K. Schmider: Hitler's Fatal Miscalculation

Cover
Titel
Hitler's Fatal Miscalculation. Why Germany Declared War on the United States


Autor(en)
Schmider, Klaus H.
Erschienen
Anzahl Seiten
596 S.
Preis
£ 29.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Domeier, Karls-Universität Prag

Das „blurb“-Unwesen der amerikanischen und britischen Verlage nimmt immer groteskere Formen an. Auf dem Klappentext wird Klaus H. Schmiders Buch „Hitler’s Fatal Miscalculation. Why Germany Declared War on the United States“ – eine seit Jahrzehnten in der internationalen Geschichtswissenschaft kontrovers diskutierte Frage – von Richard Overy kurzerhand als „the definitive account“ beworben. Zweifellos veröffentlicht er im selben Verlag, aber hat er das Buch vor seinem großzügigen Statement überhaupt gelesen?

Schmiders erkenntnisleitende Fragestellung ist mit dem Buchtitel präzise eingehegt. Es soll eigentlich „nur“ um die deutsche Kriegserklärung an die USA im Dezember 1941 gehen. Tatsächlich aber versucht er sich an einer umfassenden Revision der Ideologie Hitlers und ihres Einflusses auf Kriegführung und Massenverbrechen seit Kriegsbeginn im September 1939. Die Probleme der Studie beginnen bereits bei der Quellenauswahl. Mit einer im Jahr 2021 unbegreiflichen militär- und diplomatiehistorischen Selbstbeschränkung will Schmider nur Quellen berücksichtigen, die den Diktator – eventuell – erreichten, „if an intelligence agency, senior military command or foreign ministry department of the Third Reich kept a contemporary record of it in the form of a memo, diary entry or a set of briefing minutes“ (S. 9). Abgesehen von der fragwürdigen Beschränktheit im Hinblick auf zahlreiche verfügbare und einschlägige Quellengattungen wird damit ein Quellenpositivismus betrieben, der nur den in „staatlichen Akten“ überlieferten Quellen Geltung, Bedeutung und Relevanz zuspricht. Dies ist eine apodiktische Festlegung, die sich bereits in den Schriften von Schmiders akademischem Lehrer, Winfried Baumgart (Mainz), finden lässt. Sie stammt aus der Nachkriegsepoche und sollte vor allem einer Gruppe die Deutungshoheit über die Geschehnisse sichern: den abgehalfterten Wehrmachtsgenerälen und den ihnen nahestehenden Militärhistorikern und „Wehrwissenschaftlern“. Das Bild von der „sauberen Wehrmacht“ hatte hier seinen historiographischen Ursprung.

Selbst wenn man in diesem kleinen Quellen-Segment bleibt: Den durch alle möglichen Zufälle überlieferten Akten wird gegenüber den vernichteten, verschollenen oder nach wie vor schlecht erreichbaren Akten (Stichwort: Sonderarchiv Moskau) ein Wert zugeschrieben, der ihnen nicht gebührt. Die jahrzehntelange Suche nach einem schriftlichen Befehl Hitlers für den Mord an den europäischen Juden, brav-bürokratisch mit Stempel und Unterschrift, ersteht von Neuem und wird sogar zum Klassifizierungsfetisch erhoben. Indes hält Schmider selbst die angekündigte Strenge bzw. Selbstbeschränkung nicht durch. So erlangen die Briefe des Panzer-Generals Gotthard Heinrici an seine Familie dieselbe Stufe wie staatliches Aktenmaterial; jede Handlung und Äußerung eines deutschen Generals scheint unter manchen Militärhistorikern für den Quellen-Olymp zu qualifizieren.

Über viele, viele Seiten findet sich der Leser des Buches im Gewirr der diplomatischen Meldungen aus Washington und Tokio und den unzähligen Fehleinschätzungen der Lage durch die Thomsens, Dieckhoffs, Boettichers, Otts und Ribbentrops wieder. Ein selbstreferentielles System, das auch Schmider immer wieder mit „bizarre“ und „absurd“ kommentiert, bei dem er aber nicht einmal an einem einzigen Musterbeispiel hinterfragt, aus welchen Quellen diese Quellen ihren Honig zogen (die Medien).

Positivistische Teleologie und Geschichtsdeterminismus treiben ihre Blüten in sprachlicher Ungeduld, etwa wenn moniert wird, dass die unsicheren Kantonisten aus Japan einfach nicht einsehen wollten, dass der große Krieg ins Haus stand, und klare Absprachen mit dem NS-Regime in Tokio immer wieder hinausgezögert wurden: „In this case the outbreak of war was only days away and even the most preliminary exchange about a possible military alliance that might supersede the Tripartite Pact had yet to take place.“ (S. 259) Es ist nie schön von Historikern und vor allem nicht logisch, wenn sie ihre Urteile vor den Ereignissen fällen.

Durch die massive quellenmäßige Selbstbeschränkung und konzeptionelle Begrenztheit erhalten Episoden vollkommen überproportionales Gewicht, etwa der Besuch des Reiseschriftstellers Colin Ross bei Hitler im März 1940, von dem Schmider vermutet, dieser habe das USA-Bild des „Führers“ erheblich beeinflussen können. Weitaus naheliegendere und wirkungsmächtigere politische Akteure, die britischen und amerikanischen Berlin-Korrespondenten, von denen einige ein inniges, ja regelrecht intimes Verhältnis zum Diktator unterhielten, spielen in der Arbeit hingegen keine Rolle, etwa der Brite George Ward Price oder der Hearst-Chefkorrespondent Karl Henry von Wiegand, der das erste und letzte offizielle Interview eines amerikanischen Journalisten mit Hitler führte (1922 und 1940). Gerade Wiegand, seit 1914 eng verbunden mit der deutschen Militärelite, der Hitler bereits vor dem Münchener Putschversuch und vor der Abfassung von „Mein Kampf“ gut kannte und der dessen Amerika-Bild stark beeinflusste, fehlt völlig. Dabei hatte Hitler bereits 1938 gegenüber Wiegand erklärt, als dieser ihn kritisch nach dem Wert eines Bündnisses mit Japan befragte: „We will shake hands with the Japanese in the Caucasus.“ Im April 1939 veröffentlichte Wiegand diese geostrategische Absicht Hitlers für die gesamte Welt zum Nachlesen in Hearsts Cosmopolitan.

Mit seiner Fokussierung auf eine Handvoll Militärs und Diplomaten kann Schmider aber auch wichtige Zuarbeiter Hitlers für Informationen und Deutungen über die USA innerhalb des NS-Regimes nicht fassen. Über Jahre, bis ihm das Ausplaudern des bevorstehenden Angriffs auf die Sowjetunion zum Verhängnis wurde, nahm hierfür Prof. Dr. Karl Bömer eine Schlüsselstellung ein, zumal er es fertigbrachte, mit den verfeindeten NS-Paladinen Joseph Goebbels, Otto Dietrich und Alfred Rosenberg auf gutem Fuß zu stehen. Auch Bömer wird in Schmiders Buch nicht einmal erwähnt.

Statt dem Titel und der leitenden Frage des Buches gerecht zu werden und solchen Spuren in- und außerhalb des NS-Regimes und aus dem Umfeld Hitlers zu folgen, ergeht sich Schmider in einem langen Kapitel in militärtechnisch selbstverliebten Schilderungen von Kampfhandlungen der Wehrmacht während des „Unternehmens Barbarossa“, die jedoch keinerlei Bezug zum Thema des Buches aufweisen. Dasselbe gilt für die ausgiebigen Darstellungen zu Fortschritten in der Waffen- und Abwehrtechnik, wie etwa zum „Würzburg Radar“. Das ebenfalls in einem eigenen Kapitel verfolgte „rubber“/Kautschuk-Problem mitsamt der Buna-Ersatzprodukte ist ein alter Hut und in jeder Wirtschaftsgeschichte des „Dritten Reiches“ enthalten. Auch zeitgenössisch war darüber bereits alles – öffentlich– zu erfahren, lange vor dem Zweiten Weltkrieg. William Shirer schrieb bereits im Herbst 1935 für die Nachrichtenagentur Universal Service eine detaillierte Artikel-Serie zum Thema.

Quellenkritisch ist hier anzumerken: Zum Thema „Hitler und Kautschuk“ existiert laut Schmider kein einziges Dokument, das seiner eigenen Quellenauswahl (siehe oben) genügen würde. Dennoch nimmt er sich die großzügige Extrapolation heraus, dieses Thema müsse für Hitler einfach wichtig gewesen sein, da er schließlich jahrelang vom ehemaligen Kautschuk-Experten Walter Hewel umgeben gewesen sei. Nach dieser Logik hätte Hitler auch Sekt-Experte sein müssen.

Mindestens zwei Drittel des Buches stellen flüssig geschriebene Militärgeschichte dar. Aber ihr Zusammenhang mit der Frage „Warum erklärte Hitler den USA den Krieg?“ muss das Geheimnis des Autors bleiben. Dagegen fehlen zahlreiche Aspekte, die bei dieser Frage hätten kommen müssen. Besonders markant: Das bereits von vielen Zeitgenossen ventilierte Argument, Hitler habe mit der Kriegserklärung an die USA die für das Deutsche Reich verhängnisvolle Konstellation des Ersten Weltkrieges zumindest symbolpolitisch umkehren wollen, indem er den USA den Krieg erklärte und nicht auf deren formvollendeten „Eintritt“ in den Krieg gegen NS-Deutschland wartete, findet keine Beachtung. Selbst für zahlreiche fanatische Nationalsozialisten war die Kriegserklärung an die USA eine „kalte Dusche“. Durch Hitlers Aktivismus konnte von den Gläubigen der NS-Bewegung immerhin das böse Omen von 1917 umgedeutet werden.

Schmider versucht bewusst, Hitler zu „rationalisieren“ und zu „entideologisieren“. Doch dies ist ein Irrweg. Wenn es einen Grundtenor in der kaum noch zu überschauenden Hitler-Forschung gibt, dann doch den, dass kaum ein führender Politiker und Diktator der Neuzeit stärker von einem spezifischen Weltbild und einer fanatisch verfolgten, ideologisch bestimmten Mission getrieben war als Hitler. Dies schließt temporären Pragmatismus, etwa seine Taktik des „Kreidefressens“ und des „Geschwätzes vom Frieden“ nach 1933 nicht aus, sondern ein. Als die Gefahrenzone der Aufrüstung ohne Intervention äußerer Mächte durchschritten war, machte sich der Diktator selbst immer wieder über seine gelungene Schauspielerei gegenüber der Weltöffentlichkeit lustig.

Schmiders nicht nachvollziehbares Außerachtlassen zentraler Quellen zur Weltanschauung Hitlers führt schließlich zu schwerwiegenden Fehlschlüssen. Seine Behauptungen, dass Hitler kurz nach seiner Kriegserklärung an die USA im Dezember 1941 den Reichs- und Gauleitern erklärt haben soll, „that genocide had now become one of Germany’s war aims“ sowie „Earlier statements had still carried some ambiguity“ (S. 540) sind schlichtweg falsch. Die Schlüsselquelle zu Hitlers Weltanschauung, nicht zuletzt auch im Hinblick auf seine Kriegs- und Weltherrschaftspläne, berücksichtigt Schmider in keiner Weise: Hitlers Geheimrede vor der Wehrmachtführung auf dem Obersalzberg am 22. August 1939, am authentischsten überliefert in der sogenannten „Lochner-Version“.1 Bereits hier, mehr als zwei Jahre zuvor, gut eine Woche vor dem Überfall auf Polen, erklärte Hitler seinen führenden Generälen, dass das eigentliche Ziel des kommenden Krieges in der Vernichtung ganzer Völker zum Zweck der Entleerung von „Lebensraum“ für die Deutschen bestehe und er auf diese Weise die „Erdherrschaft“ anstrebe: „Ich habe den Befehl gegeben – und ich lasse jeden füsilieren, der auch nur ein Wort der Kritik äußert –, daß das Kriegsziel nicht im Erreichen von bestimmten Linien, sondern in der physischen Vernichtung des Gegners besteht. So habe ich, einstweilen nur im Osten, meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, unbarmherzig und mitleidslos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken. Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier? […] Polen wird entvölkert und mit Deutschen besiedelt. Mein Polenpakt war nur als Zeitgewinn gedacht. Und im übrigen, meine Herren, ereignet sich mit Rußland ja nur dasselbe, was ich mit Polen durchexerziert habe. Nach Stalins Tod, er ist ein schwerkranker Mann, zerbrechen wir die Sowjetunion. Dann dämmert die deutsche Erdherrschaft herauf.“2

Schmiders lange Seiten voller Verwunderung über den Dauerkonflikt zwischen dem Feldherrn Hitler und seinen Generälen während des „Unternehmens Barbarossa“, das für Hitler unwichtige „Erreichen bestimmter Linien“ (= Moskau), findet sich hier erklärt. Noch fataler ist für die Studie jedoch, dass diese Quelle nicht für die Interpretation des Verhältnisses Hitlers zu den USA (und Japan) herangezogen wurde.

Vor diesem Hintergrund wirkt es befremdlich, wenn Schmider in seinem Fazit konstatiert, „there is no evidence for the assumption that the German dictator at any point in 1941 allowed his anti-Semitic views to influence his grand strategy in general, much less determine his thinking on bringing the USA into the war“ (S. 541). Schon die Annahme, dass Hitler nach 1919/20 auch nur einmal außerhalb seines rassistisch-antisemitischen Weltbildes gedacht und gehandelt hat, kann als abwegig verworfen werden. Hier zeigt sich, zu welchen Fehlschlüssen eine einseitig diplomatie- und militärhistorische Deutung und die damit einhergehende Engführung, Überbewertung und Außerachtlassung verschiedener Quellen(-gattungen) führen kann; kombiniert mit dem verfehlten Versuch, das Charakterbild eines Ideologen zu entideologisieren. Schmider spitzt mit Blick auf den Holocaust sein Resümee sogar noch zu einem Primat des Militärischen zu: „military and foreign policy have to come first, ethnic cleansing second“ (S. 541).

Tatsächlich gab es nur eine „grand strategy“ Hitlers, der alles andere rein pragmatisch, opportunistisch und improvisierend untergeordnet war: Die militärische Eroberung von „entleertem“ Lebensraum, die untrennbar verbunden war mit dem Völkermord an vorgeblich minderwertigen „Rassen“, um eine deutsche „Erdherrschaft“ herbeizuführen. Mit seinem Buch trägt Klaus H. Schmider leider dazu bei, diese zentrale historische Erkenntnis des 20. Jahrhunderts zu vernebeln.

Anmerkungen:
1 Zur Debatte um die „Lochner-Version“ der Hitler-Rede vom 22. August 1939: Norman Domeier, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“, Göttingen 2021, Kapitel 6.4. Eine ausführliche Quellendokumentation und Quellenkritik findet sich in: Norman Domeier, Weltherrschaft und Völkermorden. Die „Lochner-Version“ der Hitler-Rede vom 22. August 1939 als Schlüsseldokument nationalsozialistischer Weltanschauung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 70 (Juni 2022), S. 542-567.
2 Die deutsche Originalfassung der Louis Lochner von General Ludwig Beck und Admiral Wilhelm Canaris zugespielten Zusammenfassung der Hitler-Rede ist überliefert im Nachlass von Louis Lochner, Wisconsin Historical Society, Madison/Wisconsin, Reel 58/Frame 149. Diese Fassung findet sich abgedruckt in: ADAP D 7, Nr. 193, FN 1, S. 171–172. Die von den Briten im August 1939 ins Englische übersetzte Fassung ist abgedruckt in: British Documents on Foreign Policy, Serie 3, Band VII, Nr. 314.

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