T. Kössler: Abschied von der Revolution

Titel
Abschied von der Revolution. Kommunisten und Gesellschaft in Westdeutschland 1945-1968


Autor(en)
Kössler, Till
Reihe
Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 143
Erschienen
Düsseldorf 2004: Droste Verlag
Anzahl Seiten
499 S.
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Siegfried, Department of English, German and Romance Studies, University of Copenhagen

Seit Klaus-Michael Mallmanns Buch zur Sozialgeschichte der Weimarer KPD, das vor knapp zehn Jahren erschien1, hat sich die Forschung besonders stark für die sozial- und kulturhistorischen Aspekte des deutschen Kommunismus interessiert. Während in den Dekaden zuvor die politischen, ideologischen und organisatorischen Aspekte im Mittelpunkt gestanden hatten, fragte sie nun stärker nach Sozialisationsfaktoren und Bindekräften, Erfahrungen und Wahrnehmungen, dem Alltag der Kommunisten – und legte damit ein vielschichtigeres Bild frei.2 Verglichen mit der Weimarer Republik wurde die Geschichte der KPD in den Westzonen und der Bundesrepublik lange Zeit kaum beachtet. Hier konzentrierte sich das Interesse ganz auf die DDR als weitaus wirkungsmächtigerer, staatlich geronnener Form der ehedem revolutionären Bewegung. Im Forschungsschub, den der politische Umbruch und die Öffnung der DDR-Archive nach 1989 auslösten, widmete sich ein schmaler Seitenarm auch der Geschichte der Nachkriegs-KPD. Nach Patrick Majors bahnbrechender Arbeit von 19973 liegt mit Till Kösslers Abhandlung nun ein zweites Standardwerk zu diesem Thema vor. Während Major erstmals auf breiter Quellenbasis eine sozialhistorisch interessierte, aber politik- und organisationsgeschichtlich fokussierte Gesamtdarstellung bis zum Parteiverbot von 1956 vorlegte, lotet Kössler mit Blick auf das Ruhrgebiet als eine der bedeutendsten KPD-Hochburgen tief hinein in das Spannungsverhältnis zwischen politischen Postulaten und Lebenswelten westdeutscher Kommunisten.

Die Konzentration auf eine ausgewählte Region soll übergeordnete Fragen nach der Gesellschaftsbildung in der Bundesrepublik beantworten, der Kössler mit berechtigter Verwunderung gegenübersteht: Wie war es angesichts seiner Vorgeschichte und Gegenwartsbelastungen möglich, dass das westdeutsche Staatswesen eine derart hohe Integrationskraft entwickelte, gegen die selbst seine entschiedensten Gegner wenig ausrichten konnten? Untersucht wird diese Frage am Gegenstand eines Bewegungsmilieus, dessen Loyalität ganz der Sowjetunion und der DDR gehörte, das den westdeutschen Staat bekämpfte, aber doch auch Teil der westdeutschen Gesellschaft war. Mit Blick auf die kommunistische „Bewegung“ und die seit der Zwischenkriegszeit bestehenden, häufig um kommunistische Familien zentrierten „Parteimilieus“ wird so ein Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte des Kalten Krieges vorgelegt, der politisch-ideologische Aspekte und Organisationsstrukturen, Wertvorstellungen und Lebensstile so komplex miteinander verbindet, dass ein neues und überaus facettenreiches Bild von der Entradikalisierung einer der prägenden politischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts entsteht.

Um herauszufinden, wie im Falle des westdeutschen Nachkriegskommunismus politische Subkultur und Gesellschaft korrespondierten, richtet Kössler den Blick erstens auf den inneren Strukturwandel dieser Strömung, zweitens auf den staatlich forcierten Antikommunismus und drittens auf die Integrations- und Dissoziationsmechanismen an der lokalen Basis, in Kommunen, Betrieben und Gewerkschaften. In drei Periodisierungsschüben werden diese Untersuchungsschwerpunkte durchmustert: den noch relativ erfolgreichen frühen Nachkriegsjahren bis 1950, der von Selbstisolation und Repression geprägten, bruchartigen Krisensituation zwischen 1950 und 1952 und den langen Jahren der Abkapselung und gesellschaftlichen Reintegration zwischen 1953 und 1968. Am Ende zeigt sich, dass die KPD mehr war als eine ferngelenkte Bewegung, differenzierter als die Selbst- und Fremdprojektion einer homogenen Kampfgemeinschaft glauben machen wollte. Selbst das Bild einer bodenständigen Parteibasis, die sich einer voluntaristischen Führung widersetzt habe, ist schief. Tatsächlich handelte es sich, wie Kössler zeigt, um eine politisch, aber auch generationell fragmentierte Partei, die von Beginn an enorme innere Spannungen auszubalancieren hatte. Der Mehrzahl der Parteimitglieder, die den Front- und Kriegsjugendgenerationen des Ersten Weltkrieges angehörte, stand eine starke Minderheit von Jüngeren aus der „45er-Generation“ gegenüber. Diese Jüngeren waren es, die als „unbeschriebene Blätter“ eingesetzt wurden, um den Einfluss der nach Meinung der Parteiführung in ihrem sozialrevolutionären Selbstverständnis nicht mehr zeitgemäßen Altgenossen zu brechen.

Die Führungsgremien wirkten dem von ihnen immer wieder angeprangerten „Sektierertum“ keineswegs konsequent entgegen. Dieses Schlagwort wurde benutzt, um beliebige Linienschwenks zu legitimieren und missliebige Funktionäre aus dem Weg zu räumen. Politisch aber wurden wilde Streiks, gegengewerkschaftliche Gremien wie Antidemontageausschüsse, betriebliche Friedenskomitees und sogar der Versuch, eine neue Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) aufzubauen, von oben unterstützt, weil sie ein junges Potenzial in der Industriearbeiterschaft mobilisierten, das aktionsbereit war und Interessenvertretung durch Klassenkampf erwartete. Andererseits stand konfrontativer Aktionismus der Politik der Gewerkschaften entgegen und untergrub auch die immer wieder postulierte „Aktionseinheit“ mit der SPD. Es war, wie Kössler zeigt, nicht so sehr die Eskalation des Kalten Krieges, sondern eher die durch sozialrevolutionäre Mobilisierung forcierte Konfrontationsdynamik auf kommunaler und betrieblicher Ebene, die die Kommunisten als politische Bewegung isolierte.

Kaum zuvor ist so scharf herausgearbeitet worden, wie groß die Bedeutung der militant-sozialrevolutionären und obrigkeitskritischen Strömung an der Basis der Nachkriegs-KPD war. Radikalisiert in der Weimarer Republik und verfolgt im Nationalsozialismus, stand ein erheblicher Teil der Kommunisten an der Ruhr der Bevölkerung mit unverhohlenem Misstrauen gegenüber, verachtete die Sozialdemokratie, lehnte gewerkschaftliche Kompromisspolitik ab. Auch wandten sich viele gegen eine Entstalinisierung und hofften auf Befreiung durch einen sowjetischen Einmarsch. Die Zusammenarbeitspolitik der KPD-Führung gegenüber der SPD und den Gewerkschaften, aber auch ihre nationale Linie und die Öffnung der Partei für die vielen Neumitglieder lehnten sie ab. Ende 1955 hielten Bottroper Kommunisten Agitation für die Wiedervereinigung für dummes Zeug und schwärmten von „Barrikaden und Maschinengewehren“ – das sei „das einzig richtige“ (zit. nach S. 400). Es mag sein, dass sich die Verhältnisse in Hamburg oder Bayern von denen im Ruhrgebiet graduell unterschieden. Dennoch wird hier deutlich: Angesichts derartiger innerparteilicher Gegenkräfte, aber auch wegen zunehmend wirkungsmächtiger gesellschaftlicher Dynamiken, die seiner Kontrolle nicht unterlagen, hielt sich die vermeintliche Allmacht des KPD-Apparats sehr in Grenzen. Zwar führten Selbstisolation und politische Unterdrückung zum Niedergang der kommunistischen Bewegung, doch gleichzeitig wurde ein erheblicher Teil des Milieus in die westdeutsche Gesellschaft integriert, die sich selbst in einer Umbruch- und Selbstdefinitionsphase befand und daher zahlreiche Anschlussmöglichkeiten bot.

Nur zum Teil war der Einstieg in die Wirtschaftswundergesellschaft mit einer Aufgabe der politischen Überzeugung verbunden. Die Gewerkschaften etwa konzentrierten ihre Säuberungskampagne auf exponierte Kommunisten, verhielten sich aber schon aus Selbsterhaltungsgründen moderat gegenüber der großen Masse der Parteigenossen an der betrieblichen Basis. Darüber hinaus bot die Konsumgesellschaft zahlreiche Möglichkeiten der privaten Lebensführung in der Freizeit, die das kollektive Selbstbild einer verschworenen politischen Gemeinschaft von revolutionären Aktivisten aushöhlten. Parallel zum Niedergang der Partei investierten auch Kommunisten ihre Energien in Überstunden und Eigenheimbau, Taubenzüchten und Wochenendvergnügen. Während viele Neumitglieder im Laufe der 1950er-Jahre ihre Parteibücher wieder hinwarfen, hielten Altkommunisten an ihren Überzeugungen fest, zogen sich aber häufig ins Privatleben zurück – nicht nur, weil sie Angst vor politischer Unterdrückung und Entlassung hatten oder nach Jahrzehnten des Kampfes Ruhe brauchten, sondern auch, weil sie mit der Linie der Partei unzufrieden und in ihren sozialrevolutionären Hoffnungen enttäuscht worden waren.

Während die radikale Strömung schwächer wurde, der Parteikern sich in Traditionsmilieus abkapselte und eine kleine Gruppe junger und hochmobiler „Manager“ (Kössler) den Parteiapparat am Laufen hielt, fanden andere Kommunisten alternative politische Partizipationsmöglichkeiten. Sofern sie nicht zur SPD oder zur „Neuen Linken“ überwechselten, betätigten sie sich während der 1960er-Jahre in den entstehenden neuen sozialen Bewegungen, die in der Mitte der Gesellschaft agierten. KPD-Mitglieder versuchten sie politisch zu dominieren, doch funktionierte dies nur begrenzt. Denn hier gingen ausgerechnet jene antiinstitutionellen und basisdemokratischen Elemente des Kommunismus, die die Parteiführung teils forciert, teils bekämpft hatte, in ein neues Muster demokratischer Teilhabe ein, das auch Kommunisten anschlussfähig machte für eine gewandelte politische Kultur.

Kösslers materialreiche und klug argumentierende Analyse zum Spannungsverhältnis zwischen revolutionärer Bewegung und Wirtschaftswundergesellschaft wirft nicht nur ein helles Licht auf den Wandel des Nachkriegskommunismus als soziale Formation des Politischen. Sie vermittelt auch neue Einsichten in die Funktionsmechanismen der westdeutschen Gesellschaft der 1950er und 1960er-Jahre, die ihre entschiedensten Gegner absorbierte, weil sie zwischen Privatisierung und Partizipation ein breites Spektrum an Entfaltungsmöglichkeiten bereithielt. Die Gesellschaft war viel offener als der bis in die 1960er-Jahre hinein tonangebende Teil der politischen Klasse, der mit Ausgrenzung und strafrechtlicher Verfolgung die in der Bewegung selbst angelegte Tendenz zur Verhärtung und Isolation nur verstärkte.

Anmerkungen:
1 Mallmann, Klaus-Michael, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996.
2 Vgl. etwa Weitz, Eric D., Creating German Communism, 1870-1990. From Popular Protest to Socialist State, Princeton 1997.
3 Major, Patrick, The Death of the KPD. Communism and Anti-Communism in West Germany, 1945-1956, Oxford 1997.

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