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Titel
Propaganda der Tat. Die RAF und die Medien


Autor(en)
Elter, Andreas
Reihe
edition suhrkamp
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
€ 10,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cordia Baumann, Universität Heidelberg, Historisches Seminar

Unter dem Titel „Propaganda der Tat. Die RAF und die Medien“ nimmt der Historiker und Medienwissenschaftler Andreas Elter ein Thema ins Visier, das zwar zunehmend in den Blick der Forschung gerät, bei dem jedoch immer noch großer Forschungsbedarf besteht. Nach ersten Aufsatzveröffentlichungen 1 hat er seine Erkenntnisse nun auf über zweihundert Seiten ausführlicher dargelegt. Dabei unterscheidet sich sein Ansatz von den bisherigen Versuchen, die Interaktion zwischen der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) und den Medien zu analysieren, die sich entweder auf Teilaspekte oder -zeiträume konzentrieren2, oder einen anderen methodischen, theoretischen oder inhaltlichen Ansatz wählen.3 Gleichzeitig grenzt sich Elter auch deutlich von den – meist US-amerikanischen – Studien ab, die ihren Schwerpunkt auf Medien und Terrorismus legen, die RAF aber weitgehend ausklammern.4

Ausgehend von den Ereignissen des 11. Septembers 2001 untersucht Elter rückblickend, ob die RAF ähnlich medienwirksam gearbeitet hat wie Al Qaida heute und kommt zu dem Schluss, dass sie „ganz gezielt Medien- und Kommunikationsstrategien“ entwickelte (S. 10). Erst das 20. Jahrhundert habe mit den Massenmedien die Mittel für die „Propaganda der Tat“ bereitgestellt, in der nach Elter die terroristische „Tat mit ihrer medialen Verbreitung“ verschmilzt (S. 64): „Die RAF war die erste Gruppe, die von diesen Möglichkeiten ausgiebig Gebrauch machte, daher steht sie im Mittelpunkt dieser Arbeit“. (S. 11) Allerdings gab es auch andere terroristische Gruppen, die sich derselben Methode bedienten, wie Elter später selbst aufzeigt. Zur gleichen Zeit entstandene Gruppen wie die „Brigate Rosse“ in Italien oder die Japanische Rote Armee, die ähnlich agierten. Dass sich auch die „Irish Republican Army“ (IRA) und „Palestine Liberation Organisation“ (PLO) vergleichbarer Strategien bedienen, findet bei Elter keine Erwähnung.

Die Untersuchung ist in vier Großkapitel eingeteilt: Ein ausführlicher Abriss der Geschichte des Terrorismus unter dem Titel „Propaganda der Tat. Theorie und Geschichte“ behandelt sowohl die Definition des Terrorismus als auch die Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart. Ohne wirklich neue Erkenntnisse zu präsentieren5, bietet dieser Teil einen guten Überblick über die ideellen Vorbilder des heutigen Terrorismus und die zahlreichen Versuche, dieses Phänomen zu definieren. Zugleich wird hier das Konzept einer „Propaganda der Tat“ eingeführt, dessen Entstehung Elter in der anarchistischen Tradition des 19. Jahrhunderts verortet. Dabei verweist er auf die Bedeutung zweier technischer Entwicklungen als Voraussetzung dieser Idee: Die Entwicklung des Dynamits sowie die Entstehung der Massenpresse (S. 64). Den Begriff der Medien fasst Elter sehr weit (S. 32ff.). Das verbreitert seine Quellenbasis erheblich, da er sich neben Zeitungsartikeln und Fernsehbildern auch auf Fotos, Bekennerschreiben, ideologische Schriften sowie das Informationssystem (info) der RAF beziehen kann.

Den Hauptteil bildet das zweite Kapitel, das die Kommunikationsstrategie der RAF seit ihrer Entstehung 1969/1970 bis zur Selbstauflösung 1998 behandelt. Mit zahlreichen Beispielen belegt Elter, dass die RAF im bundesrepublikanischen Terrorismus der 1970er-Jahre eine Ausnahmerolle spielt, weil es ihr gelang, alle andere Gruppen wie die „Bewegung 2. Juni“ und die Revolutionären Zellen in ihrer medialen Präsenz zu übertreffen. Obwohl die erstere in ihren Aktionen wesentlich erfolgreicher war als die RAF (vgl. die Lorenz-Entführung 1975) und die letzteren zwischen 1973 und 1988 über 100 Anschläge verübten, erreichte keine andere Gruppe jemals eine so ausführliche Berichterstattung wie die RAF. „Dieses Mißverhältnis ist nur ein Beleg dafür, daß das Phänomen RAF nur unter Berücksichtigung ihrer eigenen Kommunikationsstrategien, der Berichterstattung über sie sowie durch die dadurch entstandene Öffentlichkeit zu erklären ist“. (S. 90)

Der Autor differenziert im Folgenden zwischen einer Phase der Propaganda des Wortes (1970-1972), in der ideologische Schriften dominierten, und einer Phase der Propaganda der Tat (1972), in der die RAF Anschläge verübte und nur noch Bekennerschreiben veröffentlichte. Elter geht aber auch ausführlich auf Änderungen der Kommunikationsstrategie ein. So zeigen sich beispielsweise 1975 mit der Lorenz-Entführung und der Botschaftsbesetzung in Stockholm (wohlgemerkt keine Aktionen der RAF) drei Entwicklungen: Die Radikalisierung der Propaganda der Tat, die Konzentration auf Freipressung der Gefangenen sowie die Einbeziehung der etablierten Medien in die Kommunikationsstrategie (S. 161). Die RAF stellte ihre Forderungen nun direkt durch die Medien, wie insbesondere bei der Schleyer-Entführung 1977 deutlich wurde, als die RAF Videos, Fotos und Briefe für das Fernsehen „produzierte“.

Der Misserfolg der „Propaganda der Tat“ bei der Gewinnung von Unterstützung durch die Bevölkerung wird 1977 offenbar. Die Kommunikationsstrategie der RAF ist gescheitert (S. 183). Als einzigen Grund für das Weiterbestehen der RAF sieht Elter den zuvor analysierten Stammheim-Mythos an (S. 183). Obwohl auch die späteren Generationen ihre ideologischen Grundlagen und ihr Konzept zum Beispiel im Mai-Papier von 1982 verbreiteten, könne man eine Entwicklung vom „Erklärungs- zum Handlungsterrorismus“ verzeichnen (S. 206). Wie häufig in der Literatur sind die letzten Jahre bis 1998 relativ kurz abgehandelt. Angesichts der fehlenden öffentlichen Präsenz der „3. Generation“ der RAF ist das verständlich. Das einzige Ereignis, bei dem noch einmal so etwas wie ein „Mythos“ zu entstehen schien, war der Tod Wolfgang Grams’ und des Polizisten Michael Newrzella in Bad Kleinen 1993 – was Elter allerdings nur in einem Nebensatz erwähnt.

Der dritte, vergleichsweise kurze Teil, befasst sich unter dem Titel „Schatten der RAF“ mit deren Darstellung in Theater, Film und Literatur. Hier findet sich nur eine kurze Skizze, da ausführlichere Arbeiten bisher noch fehlen. In seiner Zusammenfassung hebt Elter die Besonderheit der RAF als medienwissenschaftliches Analyseobjekt hervor: Einerseits könne man sie gegenüber noch existierenden Terrorgruppen abgrenzen, da sie sich 1998 auflöste, andererseits betont Elter, dass keine Terrororganisation der 1970er/1980er-Jahre („Action Directe“, „Japanische Rote Armee“, „Brigate Rosse“ oder „Weathermen“) sich für solch eine Analyse von Kommunikationsstrategien eigne. Ob dies tatsächlich in jedem Fall zutrifft, ist zu bezweifeln, wie zum Beispiel die Interaktion der „Brigate Rosse“ mit den Medien in Italien zeigt.6

Angesichts der relativen Kürze des Werkes im Verhältnis zum abgehandelten Zeitraum ist es nicht möglich, alle Ereignisse aufzuarbeiten. Dennoch bietet die Darstellung, und dies gilt insbesondere für das zweite Kapitel, einen guten und detailreichen Überblick. Elter macht es dem Leser leicht, indem er alle Ereignisse und Hintergründe genau erklärt und einordnet, sowie alle Zitate übersetzt. Dadurch bleibt das Werk sehr gut lesbar und bietet sich durch seine kompakte Darstellung auch als Einführung zur Geschichte der RAF aus medienwissenschaftlicher Perspektive an. Unabhängig davon sollte diesem Blickwinkel weitere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Anmerkungen:
1 Kraushaar, Wolfgang (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, 2 Bde., Hamburg 2006.
2 Vgl. insbesondere die Beiträge in Ebd. sowie in Weinhauer, Klaus; Requate, Jörg; Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.), Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt am Main 2006.
3 Beermann, Torsten, Der Begriff „Terrorismus“ in deutschen Printmedien, Münster 2006; Bulig, Jan, Von der Provokation zur „Propaganda der Tat“: Die „antiautoritäre Bewegung“ und die Rote Armee Fraktion (RAF), Bonn 2007.
4 Vgl. hierzu unter anderem Weimann, Gabriel; Winn, Conrad (Hrsg.), The Theater of Terror. Mass Media and International Terrorism, New York/London 1994.
5 Vgl. hierzu unter anderem Waldmann, Peter, Terrorismus. Provokation der Macht, 2., vollständig überarb. Ausgabe Hamburg 2005; Hoffmann, Bruce, Terrorismus – der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, erw. und aktual. Ausgabe Frankfurt am Main 2006.
6 Vgl. hierzu Terhoeven, Petra, Opferbilder – Täterbilder. Die Fotografie als Medium linksterroristischer Selbstermächtigung in Deutschland und Italien während der 70er Jahre, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 58 (2007), S. 380-399.

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