A. Strohmeyer: Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung

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Titel
Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung. Das Widerstandsrecht bei den österreichischen Ständen (1550-1650)


Autor(en)
Strohmeyer, Arno
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte 201
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 561 S.
Preis
€ 55,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Scheutz, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien

Die Ständeforschung, wiewohl wichtiges Thema der vormodernen Verfassungsentwicklung und Staatswerdung, stellt kein häufig begangenes, wenn auch in letzter Zeit vermehrt beackertes Thema der österreichischen Geschichte dar.1 Der Autor, jüngst berufener Fachvertreter für die Geschichte der Neuzeit an der Universität Salzburg, nimmt die Widerstandspraxis und -sprache der ober- und niederösterreichischen Landstände am Beispiel mehrerer Huldigungen bzw. der langwierigen Huldigungsverhandlungen (1577/78/79, 1608/09, 1619/20 und in weiterer Folge bis 1652) in den Blick. Besonders die in den Verhandlungen sichtbar gewordenen Denkfiguren und Ordnungsvorstellungen, aber auch der nach 1600 spürbare Verfassungswandel werden dabei in einem klug konzipierten Aufbau vorgeführt.

Die österreichische Forschung sah die Stände und den „absolutistisch“ werdenden Staat in der Zeit um das endende 16. und beginnende 17. Jahrhundert lange Zeit durch die monochrome Brille der richtungweisenden Biographie Hans Sturmbergers über Georg Erasmus von Tschernembl und dessen calvinistischer Widerstandslehre: Überspitzt formuliert tat sich – forschungsgeschichtlich mittlerweile überholt – ein deutlicher Gegensatz von „leidendem“ protestantischen Gehorsam und calvinistischem Monarchomachentum auf, wobei den niederösterreichischen Ständen angesichts der biographischen Zuspitzung auf Tschernembl zu Unrecht eine theoretisch überhöhte Widerstandskonzeption weitgehend abgesprochen wurde. Das staatsbildende Potenzial der österreichischen Stände wurde zwar auch von der älteren Forschung erkannt und betont, aber mangels neuerer Editionen und fehlender Grundlagenforschung durch das Dickicht der Biblschen Publikationen lediglich verschwommen wahrgenommen und kaum komparatistisch untersucht.

Vor allem der Verfassungswandel, also die inhaltliche Dynamik der Verfassungsentwicklung und die Veränderung der adelig-ständischen Widerstandspraxis, stellt ein zentrales Thema der Arbeit Strohmeyers dar. Gestützt auf das Sprachkonzept von Quentin Skinner und John G. A. Pocock werden erstmals die heute in der Wiener Erzbischöflichen Bibliothek verwahrten „Religionsbücher der Stände des Landes ob der Enns“ im Sinne einer intellectual history untersucht. Die Untersuchung der Widerstandspraxis zwischen 1550 und 1650 (etwa die sich verändernde symbolische Bedeutung des Kniefalls als ständisches Widerstandsmittel) bildet den zweiten Teil. Beginnend mit dem Herrschaftsantritt Rudolfs II. und den mühseligen Huldigungsverhandlungen mit den nieder- und oberösterreichischen Ständen wird bei jeder der vier Huldigungsphasen die Widerstandssprache im Hinblick auf Vertragsdenken, „altes Herkommen“, Gemeinwesen im Sinne einer patriarchalen Familie und Gewissensfreiheit untersucht. Die Handlungsfähigkeit der ober- und niederösterreichischen Stände stieg mit dem zunehmenden Grad der über die Landesgrenzen hinausgreifenden innerständischen Vernetzung und erreichte ihren Höhepunkt mit der „Confoederatio Bohemica“ 1619/20, wobei erstmals das Verfassungsmodell der seit 1620 in Retz angesiedelten aufständischen niederösterreichischen Stände stärker Berücksichtigung findet. Die von den Ständen praktizierte „historische Alchemie“ instrumentalisierte Vorgänge der Vergangenheit für die Gegenwart: Waren anfänglich noch 40 und mehr Jahre für das amorphe „alte Herkommen“ ausreichend, so langten schließlich zehn oder weniger Jahre, um Handlungen durch Verweise auf Vergangenheit zu legitimieren. Die Stände selbst stellten weitreichende, bis Nero oder auf die österreichischen Freiheitsbriefe zurückreichende historische Betrachtungen an, um ihre Sichtweise zu untermauern und eine verfassungsrechtliche „Erinnerungsautorität“ zu erlangen. Die Debatten zu Beginn des 17. Jahrhunderts lesen sich aus heutiger Perspektive weniger als bipolare Auseinandersetzung zwischen den Ständen und dem Landesfürsten, sondern waren vielmehr stärker von der richtigen Interpretation einer Herrschaftsordnung als von der Konfrontation zweier rivalisierender und einander ausschließender Staatsmodelle bestimmt.

Das vom Autor erarbeitete „Vokabular“ der Widerstandssprache schneidet Themen wie die Legitimation des Landesfürsten durch Erbrecht und Huldigung, die Bedeutung der kontraktuellen Vereinbarungen, das Interregnum, die Landtagsbewilligungen und die Eigenständigkeit der Stände gegenüber dem Landesfürsten an. Eine schleichende inhaltliche Transformation (eine interpretative Ausdehnung des „alten Herkommens“) lässt sich besonders nach 1608/09 in den Verhandlungen zwischen Landesfürst und Ständen beobachten. Begriffe wie „Gegentreue“ und „Gegenpflicht“ fanden auf dem Weg einer Verschriftlichung des Herrschaftsvertrages durch die Kapitulationsresolution verstärkt Eingang in die ständische Argumentation. Zugleich begann sich der Diskurs der landesfürstlich-katholischen und der ständisch-protestantischen Partei zunehmend semantisch und inhaltlich zu differenzieren, die konfessionellen Fragestellungen wurden nach dem späten Einsetzen der Rekatholisierung mit der ständischen Libertät amalgamiert, das „göttliche Recht“ spielte dabei insgesamt eine geringe Rolle. Nach der Schlacht am Weißen Berg trat durch die „Zähmung“ des alten Herkommens infolge seiner zunehmenden inhaltlichen Präzisierung, durch die Festigung des Erbrechts, den auch in den Symbolen sichtbar werdenden Funktionswandel der Huldigung und die Zunahme der in historischen Werken fixierten Erinnerungsautorität des Landesfürsten eine Verringerung der davor offen und konfliktreich ausgehandelten Verfassungskomplexität ein.

Neben dem Rechte und Pflichten festlegenden Vertragsdenken und dem auf Gewohnheitsrecht basierenden alten Herkommen spielte auch das Gemeinwesen, ausgedrückt in der Metapher des Körpers eine gewisse Rolle – Landesfürst und Stände waren Teil dieses geschlechtsunspezifischen Körpers (Kopf und Glieder). Eine elastische und auf konkrete verfassungsgeschichtliche Probleme bezogene Verschränkung von „alt“ und „neu“, etwa die Präzisierung des alten Herkommens, bestimmte die landesfürstliche Position nach 1620. Der von Rudolf II. als Provokation empfundene Kniefall der oberösterreichischen Stände 1578 wandelt sich symbolgeschichtlich im 17. Jahrhundert zu einer Geste der Unterwerfung. Der Funktionswandel der widerstandsrechtlich entschärften Huldigungen lässt sich an diesem Beispiel gut exemplifizieren. Die bislang prägende Vertragstheorie „rann“ nun langsam aus.

Ein großes Verdienst des vorliegenden Buches ist die Hinterfragung vieler, vor allem durch die Arbeiten von Hans Sturmberger gängig gewordener Erkenntnisse, die auf die selektive Wahrnehmung Sturmbergers und dessen wissenschaftsgeschichtlichen Werdegang zurückzuführen sind. Das prägnante Fazit Strohmeyers lautet: „Von einer den Lutheranen inhärenten Neigung zu Unterordnung und Gehorsam kann keine Rede sein.“ (S. 452) Die vorliegende, an der Universität Bonn als Habilitation approbierte Arbeit beeindruckt durch einen analytischen, kulturwissenschaftlichen Zugang, durch die Verbindung von Ideen- und Verfassungsgeschichte sowie durch das konsequent verfolgte Frageschema, mit dem ständisches Handeln und die Aushandlungsprozesse zwischen den Positionen des Landesfürsten und denen der Stände in den Mittelpunkt rückt. Immer wieder argumentiert diese im letzten Teil etwas redundante Studie auch wissenschaftsgeschichtlich, indem sie die Zeitgebundenheit der Werke der älteren Stände- und Konfessionsforschung forschungsgeschichtlich dekonstruiert (etwa den Einfluss von Hans Baron auf die Konzeption des calvinistischen Widerstands). Zudem werden die ober- und niederösterreichischen Stände im europäischen Kontext (etwa Vergleiche mit Spanien, den Niederlanden und Schottland) untersucht. Kein Zweifel, die vorliegende Beschreibung der lange Zeit ergebnisoffenen Formierungsphase einer modernen Gesellschaft in den österreichischen Erbländern ist ein Standardwerk für die österreichische und europäische Ständegeschichte der Neuzeit.

Anmerkungen:
1 Ammerer, Gerhard; Godsey, William D. Jr.; Scheutz, Martin; Urbanitsch, Peter; Weiß, Alfred Stefan (Hrsg.), Bündnispartner und Konkurrenten der Landesfürsten? Die Stände in der Habsburgermonarchie (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 49), Wien 2007; Mata, Petr; Winkelbauer, Thomas (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 24), Stuttgart 2006.

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