspruch seines Bruders Ferdinand, der das Kaisertum übernahm. Das war der Beginn der spanischen und österreichischen Doppelherrschaft der Habsburger in den folgenden Jahrhunderten. Als Karl im Jahre 1543 Spanien verließ, um sich nach Italien und Deutschland zu begeben, übertrug er die Regentschaft über Spanien seinem sechzehnjährigen Sohn Philipp. Karl verfasste damals eine handschriftliche Instruktion an seinen Sohn, die Parker „als die bemerkenswerteste politische Analyse“ bezeichnet, „die jemals von einem frühmodernen Herrscher zu Papier gebracht wurde“ (S. 289). Das 48 Seiten umfassende Dokument verfasste Karl auf einer Schiffsreise, die ihn zwang, wegen schlechten Wetters sechs Tage in einem kleinen Hafen zu pausieren.

Anlässlich seiner Abdankung in Brüssel 1555 erwähnte Karl neun Reisen nach Deutschland, sechs nach Spanien, sieben nach Italien, zehn zu den Niederlanden vier nach Frankreich, zwei nach England und zwei nach Afrika. Acht Mal habe er das Mittelmer überquert, drei Mal den Atlantik, zähle man seine damals bevorstehende Rückreise nach Spanien mit, ergäbe das sogar vier. Die Zeit, in der Karl lebte, liegt fast 500 Jahre zurück. Der Kaiser verfasste selbst Memoiren, und überdies erschienen Hunderte von Biografien über ihn in einem Dutzend Sprachen. Parker verweist darauf, dass Karl bis zu seinem Tod über 100.000 Dokumente unterzeichnete.

Heinz Schillings Buch ist nicht so umfangreich wie das von Parker mit seiner Fülle an detaillierten Informationen, aber dafür konzentrierter und leichter lesbar. Beide Bücher zeichnen sie dadurch aus, dass sie bewusst auf Erasmus von Rotterdam Bezug nehmen. Schilling erwähnt, dass Erasmus Gast am Hof Margaretes in Mechelen war. 1516 erschien die Schrift „Institutio principis christiani“ des Erasmus, die er Karl widmete, 1517 die Friedensschrift „Querela pacis“, die Erasmus im Auftrag von Karls Kanzler Le Sauvage verfasste.

Schillings Biografie über Karls V. wirkt teilweise wie eine Gegenüberstellung zu seiner Biografie über Martin Luther. Ausdrücklich versucht der protestantische Historiker Schilling dem Habsburger Karl V. gerecht zu werden. Dazu dienen vor allen die Kapitel 4 „Worms – Verteidigung der von den Vorfahren ererbten Religion“ und Kapitel 10 „Mühlberg 24 April 1547 – und der geharnischte Reichstag von Augsburg 1547/48“.

Nach dem Auftritt Luthers vor dem Reichstag in Worms 1521 verfasste der Kaiser eine Antwort auf Luther am nächsten Morgen durch einen Orator vor dem Reichstag verlesen ließ. Schilling schreibt dazu: „Der Wahrheit des durch das Wort Gottes gefangenen Gewissens des Reformators stellte er die Wahrheit seines durch bewährte Tradition und erhabene Vorfahren gefangene Majestät entgegen“ (S. 132): Karl berief sich auf „die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, die katholischen Könige Spaniens, die Herzöge von Burgund und die Erzherzöge Österreichs“ als „Verteidiger des katholischen Glaubens“.

Wörtlich zitiert Schilling die Antwort Karls V.: „Denn es ist gewiss, dass ein einzelner Ordensbruder irrt mit seiner Meinung, die gegen die ganze Christenheit ist sowohl während der vergangenen tausend und mehr Jahre als auch in der Gegenwart; dieser Ansicht wäre die ganze genannte Christenheit immer im Irrtum gewesen und würde es heute noch sein.“ (S. 177) Schilling lässt die Stellungnahme des 21-jährigen Kaisers am 19. April als gleichberechtigt neben der Aussage des 37-jährigen Luther am 18. April 1521 bestehen.

27 Jahre später, nach der siegreichen Schlacht bei Mühlberg 1547 hielt sich Karl V. auch in der Stadt Wittenberg auf. Schilling kommentiert: „Der Kaiser selbst begegnet dem Geist Wittenbergs in einer geradezu weltgeschichtlich anmutenden Szene, die an seine Begegnung mit dem rebellischen Mönch vor einem Vierteljahrhundert erinnert haben muss.“ (S. 294) Ein Jahr zuvor war Luther gestorben und Karl besuchte das Grab Luthers in der Schlosskirche.

Als Karl 1517 erstmals Kastilien betrat, wurde er auch mit den amerikanischen Eroberungen konfrontiert. 1519 erreichte Hernán Cortés Tenochtitlán, das Zentrum des Aztekenreichs. Von der Entdeckung Mexikos erfuhr Karl im gleichen Jahr in Barcelona, wo er die reichlichen Geschenke, die Cortés ihm gesandt hatte, entgegennahm. Nach der Zerstörung Tenochtitláns wurde dort eine katholische Kathedrale errichtet. Die erste Weltumseglung 1519–1522 unter Magellan erwähnt Karl – ohne dessen Namen zu nennen – in einem Brief an seine Tante Margarete in Mechelen. Später, nach der Eroberung Perus durch Pizarro in der 1530er-Jahren, übertrafen die Größe der spanischen Eroberungen in Übersee bei weitem das spanische Festland.

Karl nutzte die riesigen Einnahmen aus den Kolonien weitgehend zur Finanzierung der Kosten seiner europäischen Feldzüge. Aber die Mönche der Dominikaner und Franziskaner stellten zunehmend die moralische Frage nach der Behandlung der eingeborenen Indios, die 1542 durch die „Leyes nueves“ („Neue Gesetze“) neu geregelt wurden. 1550–51 kam es zu dem berühmten Disput in Valladolid, wo sich Las Casas als Verteidiger der Rechte der Indios und Sepúlveda gegenüberstanden.

„Herabgeschleudert von dem Rad der Fortuna“ nennt Schilling das Kapitel, das den deutschen Fürstenaufstand beschreibt, der mit Karls Flucht nach Villach 1552 sein politisches Ende einleitete. Als einziger in der langen Reihe römischer Kaiser legte Karl V. sein Amt nieder. Schilling schreibt dazu: Karl war gescheitert, und er selbst erkannte das. Schilling widerspricht auch dem Bemühen, Karl V. als „Gallionsfigur für das Schiff der Europabewegung“ aufzustellen: „Programm und Person Karls V. sind kaum als Modell für den modernen Einigungs- und Friedensprozess in Europa geeignet.“ (S. 387)

Anmerkungen:
1 Während der Arbeit an dieser Rezension erschien Parkers Buch in deutscher Übersetzung in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft unter dem Titel „Der Kaiser. Die vielen Gesichter Karls V. Politik, Macht, Glaube“. Die Übersetzung konnte für die vorliegende Besprechung nicht mehr berücksichtigt werden.
2 Vgl. die Rezensionen bei H-Soz-Kult von Athina Lexutt: Rezension zu: Schilling, Heinz: Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie. München 2012, in: H-Soz-Kult, 23.04.2013, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-18488> (13.03.2021), und Peter Schuster: Rezension zu: Schilling, Heinz: 1517. Weltgeschichte eines Jahres. München 2017, in: H-Soz-Kult, 18.10.2017, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-26190> (13.03.2021).

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