Cover
Titel
Capital Cities at War. Paris, London, Berlin 1914-1919. Volume 2: A Cultural History


Herausgeber
Winter, Jay; Robert; Jean-Louis
Erschienen
Anzahl Seiten
545 S.
Preis
£ 63,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Florian Altenhöner, Berlin

In einem immer weiter wachsenden Angebot von Büchern über den Ersten Weltkrieg gibt es auch Bücher, die erwartet werden. Zu diesen zählt zweifellos der zweite Band der "Capital Cities at War". Zehn Jahre nach dem ersten ist der zweite Band einer vergleichenden Untersuchung von Paris, London und Berlin während des Ersten Weltkrieges erschienen. Der Band schließt nicht unmittelbar an die im ersten Teil diskutierten Themen an. Wurden dort unter anderem die materielle Versorgung der Bevölkerung und die demographische Entwicklung untersucht, so verspricht der Untertitel des zweiten Bandes eine „Cultural History". Im ersten Teil („Cityscapes“) werden Bahnhöfe, die Straßen und Unterhaltungsangebote („Entertainments“) thematisiert. Die Kapitel des zweiten Teils („Civic Culture“) untersuchen Ausstellungen, Schulen, Universitäten und fragen nach nach „private space/ public space“. Der dritte Teil („Sites of Passage/rites of passage“) diskutiert die Auswirkungen des Krieges auf Heim und Familienleben, Krankenhäuser, „religious sites and practises“ und schließlich Friedhöfe. Der Band entwirft ein breites, multiperspektivisches und facettenreiches Bild der Jahre zwischen 1914 und 1918, das in seiner Breite weit über die Themen des ersten Bandes hinausgeht. Die Autoren nehmen Leserinnen und Leser mit auf einen „scholarly perambulation“ durch die drei Metropolen (S. 4). Dieser Spaziergang führt zu den Bahnhöfen der Metropolen, wir durchschreiten die Straßen der Hauptstädte, besuchen Kneipen, Theater und Ausstellungen, betreten Kirchen, Schulen und Universitäten, treten ein in Häuser und Wohnungen.

Verfasst wurden die Beiträge von einem internationalen Team von Historikerinnen und Historikern unter der Leitung von Jean-Louis Robert und Jay M. Winter. Wie der erste Band unterscheidet sich auch der hier rezensierte Band in seiner Herangehensweise von anderen Sammelbänden mit einer komparativen Perspektive. Denn es handelt sich um das Resultat einer kollektiven Anstrengung, da die elf Kapitel das Resultat gemeinsamer Arbeit sind. Für die Kapitel zeichnet jeweils ein oder mehrere Autoren verantwortlich – jedes Kapitel geht aber auch auf die Zuarbeit weiterer Co-Autoren zurück.

Zu den programmatischen Zielen der Autoren zählt der Bruch mit einer Homogenisierung der nationalen Perspektive: „If we are ever to realize a truly European history of the Great War, we need to go beyond the national boundaries which have dominated historical writing on the subject“ (S. 468). Der Blick über die nationalen Grenzen hinweg betont nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten. So verweisen Winter und Robert darauf, dass die Bewohner Londons und Paris' mindestens genauso viel gemeinsam hatten, wie die Bewohnerinnen und Bewohner von Paris und Bauern der Provence und die Bewohner Londons und Bergarbeiter in Durham (S. 468). Neben den Gemeinsamkeiten werden auch die Unterschiede und Gegensätze herausgearbeitet. Zu diesen zählten die geographisch und technisch bedingten unmittelbaren Auswirkungen des Krieges auf London und Paris einerseits und Berlin andererseits. Durch die 1915 einsetzenden deutschen Luftangriffe wurden in Paris und London die Hauptstädte selbst zum Kriegsschauplatz – Berlin war außerhalb der Reichweite alliierter Flugzeuge. Auch durch die geographische Nähe zur Westfront bestanden Unterschiede zwischen Paris und London einerseits und Berlin andererseits. Paris lag in der Reichweite deutscher Ferngeschütze, in London war in manchen Nächten das ferne Grollen der Front leise zu hören.

Aber obwohl Jay M. Winter in der Einleitung ausdrücklich Identität als einen Schlüsselbegriff des Bandes betont (S. 1-3), wurden Fremd- und Selbstbilder ausdrücklich nur im ersten Band diskutiert.1 Die im Verlauf des Krieges zunehmende Xenophobie (S. 206) und der erstarkende Antisemitismus werden im zweiten Band nur am Rande erwähnt. Diente im ersten Band das Modell des Wirtschaftswissenschaftlers Amartya Sen, „entitlements, capabilities, and functionings“ dazu, die Perspektiven auf die Metropolen zu bündeln, so fehlt im zweiten Band ein fokussierendes Konzept. Zu den Schwächen des zweiten Bandes zählt daher, dass mit Cultural History ein zentraler Schlüsselbegriff blass bleibt und damit eine alle Kapitel durchziehende Achse des Vergleichs fehlt. Auch wenn nicht jeder Vergleich mit der begrifflichen Strenge und Selbsterläuterung einer bedeutungs-überschweren deutschen Qualifikationsarbeit gezogen werden muss, ein wenig mehr konzeptionelle Präzisierung hätte dem Buch gut getan.

Wie der erste Band überzeugt auch sein Nachfolger durch eine thematische Vielfalt und Breite. Doch der Mangel an begrifflicher Präzision führt dazu, dass zu viele Aspekte nebeneinander präsentiert und nicht verglichen, sondern eher aufgezählt werden. Auch gelingt es innerhalb der Beiträge nicht immer, die drei Metropolen gleichwertig zu thematisieren. Zudem ist eine Geschichte der Hauptstädte nur schwer zu trennen von der nationalen bzw. allgemeinen Geschichte des Weltkrieges. Dies zeigt sich unter anderem am Beispiel des Kapitels über die Krankenhäuser (S. 354-382), das vor allem die Versorgung verwundeter Soldaten untersucht. Ist dieses Thema für sich genommen nicht vielmehr ein Teil der Geschichte der Frontsoldaten und weniger Teil einer Geschichte der Heimatfronten in Paris, London und Berlin? Interessant wäre gewesen zu prüfen, ob die Hospitäler ebenso wie die Bahnhöfe (S. 23-56) als Schnittstellen zwischen Front und Heimat verstanden werden können. Waren die Verwundeten im Stadtbild sichtbar? Wie reagierten die Menschen in den Metropolen auf sie?

Zwar können und wollen die beiden Bände der „Capital Cities at War“ kein Kompendium zur Geschichte der drei Metropolen im Ersten Weltkrieg sein. Es wäre auch abwegig, von ihnen zu verlangen, dass sie den aktuellen Wissensstand über den Ersten Weltkrieg in erschöpfender Breite in einem lokalen Kontext abbilden. Obwohl die beiden Bände explizit Hauptstädte thematisieren, bleibt dieser Aspekt blass und es wird z.B. nicht diskutiert, wie sich die Nähe zu den politischen und militärischen Entscheidungen (und Entscheidungsträgern) auf die Kriegserfahrung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner auswirkte. Reizvoll wäre auch eine Untersuchung der Wahrnehmung der Hauptstädte durch die zwischen Kapitale und Hauptquartier pendelnden politischen und militärischen Eliten. Bei aller Berechtigung einer kulturgeschichtlichen Perspektive: An verschiedenen Punkten wären vergleichende Ausführungen zu Strukturen durchaus angemessen gewesen, um die Voraussetzungen für Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Zensur, Ausnahmezustand, die Militarisierung des öffentlichen Lebens bestimmten etwa den Rahmen dessen, was in den Hauptstädten z.B. geschrieben und gesagt werden konnte. Wünschenswert wäre zudem mehr Bild- und Kartenmaterial gewesen, ebenso wie ein erläuternder Beitrag zu den ausgewerteten Quellen. Nicht zuletzt sind es ja erst diese, die einen Vergleich ermöglichen bzw. einschränken.

Auch der zweite Band der „Capital Cities at War“ stellt trotz der genannten Kritikpunkte eine bemerkenswerte Forschungsleistung dar. Der rezensierte Band ermöglicht ein Flanieren durch Metropolen und macht neugierig auf die zukünftigen Geschichten des Weltkrieges.

Anmerkung:
1 Jean-Louis Robert, The image of the profiteer, in: Winter, Jay M. / Robert, Jean-Louis (Hrsg.), Capital Cities at War. Paris, London, Berlin, 1914-1919. Cambridge 1997, S. 104-132.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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