R. Janneck: Forschung und Unternehmenswandel

Cover
Titel
Forschung und Unternehmenswandel. Die Steuerung der Unternehmensforschung und die Transformation der Bayer AG (1945–1984)


Autor(en)
Janneck, Rouven
Reihe
Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens (92)
Erschienen
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paulina S. Gennermann, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Thema von Rouven Jannecks Monographie, die auf seiner Düsseldorfer Dissertation basiert, ist die Vereinbarkeit der Offenheit und Unplanbarkeit von Forschung mit der Organisation und Planung eines Unternehmens der chemischen Industrie. Als eine der ersten „science-based industries“ stellt die chemisch-pharmazeutische Industrie hinsichtlich der Organisation firmeneigener Forschung ein interessantes Forschungsobjekt dar. Während dieses Feld für den Zeitraum vor 1945, also hinsichtlich der I.G. Farben, bereits gut erforscht ist, möchte Janneck nun die Forschungslücke für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg schließen.

Das Buch umfasst neben der Einleitung und dem Fazit drei Hauptkapitel. In „Die Bayer AG – Organisation, Einrichtungen und Personal“ schildert Janneck die internen Firmenstrukturen des Unternehmens. Nach der Auflösung der I.G. Farben durch die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg verloren die zugehörigen Unternehmen ihre lang gepflegte Organisationsordnung. Die geographisch getrennten Unternehmensbereiche der Bayer AG wurden tendenziell eigenständig und hielten nur losen Kontakt. Dennoch orientierte sich das Unternehmen im Neuaufbau an der alten I.G. Farben-Struktur. Im Lauf der Jahrzehnte veränderten sich jedoch die Organisationsstrukturen innerhalb der Bayer AG. 1971 wurde das Kommissionssystem vom Spartensystem abgelöst, wobei nennenswerte Veränderungen erst in den 1980er-Jahren zu verzeichnen waren. Um das Unternehmen an laufende Entwicklungen in Wissenschaft und Wirtschaft anzupassen, wurden außerdem im Verlauf der Jahrzehnte neue Schwerpunkte gesetzt, vor allem war eine Ausrichtung zu Life Sciences, Pharmazeutika und Pestiziden zu beobachten. Janneck beschreibt detailliert die Stellung der Forschung innerhalb der Kommissions- und Spartensysteme. Dabei lässt sich beobachten, dass die Forschung, neben ihrer klaren Ansiedelung im Hauptlaboratorium, in nahezu allen thematischen Bereichen unter anderem durch Betriebslaboratorien vertreten war.

Während im ersten Hauptkapitel die Lokalisierung von Forschung innerhalb der Organisationsstrukturen erläutert wird, folgt im Kapitel „Forschungssteuerung im Unternehmen“ eine Schilderung der Forschungsorganisation. Herausstechend war dabei insbesondere der Einfluss einzelner Personen: Vor allem Otto Bayer prägte die Forschung in der Bayer AG. Durch seine rigide Kontrolle und persönliche Intervention in nahezu allen Forschungsbereichen leitete er Forschungsunternehmungen an und gab Richtungen vor. Die Organisation und Steuerung der Forschung basierte entsprechend vornehmlich auf dem Handeln einer einzelnen Person. Auch später, als Otto Bayer aus dem aktiven Geschehen ausschied und sich die Unternehmensstruktur änderte, behielten individuelle Aktivitäten und Initiativen einen wichtigen Stellenwert in der Unternehmensforschung. Zwar wurden sie durch zunehmende Strukturierung abgeschwächt, jedoch nicht gänzlich verdrängt. Forschung in der Bayer AG war demnach nicht nur von den Unternehmensstrukturen abhängig, sondern auch von Einzelpersonen.

Im dritten Hauptkapitel „Die Forschenden im Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“ untersucht Janneck die konkrete Forschungsarbeit innerhalb der Bayer AG. Dabei stellt er die Frage, inwieweit die Forschenden selbst mit dem Dilemma der Offenheit von Forschung und der kommerziellen Orientierung eines Unternehmens umgingen. Anhand der „Wissenschaftlichen Niederrheinkonferenzen“, firmeneigener Tagungen über die wissenschaftlichen Arbeiten innerhalb des Unternehmens, untersucht Janneck die Veränderungen in Forschungsthematik und -organisation. Ein wesentliches Ergebnis ist, dass sich im Zuge der Unternehmensentwicklung auch eine Veränderung der Forschungsarbeiten ergab. Zum einen richteten sie sich schwerpunktmäßig ebenfalls zusehends an den Bereichen Life Sciences, Pharmazeutika und Pestizide aus. Zum anderen bemühte sich das Unternehmen darum, die Risiken der offenen Forschung zu minimieren, indem es versuchte, durch Steuerungselemente wie Effizienzanalyse, Portfolioanalyse und Marktforschung eine mögliche kommerzielle Nutzung der Ergebnisse wahrscheinlicher zu machen. Des Weiteren orientierte sich die Forschungsplanung an den Bedürfnissen der Kunden und an neuen regulatorischen Rahmenbedingungen wie beispielsweise Umweltvorgaben. Auf diese Weise passte sich die Unternehmensforschung den sich wandelnden Bedingungen an und ermöglichte eine nutzbringende Forschung in der Balance zwischen Offenheit und Steuerung.

Anhand der drei Hauptkapitel, die die Unternehmensforschung innerhalb der Organisationsstrukturen der Bayer AG lokalisieren und ihre Arbeitsweisen präsentieren, werden unterschiedliche Stationen in der Entwicklung des Unternehmens zwischen 1945 und 1984 dargestellt. Hinsichtlich der Frage, wie das Unternehmen mit der Unsicherheit umging, die aus der Offenheit und Ungewissheit von Forschung resultiert, lässt sich ein Trend zum zunehmenden Controlling beobachten. Um Forschung mit den kommerziellen Interessen des Unternehmens besser vereinbaren zu können, wurden Strategien entwickelt, mögliche Risiken zu minimieren und den nutzbaren Output zu maximieren. Dies bedeutete eine Einschränkung der rein wissensorientierten Forschung und eine Schwerpunktsetzung auf anwendungsbezogener Forschung. „Mit diesem Wandel des Innovationsregimes hatte die Bayer AG letztlich die von den unterschiedlichen Handlungsimperativen getriebenen Anliegen von Wissenschaft und Wirtschaft in der Unternehmensforschung organisatorisch ausdifferenziert und so einen neuen Umgang mit dem Dilemma von Planung im Unternehmen und Offenheit von Forschung etabliert“ (S. 386).

Die Monographie zeichnet sich durch eine detaillierte Aufarbeitung der Organisationsstrukturen, der Forschungssteuerung und der Forschungsentwicklungen aus. Der zum Teil sehr gut und lückenlos erhaltene Quellenbestand der Bayer AG wurde im Rahmen der Studie sorgfältig ausgewertet und die herausgearbeiteten Strukturen und Abläufe werden präzise und differenziert präsentiert. Während die Monographie auf der Ebene der Darstellung der internen Organisationsstrukturen und der Identifizierung der Forschung in diesem System exzellent ausgearbeitet ist, fehlt es jedoch an analytischer Tiefe hinsichtlich der historischen Besonderheit der Bayer AG. Dass sich ein Unternehmen an die sich ändernden Rahmenbedingungen anpassen und die eigene offene Forschung so weit wie möglich hinsichtlich kommerzieller Ziele ausrichten sollte, scheint für jedes Unternehmen dieser Art zu gelten. Die Frage, ob – und falls ja, in welcher Weise – die Bayer AG eine sich von anderen Unternehmen der chemischen Industrie unterscheidende Strategie anwandte, bleibt offen. Diese Frage allerdings könnte von besonderem Interesse für das Forschungsprojekt sein, da sie die herausgearbeiteten Strukturen und Mechanismen in einen breiteren analytischen Kontext einbetten würde. Rouven Janneck gelingt mit seiner Arbeit eine präzise Darstellung der Entwicklungen der Unternehmensforschung innerhalb der Bayer AG, die aber etwas hinter ihrem Potential zurückbleibt.

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