M. Beer u.a. (Hgg.): Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches

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Titel
Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches. Institutionen – Inhalte – Personen


Herausgeber
Beer, Mathias; Seewann, Gerhard
Reihe
Südosteuropäische Arbeiten 119
Erschienen
München 2004: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 44,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Christian Petersen, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Nachdem in den letzten Jahren die deutsche Ostforschung Gegenstand einer Reihe von Untersuchungen und kontroverser Debatten gewesen ist, hat nun auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Südostforschung begonnen. Den Anfang stellte hierbei eine Tagung dar, die im Oktober 2002 in München stattfand und deren Ergebnisse nun in Form des hier zu rezensierenden Tagungsbandes vorliegen.

Der Untertitel des Bandes spiegelt die Konzeption wider, die bereits den Sektionen der Tagung zugrunde lag: Der Untersuchungsgegenstand Südostforschung soll anhand der Schwerpunkte Institutionen, Inhalte und Methoden sowie Personen analysiert werden. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich hierbei längsschnittartig auf die Jahre 1920 bis 1960 und geht damit über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus, was bedauerlicherweise im Titel des Bandes nicht mehr so eindeutig zum Ausdruck kommt, wie dies noch bei der Tagung der Fall war. Der gewählte Untersuchungszeitraum wird von Mathias Beer in seiner sehr lesenswerten Einleitung erläutert: Das Jahr 1920 markiert den Beginn der Entwicklung einer deutschtumszentrierten Südostforschung, das Jahr 1960 den vorläufigen Abschluss deren erfolgreicher Reinstitutionalisierung in der Bundesrepublik. Die Merkmale der Südostforschung gleichen hierbei jenen der Ostforschung: Entstehung nach dem Ersten Weltkrieg, primär außeruniversitäre Institutionalisierung, ein hoher Grad an deutschtumszentrierter, völkischer Politisierung sowie eine Einbindung in den Verbund der „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“, in diesem Fall konkret der „Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft“.

Am Beginn der folgenden Beiträge steht ein Aufsatz Willi Oberkromes, der unter Rückgriff auf seine einschlägigen Studien die Entwicklung des Paradigmas der Volksgeschichte skizziert. Oberkrome charakterisiert die volksgeschichtliche Forschung mit dem in jüngster Zeit eine Renaissance erfahrenden Begriff des ‚Denkstils’, der einen Zeitraum von 80 Jahren, vom späten Kaiserreich bis in die Bundesrepublik überdauert habe. Einen Bruch in dieser Linie konstatiert er allerdings für die Zeit des Nationalsozialismus, in der die völkische Forschung von rassisch fundierten Ansätzen verdrängt worden sei. Hier ist zu fragen, inwieweit dies nicht eher eine Radikalisierung des Bestehenden als dessen Ablösung darstellte: Das Konzept des Volks- und Kulturbodens zielte bereits auf eine ‚Neuordnung’ der betroffenen Länder unter deutscher Vorherrschaft ab und war somit sehr anschlussfähig für die Szenarien der nationalsozialistischen Planungseliten. Dies wird nicht zuletzt am Beispiel des Südost-Instituts deutlich, dessen Entwicklung von der Gründung 1930 bis 1960 vom heutigen Leiter der Institutsbibliothek und Mitherausgeber Gerhard Seewann skizziert wird. Das Institut ist aus der Leipziger „Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung“ hervorgegangen und sollte sich mit einem als ‚Südost’ bezeichneten Raum beschäftigen. Seewann gelingt es überzeugend zu zeigen, wie dieser bewusst unscharf gehaltene Begriff sich im Folgenden als sehr flexibel bis hin zu seiner Verwendung für deutsche Großraumplanungen während des Zweiten Weltkriegs erwiesen hat. Zwar konstatiert Seewann bestimmte Zäsuren in der Institutsarbeit, die er vor allem in der Anstellung Fritz Valjavecs (1909-1960) 1935 und der Eingliederung des Instituts in das Auslandswissenschaftliche Institut der SS 1940 erblickt; insgesamt betont er jedoch die institutionellen, konzeptionellen und personellen Kontinuitäten. Das Südost-Institut hat seine Arbeit 1951 wieder aufgenommen, was in den Institutsakten aus dieser Zeit mit dem Begriff der „Wiederingangsetzung“ (S. 86) der Arbeit beschrieben wird.

Vergleichbare institutionelle Kontinuitäten liegen im Fall des von Christian Promitzer untersuchten Südostdeutschen Instituts in Graz sowie des Instituts für Heimatforschung in Käsmark/Kežmrok, mit dem sich Christoph Morrissey in seinem Beitrag beschäftigt, nicht vor. Beide Einrichtungen wurden nach 1945 nicht wieder begründet, was jedoch der Nachkriegskarriere der Mitarbeiter keinen Abbruch getan hat, wie Promitzer und Morissey übereinstimmend feststellen. Promitzer beschreibt das Südostdeutsche Institut als ein Beispiel für eine „Täterwissenschaft“ (S. 93), die von Beginn an eng mit den politischen Entscheidungsstellen verzahnt war. Gleichzeitig stand das Institut in der regionalen Tradition deutschnationaler „Schutzvereine“, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einen „Abwehrkampf“ gegen die slowenischsprachige Bevölkerung propagierten; dies wird exemplarisch an der Person des Institutsleiters, des Historikers Helmut Carstanjen (1905-1991), deutlich, der sich bereits in der Zwischenkriegszeit für den „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) engagierte und während des Zweiten Weltkriegs dann an Zwangsumsiedlungsmaßnahmen in der Untersteiermark beteiligt war. Eine ähnlich enge Anbindung an Staats- und Parteistellen zeigt Morissey analog auch für das Institut für Heimatforschung auf; die kurze Geschichte des Instituts kann darüber hinaus als ein Fallbeispiel für die Konkurrenz rivalisierender Deutschtumskonzepte dienen: Ursprünglich von lokalen Heimatforschern mit dem Ziel konzipiert, das Gemeinschaftsbewusstsein der so genannten Karpatendeutschen zu stärken, waren die reichsdeutschen Stellen, vor allem die „Volksdeutsche Mittelstelle“ der SS, bestrebt, die deutschsprachige Minderheit in der östlichen Slowakei näher an das Reich zu binden. Dieser Antagonismus hat die Arbeit des Instituts behindert, das dessen ungeachtet jedoch über einen prominent besetzten Forschungsrat verfügte, dem unter anderem Hans Joachim Beyer, Wilhelm Weizsäcker und Hugo Hassinger angehörten.

Der letzte institutionengeschichtliche Beitrag stammt von Harald Roth, dem Leiter des Siebenbürgen-Instituts in Gundelheim am Neckar. Er beschäftigt sich mit dem 1941 gegründeten „Forschungsinstitut der Deutschen Volksgruppe in Rumänien“, das dann 1956 als Institut für Gesellschaftswissenschaften der Rumänischen Akademie wieder eröffnet wurde. Angesichts fehlender Akten muss sich Roth für die NS-Zeit auf die Auswertung der Institutspublikationen beschränken, wobei er die Mitarbeiter als deutschnational charakterisiert und ihre Arbeiten von ‚der’ NS-Ideologie abgrenzt. Diese Kontrastierung ‚des’ unseriösen, ideologischen Nationalsozialismus mit ‚ordentlicher’ Wissenschaft ist allerdings problematisch und greift angesichts der Forschungsergebnisse der letzten Jahre zu kurz, welche gerade die häufig anzutreffende Verbindung dieser beiden Pole betont hat. Die zeitgenössische Einschätzung der Wissenschaftlichkeit der Volkstumsforschung hat hierbei als zentrale Brücke über das Jahr 1945 hinweg gedient, worin auch eine Erklärung für die auf den ersten Blick erstaunliche personelle Kontinuität liegen dürfte, die Roth mit Blick auf den Mitarbeiterstab des Instituts der Rumänischen Akademie aufzeigt.

Isabel Heinemann und Christian Töchterle thematisieren in ihren Beiträgen die Konsequenzen des Paradigmas der Rasse in der Südostforschung. Heinemann, deren einschlägige Dissertation im vergangenen Jahr erschienen ist 1, beschäftigt sich hierbei mit der Stellung Südosteuropas in den nationalsozialistischen Umsiedlungsszenarien und den konkreten Maßnahmen im „Protektorat Böhmen und Mähren“ sowie in den slowenischen Gebieten der Untersteiermark und der Oberkrain. Hilfreich ist der von Heinemann angestellte Vergleich mit dem besetzten Polen, der die Einordnung der von ihr gewählten Fallbeispiele in den Gesamtkontext ermöglicht und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigt. Wertvoll ist mit Blick auf die Nachkriegskarrieren der ‚Experten’ auch ihr Hinweis, dass dieser Übergang maßgeblich durch das Bild vermeintlich völlig realitätsferner Rassenforscher ermöglicht wurde, das von den Akteuren im Rahmen ihrer Vernehmungen gestrickt und von der Historiografie lange tradiert wurde. Die Untersuchung entsprechender Netzwerke könnte hier weitere Erkenntnisse zu Tage fördern. Der Schwerpunkt des Artikels von Töchterle liegt hingegen auf dem fachinternenen Diskurs der Rassenforscher. Am Beispiel der Kategorie der „Dinarischen Rasse“ zeigt Töchterle auf, wie einerseits auf Traditionen vom Ende des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen wurde, anderseits jedoch noch 1942 völlige Unklarheit über die Existenz einer solchen „Rasse“ existierte. Das Rassenparadigma habe sich somit als heuristisch wertlos erwiesen und sei von Widersprüchlichkeit und Beliebigkeit geprägt gewesen, so dass ihm aus heutiger Sicht „bestenfalls eine satirische Qualität zugestanden werden kann“ (S. 170). Gleichzeitig findet sich jedoch der Rassendiskurs in den Schriften führender zeitgenössischer Protagonisten der Südostforschung wie Georg Stadtmüller oder Franz Dölger.

Die folgenden vier Beiträge des Tagungsbandes beschäftigen sich mit den Biografien führender Ost- und Südostforscher, wobei vor allem die Person Fritz Valjavecs im Mittelpunkt steht. Der Beitrag von Michael Fahlbusch, der eine grundlegende Studie zu den „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ vorgelegt hat2, ist hierbei von einer gewissen Widersprüchlichkeit gekennzeichnet: Einerseits wiederholt er seine Kritik an biografischen Zugängen und spricht der Biografie die Fähigkeit ab, grundlegende Brüche im Leben einer Person darstellen zu können, andererseits verfolgt er im Weiteren exakt den von ihm verworfenen Ansatz. Es gelingt ihm hierbei, exemplarisch anhand der Biografien Wladimir von Poletikas (1888-1981), Karl Stumpps (1896-1982), Wilfried Krallerts (1912-1969) sowie Fritz Valjavecs die „Tathelferschaft“ (S. 182) dieser Personen bei der verbrecherischen deutschen Besatzungspolitik sowie deren Nachkriegskarrieren aufzuzeigen. Fahlbusch entkräftet damit die an seiner Monografie wiederholt geäußerte Kritik des Fehlens entsprechender Belege und unterstreicht die Notwendigkeit, sich nicht allein auf zweifellos notwendige Werkanalyse zu beschränken, sondern jeweils nach der Verbindung des Textes zur ‚praktischen’ Umsetzung zu fragen.

Norbert Spannenberger konzentriert sich in seinem Beitrag auf die Person von Fritz Valjavec. Auf Grundlage der Korrespondenz Valjavecs verfolgt er dessen beruflichen und politischen Weg in den Jahren 1934 bis 1939. Spannenberger skizziert Valjavec als einen volksdeutschen Nachwuchswissenschaftler, der sehr bewusst die Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern gesucht und sich somit gezielt auf dem Feld der Volkstumsforschung positioniert hat; so fungierte Valjavec als Informationsstelle für einschlägige Organisationen wie den VDA oder auch den „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund“ über die Lage der ‚Volksdeutschen’ in Südosteuropa und profilierte sich gleichzeitig als Wissenschaftler, was schließlich in seiner Ernennung zum Geschäftsführer des Südost-Instituts 1937 mündete.

Ein deutlich anderes Bild über Valjavec erhält man bei der Lektüre der Aufsätze von Gerhard Grimm und Krista Zach. Grimm wählt hierzu einen parallelbiografischen Zugang, indem er neben Valjavecs auch die Biografie Georg Stadtmüllers beleuchtet. Im Ergebnis kommt er zu der Feststellung, dass Valjavec zwar in engem Kontakt zu einem nationalsozialistischen Machtzentrum, dem SD, gestanden habe, dass aber insgesamt beide Historiker nicht mehr als „den formalen Tribut“ (S. 255) gezollt und der Ideologie des Nationalsozialismus eher fern gestanden hätten. Dies ist angesichts dessen, was Fahlbusch über Valjavecs Rolle als Angehöriger des Sonderkommandos 10b der Einsatzgruppe D zu berichten weiß, unverständlich: Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass Valjavec bei den Erschießungen von Zivilisten zugegen war, und seine Rolle als politischer Agent des SD ist belegt, wobei er konkret Gespräche mit den Vertretern der ukrainischen Minderheit führte, um diese im Interesse der deutschen Kriegsziele zu instrumentalisieren. Bei Grimm erscheint Valjavec hingegen als „Anwalt für eine menschliche Behandlung der Ukrainer“ (S. 253), und der von ihm betrieben Kulturraub einer Reihe von Büchern für das Münchner Südost-Institut als „Beschaffungsmaßnahme“ (S. 252). Dies korrespondiert mit den Ausführungen von Krista Zach, Direktorin des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München. Zach stützt sich hierbei auf einen hochinteressanten Quellenkorpus, nämlich die unveröffentlichten „Aufzeichnungen“ von Valjavec aus den Jahren 1934-1946, wobei die Jahre 1933 sowie 1937 bis 1942 komplett fehlen. Die Frage, inwieweit Valjavec möglicherweise selbst seine Aufzeichnungen ‚korrigiert’ hat bzw. welche Selbstdarstellung er in den überlieferten 246 Seiten von sich entwirft, stellt Zach nicht; stattdessen übernimmt sie die Perspektive des Autors und beschreibt Valjavec als Gegner des Nationalsozialismus. Antisemitische Passagen in dem Text werden zu „semantischen Entgleisungen“ (S. 270), und Valjavec wird als standhafter Gegner eines Eintritts in die SS beschrieben, während sein tatsächliches Wirken für den SD 1941 in einer Fußnote erwähnt wird. Die Veröffentlichung der „Aufzeichnungen“, die Zach nachhaltig empfiehlt, wäre zweifellos interessant – eine solche Edition sollte allerdings mit einer Kontextualisierung versehen werden, die die notwendige Distanz zum Gegenstand wahrt und neuere Forschungsergebnisse zur Kenntnis nimmt.

Den Abschluss des Bandes bildet ein Artikel des aktuellen Leiters des Südost-Instituts, Edgar Hösch, der die Perspektiven der Forschung für die weitere Aufarbeitung der Geschichte der Südostforschung skizziert. Hösch spricht hierbei die Frage einer angemessenen Beurteilung des Vergangenen durch heutige Historiker an und verdeutlicht dies am Beispiel der sehr konträren Einschätzungen der Person Fritz Valjavecs. Im Anschluss an Frank Golczewski spricht Hösch von einer „’Differenz der Perspektiven und Kategorien’“ (S. 286): Sowohl die Lückenhaftigkeit und spezifische Perspektive der Quellen als auch das jeweilige eigene Erkenntnisinteresse strukturierten unser Urteil.

Der Tagungsband stellt einen gelungenen Anstoß zur weiteren Beschäftigung mit der Südostforschung dar, zentrale Arbeiten wie eine Institutsgeschichte des Südost-Instituts oder eine Biografie zu Fritz Valjavec stehen aus. Es bleibt zu hoffen, dass die einleitenden Überlegungen Mathias Beers hierbei berücksichtigt werden, der unter Bezug auf Martin Broszat die bisher unterbliebene Aufarbeitung der Geschichte der Südostforschung als Chance skizziert: Es gelte, so Beer, die Südostforschung in dem Sinne zu historisieren, dass die Jahre 1933 bis 1945 von Beginn an eingebettet werden in das historisch Vorhergehende und Folgende. Dann böte sich die große Chance, Brüche, Wandlungen und Kontinuitäten über politische Zäsuren hinweg aufzeigen zu können.

Anmerkungen:
1 Heinemann, Isabel, "Rasse, Siedlung, deutsches Blut". Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003.
2 Fahlbusch, Michael, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931-1945, Baden-Baden 1999.

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