L. Banella u.a. (Hrsg.): Sicco Polenton. Vite dei moderni

Cover
Titel
Sicco Polenton. Vite dei moderni. Mussato, Dante, Petrarca, Boccaccio


Herausgeber
Banella, Laura; Modonutti, Rino
Reihe
Scienze filologico-letterarie
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Giuseppe Cusa, Historisches Institut, RWTH Aachen

„Sie [= die Musen] hatten fast tausend Jahre lang geschlafen, doch zu dieser Zeit begannen sie, ihre Glieder zu bewegen, sich die Augen zu reiben und die Arme auszustrecken, wie es schläfrige Menschen zu tun pflegen.“1 Das schreibt Sicco Polenton († wohl 1446) im Eintrag zum Florentiner Dichterfürsten Dante Alighieri in seinen Scriptores illustres latinae linguae, einer literaturhistorischen Abhandlung mit biobliographischen Skizzen von über 100 lateinischsprachigen Autoren aus der Antike bis ins Spätmittelalter.

Die Scriptores illustres sind in zwei Redaktionen erhalten geblieben: In einer nur bis zum Beginn des siebten Buches reichenden Erstfassung, an der Sicco wohl um 1426 zu arbeiten aufhörte, die – nebst einem dürftigen Fragment – lediglich von einem Textzeugen tradiert wird (Florenz, Biblioteca Riccardiana, Ms. 121 = R); und in einer wahrscheinlich ebenfalls nicht vollendeten, 18 Bücher umfassenden Zweitredaktion, die sowohl im Autograph (Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ott. lat. 1915 = O)2 als auch in über einem Dutzend weiterer Kodizes erhalten geblieben ist. Die in den 1430ern (vor 1437) beendete zweite Redaktion des ambitionierten Opus setzt mit einem Vorwort und einem Index ein, auf die eine thematische Einführung mit Erläuterung der Ursprünge verschiedener Disziplinen wie Grammatik, Rhetorik oder Philosophie (Buch I) folgt. Die Bücher II–IV behandeln – vornehmlich römische – Dichter und klingen mit den Miniaturen zu Albertino Mussato, Dante Alighieri und Francesco Petrarca aus. In den Büchern V–VIII folgen Lebensbeschreibungen von Geschichtsschreibern, ebenfalls vorwiegend aus der römischen Antike. In Buch VIII werden mit Beda Venerabilis, Orosius oder Paulus Diaconus indes auch lateinische Historiographen aus frühchristlich-frühmittelalterlichen Jahrhunderten und mit Giovanni Boccaccio – der vermutlich wegen seines unvollständig bekannten Werkkatalogs nicht unter den Dichtern aufgeführt wird – sogar aus der jüngeren Vergangenheit gewürdigt. Die Bücher IX–XVIII sind Rednern und Moralphilosophen gewidmet, unter denen Cicero eine hervorragende Stellung einnimmt (Bücher X–XVI).

Der hier zu besprechende Band bietet eine Teiledition und -übersetzung der Scriptores illustres, und zwar der Biogramme jener Autoren aus Siccos unmittelbaren Vorgängergenerationen, die im Anschluss an das im Eingangszitat geschilderte Musenerwachen wirkten: Albertino Mussato, Dante Alighieri, Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio. Einleitend werden die Vita des rechtsgeschulten Siccos, der unter anderem als Notar und Kanzler in Padua wirkte, und sein unterschiedliche literarische Genres umfassendes Schrifttum skizziert (S. 7f.). Die Ausführungen fallen freilich etwas knapp aus.3 Eine ausführliche Bibliographie (S. 9–23), zwei einführende Aufsätze (S. 25–64) und Erläuterungen zu Handschriften, zur Druck- und Editionsgeschichte sowie zum editorischen Vorgehen (S. 65–69) sind dem Editions- und Übersetzungsteil vorangestellt.

Laura Banella beleuchtet zunächst die Darstellung der vier genannten Autoren des Trecento in Siccos Werk (S. 25–43). In den 1430ern habe man im bürgerlich-städtischen Ambiente der Dichtung eine erhöhte Bedeutung beigemessen und die „tre corone fiorentine“ herausgeschält. Dieser Referenzrahmen spiegele sich auch in den Scriptores illustres, in denen lediglich drei Bücher den Dichtern gewidmet sind; doch hätten für Sicco die „Modernen“ (Mussato, Dante, Petrarca) einzig in der Poesie mit ihren antiken Vorläufern mithalten können. Er würdige die drei Dichter sowohl wegen ihrer dichterischen Begabung als auch wegen ihrer moralisch-bürgerlichen Tugenden, sie entsprächen seiner Auffassung des „modernen Intellektuellen“ (S. 32), seien nicht nur scriptores illustres, sondern auch viri illustres gewesen (S. 35). Überdies lasse sich in jenen Jahren, auch in Siccos Œuvre, eine neue Wertschätzung der Volkssprache ausmachen. Sowohl deswegen als auch wegen gängiger humanistischer Auffassungen sei im Vergleich zur Erst- in der Zweitredaktion Dante und Petrarca der Vorrang vor Mussato eingeräumt worden; da Sicco allerdings eine paduanische Perspektive beibehalten habe, habe er jenen im Dichter-Dreigestirn belassen.

Anschließend betrachtet Rino Modonutti die Bedeutung der Paduaner Prähumanisten und Petrarcas für Sicco (S. 45–64). Dieser habe den paduanischen Frühhumanistenzirkel bewundert, aus dem jedoch einzig Mussato – wahrscheinlich wegen dessen Dichterkrönung und umfangreicher Werkliste – einen eigenen Eintrag erhielt. Lovato Lovati hingegen werde zwar feierlich, aber nur vage erinnert; zudem werde er fälschlich als Förderer von Mussatos Dichterkrönung dargestellt, wodurch Sicco eine „poetische Genealogie“ konstruiere (S. 49f.). Einen anderen Vertreter des Paduaner Prähumanismus, Zambono d’Andrea, lobt Sicco beiläufig in der Vita Boccaccios, wohingegen er Rolando da Piazzola ungenannt lässt, doch dürfte er das vermeintliche Epitaph Lukans einem Kodex Rolandos entnommen haben (Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 1769). Die herausragende Rolle Petrarcas für Sicco wiederum zeige sich bereits in dessen umfangreicher Miniatur. Ferner kann Modonutti überzeugend aufzeigen, dass der petrarkische Einfluss in Siccos Opus größer gewesen sein dürfte als bisher angenommen.

Der sich an den Einführungs- anschließende Editionsteil bietet zunächst den lateinischen Text der vier Lebensbeschreibungen aus der zweiten Redaktion der Scriptores illustres nach der Handschrift O und eine parallel abgedruckte italienische Übersetzung (S. 72–142). Ausführlich äußert sich Sicco zu Petrarca (hier 310 Zeilen), den er als princeps et auctor der wiedererblühten Poesie und jedweder Eloquenz erachtet, wohingegen den anderen Dreien viel weniger Raum geschenkt wird (Mussato 62, Dante 33, Boccaccio 18 Zeilen). Sicco zieht mehrere Parallelen und Verknüpfungen zwischen den Vieren: Mussato und Dante verbinde die Verbannung aus ihrer Heimatstadt und der Tod im Exil; Mussato und Petrarca die genossene Wertschätzung und insbesondere die Dichterkrönung; Boccaccio wiederum wird gewissermaßen als Nachfolger Petrarcas betrachtet.

Die Edition verbessert an einigen wenigen Stellen die maßgebliche Textausgabe von Ullman4, passt die Interpunktion an und gliedert den Text in Paragraphen. Nicht abgedruckt werden die Randangaben, mit denen Sicco im Autograph etwa auf Namen oder Orte hinweist. Im Anschluss an jedes der vier Biogramme finden sich detailreiche Kommentare samt Anmerkungsapparat, in denen beispielsweise auf die Unterschiede zwischen Erst- und Zweitredaktion, Quellen, Zitate, Entlehnungen und Anklänge, inhaltliche Details oder auch weitere Bearbeitungen der Materie im 14. und 15. Jh. hingewiesen wird. Danach folgt die Edition der Biogramme der drei Dichter aus der ersten Redaktionsstufe der Scriptores illustres – in der die Miniatur Boccaccios noch fehlt – nach der Handschrift R (S. 143–151). Diese ist mit einem Varianten-, aber – da zuvor bereits die Zweitredaktion ausführlich kommentiert wird – keinem Sachapparat versehen. Ein Namens- (S. 153–156) und ein Handschriftenregister (S. 157–159) beschließen den schmalen Band.

Wenngleich vorrangig für eine breitere italienische Leserschaft gedacht, dürfte die willkommene Publikation auch von Forscher:innen etwa zum Humanismus oder zur italienischen (Literatur-)Geschichte des Spätmittelalters mit Gewinn gelesen werden. Denn das akkurat redigierte Büchlein besticht durch seinen dichten Kommentarteil und bietet sorgfältig edierte und übersetzte Textausschnitte, die veranschaulichen, was ein (ostoberitalienischer) Humanist des frühen Quattrocento über die vier genannten und bekannten Autoren des Trecento (zu vermitteln) wusste.

Anmerkungen:
1 Der lateinische Text findet sich im hier besprochenen Band auf S. 94.
2 Digitalisat einsehbar unter <https://digi.vatlib.it/view/MSS_Ott.lat.1915> (14.10.2021).
3 Verwiesen wird auf folgenden parallel erschienenen Tagungsband, an dem auch die beiden Herausgeber:innen mitgewirkt haben: Giovanna Baldissin Molli / Franco Benucci / Rino Modonutti (Hrsg.), L’Umanesimo di Sicco Polenton. Padova, la Catinia, i santi, gli antichi, Padua 2020 (Centro Studi Antoniani 66).
4 Sicconis Polentoni Scriptorum illustrium latinae linguae libri XVIII, hg. von Berthold L. Ullman, Rom 1928 (Papers and monographs of the American Academy in Rome 6).

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