E. Kraus (Hrsg.): Die Universität München im Dritten Reich II

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Titel
Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze. Teil II


Herausgeber
Kraus, Elisabeth
Erschienen
München 2008: Herbert Utz Verlag
Anzahl Seiten
624 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulf Morgenstern, Universität Leipzig

Nach einem 2006 erschienenen ersten Band über „Die Universität München im Dritten Reich“ hat die Herausgeberin Elisabeth Kraus nun einen zweiten fächer- und personengeschichtlich ausgerichteten Strauß von Aufsätzen zu einem dickleibigen Buch zusammengefügt. Zusammen mit den Beiträgen des ersten Bandes ist damit ein – freilich nur quer zu lesendes – Gesamtbild der Münchner Universität im Nationalsozialismus entstanden. Für einen Gutteil der zu erwartenden Fragestellungen und Untersuchungsgegenstände (Fächergeschichten, Biographien einzelner Hochschullehrer, akademische Verwaltung usw.) zur Geschichte der neben Berlin traditionell zweitgrößten deutschen Universität liegen damit quellengesättigte Spezialstudien vor, die empirisch abgesicherte Aussagen zulassen.

Wie schon im ersten Band sind auch Aspekte der Vor- und Nachgeschichte des Dritten Reiches einbezogen worden. Personal- und institutionsgeschichtliche Kontinuitäten sind eine gleichsam selbstverständliche Ursache dafür, Münchner Sonderentwicklungen eine andere. Dass etwa 1919 der Reichswehrangehörige Adolf Hitler Hörer an der Münchner Universität war, nimmt Othmar Plöckinger zum Anlass, das Verhältnis von Reichswehr und Universität in den ersten Jahren nach dem ersten Weltkrieg zu untersuchen. Dies gehört insofern stringent zum Oberthema des Bandes, als Hitler seine Erlebnisse während des Münchner „Aufklärungskurses“ im später millionenfach aufgelegten Buch „Mein Kampf“ zu einer regelrechten Kontakt- und Prägungsphase für den entstehenden Nationalsozialismus stilisierte. Dass die seinerzeitigen Münchner Referenten gegen Mitte der 1920er-Jahre fast ausschließlich politische Gegner der NSDAP geworden waren, wurde den Besitzern des Buches im Dritten Reich natürlich vorenthalten.

Der Nachkriegszeit widmen sich am Ende des Bandes zwei Texte Stefan Wieckis und Karsten Jedlitschkas, die die amtlichen Vorgänge der Entnazifizierung sowie die Lobbyarbeit des „Verbandes der nicht-amtierenden (amtsverdrängten) Hochschullehrer (VNAH)“ am Beispiel Münchens in den Blick nehmen. Wenn im Jahresverlauf 1945 mit 86 von 96 Professoren fast die gesamte Philosophische Fakultät der Universität München entlassen wurde, scheint es fast zwingend notwendig zu sein, dass es für die – in sich freilich – heterogene Gruppe der „Amts-Verdrängten“ einer Interessenvertretung der ganz eigenen Art bedurfte. Erst 1950 ins Leben gerufen war der VNAH die Stimme der rund 2800 von den insgesamt rund 4300 entlassenen deutschen Hochschullehrern, die auch nach fünf Jahren recht großzügigem Arbeitens der „Mitläuferfabrik“ noch übrig, das heißt als Belastete ohne Anstelllung geblieben waren. Jedlitschka erweist sich einmal mehr als intimer Kenner der Münchner Verhältnisse, dem eine flüssig zu lesende Darstellung der auf Wiedereinstellung zielenden Politik des VNAH gelungen ist.1 In diesem Zusammenhang ist es zu bedauern, dass die ebenfalls von elementaren Eigeninteressen geleitete Politik der gleichfalls nur teilweise erfolgreich um ihre Wiedereinstellung kämpfenden, 1933 entlassenen Professoren in keinem eigenen Beitrag untersucht ist (etwa die seinerzeit in Leipzig entlassenen Professoren Willibalt Apelt oder Leo Rosenberg wurden nach zähem Drängen bayerische Hochschullehrer).

Die verbleibenden elf Aufsätze haben mehrheitlich biographische Ausgangspunkte, behandeln aber immer die institutionellen Zusammenhänge mit und haben somit eine ähnliche inhaltliche Ausrichtung wie die eher fach- bzw. institutionsgeschichtlichen Beiträge, etwa Christian Fuhrmeister „Das Kunsthistorische Seminar“, Veronika Goebel, „Das Institut für Tierzucht“ oder Maximilian Schreiber, „Die Münchner Universitätsgesellschaft“.

Andreas Engelharts Untersuchung des Agierens des eigenwilligen Theaterwissenschaftlers Artur Kutschers ist der kürzeste der biographischen Texte, was nichts über seine Unterhaltsamkeit aussagen soll. Deutlich länger sind die Spezialstudien Gregor Barbarykas zum Pathologischen Institut, Daniela Stöppels zur Kunstgeschichte unter Wilhelm Pinder oder Patricia von Papen-Bodeks zu den Habilitationsvorgängen um den „Judenforscher“ Wilhelm Grau. Alle drei Beiträge sind außerordentlich detailliert und tragen im Grunde monographische Züge. Als Kondensate größerer Forschungen hätten sie möglichweise noch stärker gekürzt und ihre Themen dadurch etwas leichter zugänglich gemacht werden können.

Tatsächlich in extenso behandelt aber vor allem der Beitrag des Münchner Bibliothekars Gerhard Schott seinen Gegenstand. Auf 93 Seiten schildert Schott Wirken und Rezeption des Klassischen Philologen Richard Harder. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf zwei eigentlich außerwissenschaftlichen Gutachten, die der Kieler Professor Harder in seiner Funktion als Alfred Rosenbergs „Beauftragter für den Aufbau eines Instituts für Indogermanische Geistesgeschichte“ in München über dort in Umlauf gebrachte Flugblätter geschrieben hatte. Da es sich bei den Flugblättern um Texte der Weißen Rose, mithin also um ein Münchner Spezifikum handelte, mag auch der Rekonstruktion ihrer Deutung durch Harder verbreiterter Raum zugestanden werden. Dass Harder eine offenkundig äußerst mehrdimensionale Persönlichkeit war, mit dem sich seine einstige Königsberger Schülerin Hannah Arendt trotz seiner NS-Verstrickungen in den 1950er-Jahren schließlich aussöhnte, ist ein spannendes zeitgeschichtliches Paradoxon. Dass der informative Text über den eigentlich in Kiel lehrenden Gräzisten Harder aber im Grunde die Genese von Rosenbergs erfolgloser Institutsgründung im Konkurrenzfeld zu Heinrich Himmlers „Ahnenerbe“ beschreibt, geht aus dem Titel nicht hervor, und es stört deshalb, dass er mehr ein Buch im Buch ist, was ein gewisses Ungleichgewicht in den Sammelband bringt.

In ihrer Summe liefern die 14 durchweg auf hohem Reflektionsniveau geschriebenen Aufsätze viel Neues zur Münchner Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus. Allerdings lassen sich – wie die Herausgeberin in ihrer Einleitung bereits herausstellt – bei allem Respekt vor den im Detail gewonnenen Ergebnissen deren Deutungen nicht auf die noch nicht untersuchten Fächer, Professoren und sonstigen universitätsgeschichtlichen Einzelaspekte bilanzierend übertragen: Daher ist eine Zusammenschau nach wie vor nicht möglich. Zwar lesen sich die in Aufsätzen niedergeschriebenen Spezialstudien häufig interessanter als die auf manche Archiv-Trouvaille verzichtenden größeren, synthetisierenden Darstellungen.2 Ob aber der momentane Trend zu universitätsgeschichtlichen Aufsatzbataillonen, wie sie in Jena seit einigen Jahren aufgestellt werden, auch für ein „nur“ allgemein-historisch interessiertes Lesepublikum geeignet ist, darf bezweifelt werden.3 Eine eigentlich erwartete Gesamtdarstellung zur Geschichte der Universität München im Dritten Reich, die außerhalb des immer noch überschaubaren Kreises der Wissenschaftshistoriker des deutschsprachigem Raums und den zum Kauf angehaltenen Universitätsbibliotheken auch noch andere zahlende Käufer finden würde, scheint leider nicht in Sicht zu sein.

Hier macht sich ein eminentes Förderungsproblem der Universitätsgeschichte bemerkbar: Die „klassischen“ geisteswissenschaftlichen Projektförderer, etwa die großen Stiftungen, verweisen bei universitätsgeschichtlichen Anträgen auf die Zuständigkeit der Universitäten. Diese zeigen sich außerhalb der 25- bzw. 50-jährigen Jubiläumszyklen nur mäßig interessiert an der Bezuschussung von wissenschaftlichen Beschäftigungen mit der eigenen Geschichte, die zwangsläufig nicht ohne Personalstellen zu bewerkstelligen sind. Andere Finanzierungsmöglichkeiten scheiden fast vollständig aus. Daher wurden bis in die jüngste Vergangenheit hinein universitätsgeschichtliche Monographien, wurden sie schließlich doch noch kurzfristig unterstützt, allzu oft mit heißer Nadel gestrickt und kamen über positivistisches name-dropping häufig nicht hinaus.

Zwei personell recht unterschiedlich ausgestattete Unternehmen im Vorfeld der Jubiläen 2008 und 2009 in Jena und Leipzig zeigen mit ihren soeben veröffentlichten bzw. im Erscheinen begriffenen, zusammenfassenden Abschlusspublikationen, wie lohnend die längerfristige Finanzierung solcher Vorhaben sein kann.4 Die von Rüdiger Hachtmann jüngst mit spitzer Feder kritisierte „universitäre Jubiläumsschrift klassischen Typs“ 5 kommt auf diesem Wege nämlich nicht (mehr) zu Stande; sie wäre für München von Elisabeth Kraus ohnehin schwerlich zu erwarten.

Anmerkungen:
1 Zu Karsten Jedlitschkas Arbeiten zur Geschichte der Universität München vgl. S. 599, Anm. 138 in dem besprochenen Band.
2 Vgl. etwa Hendrik Eberle, Die Martin-Luther-Universität in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, Halle 2002.
3 Uwe Hoßfeld u.a. (Hrsg.), „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln u. a. 2003; Uwe Hoßfeld / Tobias Kaiser / Heinz Mestrup (Hrsg.), Hochschule im Sozialismus. Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität-Jena (1945–1990), 2 Bde., Köln u.a. 2007.
4 Traditionen, Brüche, Wandlungen. Die Universität Jena 1850–1995, hrsg. von der Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert, Köln u. a. 2009; Geschichte der Universität Leipzig 1409-2009, 5 Bde., Leipzig 2009 [bisher erschienen Bd. 4: Fakultäten, Institute, Zentrale Einrichtungen, Ulrich von Hehl / Uwe John / Manfred Rudersdorf (Hrsg), 2 Bde., Leipzig 2009]; vgl. zuletzt die durchaus auch kritische große Zusammenschau: 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Festschrift. 5 Bde., Freiburg u.a. 2007.
5 Rüdiger Hachtmann, Wissenschaftsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 539-606.

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