K. Gesche: Kultur als Instrument der Aussenpolitik totalitärer Staaten

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Titel
Kultur als Instrument der Aussenpolitik totalitärer Staaten. Das Deutsche Ausland-Institut 1933-1945


Autor(en)
Gesche, Katja
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 45,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jochen Meissner, Humboldt-Universität zu Berlin

Das Deutsche Ausland-Institut (DAI) Stuttgart, 1949 als „Institut für Auslandsbeziehungen“ (ifa) neugegründet, geht noch auf eine spätwilhelminische, unter anderem vom Kaiser, dem Reichskanzler und dem König von Württemberg unterstützte Gründung vom Januar 1917 zurück und sollte der Pflege, der Erfassung und Erforschung sowie dem Schutz von Deutschen und „Deutschtum“ im Ausland dienen.1 Es nahm aber auch nach innen propagandistische und nach außen beziehungspflegende und „aufklärerische“ Aufgaben wahr. Dazu organisierte es Vorträge und Ausstellungen, veröffentlichte und vertrieb Publikationen und unterhielt ein Museum, eine Bücherei, eine Auskunfts- und Vermittlungsstelle sowie eine Vertretung in Berlin.

Eine der Konsequenzen des Versailler Vertrages war, dass die Zahl der „Auslandsdeutschen“ sich vervielfachte und das Problem in der Folge ein sehr viel regeres Interesse in der Öffentlichkeit fand, das zudem nach 1918, nicht zuletzt aus außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Zielsetzungen heraus, von Seiten der Politik und des Staates erheblich gefördert wurde. In der Weimarer Zeit genoss das DAI einerseits eine fast das gesamte politische Spektrum umfassende Unterstützung und kooperierte mit zahlreichen anderen Organisationen und Institutionen, stand aber andererseits zugleich in Konkurrenz mit anderen „volksdeutschen“ Einrichtungen und Verbänden, die nach der Machtübernahme 1933 zunächst zu einigen Turbulenzen um und im DAI führten. Bis Ende 1934 gelang es dem dann gleichgeschalteten DAI jedoch, sich erneut eine Zentralstellung im Netzwerk der auslandsdeutschen Institutionen zu sichern und bis 1943 die Zahl seiner Mitarbeiter auf 179 mehr als zu verdreifachen sowie seinen Etat nominell mehr als zu versechsfachen. Das DAI wurde 1937/38 der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi) der SS unterstellt und sollte künftig die Aktivitäten der sippenkundlichen Forschungsstellen bündeln, unter anderem um siedlungspolitischen Zielsetzungen zu dienen. Ende 1939 beauftragte Heinrich Himmler das DAI mit der Dokumentation der Umsiedlungsvorgänge. In der Folge waren das DAI bzw. seine Mitarbeiter wesentlich an den Umsiedlungs- und Selektionsprozessen, die bis Sommer 1944 fast 900.000 „Volksdeutsche“ nach Deutschland oder in die zu „germanisierenden“ Gebiete verbrachten, beteiligt. Daneben nahm das DAI wichtige propagandistische Funktionen wahr und sollte, verstärkt seit 1943, auch für Spionagezwecke eingesetzt werden.2

Katja Gesche gibt zwar einleitend als eines der Ziele ihrer Untersuchung an, die Rolle des DAI im NS herauszuarbeiten und in einen historischen Kontext zu stellen. In der Gesamtanlage der Arbeit tritt diese Aufgabenstellung jedoch gegenüber einem anderen Hauptanliegen dieser an der Universität Stuttgart entstandenen politikwissenschaftlichen Dissertation deutlich zurück. Die Autorin scheint vor allem den konstruktivistischen Theorieansatz, den sie wesentlich auf die Arbeiten von Alexander Wendt zurückführt, an diesem Fallbeispiel erproben zu wollen. So entfallen wesentliche Teile der Studie weniger auf eine Darstellung der historischen Zusammenhänge und der entscheidenden Weggabelungen als auf die Entwicklung eines entsprechenden Forschungsdesigns, seiner Begründung und Operationalisierung vor dem Hintergrund der Theoriediskussion im Spannungsfeld zwischen „realistischen“ und „konstruktivistischen“ Ansätzen der Theorien internationaler Beziehungen. Konkret übersetzt die Autorin diese Diskussion in die Frage, ob sich am Beispiel des DAI zeigen lasse, dass die auswärtige Kulturpolitik des Nationalsozialismus stärker zweckrational und machtorientiert, sie nennt das „interessengeleitet“, oder eher ideologisch, sie nennt das „normgeleitet“, gewesen sei. Die polykratische Herrschaftsstruktur zwingt sie dabei zur Unterscheidung von Akteuren und Akteursgruppen (bei ihr sind das Hitler, das Außenministerium, Goebbels, Himmler und Rosenberg bzw. die von ihnen geleiteten Apparate sowie Heß, Göring und von Schirach). Außerdem differenziert sie ihr Modell nach vier Hauptphasen (Umbau, 1934-1936, 1937-1939, 1939-1945) aus. In allen Dimensionen setzt sie je nach dem Grad der Normabhängigkeit Werte zwischen null und vier an, wobei der niedrigste (null) für die Irrelevanz, der Wert eins für die Ablehnung, der Wert zwei für Gleichgültigkeit, der Wert drei für die Bejahung und der Wert vier für die unhinterfragte und selbstverständliche Höherbewertung der entsprechenden Norm gegenüber allen „interessengeleiteten“ Erwägungen stehen. So hofft sie, sowohl über den gegebenen Forschungsstand hinausgehende Einsichten in die auswärtige Kulturpolitik totalitärer Staaten im Allgemeinen und der nationalsozialistischen Kulturpolitik im Besonderen, als auch Erkenntnisse darüber gewinnen zu können, ob der „realistische“ oder der „konstruktivistische“ Theorieansatz höhere Erklärungskraft beanspruchen können. Ihre Resultate kann sie, teilweise bis zur dritten Dezimalstelle nach dem Komma, klar quantifizieren, und sie erreichen durchweg Werte, die zugunsten der Normenorientierung und damit auch zugunsten des von ihr gewählten Theorieansatzes ausfallen.

Die Autorin lobt zwar Ernst Ritters historische Dissertation von 1976 zum DAI für ihre profunde Kenntnis des Archivmaterials, kritisiert sie aber zugleich dafür, dass sie explizit keine sozialwissenschaftlichen Fragestellungen und Ansätze an das Thema herangetragen habe. Zugleich ist aber der Arbeit unschwer anzusehen, dass sie wesentlich von diesem wie von anderen, früheren Beiträgen zum Thema profitiert hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu tragisch, dass zumindest diesem Rezensenten der entscheidende Beitrag, den diese Arbeit nun faktisch sowohl gegenüber früheren Arbeiten zum DAI, als auch in der theoretischen Diskussion leistet, im Wesentlichen verschlossen geblieben ist. Dieses negative Urteil kann freilich leicht als Ausdruck der politikwissenschaftlichen Ignoranz eines in der Geschichtswissenschaft disziplinierten Rezensenten missverstanden werden. Dagegen spricht allerdings, dass es nicht nur dem Rezensenten schwer fallen dürfte, manchen Satz schon rein sprachlich richtig zu deuten. Zum Beispiel S. 140: „Der Blick auf die Indikatoren lässt dies unwahrscheinlich wird“ (sic!). Dagegen spricht auch, dass die Auslassung wesentlicher Operationalisierungsschritte von der qualitativen Erhebung zur quantitativen Umsetzung mit der folgenden Begründung vermutlich auch vielen Politikwissenschaftlern unakzeptabel erscheinen dürfte: „Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf einem Vergleich der Handlungsanleitungen und gegenseitigen Beeinflussungen zwischen der NS-Elite und dem Deutschen Ausland-Institut liegt, sind die – zweifelsohne interessanten – Charakterisierungen der kulturpolitischen Vorstellungen relevanter politischer Akteure hier nur kurz ausgefallen. Auf die detailliertere Darstellung aller Indikatoren für alle hier untersuchten Akteure und Normen wird daher aus Platzgründen ebenfalls verzichtet“ (S.177f). Gerade auch gemessen an den selbst gewählten, keineswegs bescheiden formulierten Ansprüchen, kann diese Arbeit deswegen leider nur wenig überzeugen.

Anmerkungen:
1 Vgl. <http://www.ifa.de/ifa/geschichte/> (29.05.09).
2 Die hier gegebene Kurzzusammenfassung stützt sich aufgrund der in dieser Besprechung dargelegten Grundanlage der Arbeit von Katja Gesche weniger auf das besprochene Werk als vor allem auf Martin Seckendorf: Kulturelle Deutschtumspflege im Übergang von Weimar zu Hitler am Beispiel des deutschen Ausland-Institutes (DAI). Eine Fallstudie, in: Wolfgang Jacobeit / Hannjost Lixfeld / Olaf Bochkorn (Hrsg.), Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wien 1994, S. 115-135. Als die klassische historische Monographie zum DAI ist zu verweisen auf Ernst Ritter, Das Deutsche Ausland-Institut in Stuttgart, 1917-1945. Ein Beispiel deutscher Volkstumsarbeit zwischen den Weltkriegen, Wiesbaden 1976; den Funktionswandel der Volkstumspolitik seit 1933, das Zurückdrängen der Traditionalisten und die Rivalitäten zwischen konkurrierenden NS-Agenturen auf dem Feld des Auslandsdeutschtums behandelt in jüngerer Zeit besonders überzeugend Tammo Luther, Volkstumspolitik des Deutschen Reiches 1933-1938 – Die Auslanddeutschen im Spannungsfeld zwischen Traditionalisten und Nationalsozialisten, Stuttgart 2004 (= Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, Bd. 55).

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