E. Heitzer: Jugendlicher Widerstand in Altenburg/Thüringen 1948 bis 1950

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Titel
"Einige greifen der Geschichte in die Speichen". Jugendlicher Widerstand in Altenburg/Thüringen 1948 bis 1950


Autor(en)
Heitzer, Enrico
Erschienen
Berlin 2007: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eckhard Jesse, Institut für Politikwissenschaft, TU Chemnitz

Bis zur friedlichen Revolution 1989 waren oppositionelle Aktivitäten von Oberschülern Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre in der SBZ/DDR wenig bekannt. Es gab nicht bloß die „Werdauer Oberschüler“1, sondern zahlreiche weitere zumeist antikommunistische Proteste größeren Ausmaßes. Das Verdienst des jungen Historikers Enrico Heitzer aus Halle ist es, eine sorgfältige Fallstudie zur Geschichte des jugendlichen Widerstandes im thüringischen Altenburg und seinen Folgen geboten zu haben. Die aus einer Magisterarbeit hervorgegangene Studie (kaum zu glauben bei ihrer dissertationswürdigen Anlage) zeichnet sich durch eine minutiöse Rekonstruktion der Fakten ebenso aus wie durch eine abgewogene Interpretation, jenseits von Idealisierung und Dämonisierung. Der Autor lässt keine prinzipiellen Zweifel an der Legitimität des Kampfes gegen die kommunistische Diktatur aufkommen, wie den Ausführungen über die hehren Widerstandsmotivationen (z.B. Orientierung an der „Weißen Rose“) zu entnehmen ist2. Vier jugendliche Gegner der SED mussten ihre Aktivitäten mit dem Leben bezahlen: Sigfrid Flack, Ludwig Hayne, Hans-Joachim Näther und Wolfgang Ostermann.

Nach einleitenden, nicht sonderlich weiterführenden Überlegungen zu Begriffen wie „Widerstand“ und „Spionage“ (sie stellt für den Autor auch eine Form des Widerstandes dar) wird die Entstehung zweier Widerstandsgruppen in und um Altenburg geschildert. Der einen Gruppe („Antikominform“) um Siegfried Flack und Wolfgang Ostermann, die wohl im Herbst 1948 entstand, gehörten Junglehrer und Oberschüler an. Sie dürfte von einem langjährigen Sozialdemokraten namens Günter Maschik, der der Zwangsvereinigung von KPD und SPD ablehnend gegenüberstand, inspiriert worden sein. Flack war aus Gründen der Tarnung der SED beigetreten und hatte sich von der Staatssicherheit zum Schein anwerben lassen. Da aus dieser Gruppe niemand mehr lebt, fiel die Rekonstruktion der Sachverhalte weitaus schwieriger als bei der zweiten, die im Frühjahr 1949 durch Jörn-Ulrich Brödel und Dieter Grünwedel ins Leben gerufen worden war und sich vor allem aus Oberschülern rekrutiert hatte. In beiden Gruppen, die sich im Oktober 1949 weitgehend vereinigt hatten, spielten Mitglieder der LDP eine führende Rolle. Die spektakulärste Aktion, die Störung einer Rundfunkansprache von Wilhelm Pieck anlässlich Stalins 70. Geburtstag am 21. Dezember 1949 durch einen eigenen provisorischen Radiosender, dürfte nicht funktioniert haben.

Die jungen Oppositionellen verteilten unter anderem antikommunistische Flugblätter, nahmen teilweise Kontakt zur 1948 in Westberlin gegründeten Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) auf, einer antikommunistischen Organisation, und lieferten ihr Informationen, ebenso dem RIAS. Die Festnahme Ostermanns im März 1950 ging nicht auf die Zusammenarbeit mit der KgU zurück, sondern wohl auf dessen beherztes Engagement für die LDP. Der Verhaftungswelle durch die Staatssicherheit fielen etwa 20 jugendliche Personen zum Opfer. Ihr folgte eine Fluchtwelle; Angehörige sahen sich Sippenhaft ausgesetzt. Die Verhöre unter menschenunwürdigen Verhältnissen fanden bei Dienststellen der Sowjetunion in Altenburg und Weimar statt. Das Sowjetische Militärtribunal verhandelte nur kurz und verhängte im September 1950 drakonische Strafen. Neben drei Todesstrafen gab es für die geständigen Angeklagten 25 Jahre „Besserungsarbeitslager“ (in drei Fällen), 15 (in einem Fall), zehn (in drei Fällen), acht (in vier Fällen) und fünf Jahre (in einem Fall). Der beim Versuch der Festnahme geistesgegenwärtig entkommene Ludwig Hayne setzte seinen Kontakt zur KgU fort und war im Juli 1950 im Osten Berlins mit einem Stapel Flugblätter der KgU verhaftet worden. Auch gegen den noch nicht Zwanzigjährigen wurde trotz eines Gnadengesuchs in Moskau die Todesstrafe vollstreckt. Dieses Schicksal ereilte zwischen 1950 und 1953 927 Deutsche. Die meisten Verurteilten aus den Altenburger Widerstandsgruppen kamen 1956 frei. Alle gingen – zum Teil stark traumatisiert – in die Bundesrepublik Deutschland, zwei später in die USA, wo sie als Professoren wirkten. Die russische Militärstaatsanwaltschaft hat in den 1990er-Jahren die Verurteilten rehabilitiert.

Die Arbeit überzeugt fast in jeder Hinsicht. Es gibt wenig an der differenzierten Argumentation auszusetzen. Vielleicht wäre die Zusammenarbeit mit der KgU, sofern möglich, näher nachzuzeichnen gewesen. Diese Organisation3 kommt in dem Band besser weg als in einem späteren des Autors.4 Enrico Heitzer hat eine beachtenswerte Arbeit vorgelegt. Ungeachtet der mitunter schütteren Quellenlage ist sie höchst instruktiv und liest sich spannend. Auch diese Fallstudie macht deutlich, dass und wie die SED systematisch entschlossen war, ihr Herrschaftsmonopol um jeden Preis zu sichern. Der „Freund“, so hieß in den Akten die Sowjetunion, hatte das Heft fest in der Hand. Wer noch immer – oder schon wieder – die Anfänge der DDR „schönzureden“ sucht, kann sich nicht auf Heitzer stützen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Achim Beyer, Urteil: 130 Jahre Zuchthaus. Jugendwiderstand in der DDR und der Prozess gegen die „Werdauer Oberschüler“ 1951, Leipzig 2003.
2 Eine Kurzfassung der Studie findet sich in folgendem Beitrag: Enrico Heitzer, “... die Masse soweit bringen, daß sie nachdenkt ...“ Eine Widerstandsgruppe in Altenburg in der Zeit der SBZ und frühen DDR, in: Deutschland Archiv 39 (2006), S. 245-254.
3 Vgl. Kai-Uwe Merz, Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kämpfergruppe gegen Unmenschlichkeit 1948-1959, München 1987; Gerhard Finn, Nichtstun ist Mord. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, Bad Münstereifel 2000.
4 Vgl. Enrico Heitzer, „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, Berlin 2008.

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