S. Casciani u.a. (Hrsg.): Companion to Late Medieval and Early Modern Siena

Cover
Titel
Companion to Late Medieval and Early Modern Siena.


Herausgeber
Casciani, Santa; Richardson Hayton, Heather
Reihe
Brill's Companions to European History (23)
Erschienen
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
€ 160,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina Abel, Historisches Institut, Universität des Saarlandes

Das vorliegende Kompendium zur Geschichte Sienas im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit, erschienen in der renommierten (und teuren) Schriftenreihe "Brill's Companions to European History", überrascht in vielerlei Hinsicht. Der Band ist nicht nur deutlich dünner als vergleichbare Publikationen derselben Reihe1, er setzt auch ungewöhnliche Schwerpunkte: Chronologisch reichen die durch die beiden amerikanischen Herausgeberinnen versammelten Beiträge vom 13. bis ins 20. Jahrhundert und entziehen sich damit jeder Epocheneingrenzung. Thematisch liegt der Fokus klar auf kultur- und kunstgeschichtlichen Aspekten der Stadtgeschichte, und zwar auch solchen, die in Überblickswerken eher selten berücksichtigt werden, wie die Musikkultur oder die literarische Tätigkeit von Frauen.

Ausschlaggebend für die Konzeptionierung des Companion, so Heather Richardson Hayton in ihrer kurzen Einleitung (S. 1–8), war die Tatsache, dass der Forschungsstand, insbesondere außerhalb Italiens, der an Superlativen reichen Geschichte Sienas (immer wieder genannt: die älteste noch operierende Bank der Weltgeschichte) nicht gerecht werde: „Siena remains often overlooked, or forgotten, by the schlolarly community“ (S. 1). Dieser Befund ließe sich anhand der nicht unerheblichen Anzahl neuerer englischsprachiger Literatur zu Siena, die in der sorgfältig erstellten Bibliographie am Ende des Bandes aufgelistet ist, zwar hinterfragen, die 13 Beiträge von der Hand ausgewiesener Experten der sienesischen Geschichte oder ihres jeweiligen Untersuchungsgegenstandes bedürfen jedoch keiner gesonderten Rechtfertigung.

Der erste Teil des Bandes widmet sich politischen und urbanistischen Entwicklungen in Mittelalter und Renaissance („The City and Commune“). Mario Ascheri, einer der produktivsten Forscher zur Stadtgeschichte Sienas, gibt einen konzisen Überblick über den Wandel der regierenden Institutionen von den ersten Belegen für die Existenz einer kommunalen Regierung im 12. Jahrhundert bis zur Eingliederung der Stadt in das toskanische Herzogtum der Medici im 16. Jahrhundert (S. 11–30). Gleiches gilt für Bradley R. Franco, der seine Analyse der Rezeption und Instrumentalisierung der bis heute identitätsstiftenden Schlacht von Montaperti (1260) in eine hervorragende Synthese der politischen Verfassungsgeschichte Sienas im 14. und 15. Jahrhundert einbettet (S. 31–50). Fabrizio Nevola widmet sich der Entstehung des Stadtbildes zwischen 1300 und 1600, das bis heute weitgehend unverändert erhalten ist und, so Nevola, durch eine sehr bewusste mittelalterliche Baupolitik geprägt wurde, die ungeachtet der raschen Änderungen in den politischen Rahmenbedingungen über einen erstaunlich langen Zeitraum kontinuierlich verfolgt wurde (S. 51–68). Einen prominenten Platz nimmt das Sieneser Stadtbild auch im Beitrag von Jane Tylus ein, die die Biographie der Hl. Katharina (Caterina Benincasa) von Siena (1347–1380) mit der Biographie ihrer Heimatstadt verbindet und dabei die Einbindung der jungen Mysterikerin in den baulichen und sozialen Raum der Stadt nachzeichnet (S. 69–82). Allen Beiträgen des ersten Teils ist eigen, dass sie ihren jeweiligen Gegenstand gekonnt mit der sienesischen Ereignisgeschichte, aber auch mit der städtischen Topographie verflechten: Durch die dadurch entstehenden Überschneidungen zeichnen sie ein erstaunlich dichtes Bild der Stadtgeschichte, das angesichts der Themenauswahl nicht zu erwarten war.

Dies gilt auch für den zweiten Teil des Companion, der einen vielfältigen Blick auf die religiöse Kultur in Siena und deren künstlerische Manifestation wirft („Art and Religion“). Demetrio S. Yocum untersucht die kulturelle Wirkkraft des in Siena seit dem 14. Jahrhundert stark präsenten Kartäuser-Ordens am Beispiel des gut vernetzten Sieneser Mönchs Pietro Petroni (1311–1361) und dessen direkten und indirekten Einflusses auf religiöse und humanistische Diskurse der Zeit (S. 85–112). Im 14. Jahrhundert bewegt sich auch der Beitrag von Sheri F. Shaneyfelt, die mit den Marien-Altarbildern von Pietro und Ambrogio Lorenzetti nicht nur eine der bekanntesten Künstler-Werkstätten Sienas in den Blick nimmt, sondern allgemeiner auch „the city's unique visual culture“ (S. 113–131, hier 113). Andrea Beth Wenz widmet sich dann den vielfältigen reformatorischen Strömungen, die im 16. Jahrhundert in Salons, Bruderschaften und gelehrten Gemeinschaften nachzuweisen sind und über Reformatoren wie Bernardino Ochino oder Lelio und Fausto Sozzini weit über Siena hinaus Wirkkraft entfalteten (S. 132–153). Santa Casciani spürt dem Wirken und Nachwirken, vor allem kultureller Natur, des Hl. Bernardino von Siena (1380–1444) im süditalienischen L'Aquila nach, wo Bernardino 1444 verstarb und bis heute begraben liegt (S. 154–172).

Der dritte Teil schließlich widmet sich dem Themenbereich „Culture and Society“: Anna M. Peterson untersucht das öffentliche Gesundheitswesen vor Ausbruch der ersten Pestwelle 1348, das in Siena durch eine Reihe großer Hospitäler und karitativer Einrichtungen sehr präsent und auch politisch einflussreich war (S. 175–194). Eine Synthese der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rolle von Frauen in den letzten Jahren der sienesischen Kommune (1500–1560), die durch geopolitische Konflikte, häufige Exilierungen und soziale Umbrüche geprägt erscheint, stammt von Elena Brizio (S. 195–217). Konrad Eisenbichler beleuchtet die außergewöhnliche Präsenz weiblicher Dichtung und weiblicher Dichterinnen im 16. Jahrhundert, die auch religiöse und politische Themen berührten (S. 218–240), eine Besonderheit, die bereits in anderen Beiträgen aufschien. So wurde eine außergewöhnlich hohe Literalität der weiblichen Bevölkerung bereits in den Beiträgen von Jane Tylus (S. 72), Andrea Beth Wenz (S. 134–138) und Elena Brizio (S. 211–213) angesprochen. Ein Beitrag von Colleen Reardon zum rituellen und zeremoniellen Einsatz von Musik und zur musikalischen Ausbildung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert sowie deren Bedeutung für die Wahrung einer distinktiven Identität trotz des Verlusts der politischen Unabhängigkeit schließt den dritten großen Teil des Sammelbandes ab (S. 241–260).

Anstelle einer Zusammenfassung bietet der Beitrag von Saverio Luigi Battente abschließend einen „Epilogue“ (S. 263–287): Battente untersucht die Rezeptionsgeschichte des sienesischen Mittelalters ausgehend vom Zeitalter der Grand Tour, in der der Mythos von Siena als „Gothic queen“ entstand, bis hin zur Vereinnahmung dieses Bildes durch die lokalen Führungsschichten des 19. und 20. Jahrhunderts im Kontext des Risorgimento. Abgerundet wird der Band durch Kurzbiographien der Autor:innen, Abstracts der Beiträge, Bild- und Kartenmaterial, ein Literaturverzeichnis und ein Namens- und Sachregister.

Der von Santa Casciani und Heather Richardson Hayton herausgegebene Band versammelt damit durchweg hochqualitative, oft auch innovative Arbeiten zur sienesischen Stadtgeschichte. Auffallend sind die häufigen Überschneidungspunkte, die trotz unterschiedlichster Themen die Beiträge immer wieder miteinander verzahnen. Die in vielen Aufsätzen durchscheinende Begeisterung der Verfasser:innen für ihren Forschungsgegenstand ist ansteckend, auch wenn sie die Autor:innen bisweilen dazu verführt, Befunde, die für viele italienische Städte Geltung beanspruchen können, als sienesische Eigenheit zu präsentieren (z. B. S. 6: „a dynamic Commune that [...] created the blueprint for modern cities in its political and legal documents“) oder nur schwer belegbare kausale Zusammenhänge herzustellen (z. B. S. 12: „The city's early medieval roots were so strong that they have nurtured excellence well beyond the Middle Ages, even until recently, [...]“). Das in der Einleitung formulierte Konzept der Herausgeberinnen, die Originalität der verschiedenen Forschungen aus unterschiedlichen Disziplinen nicht durch ein vorgegebenes Frage-Raster einzuschränken und stattdessen Schlaglichter auf verschiedene Aspekte des Sieneser Lebens im Mittelalter und der Frühen Neuzeit zu werfen, erweist sich als gelungen: Der Sammelband leistet einen wichtigen Beitrag, um städtisches Leben in Italien in Mittelalter und Früher Neuzeit auch einem breiteren Publikum ohne Italienisch-Kenntnisse zugänglich zu machen, was ihn auch für die universitäre Lehre zu einem Gewinn macht. Ob er durch diesen Zugang und den vergleichsweise geringen Umfang tatsächlich als Companion im klassischen Sinne nutzbar ist, ist allerdings fraglich. Wer einen systematischen Überblick zum Forschungsstand sucht, wird weiterhin nicht umhinkommen, andere Überblickswerke und Einzelforschungen zur Hand zu nehmen.

Anmerkung:
1 Sarah Rubin Blanshei (Hrsg.), A Companion to Medieval and Renaissance Bologna, Leiden 2018; Carrie E. Beneš (Hrsg.), A Companion to Medieval Genoa, Leiden 2018.

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