Titel
Hexen - Huren - Heldenweiber. Bilder des Weiblichen in Erzähltexten über den Dreißigjährigen Krieg


Autor(en)
Maierhofer, Waltraud
Reihe
Literatur - Kultur - Geschlecht. Große Reihe 35
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
XI, 451 S., 33 Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Michaela Fenske, Institut für Kulturanthropologie / Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität Göttingen

Seit 2001 ist es Frauen auch in Deutschland erlaubt, als Soldatinnen aktiv Dienst an der Waffe zu leisten. Neu daran ist die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz, nicht jedoch, dass Frauen unter Waffeneinsatz kämpfen – dafür lassen sich in der mitteleuropäischen Kulturgeschichte zahlreiche Beispiele finden. Auch in der Vergangenheit waren Frauen in Konfliktsituationen keineswegs immer nur leidende Opfer, sondern auch mutig und kämpferisch. Mit dem Siegeszug der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Werte und Normen hat sich seit dem 18. Jahrhundert jedoch die Vorstellung einer friedfertigen Weiblichkeit (und komplementär dazu einer kriegerischen Männlichkeit) durchgesetzt. Diese Bilder waren ebenso Idealbilder wie mit der Realität in Wechselwirkung stehende soziale Rollenvorgaben: Frauen wurden nun bevorzugt als begehrenswerte Jungfrauen, sanftmütige Ehefrauen und hingebungsvolle Mütter imaginiert. Vor dem Hintergrund dieser Zuschreibungen wurden Krieg und Weiblichkeit als Gegensatz konzipiert, der Krieg wurde zur Männersache, und Frauen in Kriegszeiten wurden zumeist als wartende Ehefrauen, leidende Mütter, missbrauchte Opfer oder gute Samariterinnen dargestellt. Ebenso sehr Faszinosum wie abschreckendes Beispiel waren demgegenüber die „Antifrauen“, die dem bürgerlichen Idealbild nicht entsprachen: Hexen, Huren und Heldenweiber.

Die in den USA lehrende Literaturwissenschaftlerin Waltraud Maierhofer hat die Tradierung dieser Bilder des Weiblichen in der deutschsprachigen Literatur seit dem 18. Jahrhundert untersucht. Obwohl Maierhofer implizit auch Männerbilder bzw. Bilder des Männlichen berührt, liegt der Fokus der Untersuchung auf der Darstellung von Frauen. Maierhofer untersucht die Bilder des Weiblichen in historischen Erzähltexten über den Dreißigjährigen Krieg, der bis heute ein besonders häufig behandeltes Thema darstellt. Das Ergebnis ihrer differenzierten und kenntnisreichen Studie ist eindrucksvoll eindeutig, wenn auch angesichts der feministischen Forschungen der letzten 20 Jahre nicht überraschend: Auch in der literarischen Überlieferung wird die schwache Präsenz von Frauen, die lange Zeit historische Darstellungen prägte, fortgeschrieben. Selbst die Stärke machtvoller Regentinnen schmolz im erzählerischen Rückblick angesichts der Wirkungsmacht der dichotomen bürgerlichen Geschlechterkonstruktionen dahin, die konstruierten Frauenbilder verdrängen die historisch überlieferten Personen und ihr Handeln. Autor/innen bedienten sich dabei wirkungsvoller Strategien: Starke Frauen, wie sie etwa im Werk des Barockautors Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen in Gestalt der Courasche (1669) entworfen worden waren, verschwanden in der Folgezeit zwar nicht gänzlich, doch traten sie deutlich zugunsten der Idealbilder zurück und lieferten nur noch Stoff für Nebenfiguren.

In den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellt Maierhofer eine „repräsentative Auswahl von Erzähltexten“ (S. 2), insgesamt 15 Werke, darunter Arbeiten namhafter Autor/innen wie Friedrich Schiller, Annette von Droste-Hülshoff, Gustav Freytag, Wilhelm Raabe, Conrad Ferdinand Meyer, Ricarda Huch, Alfred Döblin oder Günter Grass. Maierhofers Gang durch die deutsche Literaturgeschichte beginnt mit Benedikte Nauberts „Geschichte der Thekla von Thurn“ (1788). Das von Naubert entworfene Ideal empfindsamer Weiblichkeit stellt bereits einen starken Kontrast zur barocken Figur der Kriegsgewinnlerin Courasche dar. Folgenreicher für die Tradierung bürgerlicher Weiblichkeitsbilder sollte allerdings Schillers Wallenstein-Trilogie (1796-99) werden. Maierhofer zeigt, dass es hier weniger Schillers Werk als vielmehr der Veröffentlichungskontext im „Historischen Calender für Damen“ war, der zur Verurteilung weiblicher Ansprüche auf Herrschaft (verkörpert unter anderem in der Person der Christina von Schweden) beitrug.

Der größte Teil der vorgestellten Werke stammt aus der Zeit des Historismus, in der das duale Geschlechterkonzept fest gezimmert wurde. Die Betonung weiblichen Muts, wie ihn etwa Annette von Droste-Hülshoff (Die Schlacht im Loener Bruch 1623, 1838) darstellt, bildet hier eine der wenigen Ausnahmen. Die zahlreich erscheinende Hexenliteratur exotisierte außerhalb der gesellschaftlichen Regeln und Normen agierende Frauen und schloss sie zugleich aus der Gesellschaft aus. In der Moderne gerieten mit neuen Erzählweisen auch tradierte Bilder in Auflösung, so etwa in Ricarda Huchs Werk „Der große Krieg in Deutschland“ (1912-14). Die promovierte Historikerin Huch entwickelt eine neue Perspektive auf den Krieg, den sie als Geschichte der breiten Bevölkerungsschichten und ihrer Nöte erzählt. Angesichts der Schrecken des Kriegs verliert die Kategorie Geschlecht an Bedeutung. Dieses Beispiel illustriert eine wichtige Beobachtung Maierhofers: Wird mit herkömmlichen Erzählweisen gebrochen, so können die vielschichtigen Realitäten der Vielen sowie komplexe (weibliche) Charaktere dargestellt werden. Neben modernen Autoren wie Alfred Döblin, der mit dem gängigen Weiblichkeitsideal insofern brach, als er das Antibild der animalisch-aggressiven Frau entwickelte, wurde etwa in dem Werk von Walter Flex das gängige Weiblichkeitsideal im Kontext eines völkischen, pro-faschistischen und kriegsverherrlichenden Diskurses weiter gepflegt. Auch die Spätmoderne schreibt mit der Umdeutung der Antibilder – etwa dem der Hexe als einer weisen Frau oder dem der Amazone als spätmoderner Powerfrau – letztlich die seit dem späten 18. Jahrhundert tradierten Frauenbilder fort.

Aus Sicht der Europäischen Ethnologie fällt das vergleichsweise enge Verständnis von Literatur auf, das Maierhofers Untersuchung zu Grunde liegt. Zwar räumt die Verfasserin ein, dass populäre Unterhaltungsliteratur nicht unbedingt trivial sein muss (S. 361), doch hält sie insgesamt den Unterschied zwischen „trivialen Werken“ (S. 145), auch Unterhaltungsromanen und anspruchsvoller Literatur aufrecht. Daher enthält ihr Sample auch vor allem Beispiele der „Hochliteratur“, während die Fülle populärer historischer Romane des 20. und 21. Jahrhunderts nur vergleichsweise knapp behandelt wird.1 Angesichts der Interdependenzen der verschiedenen Lesestoffe und Erzähltexte, angesichts der Repräsentanz gleicher Bilder, Stoffe und Motive in verschiedenen Texten und angesichts der Tatsache, dass das, was den Vielen gefällt, auch von den Wenigen, darunter der gebildeten Elite, rezipiert wurde und wird (vermutlich aber anders), ist fraglich, ob hier nicht gewinnbringender mit offeneren Kategorien zu arbeiten gewesen wäre.

Gerade die Gattung des historischen Romans erfreut sich gegenwärtig wieder außerordentlicher Beliebtheit. Auch für die meisten dieser Titel gilt wohl Maierhofers Feststellung, dass hier „keine Einsichten in Frauengeschichte oder individuelle Frauen der Vergangenheit“ gegeben werden, sondern „wenig veränderte Imaginationen idealer Weiblichkeit in eine unbestimmte kostümierte Vergangenheit“ (S. 403). Was bedeutet diese äußerst populäre Fortführung herkömmlicher Frauenbilder zu einem Zeitpunkt, an dem Frauen zugleich mit gesellschaftlichem Einverständnis zu den Waffen greifen? Existieren hier unterschiedliche Bilder nebeneinander? Oder gehören sie womöglich zusammen in dem Sinne, dass die Öffnung des Militärs gegenüber Frauen dessen Bedeutungsverlust dokumentiert (wie Maierhofer die Position des Militärtheoretikers Martin van Creveld referiert)?

Solche Fragen aus einer Nachbardisziplin dokumentieren das große Interesse, das Maierhofers Arbeit weit über die Grenze der Literaturwissenschaft hinaus finden wird. Maierhofer selbst ordnet ihre Studie in den Kontext feministischer Literaturwissenschaft und neuer Kulturgeschichte ein, die sich im Wissen um die subjektive Konstruktion der Darstellung historischer Realitäten mittels Sprache verbinden. Daraus folgt nach Meinung der Verfasserin unter anderem die Würdigung auch fiktionaler Erzählungen als einer wichtigen Quelle historischen Wissens. Legt man David Lowenthals Feststellung zu Grunde, der zufolge fiktive Geschichtsdarstellungen häufig mehr zur Geschichtswahrnehmung und -erinnerung beitragen als die weniger breit rezipierten historiographischen Werke, so sind Maierhofers literaturwissenschaftliche Forschungen für kulturhistorische und kulturwissenschaftliche Fragestellungen insgesamt hochinteressant.2 Maierhofers Studie weckt Lust sowohl auf mehr Hexen, Huren und Heldenweiber als auch auf die Untersuchung ihrer Darstellung in den verschiedenen, die Welten ebenso reflektierenden wie gestaltenden Literaturen.

Anmerkungen:
1 Wie sie etwa am „Institut für Populäre Kulturen“ der Universität Zürich behandelt werden.
2 Lowenthal, David, The Past is a Foreign Country, Cambridge 1986.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/