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Titel
Wie lachte der Bär?. Systematik, Funktionalität und thematische Segmentierung von unterhaltenden Programmformen im Deutschen Fernsehfunk bis 1969


Autor(en)
Breitenborn, Uwe
Reihe
Berliner Beiträge zur Mediengeschichte 1
Erschienen
Anzahl Seiten
339 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Meyen, Institut für Kommunikationswissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München

Um es vorweg zu nehmen: Die Titelfrage beantwortet Uwe Breitenborn natürlich nicht. Auch wer eine ausführliche Abhandlung über die Show „Da lacht der Bär“ erwartet, eine Sendung, die ab 1953 zunächst im DDR-Hörfunk lief und ab 1955 vom Deutschen Fernsehfunk (DFF) übernommen wurde, wird eher enttäuscht sein. Breitenborn widmet dem Publikumsrenner nur siebeneinhalb Seiten. Er verweist auf die breite Literatur zum „Bären“ und auf die Unmöglichkeit, die 46 Fernsehübertragungen zwischen 1955 und 1965 im Detail zu würdigen, und beschränkt sich dann auf die interne und die veröffentlichte Diskussion über die Show (S. 217-224). Fast genauso viel Platz wie „Da lacht der Bär“ bekommen zum Beispiel die Reihe „7 treffen sich um 8“ (19 Folgen zwischen 1967 und 1970) oder die Schlagersendungen mit Heinz Florian Oertel – Programmteile, die selbst Experten nicht sofort präsent sein dürften.

Breitenborn betreibt „medienwissenschaftliche Archäologie“. Er möchte „die sentimentalen Alltäglichkeiten des DFF-Unterhaltungsangebots“ rekonstruieren und „Programmgeschichte als Kultur- und Ästhetikgeschichte“ schreiben (S. 11, 13). Sein Gegenstand sind die nonfiktionalen Unterhaltungssendungen in der Zeit vom 21. Dezember 1952 (Start des Versuchsprogramms) bis zum 3. Oktober 1969 (Beginn des zweiten Programms): Bunte Abende, Musiksendungen, Quiz- und Spielshows. Weit über 3.000 solcher Sendungen sind im Untersuchungszeitraum gelaufen. Breitenborn hat sie alle mit Hilfe der Programmzeitschrift („Unser Rundfunk“ bzw. „FF“) erfasst und die wichtigsten Informationen (Erstsendetag, Wochentag, Sendetitel, Länge) anhand des korrigierten Sendeplans überprüft. Beide Quellen lieferten in der Regel auch Angaben über die wichtigsten Akteure, über den Ablauf und über Programmansagen. Da Breitenborn außerdem interne Programmeinschätzungen (mit Aussagen zur Ästhetik und zur Wirkungsabsicht sowie mit Notizen über Zuschaueranrufe), die Debatten in der Programmzeitschrift, Material der Zuschauerforschung und zum Teil die Sendungen selbst heranziehen konnte, lässt sein Datensatz nicht nur Aussagen über Größenordnungen zu (etwa: Zahl der Quizsendungen in einem bestimmten Jahr), sondern erlaubt tatsächlich in vielen Fällen die angestrebte medienarchäologische Beschreibung.

Neben dem enormen Aufwand, den Breitenborn in diese Vollerhebung gesteckt hat, ist zunächst die kenntnisreiche Diskussion der Quellenlage hervorzuheben (S. 1736). Im zweiten Kapitel findet der Leser Informationen über die Bestände im Deutschen Rundfunkarchiv Potsdam-Babelsberg und im Bundesarchiv, über die programmgeschichtliche Literatur und über den Wert von Autobiografien und von Zeitzeugeninterviews (als seine wichtigsten Gesprächspartner nennt Breitenborn Heinz Quermann, Hans-Joachim Preil, Wolfgang Stemmler und Evelyn Matt). Kern dieses Kapitels ist aber ein Plädoyer für die Quelle Programmzeitschrift. Breitenborn lehnt es ab, „Unser Rundfunk“ bzw. „FF“ lediglich als „politisch-ideologisches Sprachrohr des Fernsehens und des Hörfunks und ihrer politischen Gremien zu betrachten“, und spricht von einer „unterschätzten Quelle“, mit deren Hilfe sich „Spuren der ostdeutschen Rezeptionskultur oder von Rezipientenerwartungen freilegen“ lassen würden (S. 2124). Dies gilt so sicher nicht nur für die Programmzeitschrift, sondern auch für andere Medienangebote der DDR, die von der Kommunikations- und Medienwissenschaft bisher eher vernachlässigt oder bestenfalls als Indizien für das Funktionieren des Lenkungsapparats herangezogen werden. 1

Breitenborn nutzt die genannten Quellen, um im siebenten Kapitel (dem „Herzstück der Arbeit“, das etwa die Hälfte des Buches füllt, S. 13) rund 50 Sendungen und Sendereihen zu beschreiben und zu analysieren. Diese „Fallstudien“, die einen hoch interessanten Einblick in den ostdeutschen Fernsehalltag der 1950er und 1960er-Jahre liefern, sind in acht thematischen Gruppen zusammengefasst (sozialistische Menschengemeinschaft, Unterhaltung als Leistungsschau, Sport, Militarisierung, sozialistische Staatengemeinschaft, politische Ereignisse, Berlin, zweckfreies Vergnügen). Wie die Bezeichnungen zeigen, waren für die Zuordnung der Sendungen jeweils die Bezüge zur Lebenswelt und zum Wertesystem in der DDR entscheidend. Breitenborn weist zwar darauf hin, dass „die inhaltliche Abgrenzung der Sendungen [...] nicht immer eindeutig vorzunehmen war“ (S. 92), wie genau er aber auf die acht inhaltlichen Segmente gekommen ist, sagt er nicht (die Gruppen hätten sich „herauskristallisiert“, S. 91). Intersubjektive Nachvollziehbarkeit dürfte eine medienarchäologische Studie vermutlich ohnehin nicht anstreben. Breitenborn liefert eine Fülle von Informationen, er argumentiert vorsichtig und wohltuend unaufgeregt und räumt am Ende selbst ein, dass er mit seiner Systematik bei aller Ausführlichkeit einige Segmente der DFF-Unterhaltungswelt nicht erfassen konnte (Festtags- und Heimatsendungen, Jugendkultur und Nummernrevuen oder die populäre „Rumpelkammer“, S. 259).

Was bietet das Buch noch? Wie es sich für eine Dissertation (Betreuer: Wolfgang Mühl-Benninghaus, Humboldt-Universität Berlin, und Dieter Wiedemann, Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam) gehört, gibt es natürlich einen Theorieteil – in den Kapiteln drei bis fünf mit Abschnitten über „Medientheorien“, über den Unterhaltungsbegriff und zum Thema „sozialistische Unterhaltung und Massenkultur“. Die theoretische Diskussion endet in einem Dilemma. Der Uses-and-Gratifications-Ansatz und die Cultural Studies legen nahe, Unterhaltung aus Rezipientenperspektive zu betrachten, Breitenborns Untersuchungsgegenstand aber sind die Sendungen selbst. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, präsentiert er im 8. Kapitel sehr ausführlich (auf 20 Seiten) die Ergebnisse einer Umfrage zum DFF-Unterhaltungsprogramm von 1965. Der Versuch, die Zuschauersicht einzubeziehen, ist sicher zu loben, die verwendete Quelle aber ist hier deutlich überbewertet. In den 1950er und 1960er-Jahren gab es in der DDR eine ganze Reihe von Untersuchungen, die über die Bedürfnisse der Mediennutzer Auskunft geben und die Breitenborn hätten helfen können, die Daten von 1965 einzuordnen. 2 Gerade in seinem Untersuchungszeitraum ist generell an der Glaubwürdigkeit von Umfrageresultaten aus der DDR zu zweifeln – nicht nur wegen der Kampagnen gegen das Westfernsehen, sondern auch, weil die Forscher das Problem Repräsentativität noch nicht gelöst hatten. Eine einzige Quelle wie die Untersuchung von 1965 hilft deshalb nicht wirklich weiter.

Auf das 9. Kapitel hätte Breitenborn verzichten können. Zum einen hat er seine Studie zu den DDR-Fernsehlieblingen schon publiziert 3, und zum anderen führt dieser Abschnitt aus dem Untersuchungszeitraum heraus (bis 1989) und passt auch sonst nicht zur Systematik des Buches. Vielleicht wäre ohne diesen Teil Platz gewesen für eine etwas größere Schrift, für großzügigere Tabellen und vor allem für Register. Von solchen Schönheitsfehlern abgesehen ist die Programmgeschichtsschreibung zum DDR-Fernsehen mit Uwe Breitenborns Untersuchung einen großen Schritt vorangekommen.

Anmerkungen:
1 Vgl. exemplarisch Holzweißig, Gunter, Die schärfste Waffe der Partei. Eine Mediengeschichte der DDR, Köln 2002.
2 Vgl. Dussel, Konrad, Der DDR-Rundfunk und seine Hörer. Ansätze zur Rezeptionsforschung in Ostdeutschland (1945–1965), in: Rundfunk und Geschichte 24 (1998), S. 122-136; Dussel, Konrad, Hörfunk in Deutschland. Politik, Programm, Publikum (1923–1960), Potsdam 2002; Meyen, Michael, Hauptsache Unterhaltung. Mediennutzung und Medienbewertung in Deutschland in den 50er Jahren, Münster 2001.
3 Breitenborn, Uwe, In naher Ferne – Lieblinge und Stars im DDR-Fernsehen, in: Siegener Periodicum zur internationalen empirischen Literaturwissenschaft 20 (2001), S.101–116.

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