Th. Witulski: Kaiserkult in Kleinasien

Cover
Titel
Kaiserkult in Kleinasien. Die Entwicklung der kultisch-religiösen Kaiserverehrung in der römischen Provinz Asia. Von Augustus bis Antoninus Pius


Autor(en)
Witulski, Thomas
Reihe
Novum testamentum et orbis antiquus. Studien zur Umwelt des Neuen Testaments 63
Erschienen
Göttingen 2007: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helga Botermann, Althisttorisches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um ein Kapitel aus der Studie „Hadrian oder Christus?“, mit der Witulski 2004/2005 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster habilitiert wurde. Im Gegensatz zu der oft von Interpreten verfochtenen Frontstellung der Johannesapokalypse gegen Domitian will Witulski auf eine Datierung in die Zeit zwischen 132 und 135 n.Chr. hinaus.1 Im Gegensatz zum Buchtitel beschränkt sich Witulski auf die Provinz Asia und auf die provinziale Ebene. Die munizipale und private kultisch-religiöse Kaiserverehrung werden aus „quellentechnischen“ und „heuristischen“ Erwägungen weitgehend ausgeklammert. Witulski konstatiert, entwicklungsgeschichtliche Analysen hätten bislang kaum im Fokus des althistorischen Forschungsinteresses gelegen.2 Sein eigenes Vorhaben skizziert er folgendermaßen: „Ausgehend von der Analyse der kultisch-religiösen Verehrung des Augustus [...] ist die jeweilige kultisch-religiöse Verehrung sämtlicher weiterer Regenten bis hin zu Antoninus Pius in den Blick zu nehmen und jeweils mit derjenigen ihrer Vorgänger, nicht zuletzt auch mit derjenigen des Augustus, in Beziehung zu setzen. Diese vergleichende Methode ermöglicht es, insbesondere diejenigen Phasen innerhalb der kultisch-religiösen Kaiserverehrung in der römischen Provinz Asia wahrzunehmen, in denen deren Intensität über das dort Gewohnte und von Beginn des Prinzipats an Praktizierte hinaus weiterentwickelt worden ist“ (S. 8).3

Den Beginn stellt die Einrichtung des Kults der Dea Roma und des Divi filius Augustus dar, die auf Antrag des Koinon erfolgte. Mit seiner Zustimmung siedelte der Prinzeps grundsätzlich die Zuständigkeit der provinzialen Kaiserverehrung beim Landtag an und bestimmte die Institution als die für die Pflege und Durchführung verantwortliche Einrichtung (S. 24). Der Grund für die Initiative lag in den politischen Leistungen des Augustus, die für die Provinz als positiv empfunden wurden. Ebenfalls unter dem Eindruck dieser Leistungen und letztlich auf Initiative des Koinon wurde in der Kalenderreform eine neue Zeitstruktur etabliert, die auf den Kaiser als den entscheidenden Wendepunkt und Einschnitt der Zeit ausgerichtet war. Sie „vermittelte den Einwohnern der Provinz ein neues Verständnis ihrer eigenen Gegenwart als einer von Augustus erst ermöglichten neuen Heilszeit. Insofern wurde in der Kalenderreform die kultisch-religiöse Herrscher- bzw. Kaiserverehrung mit den Dimensionen der Zeit und der Geschichte verbunden“ (S. 32ff.).4

Als zweiter provinzialer Kult wurde 26 n.Chr. der Tempel für Tiberius, Livia und den Senat in Smyrna genehmigt (S. 37ff.). Im Blick auf das Verfahren und die Motive seiner Einführung entspricht er dem des Augustus. Weiterreichende Ehrungen wurden nicht beschlossen. „Die Regentschaft dieses Kaisers wurde in der römischen Provinz Asia offensichtlich nicht [...] als Beginn einer neuen Heilsepoche verstanden.“ (S. 42) Im Gegensatz zum Procedere bei der Einführung des Tiberius-Kultes sind die Nachrichten für den des Gaius in Milet spärlich, da er nur kurze Zeit bestanden hat (S. 42ff.). Nach Witulski ist es „offensichtlich“ – eine seiner Vorzugsvokabeln –, dass der Kaiser ohne vorausgehende Initiative des Koinon seine Verehrung als theós, und zwar ohne sýnnaos, selbst anordnete, sein Kult also in diametralem Gegensatz zu dem seiner Vorgänger (und möglicherweise Nachfolger) stand (S. 42ff., auch S. 73 u. 109). Dass die Verbform ekéleyse (Cassius Dio 59,28,1, nach späten Exzerptoren) dieses argumentum e silentio trägt, kann man bezweifeln, zumal Dio als Motiv angibt, der Kaiser habe sich den prächtigen Tempel aneignen wollen, den die Milesier für Apollon bauten. Peter Herrmann hat durch die Verbindung dieser Stelle mit IDidyma 107 und 148 wahrscheinlich gemacht, dass der Tempel in Didyma als Kultort für die theoì sýnnaoi Apollon und Gaius/Caligula dienen sollte.5

Einen Neueinsatz bedeutete die vierte Neokorie, mit der für Ephesos der Titel Neokoros verbunden war – ein Novum, das eine weitere Spirale im Wettkampf der Städte einleitete. Diese Situation reflektiert auch die Doppeltitulatur des Tempels: „in Ephesos“ und „gemeinsamer (koinós) Tempel von Asia“ (S. 53ff.), die aus 13 Inschriften hervorgeht, in denen zwölf Städte ihre Beteiligung an den Opfern im Tempel der Sebastoí dokumentieren.6 Nicht der amtierende Kaiser Domitian habe also im Zentrum der kultischen Verehrung gestanden, sondern „offensichtlich“ seien die drei männlichen Sebastoí der flavischen Dynastie gleichberechtigt und gleichrangig nebeneinander verehrt worden, „sehr wahrscheinlich“ in Gemeinschaft mit Domitia Longina (S. 59ff.). „Es liegt auf der Hand, dass im Rahmen einer solchen dynastischen Verehrung der flavischen Sebastoí der amtierende Kaiser, in diesem Fall Domitian, im Vergleich zu seinen ebenfalls auf provinzialer Ebene noch als Amtsinhaber individuell kultisch verehrten Vorgängern Augustus, Tiberius und Gaius innerhalb des provinzialen Kultes erheblich an Gewicht und Bedeutung verlieren mußte“ (S. 64 u. 73).7 Der geläufig gegen Domitian erhobene Vorwurf, die Divinisierung der eigenen Person in unangemessener Weise betrieben zu haben, finde also an der in der Provinz Asia praktizierten kultischen Kaiserverehrung keinerlei Anhalt (S. 68f.). Die Verehrung des amtierenden Kaisers Domitian reichte also nicht an den mit der Verehrung des Augustus gesetzten Rahmen heran und schuf keine neue kultisch-religiöse Situation (S. 74). Der fünfte Kult wurde für Traian eingerichtet, der gemeinsam mit Zeùs Phílios (Iuppiter amicalis) auf der Burg von Pergamon verehrt wurde (S. 78–89). Witulski unterstreicht eine bewusste Parallelisierung mit dem Kult des ersten Prinzeps, die Traian entweder gestattet oder aber explizit beabsichtigt und forciert habe. Da nach Plinius (epist. 10,96–97 und paneg. 52) der Prinzeps der Verehrung seiner Person offensichtlich zurückhaltend gegenüber stand, ging die Initiative nicht von ihm aus. Für Bewohner der Provinz, die nicht in Pergamon lebten, ergab sich keine grundsätzlich neue kultisch-religiöse Situation (S. 89).

Dies änderte sich mit Hadrian. Ihm wurden auf Initiative der Provinz drei Provinzial-Tempel geweiht, und erstmals wurde er in Smyrna, Ephesos und Kyzikos ohne sýnnaos verehrt (S. 90–109).8 Das ausführlichste Einzelkapitel ist sodann dem Heiligtum des Zeùs Olýmpios in Athen, der Gründung des Panhellénion und ihrer Bedeutung für die Weiterentwicklung der Kaiserverehrung gewidmet (S. 109–170). Ausführlich werden Fragen der Chronologie, der Funktion und des Einzugsbereichs der panhellenischen Vereinigung besprochen. In ihrer Gründung vermutet Witulski den Anlass für die Aufstellung von zahlreichen Hausaltären sowohl in Griechenland als auch in der Provinz Asia. Deren weitgehend gleichlautende Weihinschriften für Hadrian als Olýmpios, sotér und ktístes führt er auf eine Verordnung, zumindest Genehmigung des Kaisers zurück. (S. 139 u. 169; vorsichtiger: S. 133). „Dadurch wird die einzelne Privatperson mit der kultisch-religiösen Kaiserverehrung weit unmittelbarer und intensiver als bisher konfrontiert. Die Beteiligung des Einzelnen [...] wird [...] kontrollierbar, die Möglichkeiten, sich von ihr [...] dispensieren zu können, werden erheblich eingeschränkt.“ (S. 139) Die damit verbundene provinzweite Verehrung Hadrians als sotér und ktístes charakterisiere den amtierenden Herrscher „als universalen Retter und die Zeit seiner Herrschaft als eine Epoche universalen Heils“ (S. 169). Vergleichbares leisteten die erstmals geprägten Reiseerinnerungsmünzen: Sie erinnerten an den adventus und die heilvolle und wirkmächtige praesentia des Kaisers.9

Die kultisch-religiöse Verehrung Hadrians reichte also noch über die des Augustus hinaus. Hadrian wurde mit dem Jahr 132 in der gesamten römischen Provinz Asia und weit darüber hinaus als universaler Heilsbringer propagiert, die Zeit seiner Herrschaft wurde als neue Heilszeit definiert, die kultisch-religiöse Verehrung seiner Person wurde in den privaten Bereich implantiert und zugleich überprovinzial organisiert. „Damit stieß die Praxis der kultisch-religiösen Kaiserverehrung in der römischen Provinz Asia auf verschiedenen Gebieten in neue, in ihrer Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschlossene Dimensionen vor.“ (S. 170) Hierauf reagierte die Johannesapokalypse: Hadrian ist für den Apokalyptiker das erste Tier, der endzeitliche Gegenspieler Christi, der wie kein anderer die Hybris des Imperium Romanum verkörpert. Somit ist die Abfassung der Offenbarung in die Jahre von 132 bis 135 zu datieren (S. 174). Beigegeben sind Autorenregister (kein Register antiker Personen und Sachen), Quellenregister und Literaturverzeichnis.

Witulski hat sein Vorhaben mit dem heute üblichen Aufwand an Gelehrsamkeit, dem emsigen Durchkämmen der Sekundärliteratur mit dem allerfeinsten Kamm, durchgeführt. Ob sich für ihn die Mühe gelohnt hat, muss die Exegese der Apokalypse erweisen, die hier nicht zur Debatte steht. Wenn man unter „historisch“ nicht nur, wie der Autor, die Abwesenheit neutestamentlicher Exegese versteht, hat man zu konstatieren, dass der Pfad, auf den er uns führt, doch sehr eng ist. Es mangelt an Leben, an plastischer Vorstellung: das Ringen der Städte und Eliten um Ehren, das Stöhnen über die hohen Kosten, der Jubel der Bevölkerung, wenn es ein neues Fest mit Spielen und reicher Fleischverteilung gibt – man hört es nicht. Das, was man modisch Mentalitätsgeschichte nennt, fehlt völlig. Witulski denkt bei den Hausaltären an „implantieren“ und „kontrollieren“. Abgesehen davon, dass man nicht weiß, wer die Kontrollen in Hunderten von Städten hätte durchführen sollen, könnte man auch überlegen, ob die Menschen es nicht gern taten. Für jemanden, der nicht grundsätzlich gegen die göttliche Verehrung des Kaisers war, wie Juden und Christen oder die römischen Aristokraten, überwogen die Vorteile. Um die Entwicklung des Kaiserkultes zu verstehen, müssten auch die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Implikationen beachten werden, müsste man fragen, wie der Kaiserkult im Kosmos der verschiedenen Reichsreligionen figuriert, wie sich die Kommunikation zwischen Kaiser und Reichsbevölkerung im Verlauf der Prinzipatsgeschichte verändert.

Anmerkungen:
1 Die auf den Ergebnissen der hier vorgelegten „ausschließlich historischen Forschungen“ aufbauende Exegese ausgewählter Passagen der Apokalypse ist inzwischen unter dem Titel „Die Johannesoffenbarung und Kaiser Hadrian“ (Göttingen 2007) vorgelegt worden.
2 Diese entwicklungsgeschichtliche Analyse vermisst Witulski namentlich bei Price, Simon R. F., Rituals and Power. The Roman Imperial Cult, Cambridge 1990. Dessen Theorie schließe a priori die Möglichkeit aus, dass die Nachfolger des Augustus emotionaler und intensiver als dieser kultisch-religiös verehrt worden seien (S. 15). Das außerdem S. 7, Anm. 1 (und nur hier) erwähnte Buch von Manfred Clauss (Der Kaiser als Gott, Stuttgart 1999) hätte, wenn es wirklich benutzt worden wäre, sicher frischen Wind in die umständlichen Erörterungen „Das ontische Verhältnis des kultisch-religiös verehrten Kaisers zu den traditionellen theoí“ (S. 32ff.) sowie „Zu den semantischen Implikationen der Begriffe Divus und theós“ (S. 35f.) gebracht. Das Buch fehlt auch im Literaturverzeichnis.
3 Diese Sätze als Beispiel für den umständlichen Stil, der vor allem dem Umfang des Buches und weniger dem Lesevergnügen dient. Vom Titel bis zu den späten Zusammenfassungen wird dem Leser immer wieder in Erinnerung gerufen, dass er es nicht mit irgendeiner Provinz Asia, sondern der römischen zu tun hat; dass der Kaiser nicht irgendein Kaiser, sondern der „amtierende römische Kaiser“ ist.
4 Irritierend sind die dürftigen Bemerkungen zu Begründung und Charakter des Prinzipats (S. 13), die prompt dutzendweise amtierende Kaiser samt ihren Amtsvorgängern generieren. Auch ist Divi Filius kein Titel (S. 16 und öfter). Der Hinweis auf die „römische Tradition der erst mit der consecratio erfolgten Divinisierung des Herrschers“ bezeichnet für den ersten Prinzeps einen Anachronismus. In Bezug auf die Dea Roma vermisst man ihre Verbindung mit den republikanischen Statthalterehrungen. Auch das Koinon wurde nicht ex nihilo geschaffen.
5 Herrmann, Peter, Ein Tempel für Caligula in Milet?, in: Istanbuler Mitteilungen 39 (1989), S. 191–196. S. 45, Anm. 234, klingt, als hätte Witulski den Aufsatz (zitiert: „Ein Cult für Caligula“) nicht gelesen, zumindest seine Bedeutung nicht erkannt. Vgl. Dräger, Michael, Die Städte der Provinz Asia in der Flavierzeit, Frankfurt am Main 1993, S. 125, Anm. 9: Caligula erhob das Didymeion zum Neokorietempel und machte Apollon Didymeus zu seinem theòs sýnnaos.
6 Friesen, Steven, Twice Neokoros. Ephesus, Asia and the Cult of the Flavian Imperial Family, Leiden u.a. 1993, S. 53ff. Die Inschrift IEph 233 wird „nach Friesen“ zitiert (S. 54f.), die Mitteilung, „Übersetzung nach Friesen“ stellt geradezu einen Insult dar: aus Autokrator (gr.) wird via Emperor (engl.) „Kaiser“; aus dem kaiserliebenden und autonomen dêmos von Aphrodisias die „Einwohnerschaft“ (S. 55, Anm. 14).
7 Gegen die von Dräger (S. 128) verfochtene Subsumierung sämtlicher vorausgegangenen Divi, also auch die der julisch-claudischen Dynastie, führt Witulski unter anderem an, deren Einbeziehung hätte der Absicht Vespasians widersprochen, das eigene flavische Herrscherhaus gegenüber der julisch-claudischen als eine neue Herrscherdynastie zu etablieren (S. 62). Auf das Hauptargument Drägers, auf den von Fishwick erschlossenen Kultgebrauch der westlichen Provinzen seit Vespasian, geht Witulski nicht ein. Vgl. Fishwick, Duncan, The Imperialcult in the Latin West, Leiden 1987, Bd. I 2, S. 268–277. Witulski hält auch Drägers Versuch, als theós sýnnaos des Domitian Zeus Olympios zu erschließen für abwegig (S. 60ff).
8 Zumindest für das smyrnäische und ephesische Heiligtum, „offensichtlich nun aber auch für das Provinzialheiligtum in Kyzikos“, lasse sich belegen, dass der Kaiser allein ohne Anbindung an einen traditionellen Gott Adressat der kultischen Verehrung war (S. 90ff. u. 109). S. 104–106 heißt es demgegenüber, die Frage, wer in Kyzikos verehrt wurde, sei auf Grund der Quellenlage nicht sicher zu beantworten. Die Unsitte, vorsichtige Einschränkungen bis zur letztgültigen Zusammenfassung zu vergessen, begegnet häufiger.
9 Die Reisetätigkeit Hadrians habe neben dem politischen Konzept, die Wohlfahrt der einzelnen Gemeinden und die Stabilität des Reiches zu mehren, auf ideologischer Ebene die Absicht verfolgt, seine eigene Person zu den Gottheiten des griechischen Pantheons in Beziehung zu setzen (S. 155f.).

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