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Titel
Bürgerkrieg – Erfahrung und Repräsentation.


Herausgeber
von Treskow, Isabella; Albrecht Buschmann, Anja Bandau
Erschienen
Berlin 2005: Trafo Verlag
Anzahl Seiten
262 Seiten
Preis
€ 26,80
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Martin Baumeister, Historisches Seminar - Abteilung für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität

Was verbindet einen Lynchmord an zwei israelischen Soldaten im Jahr 2000 mit der Pariser Bartholomäusnacht 1572, was die Bombardierung Guernicas 1937 mit dem 11. September 2001 in New York? Der Kunsthistoriker Godehard Janzing hat eine klare Antwort auf diese Frage. Der Zusammenhang dieser in Raum und Zeit weit auseinander liegenden Gewaltakte liegt kaum in einer wie auch immer gearteten phänomenologischen Verknüpfung, auch nicht in der Logik des Geschehens selbst, sondern in einer Logik, die durch bestimmte Formen kultureller Repräsentationen erzeugt wird: im vorliegenden Fall durch das Motiv des Fenstersturzes, festgehalten in visuellen Medien wie der Druckgraphik, der Pressefotografie oder einem monumentalen Gemälde Picassos, die Gewaltexzesse in einem Moment der Initiation und Kulmination „einfrieren“ und einem anonymen Massenpublikum vor Augen führen. Zwischen den außerbildlichen Formen physischer Gewalt und ihrer bildlichen Darstellung, so betont Janzing zu Recht, müsse man genau unterscheiden. Künstlerische Bezugnahmen auf Kriegsereignisse hätten oft mehr mit den expressiven Mitteln des Autors oder der Autorin zu tun als mit konkreten Formen „realer“ Gewalt. Und dennoch könne ihre Darstellung eine effektivere kommunikative Dynamik entfalten als vermeintlich illustrative Repräsentationen.

Dieser erhellende Beitrag findet sich in dem hier zu besprechenden Band, der auf eine interdisziplinäre Tagung in Potsdam vom Sommer 2004 zurückgeht. An Janzings Ausführungen lassen sich die Relevanz, aber auch die Problemzonen des Themas des Tagungsbandes „Erfahrung und Repräsentation von Bürgerkriegen“ in mancher Hinsicht genauer erkennen als in den einleitenden Bemerkungen der Herausgeber. Janzing analysiert in eindringlicher Weise die Wirkungsmacht kultureller Repräsentationen in der Geschichte von Krieg und Gewalt, konzediert jedoch zugleich, dass es ihm dabei nicht um das Phänomen des Bürgerkriegs im engeren Sinn gehe. In der Unschärfe des Fokus liegt eine Schwäche der Aufsatzsammlung. Diese manifestiert sich in Beiträgen wie dem des Soziologen Stölting, der Bürgerkrieg als vorgeblich spontane, quasi ekstatische Gewaltentladung in durchaus verzerrender Form mit Pogromgewalt und dem Massendiskurs in Verbindung bringt; des Germanisten Peitsch, der die These eines – wie er es nennt – totalitären Bürgerkriegsmythos im westdeutschen Restaurationsdiskurs an frühen Texten der deutschen Nachkriegsliteratur überprüfen möchte; oder der Medienwissenschaftlerin Kloock, die eine für sich genommen durchaus interessante Analyse der Gewaltdarstellungen in Martin Scorses Film „Gangs of New York“ vornimmt. Hier lässt sich der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit in der Streuung der Themen und mehr noch in Fragestellungen und methodischen Herangehensweisen nicht von der Hand weisen.

Das Thema „Bürgerkrieg“ trägt allerdings bereits eine ausgeprägte Tendenz zur Offenheit in sich. Herfried Münkler verweist in seinem Geleitwort auf die Vielgestaltigkeit von Bürgerkriegen, die Unterschiedlichkeit der an ihnen beteiligten Akteure und die Komplexität ihrer Beendigung. „Bürgerkrieg“ sei kein rein sachlich-fachlicher Begriff der politischen Sprache, den man durch möglichst präzise Definitionen unter Kontrolle bringen könne. Münkler illustriert in seinen Bemerkungen zur Begriffsgeschichte die Kontextabhängigkeit des Konzepts, das entscheidend von der jeweiligen historischen Situation wie von unterschiedlichen, mit einer Fülle ethischer Wertungen verbundenen politisch-ideologischen Perspektiven bestimmt wird – man denke nur an die Gegenüberstellung von „Bürgerkrieg“ und „Revolution“. Münkler, selbst einer der Protagonisten in der Debatte um die „neuen Kriege“ der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vertritt die These, der Bürgerkrieg, begrifflich eng verwandt mit dem transnationalen Krieg, sei mit dem allmählichen Verschwinden der zwischenstaatlichen Kriege zum dominierenden Kriegstypus am Ende des 20. Jahrhunderts geworden. Die Herausgeber beziehen sich auf die Aktualität des Phänomens und berufen sich mit guten Gründen darauf, dass Bürgerkriege lange Zeit kein Objekt einer umfassenden, methodisch ausgerichteten Forschung, sei es in der Militärgeschichte, sei es in der Sozial- und Politikwissenschaft, gewesen seien. Ihre Entscheidung, das Verhältnis zwischen Bürgerkrieg, Kunst und Medien ins Visier zu nehmen, verbinden sie mit der Aussage, es könne hierbei nicht um die Kategorisierung des Bürgerkriegs und seine Unterscheidung von anderen Gewaltkonflikten gehen. Vielmehr wolle man fragen, wie Erfahrung und Wahrnehmung eines Konflikts durch den Begriff „Bürgerkrieg“ dynamisiert und welche Deutungen kulturelle Medien rückwirkend liefern würden.

Isabella von Treskow führt diese Vorgehensweise an der Analyse dreier Texte der italienischen Resistenza-Literatur aus der unmittelbaren Nachkriegszeit vor. Die Fixierung auf den deutschen Feind und das weitgehende Ausblenden des Kampfes gegen italienische Faschisten, die „anderen Italiener“, in Erinnerungstexten von Partisanen, so eine etwas kurzschlussartige These ihrer Ausführungen, sei auch ein Grund für die jahrzehntelangen Defizite in der italienischen Erforschung der „guerra civile“ der Jahre 1943-45. In Treskows Beitrag wie in einer Reihe anderer in diesem Band versammelten Artikel wird die Untersuchung der Darstellung von Bürgerkriegsgewalt eng verknüpft mit Fragen kultureller Identitäten und der Erinnerung, so in zwei Aufsätzen, die sich mit dem Nachwirken des Spanischen Bürgerkriegs, vielleicht des emblematischen Bürgerkriegskonflikts des 20. Jahrhunderts schlechthin, beschäftigen. Albrecht Buschmann zieht eine Verbindungslinie von einer noch vor der Niederlage der spanischen Republik erschienenen Bürgerkriegserzählung Max Aubs bis zum 2001 publizierten Erfolgsroman von Javier Cercas „Soldaten von Salamis“: An der Thematisierung von Soldaten- und Heldentum illustriert er, wie das in Kriegs- und Nachkriegszeiten dominante polarisierte Deutungs- und Erinnerungsmuster unterlaufen und in Frage gestellt wird. Cervantes’ in der Römerzeit spielendes Drama „La Numancia“ sollte man allerdings nicht wie Buschmann für den in der Interpretation des Bürgerkriegs reaktivierten Gegensatz Christen – Mauren in Anspruch nehmen. Christian von Tschilschke wendet sich dem Film als Medium der Erinnerung zu und analysiert ebenfalls die Motive von Held und Heldentum, um einen tief greifenden Wandel in der Repräsentation des spanischen Bürgerkriegs angefangen von André Malraux’ berühmtem „Sierra de Terual“ (1938) über Sauras unter den Bedingungen der Franco-Diktatur gedrehten Film „La caza“ (1965) bis hin zur Verfilmung der „Soldaten von Salamis“ durch David Trueba von 2003 zu konstatieren. Während sich diese Beiträge ganz auf der Ebene der Untersuchung kultureller Repräsentationen bewegen, nimmt Anja Bandau das Wechselspiel zwischen „realer“ Gewalt und ihrem Ausdruck in Erlebnisberichten wie im Medium fiktionaler Gestaltung am Beispiel der Massenvergewaltigungen während des im Genozid eskalierenden Bürgerkriegs in Ruanda von 1994 in den Blick. Ihr gelingt es, die Vieldeutigkeit in der Artikulation eines hoch tabuisierten Gewaltaktes zwischen Sichtbarmachen, Erinnern und seiner politischen Funktionalisierung zu verdeutlichen.

Auch wenn sich die genannten Artikel immer wieder bemühen, das Besondere von Bürgerkriegskonstellationen und –dynamiken zu fassen, bleiben die Befunde über Fragen wie Gewalt, Erinnerung und Identität meist zu unspezifisch, um einen Beitrag zur methodischen Neuorientierung der Bürgerkriegsstudien aus kulturwissenschaftlicher Sicht zu leisten, wie dies die Herausgeber in der Einleitung für sich in Anspruch nehmen. Eine mögliche Richtung weist eine anregende Fallstudie des Musikwissenschaftlers Rainer Bayreuther, der die kroatische Musikszene im Kontext des Jugoslawienkrieges zu Beginn der 90er Jahre analysiert. Bürgerkriege, so Bayreuther, seien immer auch „Kulturkämpfe“: In gewaltsamen Auseinandersetzungen, die sich auszeichnen durch eine große Nähe oder gar die Einheit der Konfliktparteien sei die Herstellung kultureller Identifikation und Differenz von eminenter Bedeutung. Die Arbitrarität, die in diesen Prozessen immer mit im Spiel ist, lässt sich besonders deutlich an der Musik als Mittel kultureller und sozialer Identifikationsstiftung illustrieren, deren Semantisierung aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades sekundär oder ganz willkürlich ist. In einer solchen Analyse, die die Logik von Zeichensystemen in einem konkreten Konfliktzusammenhang aufdeckt, zeigen sich die Stärken und Möglichkeiten einer kulturwissenschaftlichen Bürgerkriegsforschung, die einen wichtigen Beitrag leisten kann zur Konzeptionalisierung und Konturierung eines wichtigen, aber noch wenig erschlossenen Forschungsfeldes.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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