P. Burschel: Historische Anstöße

Titel
Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002


Herausgeber
Burschel, Peter; Häberlein, Mark; Reinhardt, Volker; Weber, Wolfgang E. J.; Wendt, Reinhard
Erschienen
Berlin 2002: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
473 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Victorine Hartmann, Institut für Europäische Geschichte Mainz

Kein Foto, kein Schriftenverzeichnis, keine Tabula gratulatoria, keine Liste von Schülerarbeiten - die Festschrift für Wolfgang Reinhard ist anders als andere Werke dieser Gattung, und sie will bewusst anders sein: Die Herausgeber "haben sich [...] darauf verständigt, die üblichen affirmativ-reputativen Elemente zurückzustellen zugunsten einer Lösung, die man den Versuch einer 'kritischen' Festschrift nennen könnte" (10). Nicht das "Herrscherlob" (10) soll im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr "die kritische Perspektive und die Einordnung der Beiträge des Empfängers in die aktuelle fachwissenschaftliche Debatte" (10), was nach dem Urteil der Herausgeber einer "explorativen Fortentwicklung der Festschrifttradition" (11) gleichkommt. Der Anspruch ist hoch und verdient Anerkennung, seine Einlösung allerdings ist nicht durchgängig erfolgreich.

Die fünf Abschnitte der Festschrift orientieren sich grosso modo an den wichtigsten Arbeitsgebieten von Wolfgang Reinhard, die allerdings quantitativ und qualitativ eine sehr unterschiedliche Würdigung erfahren. Auf nur zwei Beiträge zum Thema "Städtische Eliten, sozialer und politischer Wandel im Alten Reich" folgt mit die mit sechs Aufsätzen umfangreichste Sektion über "Konfessionalisierung", daran schließen die mit jeweils vier Papieren gleichgewichtigen Abschnitte über "Nepotismus, Papstfinanz und römische Elitenverflechtung" und über "Staatsgewalt, Politische Ideen und Humanismus" an, und der Band endet mit fünf Betrachtungen zum Feld "Die Europäische Expansion und ihre Dialektik".

Für sich genommen, repräsentiert jeder der Abschnitte (mit Ausnahme des ersten, der sich aufgrund der Kürze einer Kategorisierung entzieht) einen eigenen Typus von Festschrift, und jeder Abschnitt muss daher auf andere Art und Weise am Anspruch auf "kritische Perspektive" (10) gemessen werden.

Das Kapitel über "Konfessionalisierung" entspricht dem Typus der konzeptionell-theoretischen Festschrift, was insofern wenig überrascht, als die Auseinandersetzung mit dem "Konfessionalisierungsparadigma" (59) über weite Strecken eine Auseinandersetzung um Konzepte und Deutungsmuster frühneuzeitlicher Geschichte war und ist. Insbesondere die Beiträge von Heinz Schilling über Unterschiede und Gemeinsamkeiten katholischer und protestantischer Städte, von Birgit Emich zum Nutzen eines "mikropolitischen Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung" (112) und von Johannes Burkhardt zu "Alt und Neu. Ursprung und Überwindung der Asymmetrie in der reformatorischen Erinnerungskultur und Konfessionsgeschichte" beleuchten anhand jeweils ausgewählter Beispiele übergreifende Aspekte des Themas "Konfessionalisierung". Die "kritische Perspektive" manifestiert sich hier in anregender Form als Erprobung und Weiterentwicklung interpretativer Ansätze, zu deren Etablierung der Jubilar selbst viel beigetragen hat.

Eher als Beispiel für den Typus der thematisch fokussierten Festschrift präsentiert sich dagegen der Abschnitt über "Nepotismus, Papstfinanz und römische Elitenverflechtung". Räumlich begrenzt auf die römische Kurie, zeitlich begrenzt auf das 17. Jahrhundert und inhaltlich konzentriert auf Klientelbeziehungen im Umfeld der Päpste, greifen die vier Aufsätze von Irene Fosi, Daniel Büchel, Nicole Reinhardt und Arne Karsten vielfältig ineinander und behandeln teilweise sogar dieselben Personen. "Verflechtung" als Interpretament des Zusammenspiels von sozialen Beziehungen und politischen Strukturen, von Wolfgang Reinhard selbst in mehreren Arbeiten beschrieben, wird in allen Beiträgen an konkreten Beispielen aufgezeigt. "Kritisch" ist dieser Abschnitt der Festschrift eher im Sinne analytischer Vertiefung und konkreter Ausgestaltung eines Konzepts, nicht so sehr im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung.

Die Beiträge, die unter dem Titel "Staatsgewalt, Politische Ideen und Humanismus" zusammengefasst sind, entsprechen dann dem verbreiteten Typus der eklektischen Festschrift. Der Zusammenhang zwischen so unterschiedlichen Aufsätzen wie Janet Colemans Betrachtungen zu "Urban experiences", Robert Bireleys Gedanken zu "The Jesuits and Politics", Robert Descimons Beitrag zu Charles Loyseaus Werk und Markus Völkels Ausführungen zu italienischen Humanisten als Geschichtsschreibern ist kaum zu erkennen. Zwar gelingt es Wolfgang E. J. Weber in seiner Einführung zu diesem Abschnitt, alle vier Artikel in Beziehung zu Schriften von Wolfgang Reinhard zu setzen, dies aber ist eher der Vielfalt der Arbeitsfelder des Jubilars geschuldet als den tatsächlichen Bezugspunkten zwischen den Untersuchungen der vier Autoren. "Kritisch" sind hier allenfalls einzelne Kommentare der Beiträger, kaum aber deren Gesamtheit, die nicht mehr ist als die Summe der Teile.

Der letzte Abschnitt schließlich, der den Titel "Die Europäische Expansion und ihre Dialektik" trägt, repräsentiert den Typus der assoziativen Festschrift. Ohne Ausnahme ausgehend von und mit wiederholtem Bezug auf die Arbeiten Wolfgang Reinhards zur europäischen Expansion, entwickeln die fünf Autoren ihre Gedanken zu so unterschiedlichen Themen wie "Expansion und Imperium" (Jürgen Osterhammel), Papua-Neuguinea als christlicher Utopie (Horst Gründer), einer "Typologie der ethnographischen Werke über Spanisch-Amerika bis 1800" (Mariano Delgado), der "Rolle der Verfassung in der Gründungsphase der USA und der lateinamerikanischen Staaten" (Peter Waldmann) sowie "Chiefs, Klassenkampf und Nationalismus in Südafrika" (Christoph Marx). Offensichtlich wirken hier die Arbeiten von Wolfgang Reinhard tatsächlich als "Anstöße" mit erheblicher Wirkungsmacht, und in der Auseinandersetzung mit diesem "unerlässlichen Bezugsrahmen" (370) wird der Anspruch auf "kritische Perspektive" auf überzeugende Weise eingelöst.

Unabhängig von ihrer Einordnung in die Typologie der konzeptionell-theoretischen, thematisch fokussierten, eklektischen oder assoziativen Festschrift sind die Beiträge des Bandes ohne Ausnahme sehr lesenswert und anregend und reflektieren nicht zuletzt die von den Herausgebern mit Bezug auf den Jubilar gelobte Fähigkeit, eine "klare, nüchterne, zu hoher Verdichtung fähige Sprache" zu führen. Die "kritische Perspektive" ist nicht zuletzt deshalb in jedem Aufsatz für sich gewahrt, auch wenn sie in der Aggregation zuweilen an Schärfe und Deutlichkeit verliert.

In einem Punkt schließlich ist auch diese Festschrift nicht anders als viele andere: Offensichtlich fehlte den Herausgebern an manchen Stellen die Zeit, den Band einer abschließenden Korrektur zu unterziehen, so dass Tippfehler, Inkonsistenzen in den Fußnoten, ein variierender Umgang mit Zwischenüberschriften, teilweise übersetzte und teilweise im Original belassene Aufsätze sowie ein Beilagenblatt mit zusätzlichen Literaturhinweisen den Eindruck einer gewissen Uneinheitlichkeit erwecken, die jedoch dem Lesevergnügen keinen Abbruch tut.

Ob diese "Historischen Anstöße" ihrerseits der Anstoß zu einer beschleunigten Evolution der Festschriftkultur in Richtung auf die Ablösung panegyrischer Blütenlesen durch konstruktiv-kritische Diskussionsforen sein werden, bleibt abzuwarten. Wolfgang Reinhard jedenfalls dürfte an diesem Gedanken genau soviel Spaß haben wie an den Aufsätzen dieser Festschrift.

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