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Titel
Hans Globke (1898-1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers


Autor(en)
Lommatzsch, Erik
Erschienen
Frankfurt am Main/New York 2009: Campus Verlag
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Heinrich Jansen, Bundesarchiv, St. Augustin

Hans Globke war und ist bis heute der wohl umstrittenste (politische) Beamte der frühen Bundesrepublik Deutschland. Hauptgegenstand der sich um seine Person rankenden Kontroversen ist dabei weniger seine Rolle in Adenauers Kanzleramt, wo er mal als starker Mann, mal als nur loyaler Diener seines Chefs angesehen wird, sondern vielmehr seine im Vergleich dazu insgesamt doch eher bescheidene Rolle während der NS-Zeit. Sicher kann man dabei davon ausgehen, dass das Interesse an Globke nach 1945/49 durch sein enges Verhältnis zum ersten Bundeskanzler geweckt wurde, dessen untadelige Rolle in den Jahren nach 1933 Adenauer selbst gegen Angriffe wegen Sympathien für den Nationalsozialismus immun machten. Daher stand wohl stellvertretend Globkes Verhalten während der NS-Zeit im Vordergrund vieler Debatten. Ihm wurde zum einen vorgeworfen, dass er im Reichsinnenministerium geblieben und es immerhin bis zum Ministerialrat gebracht habe, zum anderen, dass er zusammen mit seinem Vorgesetzten, Staatssekretär Wilhelm Stuckart, den ersten von mehreren Kommentaren zu den Nürnberger Rassegesetzen verfasst habe.

Die suggestive Benutzung dieser für sich genommen unbestreitbaren Tatsachen führte im öffentlichen Globke-Bild, an dessen Entstehung die DDR-Propaganda maßgeblich mitgewirkt hat, dazu, dass er beinahe wie einer der Haupttäter des Holocaust erschien.1 In diesem Zusammenhang weist Lommatzsch mit gutem Grund darauf hin, dass damit die tatsächliche Bedeutung Globkes als einer von immerhin 40 Ministerialräten allein im Reichsinnenministerium doch erheblich überbetont wird. Ebenso interessant ist sein Hinweis, dass Globkes Kommentar zu den Rassegesetzen ab 1942 wohl nicht mehr verwendet wurde, da die maßgeblichen Akteure ihn als nicht scharf genug einschätzten; an seine Stelle traten andere Kommentare, die mehr im Sinne der Machthaber des Dritten Reichs waren. In der allgemeinen Diskussion wird dagegen öfters der Anschein erweckt und nicht korrigiert, Globke habe ‚den‘ Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen verfasst.

Während sich diese Fragen noch weitgehend auf einer soliden Quellenbasis behandeln lassen, steht der Historiker – oder wer immer sonst sich zum Urteilen über Globke berufen fühlt – bei dem zweiten Teil der Frage nach dem Verhalten in der NS-Zeit vor erheblichen Quellenproblemen. Hier geht es um Globkes tatsächliches Verhältnis zum Nationalsozialismus einerseits und seine Bereitschaft andererseits, Maßnahmen der Reichsregierung zu verzögern bzw. soweit möglich zu entschärfen und, zumindest auf individueller Basis, Bedrohten zu helfen. Nach Globkes eigenem Bekunden hat er sich dafür auch mit der jüdischen Gemeinde in Berlin in Verbindung gesetzt. Dass sich solche Hilfen nicht in gleicher Form wie die Arbeit an Gesetzen und Verwaltungsvorgängen in Akten niederschlug, sondern allenfalls in nachträglichen und zu Rechtfertigungszwecken entstandenen Zeitzeugenberichten, liegt in der Natur der Sache. Dennoch ist eigentlich unumstritten, dass Globke an vielen Stellen geholfen hat, so gut er konnte. Einer der am ernstesten zu nehmenden Leumundszeugen für Globke ist wohl Robert Kempner, der US-Vertreter im Wilhelmstraßen-Prozess. Er kannte Globke aus gemeinsamen Zeiten im preußischen Innenministerium, das Kempner wegen seiner jüdischen Mutter 1933 verlassen musste. Ebenso wie Kempner sprachen sich im Rahmen des Spruchkammerverfahrens 1947 Jakob Kaiser und der Berliner Kardinal Konrad Graf von Preysing für Globke aus. Die hypothetische Überlegung Lommatzschs, dass Globke heute womöglich dem Widerstand zugerechnet würde, wenn er bei Kriegsende beispielsweise durch einen Unfall umgekommen wäre, geht allerdings wohl zu weit. Gleichwohl sind Globkes Kontakte zu einigen der am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 Beteiligten unbestreitbar. Die Frage, ob Globke in dem Maß im Dritten Reich mitarbeiten durfte, wie er es tat, ist zunächst eine moralische und keine geschichtswissenschaftliche, umso mehr, wenn das Maß an Funktionieren in der NS-Diktatur mit den Möglichkeiten zur Hilfe für Verfolgte oder zur Zusammenarbeit mit Widerstandskreisen in Relation gesetzt und damit gerechtfertigt wird.

Das Wirken Globkes im Kanzleramt, in der Personalpolitik wie etwa bei der Informationssammlung, ist bekannt, wenn auch nicht so umstritten wie sein Agieren vor 1945. Doch auch hier gibt es Fragen: War er etwa nur ein extrem loyaler Diener seines Herrn, der angesichts seiner Biographie nur froh war, überhaupt noch mitmachen zu dürfen, frei von allen eigenen Ambitionen? Oder war er der eigentliche starke Mann im Kanzleramt, der durch seine Personalpolitik und den gezielten Einsatz der ihm zahlreich zufließenden Informationen auch in hohem Maße gestalterisch Einfluss auf die Politik der Adenauer-Ära ausgeübt hat? Kritik daran, dass Globke Bereiche wie die Personalpolitik beim Wiederaufbau eines Regierungsapparats zumal nach dem Zusammenbruch 1945 intensiv bearbeitete, kann nur üben, wer von den Aufgaben eines Stabschefs keine Ahnung hat. Wie er diese Aufgaben erfüllte, steht auf einem anderen Blatt. Häufig wird der Vorwurf erhoben, Globke habe oftmals Katholiken bevorzugt. Das mag in einer Reihe von Einzelfällen so gewesen sein; freilich bleibt die Tatsache, dass in der Ära Adenauer die Ministerialbürokratie oder etwa die Spitzenposten in der Justiz, ganz überwiegend protestantisch besetzt waren und blieben. Vielleicht gab es ja nach der Gründung der konfessionell ganz anderes als das Deutsche Reich zusammengesetzten Bundesrepublik Deutschland im Regierungsapparat erhebliche Nachholbedürfnisse, wie es sie in umgekehrter Richtung auch beim Aufbau der CDU zur Überwindung der Zentrumswurzeln gab.

Wiederum auf Quellenprobleme stößt man bei der Frage, wie hoch Globkes Anteil bei der Formulierung der Politik Adenauers in inhaltlicher Hinsicht war, obwohl Lommatzsch der Globke-Nachlass im Archiv der Adenauer-Stiftung uneingeschränkt zur Verfügung stand. Der schriftliche Befund, so Lommatzsch, lässt kein endgültiges Urteil zu, zumal über die nahezu täglichen Spaziergänge Adenauers und Globkes im Garten des Kanzleramts keine Aufzeichnungen existieren.

Globkes Feld war überwiegend die Innenpolitik. Reisen ins Ausland unternahm der Kanzleramtschef nur selten, was Lommatzsch zum einen auf die Resonanz der gegen Globke geführten Kampagnen zurückführt, zum anderen auf seine Funktion als inoffizieller „Vertreter des Kanzlers“ (S. 301). Dass Adenauer in Fragen der Außenpolitik möglicherweise eher sein eigener Herr war oder auf andere Berater wie Wilhelm Grewe, Herbert Blankenhorn oder Walter Hallstein hörte, scheint für Lommatzsch kein Argument zu sein. Nur einmal verbindet sich der Name Glokbes mit außen- und deutschlandpolitischen Fragen, nämlich bei den beiden Fassungen des Globke-Plans für eine mögliche Wiedervereinigung aus den Jahren 1959 und 1960. Doch auch hier scheint er mehr derjenige gewesen zu, der eine Reihe von Ideen in einem Konzept zusammengefügt hat, als der eigentliche Urheber.

Als Fazit der manchmal etwas spröde geschriebenen und den Anschein des Apologetischen bisweilen allzu angestrengt vermeidenden Arbeit bleibt festzuhalten: Von den Vorwürfen, die gegen Globke wegen seines dienstlichen Tuns während der NS-Diktatur und als rechte Hand Adenauers erhoben wurden, hält Lommatzsch nicht viel, freilich um den Preis, die Bedeutung Globkes, der „fast nie im Sinne eines gestaltenden und kreativen politischen Entscheidungsträgers“ (S. 343) zu sehen sei, generell eher geringer einzuschätzen als dies sonst geschieht. Angesichts der in vielen zentralen Fragen letztlich dann doch dürftigen Quellenlage dürfte es schwierig sein, dieses Urteil fundiert zu widerlegen.

Anmerkung:
1 Dazu vgl. den vielfach fehlerhaften Eintrag zu Globke unter der Überschrift „Intellektueller Judenmörder“ in: Nationalrat der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik, Dokumentationszentrum der staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hrsg.), Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik, Berlin 1965, S. 326f.

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