W. Kozłowski: The Thirteenth-Century Inter-Lordly System

Cover
Titel
The Thirteenth-Century Inter-Lordly System. Lordly Identity and the Origins of the Angevin-Piast Dynastic Alliance


Autor(en)
Kozłowski, Wojciech
Erschienen
Anzahl Seiten
444 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Jaros, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Wojciech Kozłowski, derzeit Direktor des Warschauer Pilecki-Instituts, hat eine voluminöse Studie vorgelegt, die auf seiner 2014 am Department of Medieval Studies der Central European University in Budapest verteidigten Dissertationsschrift basiert. Moderne und Mittelalter verbindet Kozłowski auch in diesem Buch: Darin möchte er politikwissenschaftliche Ansätze der „International Relations“ (IR) für die Erforschung des östlichen Mitteleuropa um 1300 fruchtbar machen. Ganz konkret soll eine „fundierte Interpretation von Gründen und Kontexten der Heirat zwischen den Herrscherhäusern der Anjou und Piasten im Jahr 1320“ (S. 9) vorgelegt werden. In Anlehnung an den von Alexander Wendt für die IR vorgeschlagenen Identitätsbegriff internationaler Akteure entwickelt Kozłowski einen Begriff von fürstlicher Identität.1 Die Bezeichnung „inter-lordly“ nimmt daher bei der Beschreibung der untersuchten Beziehungen einen prominenten Platz ein und ersetzt das noch in der verteidigten Fassung benutzte Wort „international“, da es bei verschiedenen Leser:innen starken Widerstand hervorgerufen hatte (S. 19 f.). Insofern gilt es im Folgenden unter anderem zu bewerten, ob die Anwendung der IR einen Erkenntnisfortschritt gebracht hat, oder eben nicht.

Es ist durchaus eine Seltenheit, dass eine Studie, die sich mit dem östlichen Mitteleuropa befasst, direkt auf Englisch erscheint und somit unmittelbar Eingang in die Forschungsdebatten in Mittel- und Westeuropa finden kann. Aufgrund des – zumindest im Hinblick auf die Fremdsprachenkompetenzen – nach wie vor wirkmächtigen „Eisernen Vorhangs“2 ist es leider immer noch so, dass international geführte Debatten im östlichen Teil des Kontinents rezipiert werden, dies jedoch andersherum seltener der Fall ist. Die CEU zählt hier seit Jahren zu den herausragenden Brückenbauern. Kozłowskis Literaturverzeichnis ist Nachweis seiner transnational betriebenen Recherche, die Forschungen in polnischer, tschechischer, ungarischer Sprache genauso berücksichtigte, wie solche in englischer oder deutscher.

Mit großer Ausführlichkeit begründet Kozłowski, warum er sich für einen theoriegestützten Ansatz entschieden hat und gegen die am Ende noch einmal angeführten Gründe ist nichts einzuwenden. Allerdings betritt er damit deutlich weniger Neuland, als er es an vielen Stellen behauptet. Exemplarisch sei nur Werner Hechbergers klassische Studie von 1996 mit ihrer ausführlichen Begründung des theoriegestützten Arbeitens genannt.3 Auch für die fürstlichen Beziehungen und Identitäten, denen sich Kozłowski vorrangig widmet, gibt es durchaus konzeptionell anregende Vorarbeiten, deren Rezeption der Studie gut getan hätte. So ist etwa der Bezug auf „Internationale Beziehungen“ in der jüngeren Diplomatiegeschichte erprobt worden.4 Vollkommen unerwähnt lässt er auch die reichhaltige Forschung zu Herrschaftsvorstellungen und Fürstenspiegeln.5 Dies irritiert besonders stark bei der Lektüre des konzeptionellen Kernstücks seiner Arbeit, in dem er sein Verständnis einer „Lordly Identity“ (S. 70–81) entwickelt. Die formulierten Subkategorien der fürstlichen Identität sind dabei durchaus anregend. Ganz zurecht merkt Kozłowski an, dass es sich dabei nicht um eine individuelle Identität handeln kann, weil diese durch die Quellen sowieso nicht zu greifen wäre. Vielmehr versteht er darunter „inter-subjective features“ (S. 75). Angesichts der angesprochenen Forschungstrends innerhalb der internationalen Mediävistik ist Kozłowskis Selbsteinschätzung eines „pioneering ventures“ (S. 70) demnach nur bedingt zuzustimmen.

Im zweiten Kapitel beschreibt Kozłowski die Grundzüge des „inter-lordly systems“ im lateinischen Europa. Dabei arbeitet er sich überwiegend an Vorstellungen über das Mittelalter in den IR ab. Für jemanden, der mit der neueren mediävistischen Forschung vertraut ist, stellt das Hauptergebnis des Kapitels, dass es sich bei den Ordnungsgefügen Lateineuropas um ein hybrides Gebilde aus hierarchischen und anarchischen Elementen gehandelt habe, allerdings keine große Überraschung dar.

Kapitel drei bildet – auch quantitativ – den Kern der Studie. Hier arbeitet er die „Lordly Identity“ Władysław Łokieteks umfassend heraus und stellt ihn in den Kontext des fürstlichen Gesamtgefüges im östlichen Mitteleuropa mit Fokus auf die polnischen Länder. Wahrscheinlich ist es auch diesem weiten Blick geschuldet, dass Kozłowski seine „empirische“ Arbeit vor allem auf die Auswertung von Sekundärliteratur stützt (S. 147) und Primärquellen wie Urkunden und Chroniken nur illustrierend hinzuzieht. Gerade bei den von ihm angeführten historiographischen Quellen wäre eine Diskussion der exakten Terminologie, welche die Autoren zur Beschreibung der Fürsten benutzten (bspw. S. 149 und 159), interessant gewesen. Die unter großem Aufwand eingeführten IR treten in diesem Kapitel vollkommen in den Hintergrund und wären für diesen, insgesamt sehr lesenswerten, Überblick auch kaum nötig gewesen. Schade ist, dass er die multikonfessionelle Situation im östlichen Mitteleuropa kaum berücksichtigt, auch wenn Herrschaftsgebiete unter orthodoxer Einflusssphäre, wie das Fürstentum Halyč-Volhyn’ und das Großfürstentum Litauen, mit einbezogen wurden (S. 273–277). Im vierten Kapitel springt Kozłowski ins Königreich Ungarn. Überraschenderweise werden die Subkategorien fürstlicher Identität hier nicht mehr explizit angelegt, vielmehr fasst er die verschiedenen Strategien der Prätendenten auf den ungarischen Thron zusammen und erläutert, wie sich Karl I. von Anjou schließlich durchsetzen konnte.

Kapitel fünf soll die Klimax der Arbeit bilden, indem hier nun die Erkenntnisse über fürstliche Identität genutzt werden, um zu ergründen, wie es zum Eheschluss zwischen Piasten und Anjou im Jahr 1320 kam (S. 333). Dafür stellt Kozłowski eingangs die schmale Quellenbasis vor und rekapituliert anschließend sehr ausführlich die bisherigen Forschungsperspektiven. Die Rhetorik der zurückliegenden 400 Seiten schürte die Erwartung auf eine große Überraschung, die durch seine Hauptergebnisse (S. 404–408) aber enttäuscht wird. Der große Knall bleibt aus, auch wenn Kozłowskis Ergebnissen grundsätzlich zuzustimmen ist: Die wenigen zeitgenössischen Nachrichten ließen eine genauere Deutung, wie sie in der älteren Forschung vorgenommen wurde, eigentlich nicht zu. Die Hauptmotivation habe aber sicherlich in der dynastischen Absicherung beider Herrscherhäuser gelegen. Władysław Łokietek gewann durch die Heirat mit den Anjou auf dem inter-fürstlichen Parkett an Renommee für sein frisch geeintes Königtum und Karl I. brauchte nach dem unerwarteten Tod von Beatrix von Luxembourg schnell eine neue Gattin, um einen Thronfolger zu zeugen. Außerdem habe der Eheschluss die Möglichkeit für ein neues Bündnis geboten, da zwischen beiden Häusern bisher wenig Beziehungen bestanden hätten. Gegen keinen der Punkte ist etwas einzuwenden, nur warum dafür die großen Geschütze der IR ausgepackt werden mussten, bleibt ungeklärt.

An diesem Eindruck ändert auch die Arie an Zusammenfassungen nichts. Nach den „Concluding Remarks“ (S. 404–409) steht die „Conclusion“ (S. 409–412), gefolgt von den „Conclusions“ (S. 413–416). Dass es dabei zwangsläufig zu Wiederholungen kommt, überrascht wenig. Dem großen Lob, das der Autor sich und seinem Ansatz ausspricht, kann man sich nur bedingt anschließen. Zu vage bleibt die Verbindung von Mediävistik und IR, zu unklar der viel proklamierte Erkenntnisfortschritt. Auch handwerklich trüben einige Punkte den Gesamteindruck. Die nur sporadische Verwendung von Quellen wurde bereits genannt. Dazu passt, dass viele Chroniken nur in Übersetzungen oder sogar nur über die Sekundärliteratur einbezogen wurden. Auch bei der Forschungsliteratur wäre neben den ausführlich zitierten Überblicksdarstellungen eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Aufsätzen wünschenswert gewesen. So wird der maßgebliche Beitrag von Stanisław Szczur zwar genannt,5 hätte aber mehr Aufmerksamkeit verdient. Gelegentlich kommt es auch zu vermeidbaren technischen Fehlern im Satz (S. 134 oder S. 181, Anm. 533).

Die abschließende Bewertung des Buches fällt also zwiespältig aus. Einerseits gibt es einige Mängel und der Mehrwert der IR bleibt unbewiesen. Andererseits bietet das Buch all denjenigen, die einen Einstieg in das östliche Mitteleuropa im Mittelalter und seine internationale Erforschung suchen, einen guten Ausgangspunkt. Es ist der Studie zu wünschen, dass sie zu einer stärker transnational verzahnten Erforschung des östlichen Mitteleuropas beiträgt.

Anmerkungen:
1 Alexander Wendt, Social Theory of International Politics, Cambridge 1999.
2 Karl Schlögel, Die Mitte liegt ostwärts. Die Deutschen, der verlorene Osten und Mitteleuropa, Berlin 1989, S. 7 f.
3 Werner Hechberger, Der staufisch-welfische Gegensatz in den Jahren zwischen 1125 und 1190. Zur Anwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft, Köln u. a. 1996.
4 vgl. etwa Claudia Märtl / Claudia Zey (Hrsg.), Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, Zürich 2008; Stephan Flemmig / Norbert Kersken (Hrsg.), Akteure mittelalterlicher Außenpolitik. Das Beispiel Ostmitteleuropa, Marburg a. d. Lahn 2017; Jean-Marie Moeglin / Stéphane Pequignot (Hrsg.), Diplomatie et relations internationales“ au Moyen Âge (IXe–XVe siècle), Paris 2017.
5 Vgl. exemplarisch: Grischa Vercamer, Hochmittelalterliche Herrschaftspraxis im Spiegel der Geschichtsschreibung. Vorstellungen von »guter« und »schlechter« Herrschaft in England, Polen und dem Reich im 12./13. Jh., Wiesbaden 2020.
5 Stanisław Szczur, W sprawie sukcesji andegaweńskiej w Polsce, in: Roczniki Historyczne 75 (2009), S. 61–104.

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