Cover
Titel
Politik und Film in der DDR. Zum heroischen Selbstbild des Kommunismus im DEFA-Film


Autor(en)
Finke, Klaus
Reihe
Oldenburger Beiträge zur DDR- und Defa-Forschung, Band 8.1 & 8.2
Anzahl Seiten
989 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kai Herklotz, Department of German, Carleton College, Northfield/Minnesota

Klaus Finkes Monographie „Politik und Film in der DDR“ erscheint als achter Band der von der Arbeitsstelle „DEFA-Filme als Quelle zur Politik und Kultur der DDR“ herausgegebenen Schriftenreihe „Oldenburger Beiträge zur DDR- und DEFA-Forschung“, bei der Finke als Mitherausgeber fungiert. Der Schwerpunkt der Arbeitsstelle liegt neben der Beschäftigung mit Spiel- und Dokumentarfilmen der Deutschen Film AG (DEFA) in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Diktatur- und Demokratiegeschichte des 20. Jahrhunderts. Dem Konzept der Reihe und anderen gegenwärtigen wissenschaftlichen Analysen der DDR folgend, verortet Finke seine Studie als Beitrag zur Untersuchung des „ideologisch begründeten totalitären Herrschaftsanspruchs“ und der „diktatorischen Herrschaftspraxis“ der „kommunistischen SED-Herrschaft“ (S. 16). Dementsprechend versteht sich das Buch explizit als Beitrag zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Film wird in diesem Zusammenhang konsequent als Untersuchungsgegenstand verstanden, der einen „Zugang zum Selbstbildnis des Sozialismus als Herrschaftssystem und einen sozialhistorisch relevanten Blick in die Sozialwelt“ (S. 36) der DDR ermöglicht.

Der Autor beschreibt das Selbstverständnis der kommunistischen Ideologie und der historischen Mission der SED-Führung als anthropozentrische Teleologie, als politische Religion: Sie habe die Vernunft als Prinzip der Neuzeit negiert und ersetzt durch eine Verschmelzung von Politik und Religion und damit ein totalitäres System geschaffen. Den Widerspruch zwischen demokratischem Herrschaftsanspruch und tatsächlichem Totalitarismus sieht Finke als Ursache einer fundamentalen Selbsttäuschung der DDR-Führung. Dieser Widerspruch werde unter anderem auch in DEFA-Filmen sichtbar und analysierbar.

Für DEFA-Filme gilt wie für die Kunst in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR im Allgemeinen im Anschluss an sowjetische Vorbilder das Diktum der Parteilichkeit der Kunst: Es gibt keine Autonomie der Formen und Werte der Kunst, stattdessen lediglich eine Zweckbindung. Durch die Verschränkung von ästhetischen und Machtstrukturen sei es Aufgabe der Kunst, die „Ressource Sinn“ des kommunistischen Staates zu kommunizieren, eine „spezifische sozialistische symbolische Ordnung“ (S. 218) zu etablieren, und an den großen Erzählungen des Kommunismus mitzuarbeiten. Die kommunistische „Negation der Freiheit der Kunst“ (S. 396) mache es nötig, Kultur, und damit auch DEFA-Film, als Teil des totalitären Machtsystems der SED zu analysieren.

In Anlehnung an Ernst Cassierer und Hans Blumenberg erklärt Finke die Ganzheits- und Glückseligkeitsversprechen der europäischen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts als eine Antwort auf die Krise der Moderne. Die Versprechen des neuen Menschen und der neuen Gesellschaft seien aber nie vollständig einlösbar und bedürfen deshalb des Scheins der Ganzheit, des politischen Mythos. Für kommunistische Gesellschaften besteht dieser Mythos in der historischen Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei. Gestalt und Symbol findet der politische Mythos in einem Idealbild des Arbeiters und seiner als heroisch verstandenen Transformation der Gesellschaft. DEFA-Filme auf diesen Mythos, auf dieses Selbstverständnis und Idealbild verkörpernde heroische und zukunftsoptimistische Arbeiterfiguren hin zu untersuchen erlaubt es, eine Typologie des Heroismus zu erkennen, die wiederum Rückschlüsse auf die Verfasstheit des Machtapparates zulässt.

Finke analysiert das heroische Selbstbild des Parteikommunismus im DEFA-Film am Beispiel der Figuren des Aktivisten und des Kaders als einen Aspekt der SED-Herrschaft. Die von den Filmcharakteren verkörperten Eigenschaften Gewissheit, Handlungssicherheit und Zukunftsoptimismus dienen der ideologischen Legitimierung des Kommunismus; Aktivist und Kader im DEFA-Film sind demnach hermetische sowie heroische „Nachbildungen der Kernelemente des totalitären Mythos des Marxismus-Leninismus“ (S. 23). Eine Analyse abwesender oder existierender Differenzen, abwesender oder existierender Mehrdeutigkeit in der filmischen Ausformung der Figuren Aktivist und Kader ermöglicht es, die Stabilität oder Erosion des politischen Mythos eines heroischen Kommunismus als Herrschaftsgrundlage in der DDR zu interpretieren.

Den DEFA-Spiel- wie auch den Dokumentarfilm der späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre, besonders der Jahre unmittelbar nach der Krise des 17. Juni 1953, beschreibt Finke mit dem Begriff des „optimistischen Heroismus“: „In dieser Kategorie sind die Grundannahmen des Kommunismus abgebildet als Fähigkeit zur Entscheidung und Unterscheidung, als Ausdruck der Handlungssicherheit und der Gewissheit, das telos der Geschichte erkannt zu haben und auch realisieren zu können“ (S. 592). Mit den beiden Thälmann-Filmen wird der Mythos des politischen Führer-Helden im DEFA-Film geboren 1: „Der Film stellt das visuelle Äquivalent der Grundpositionen der kommunistischen Partei und der zugrundeliegenden Weltanschauung dar“ (S. 703). Gesellschaftliche Realitäten werden zu dieser Zeit – sowohl politisch als auch filmisch – nicht diskursiv verhandelt, sondern totalitär verkündet.

Die monolithischen Filmbilder der Anfangszeit der DEFA ändern sich nach dem Mauerbau 1961: „Gewissheit und Handlungssicherheit sind nicht mehr fraglos vorhanden und gesichert; erst nach überstandener Krisis stellt sich beides wieder ein“ (S. 596). Die Darstellung des politischen Mythos in Filmen wie zum Beispiel „Der geteilte Himmel“ (1964) oder „Spur der Steine“ (1966) bezeichnet Finke als „dezisionistischen Heroismus“: Erst nach Überlegung entscheiden sich die Charaktere „für die sozialistische Gemeinschaft“ (S. 803). Diese Filme üben Kritik am Kader alten Typus und beschreiben die Herausbildung der „Gemeinschaft der undogmatischen Kommunisten“ (S. 830).

Während die Filme der 1960er-Jahre aufscheinende Brüche des politischen Mythos noch zu kitten versuchen, verabschieden sich die Filme der späten 1970er-Jahre und der 1980er-Jahre zunehmend von der Artikulation ideologischer Doktrinen und werden stattdessen künstlerisch und inhaltlich experimentierfreudiger: „Die Wiederaufnahme des ästhetischen Diskurses manifestiert sich im Modus der auftretenden Auslegungsvarianten von Wirklichkeit; dieser Prozess läßt sich mit dem Typus digressiver Heroismus fassen; dies ist der Terminus für die Erosion des Totalitären in der Kunst“ (S. 598). Finke zeigt am Beispiel der Filme „Jadup und Boel“ (1980/81) und „Einer trage des anderen Last...“ (1988) das „Verschwinden des heroischen Subjekts“ (S. 877). Am Ende dieser Linie der zunehmenden Erosion der politischen Macht der SED steht der Film „Die Architekten“ (1990) mit seiner „allegorischen Darstellung des finalen Scheiterns der politischen Utopie“ (S. 939). Auf die Geschichte der DDR zurückblickend verweist Finke am Ende seines Buches noch einmal auf die absolute Verschränkung von DEFA-Film und SED-Politik: „Was hier für den Bereich der Kunst dargestellt wird, ist jener Prozess der Deligitimierung, der in der Sphäre der politischen Herrschaft durch Verknappung der Ressource Sinn entsteht“ (S. 941).

Finkes interessante und theoretisch sowie historisch sehr gut fundierte Argumentation stellt einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis von Politik und Film in der DDR dar. Besonders die Nachzeichnung und Interpretation der Darstellung der für die politischen Machtkonstellationen in der DDR wichtigen Mythen des Parteikommunismus im DEFA-Film bestätigt die mittlerweile gut etablierte These einer graduellen Erosion des Machtsystems der SED auf beispielhafte Weise. Die Beschränkung auf die filmische Bebilderung der politischen Mythen des Kommunismus lässt allerdings die Frage offen, wie Politik und Film – so der Titel der Studie – bei der Darstellung anderer Themen zusammenhängen; eine Frage allerdings, die Finke mit dieser bereits 900 Seiten umfassenden Arbeit nicht stellen wollte.

Leider kommt an manchen Stellen der Lektüre leichtes Befremden auf, besonders wenn Finkes sonst akademischer Ton eine unangemessen erscheinende Schärfe annimmt, zum Beispiel bei der Gegenüberstellung des bürgerlichen Verständnisses der Autonomie der Kunst als „Kulturleistung aller ersten Ranges“ und des kommunistischen Kunstverständnisses als „historisch-kulturelle Regression“ (S. 600), und auch bei der teilweise ins Persönliche gehenden Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Filmwissenschaftlern, die aus der DDR stammen, besonders Ralf Schenk (S. 636ff.), Günter Agde (S. 646ff.), Christiane Mückenberger („ihre Affinität zu der SED-Filmkunst speist sich auch genealogisch durch ihre Herkunft aus einem Haus des kommunistischen Funktionärsadels“, S. 416, Anm. 1216) und Günter Jordan (S. 714ff.). Nicht zuletzt hier erinnert Finke seine Leserschaft an sein an einer Geschichtsschreibung des Totalitarismus orientiertes Verständnis von „DDR- und DEFA-Forschung.“ Er grenzt sich so ab von anderen, eher an den Dynamiken innerhalb der ostdeutschen Gesellschaft interessierten Analysen von Medien, Öffentlichkeit und Politik im Kalten Krieg, wie sie in den USA zum Beispiel von David Bathrick, Uta Poiger und Joshua Feinstein, und in Deutschland von Thomas Lindenberger und anderen aus dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) vorgelegt wurden.2

Anmerkungen:
1 Kurt Maetzig (Regie), „Ernst Thälmann, Sohn seiner Klasse“ DEFA 1954/55; Kurt Maetzig (Regie), „Ernst Thälmann, Führer seiner Klasse“ DEFA 1954/55.
2 David Bathrick, The Powers of Speech. The Politics of Culture in the GDR, Lincoln 1995; Uta G. Poiger, Jazz, Rock, and Rebels. Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany, Berkeley 2005; Joshua Feinstein, The Triumph of the Ordinary. Depictions of Daily Life in the East German Cinema 1949–1989, Chapel Hill 2001; Thomas Lindenberger, Einleitung, in: Ders. (Hrsg.), Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen, Köln 2006, S. 9–23.

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