Cover
Titel
Seduced by Secrets. Inside the Stasi's Spy-Tech World


Autor(en)
Macrakis, Kristie
Erschienen
Anzahl Seiten
370 S.
Preis
$ 28.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Donig, Philosophische Fakultät, Universität Passau

Kennen Sie die Verfilmung von Ian Flemings „James Bond – A View to a Kill“? Ausgestattet mit dem neuesten „Spy-Tech“ der „Q branch“, sucht der britische Superagent darin nach einem Leck in einer Halbleiterfabrik, durch das westliches „High-Tech“ in die Sowjetunion abfließt.

Mit „High-Tech“ (als Ziel des MfS) und „Spy-Tech“ (der Ausrüstung für die Agenten) sind auch die beiden Teile des neuesten Buchs von Kristie Macrakis überschrieben, das sich mit dem Verhältnis von Geheimdiensten und Technologie beschäftigt. Das Buch, mit dem die Verfasserin Ergebnisse aus den letzten zwei Jahrzehnten ihrer Forschungstätigkeit synthetisiert, zielt darauf ab, „to reveal the secret methods and sources of a spy and security agency as they related to technology“ (S. XIV).

Die Autorin weist eingangs darauf hin, dass der Leser keine akademische, sondern eine bewusst auch für ein breiteres Publikum geschriebene Arbeit zu erwarten hat. Deshalb habe sie das archivalische Quellenmaterial, das zu einem großen Teil „surprisingly […] deadly dull “ gewesen sei, durch quasi ethnografische Eindrücke von Besuchen vor Ort und zahlreiche Interviews mit Protagonisten ihrer Geschichte ergänzt – ein Ansatz, den Macrakis daraus legitimiert, dass er „fifty years from now“ in dieser Form nicht mehr möglich sei. Sie habe versucht, den „interessanteren“ Episoden rund um Technologie Leben einzuhauchen, „since history is not an argument, but a selection of material“ (S. XV). Ein episodenhafter Eindruck entsteht dann auch insbesondere im ersten Teil des Buches, der zumeist in der Form von Fallbeispielen organisiert ist, so dass es nicht leicht fällt, den übergreifenden Gedanken auszumachen.

Praktisch dreht es sich bei der von der Autorin eingeführten Zweiteilung des Buches vor allem auch um das Verhältnis und die jeweiligen Möglichkeiten von „human intelligence“ und technischer Aufklärung. Gerade angesichts des verstärkten Einsatzes geheimdienstlicher Mittel als Instrument zur Verhinderung bzw. Aufklärung von Terroranschlägen bleibt das Spannungsverhältnis beider Methoden der Nachrichtengewinnung hochaktuell. Macrakis jedenfalls sieht darin die überzeitliche Relevanz der Beobachtungen ihres Buches, glaubten die USA doch mehr als jedes andere Land der Welt an die Leistungsfähigkeit technischer Spionage. „Perhaps it is time to rethink our strategy.“ (S. XV)

Der erste Teil des Buches („High-Tech“) befasst sich mit der Aufklärung durch menschliche Quellen, vorrangig im Bereich der Hochtechnologie, die Macrakis als ein zentrales Ziel der DDR ausmacht. Zugleich folgt dieser Teil des Buches einer Logik der inneren Professionalisierung des Dienstes. Das erste Kapitel etwa greift das von Macrakis bereits in einem früheren Aufsatz analysierte Fallbeispiel des Agenten „Gorbatschow“ auf. Dessen von 1955 bis 1985 reichende Überlieferung beim MfS ist aufgrund seiner Anbindung an die für Abwehr und wirtschaftliche Aufklärung zuständige Hauptabteilung XVIII (zuvor III), anders als die Überlieferung der für Auslandsaufklärung zuständigen Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), Anfang der 1990er-Jahre nicht zerstört worden. Das Kapitel betont einerseits, wie sehr ein Teil der Auslandsspionage der DDR von Anfang an auf Industriespionage ausgerichtet war und wie wenig „Spy-Tech“ andererseits gerade bei einigen dieser Schlüsselagenten zum Einsatz kam. Den Gedanken wachsender Professionalisierung fortsetzend, befasst sich das zweite Kapitel mit der Institutionalisierung der Aufklärung wissenschaftlich-technischer Ziele in Form des mittlerweile recht gut dokumentierten Sektors Wissenschaft und Technik (SWT). Das dritte Kapitel stellt mit Werner Stiller einen der bekanntesten Überläufer aus dem SWT in den 1970er-Jahren in den Mittelpunkt. Gelungen ist diese Neuerzählung überwiegend bekannter und spektakulärer Fälle vor allem da, wo sie, wie etwa im Falle Stillers, die aufgebaute Selbststilisierung des Agenten aufbrechen kann – zum Beispiel wenn sie die bedeutende und in den vom BND geförderten Memoiren Stillers ausgelassene Rolle seiner damaligen Freundin Helga Mischnowski rekonstruiert (S. 60f). Im vierten Kapitel konzentriert sich Macrakis demgegenüber auf östliche Agenten im Westen und zeigt anhand einer Analyse auf Basis des so genannten „Rosenholz“-Datensatzes,1 welche Erkenntnisse über Ziele der Aufklärung und Motivationen der Agenten aus der Quelle gewonnen werden können (S. 89-91). Die Frage nach der Motivation der Westagenten vertieft die Autorin im fünften Kapitel anhand der Biografie zweier vom MfS angeworbener Amerikaner, die seit ihrer Stationierung in Berlin wichtige Daten aus der amerikanischen technischen Aufklärung gegen den Ostblock weitergaben. Der erste Teil schließt mit der eher episodenhaften Schilderung dessen, was Macrakis das „Computer-Fiasko“ nennt: die Versuche des MfS, zusammen mit anderen Beschaffungsorganen wie etwa Alexander Schalck-Golodkowskis Bereich Kommerzielle Koordinierung Technologietransfer zur Modernisierung der Computerindustrie in der DDR zu leisten.

Im zweiten Teil zeichnet Macrakis zunächst die Professionalisierung des Operativ-Technischen Sektors (OTS) in den 1960er- und 1970er-Jahren nach, der bis 1989 einer der größten Bereiche des MfS werden sollte. Am Beispiel des OTS thematisiert sie auch die Zusammenarbeit der Geheimdienste im sozialistischen Block und die technische Kooperation des OTS mit Staaten der Dritten Welt, allen voran Nordvietnam, Kuba und Nikaragua, sowie die Entwicklung von Ausrüstung für Einsatzgruppen von Agenten, die im Kriegsfall in Westdeutschland operieren sollten. Die folgenden Kapitel wenden sich einzelnen Technologien zu, darunter vor allem Containern zum Transport von Ausrüstung und Material, Kameras, unsichtbaren Tinten und Radioelektronik. Die Herstellung und der Nachweis der Verwendung unsichtbarer Tinten sowie Verfahren der Postkontrolle etwa bilden den Gegenstand des neunten Kapitels. An Experimentalarchäologie erinnern die Versuche der Autorin, zusammen mit einem Chemiker aus gefundenen Rezepten solche Schreibstoffe wieder herzustellen (S. 204-211). Die Kapitel Zehn bis Zwölf befassen sich zunächst mit dem Einsatz von Kameras als Observationstechnologie, Abhörtechnik (von der einfachen Wanze bis zu den Radar- und Funkaufklärungsanlagen auf dem Harzer Brocken) und schließlich dem eher makaberen Verfahren, Geruchsproben von politischen Gegnern zu archivieren. Macrakis gelingt es besonders gut, die Ambivalenz von Technologie darzustellen, etwa bei Techniken wie Geruchsproben, die (in der Zeit vor Einführung der DNA-Analyse) gleichermaßen zu kriminalistischen Zwecken wie eben auch zur Verfolgung von Regimegegnern eingesetzt werden konnten. Das dreizehnte und letzte Kapitel schließlich thematisiert die chemische und vor allem auch radioaktive „Markierung“ von Dissidenten sowie den möglichen Einsatz von radioaktiven Präparaten als Mordinstrument.

Manche Interpretation vermag dabei nicht völlig zu überzeugen, etwa im Bereich der Auswirkungen der Industriespionage. Die Autorin stellt fest, dass diese schädlich sei, weil sie einerseits westlichen Firmen Millionenschäden durch ausgefallene Geschäfte mit dem Osten zugefügt und zugleich tatsächliche Innovation in der DDR erstickt habe (S. 19); andererseits sei sie selbst eine ineffiziente Innovationsstrategie („A scientific establishment based on pirated and cloned technology can never be a leader, especially in such a fast-moving field as computer technology.“, S. 140). Doch um westlichen Unternehmen wie IBM und CDC (oder in den 1980er-Jahren DEC) die genannten Millionengewinne zu verschaffen, hätten nicht nur die Teilnehmer am CoCom-Embargo die jeweils neuesten Produkte von den Embargolisten ausnehmen müssen, sondern auch die SED-Führung hätte ihre Furcht einer einseitigen Abhängigkeit von westlicher Technologie überwinden müssen – beides eher unwahrscheinliche Annahmen. Die Innovationslandschaft der DDR wurde vor allem durch die politischen Eingriffe in Wissenschaft und Wirtschaft geprägt, von denen der verdeckte Technologietransfer nur eine Teilerscheinung war. Dass schließlich die Versuche der ostdeutschen Computerindustrie, der DDR in den 1980er-Jahren einen zweiten Innovationsschub durch großflächigen Technologietransfer zu verschaffen, hochgradig ineffizient waren, dürfte wohl kaum bestritten werden, hängt aber wohl gerade auch mit der besonderen Situation in dieser Zeit zusammen. So verweist die Autorin selbst auf die Vorteile, die die DDR in den 1960er- und 1970er-Jahren von der Aneignung und Adaption westlicher Artefakte und westlichen Wissens gehabt hat (etwa bei der Errichtung des gemeinsamen Computersystems ESER der RGW-Staaten durch das Klonen der Systemarchitektur des Systems /360 von IBM).

Die genannten Beispiele zeigen, dass es Sinn macht, eine Geheimdienstgeschichte zu schreiben, die nicht nur die Organisation autonom behandelt, sondern in verstärktem Maße das politische Umfeld im eigenen Lager und transnationale Kontexte in den Blick nimmt. Diese Hoffnung erfüllt das Buch leider nicht, bleibt es doch fast immer auf der Ebene des Dienstes bzw. der ihn umgebenden DDR-Gesellschaft.

Dennoch stellt die Arbeit von Kristie Macrakis einen frischen und, was den zweiten Teil des Buches angeht, neuen Blick auf das Verhältnis von Geheimdiensten und Technologie dar. In ihrem unkonventionellen „‚you are there‘ approach“ (S. XV), vor allem durch zahlreiche Kontakte und Interviews, gelingt es Macrakis, die technischen Artefakte über die schriftliche Überlieferung hinaus zum Sprechen zu bringen. Dass dabei gerade keine internalistische Technikgeschichte entsteht, sondern Technologie und die Praxis ihrer Anwendung immer wieder an die Gesellschaft zurückgebunden wird – etwa wenn Macrakis die verschiedenen Zielgruppen der Kamera-Observation untersucht (S. 237-248) – ist besonders zu begrüßen.

Leider verliert die Autorin im Reichtum der Details ihrer Recherche schnell eine übergreifende Interpretation aus den Augen. Letzteres ist schade, bietet doch das akribisch zusammengetragene Material genug Ansatzpunkte für weiterreichende Überlegungen, die im Buch aber, wenn überhaupt, nur angedeutet werden. So lohnt sich etwa eine weitere Reflexion der Frage, ob sich unterschiedliche Geheimdienstkulturen bzw. -stile in verschiedenen Ländern identifizieren lassen (S. 314f.). Das Buch bietet zahlreiche Indizien für die Annahme, dass dem so ist. Auch würde man gerne mehr über die im ersten Teil angesprochene länderspezifische kulturelle und soziale Differenzierung der Motivationen für Spionage erfahren (S. 89) – Macrakis kontrastiert ein eher idealistisches Europa mit den stärker materialistisch geprägten USA. Ebenso ließe sich danach fragen, ob das heraufdämmernde Zeitalter der Großforschung (S. 148) den Geheimdiensten (nicht alleine in der DDR) eine Phase des technologischen „take off“ beschert hat. Der abschließenden These Macrakis', dass der Kalte Krieg vor allem auch eine wachsende Abhängigkeit der Geheimdienste von Technologie zur Folge hatte, mag man daher gerne folgen.

Anmerkung:
1 Zu einer ausführlichen Quellenkritik vgl. Helmut Müller-Enbergs, „Rosenholz“ - Eine Quellenkritik, Berlin 2007 (BF informiert, 28/2007), elektronisch unter <http://www.bstu.bund.de/cln_028/nn_712564/DE/MfS-DDR-Geschichte/Aktenfunde/Rosenholz/rosenholzbericht2007__pdf,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/rosenholzbericht2007_pdf.pdf> (16.12.2009).

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension